Habermas wird heute 80

Weil sie an der Leine zapfen
Hi Candide.

Paradigmenwechsel … Dabei gehts aber um einen veränderten Zugang zum Objekt, während bei der Hermeneutik die Resignifikation Teil des Objekts selbst ist … die (vermeintliche?) Urszene des Wolfsmanns verändert sich selbst durch ihr Geträumt-Werden, verändert sich durch ihre Verbalisierung in der Analyse usw…

  1. Natürlich haben Hermeneutik und NaWi sehr unterschiedliche Zugänge zum Objekt, das ist ja meine Rede, seit ich deine Kritik an Habermas´ Formel vom „szientistischen Selbstmissverständnis“ als Ausgangspunkt nahm. Ich wollte nur klarstellen, dass auch beim kausalen Ansatz der theoretische Kontext (der dem „Vorverständnis“ entspricht) sehr wichtig ist, nicht nur beim Verstehen.

  2. Die von dir angesprochene Sinn-Änderung entspricht, wenn ich jetzt nicht ganz daneben liege, dem, was Lacan 1953 als „Wiederholung“ im Unterschied zum Erinnern kennzeichnete. Deleuze griff das auf und bastelte daraus einen Eckpfeiler seiner Philosophie („Differenz und Wiederholung“ (1968)). Kierkegaard machte als erster einen Unterschied zwischen Erinnern und Wiederholen: „Wessen man sich erinnert, das ist gewesen, wird rücklings wiederholt, wohingegen die eigentliche Wiederholung sich der Sache vorlings (also vorwärts, H.Tr.) erinnert.“ (Kierkegaard 1843)

Resignifizierende Wiederholung in diesem Sinne schafft Differenz zum Erinnerten und damit etwas Neues. Was wieder dem entspricht, was ich mit dem Verweis auf Gadamer als „Vorwärtsbewegung“ beim Verstehen bezeichnete. Und als den Schritt (im Luther-Beispiel) von S1 zu S2. Denn Wiederholung ist laut Lacan „symbolisch“, Erinnern aber imaginär. S1 aber ist imaginär (im Luther-Beispiel), erst S2 macht den rationalen (symbolischen) Schritt nach vorn.

Hier sprichst du von der Forschungspraxis, nicht von der Forschungslogik.

Müsste aber nicht Theorienvielfalt in die moderne Forschungslogik einbezogen sein (als das „Durchspielen verschiedener Erklärungsansätze“? Ich müsste zu diesem Thema meine Wissenschaftstheorie-Kenntnisse allerdings erst mal auffrischen.

Die naturwissenschaftliche Forschungslogik funktioniert aber ohne jeden Zweifel als Elimination der Forschersubjektivität.

Selbstverständlich. Ich glaube allerdings nicht, dass in der Hermeneutik die Dinge anders gesehen werden. Oder gibt es den hermeneutischen Imperativ: „Der Interpret m u s s subjektiv sein“? Ich denke nicht. Auch hier ist Objektivität und damit die „Elimination der Subjektivät“ erwünscht (z.B. bei Habermas, der rationales Verstehen einfordert), allerdings nicht vollständig machbar.

Soll laut Freud ein phylogenetisches Erbgut sein. Möglich. Auch esoterische Erklärungen bieten sich an (unbewusste Erinnerungen aus Vorleben). Ich sehe auch eine Nähe zu Jungs Archetypen. Vielleicht aber einfach nur eine Projektion.

In diesem Zusammenhang fällt mir natürlich gleich auch Grof ein.

Der fällt mir so oft ein, dass ich ihn lieber ganz raushalte…

Gruß

Horst

PS. Bin erst Montag wieder online.

Lieber Horst!

  1. Natürlich haben Hermeneutik und NaWi sehr unterschiedliche
    Zugänge zum Objekt, das ist ja meine Rede,

Gut!
Geklärt!
Das war auch meine Rede!
Ob man nun diese unterschiedlichen Zugänge als -> und entspricht) sehr wichtig

ist, nicht nur beim Verstehen.

das (hermeneutische) „Vorverständnis“ ist sicher mehr als der „theoretische Kontext“, er umfasst mindestens auch den Kontext der „Lebenswelt“. Insofern gehe ich das fett markierte nicht mit.

  1. Die von dir angesprochene Sinn-Änderung entspricht, wenn
    ich jetzt nicht ganz daneben liege, dem, was Lacan 1953 als
    „Wiederholung“ im Unterschied zum Erinnern kennzeichnete.
    Deleuze griff das auf und bastelte daraus einen Eckpfeiler
    seiner Philosophie („Differenz und Wiederholung“ (1968)).

oder auch Derridas wichtiges Konzept der Iteration basiert u.a. auf Lacans Konzept der Nachträglichkeit:
http://de.wikipedia.org/wiki/Iteration#Philosophie

Hier sprichst du von der Forschungspraxis, nicht von der
Forschungslogik.

Müsste aber nicht Theorienvielfalt in die moderne
Forschungslogik einbezogen sein (als das „Durchspielen
verschiedener Erklärungsansätze“?

Ja, aber nicht als „eklektizistische Werkzeugkasten-Logik“, also als eine Nebeneinander von Ansätzen, von denen je nach Problem mal die und mal die Theorie gewählt werden kann.

Die naturwissenschaftliche Forschungslogik funktioniert aber ohne jeden Zweifel als Elimination der Forschersubjektivität.

Selbstverständlich. Ich glaube allerdings nicht, dass in der
Hermeneutik die Dinge anders gesehen werden. Oder gibt es den
hermeneutischen Imperativ: „Der Interpret m u s s subjektiv
sein“? Ich denke nicht. Auch hier ist Objektivität und damit
die „Elimination der Subjektivät“ erwünscht

Doch, ich denke schon.

Das wäre eine längere Diskussion an einem anderen Ort als diesem, die man an konkreten Ansätzen führen müsste, nicht am Sammelbegriff „Hermeneutik“.
Aber sowohl etwa (ich kann nur Beispiele nennen, wo ich mich ansatzweise auskenne) bei einigen qualitativen Verfahren der Sozialforschung oder auch in einer gewissen psychoanalytischen Forschungslogik (Stichwort: Gegenübertragung) ist die Forschersubjektivität gerade etwas nicht-zu-eliminierendes. Reflektieren ja, Eliminieren nein, im Gegenteil, Kultivieren.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Schlusswort des Geburtstagskinds
Hi Candide.

das (hermeneutische) „Vorverständnis“ ist sicher mehr als der „theoretische Kontext“, er umfasst mindestens auch den Kontext der „Lebenswelt“. Insofern gehe ich das fett markierte nicht mit.

„Entsprechen“ im Sinne von Analogie, mehr nicht. Der reale Unterschied ist natürlich so gravierend wie der Unterschied zwischen Verstehen und Erklären.

… gibt es den hermeneutischen Imperativ: „Der Interpret m u s s subjektiv sein“? Ich denke nicht. Auch hier ist Objektivität und damit die „Elimination der Subjektivät“ erwünscht

Doch, ich denke schon.

Von Wright differenziert subjektive vs. objektive Hermeneutik:

http://www.falsafeh.com/html/et_von_wright.html
Zitat:

„Die Sozialwissenschaften unterscheiden zwischen subjektiver und objektiver Hermeneutik. Die subjektive Hermeneutik meint das einfühlende Verstehen und die objektive Hermeneutik vertritt die tatsächliche Botschaft.

Die objektive Hermeneutik stellt eine Methode der qualitativen Sozialforschung dar.“

Zitat Ende.

Erteilen wir abschließend dem Geburtstagskind das Wort (zitiert aus einem eigenen Text, das Programm zeigt aber leider gerade nicht die Fußnote und damit die genaue Quelle an):

„Eine kritisch über sich aufgeklärte Hermeneutik, die zwischen Einsicht und Verblendung differenziert, nimmt das metahermeneutische Wissen über die Bedingungen der Möglichkeit systematisch verzerrter Kommunikation in sich auf. Sie bindet Verstehen an das Prinzip vernünftiger Rede zurück, demzufolge Wahrheit nur durch d e n Konsensus verbürgt sein würde, der unter den idealisierten Bedingungen unbeschränkter und herrschaftsfreier Kommunikation erzielt worden wäre und auf Dauer behauptet werden könnte.“

Gruß

Horst

PS. Der Einsicht mich beugend, dass ein A+D+D-Posting so ziemlich das Gegenteil eines Forums-Blockbusters wäre (Derrida und erst recht Deleuze…), modifiziere ich das „Projekt“ in „Strukturalismus und Marxismus“, unter Einbeziehung von Althusser und der ganzen (post-)strukturalistischen Bagage von Lacan bis Foucault. Vielleicht nächste Woche.