Habermas wird heute 80

Überhaupt glaube ich nicht, dass Habermas das System als
autopoetisches System versteht, ich sehe ihn hier viel näher
an Parsons als an Luhmann.

Jedenfalls hat er sich Luhmann im Laufe ihres
jahrelangen Zwistes schon genähert, so dass
einige Leute sogar eine Synthese zimmern
wollen. Vielleicht hast du meinen link
oben überflogen? Die entscheidende Frage für mich
Aussenstehenden ist aber doch die, wie ich
in die Geschichte zu involvieren bin?
Denn so leid mir das auch tut, aber in meinem
Leben nehme ich nun mal eine wichtige Rolle
ein!

Wo oder wie siehst du dich denn da lieber Candide?

Gruß
ST

alles oder nichts
Hi Candide

ich brauche diesen „ganzen“
Freud um ihn überhaupt einigermaßen konsistent lesen zu können
(was bei ihm eh schwierig ist, weil es nichts gibt, was er
gesagt hat, ohne irgendwo anders das Gegenteil gesagt zu
haben).

Vielleicht hat ja Adorno (bewusst oder unbewusst) darauf angespielt, als er sagte: „Freud hat da recht, wo er unrecht hat.“
Obwohl - gibt es es bei Adorno viel unbewusst Geäußertes? :wink:
Gruß,
Branden

?

Die entscheidende Frage für mich
Aussenstehenden ist aber doch die, wie ich
in die Geschichte zu involvieren bin?
Denn so leid mir das auch tut, aber in meinem
Leben nehme ich nun mal eine wichtige Rolle
ein!

Wo oder wie siehst du dich denn da lieber Candide?

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich den Punkt nicht verstehe.
Gehts dir um das Verhältnis Person-System bzw. Person-Diskurs in den jeweiligen Theorien der beiden?

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Wo oder wie siehst du dich denn da lieber Candide?

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich den Punkt nicht
verstehe.
Gehts dir um das Verhältnis Person-System bzw. Person-Diskurs
in den jeweiligen Theorien der beiden?

Keine Schande lieber Candide! Es war ein Moment des
Schwindels, indem ich diese Frage stellte!
Manchmal wird einem schwindelig vor lauter Theorien,
Systemen… Ist man nun näher an x oder an y.

Wo bleibt der Mensch? Der wirklich und einzig wichtige!
Wichtig bist du, sind die anderen in diesem Forum.

Wie findet man SICH in diesem Konglomerat an Theorien?

Ich weiss, eine schwierige Frage, deshalb stellte ich
sie grad dir! Darauf darfst du dir was einbilden! :smile:

Gruß
ST

Citatitatismus praecox und andere Infantilneurosen
Lieber van Branden!

mal eine Antwort in Zitaten, nachdem ich schon 10 Minuten lang suchen musste, wo dein Zitat geschrieben steht :wink:

Vielleicht hat ja Adorno (bewusst oder unbewusst) darauf
angespielt, als er sagte: „Freud hat da recht, wo er unrecht
hat.“

„Freud hatte recht, wo er unrecht hatte. Die Gewalt seiner Theorie zehrt von seiner Verblendung gegenüber der Trennung von Soziologie und Psychologie …“
(in: „Die revidierte Psychoanalyse“, 1952)

„Die Trennung von Gesellschaft und Psyche ist falsches Bewusstsein; sie verewigt kategorial die Entzweiung des lebendigen Subjekts und der über den Subjekten waltenden und doch von ihnen herrührenden Objektivität“
(in: „Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie“, 1955; auf Parsons’ Systemtheorie gemünzt, nicht auf Freud, aber dennoch passend)

hierin haben Freud/Parsons also jeweils unrecht, aber gerade indem sie unrecht haben, haben sie recht, denn:
„Was die arbeitsteilige Wissenschaft auf die Welt projiziert, spiegelt nur zurück, was in der Welt sich vollzog. Das falsche Bewusstsein ist zugleich richtiges, inneres und äußeres Lebens sind voneinander gerissen … eine Psychologie, die von der Gesellschaft nichts hören will und idiosynkratisch auf dem Individuum und dessen archaischem Erbe beharrt, spricht mehr von der gesellschaftlichen Fatalität aus als eine [… des] ‚wholistic approach‘“.
[ibid., Hervorhebung von mir; und die Mitzitierung des letzten Teilsatzes um den [Edit: Name entfernt] ein wenig zu ärgern, falls er mitliest :wink:]

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

! (mit Anhang)

Wie findet man SICH in diesem Konglomerat an Theorien?

Ich weiss, eine schwierige Frage, deshalb stellte ich
sie grad dir! Darauf darfst du dir was einbilden! :smile:

*lach*

So ziemlich exakt dieser Frage bin damals zu Studis Zeiten auf fast 100 Seiten und monatelang höchst erfolglos in meiner Magisterarbeit nachgegangen. Hach, wie die Zeit vergeht …

Gruß
_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _


Hier mal copy&past des Inhaltsverzeichnisses. Ich hatte schon kurz überlegt, das Dingens spaßeshalber hier reinzustellen um auf diese Weise den längsten www-Artikel aller Zeiten zu fabrizieren :wink:

Inhaltsverzeichnis...........................................................................................................1


Einleitung....................................................................................................................................4


1. Die Bedingtheiten der Theorie-Praktik-Differenz..........................................................8
1.1 Der historische Raum der Theorie-Praktik-Differenz....................................................8
1.1.1 Die Theorie-Praktik-Differenz als unbestimmtere Form: 
Aristoteles-Marx-Butler.................................................................................................8
1.1.1.1 Die Mikrologik des Excursus into Aristotle...................................................................8
1.1.1.2 Aristoteles: sophia/phronesis.........................................................................................9
1.1.1.3 Marx: Philosophie/Welt.................................................................................................9
1.1.1.4 Was bleibt von Marx?...................................................................................................10
1.1.1.5 Die Krise der Realisierung...........................................................................................11
1.1.1.6 Nach-Marx: Das Paradox der (Nicht)Realisierung.......................................................11
1.1.1.7 Aktivisten, Avantgardisten und Radikaldemokraten....................................................12
1.1.1.8 Das Primat der Differenz..............................................................................................13
1.1.2 Die Theorie-Praktik-Differenz als bestimmtere Form: 
geschichtliche Gegenwart.............................................................................................14
1.1.2.1 Die bestimmteren Kategorien der Identität...................................................................14
1.1.2.2 Die Rückbindung der Identitätskategorien an ihre praktische Bestimmtheit................15
1.1.2.3 Reproduktion und Transformation bestimmterer Theorie-Praktiken............................16
1.1.2.4 (Nicht)Anfang und Ende der bestimmteren Form der Theorie-Praktik-Differenz.......18
1.1.2.5 Die wesentliche Historizität der Theorie-Praktik-Differenz.........................................23
1.2 Die Theorie-Praktik-Differenz im Zirkel der (An)Erkennung......................................25
1.2.1 Theorie als Frage der (Über)Lebbarkeit........................................................................25
1.2.1.1 Die Emergenz kritischer Theoriepraktik.......................................................................25
1.2.1.2 Theoriepraktik als wesentliche Alltagspraktik..............................................................26
1.2.1.3 Theorie als Frage der Gewalt und des Überlebens........................................................28
1.2.1.4 Kritische Theoriepraktik als wesentlich auf den Anderen bezogen..............................29
1.2.2 Das (sich) theoretisierenden Subjekt.............................................................................32
1.2.2.1 Das Subjekt der Theorie...............................................................................................32
1.2.2.2 Das Subjekt der Macht..................................................................................................34
1.2.2.3 Judith als entgleistes Seyla-Subjekt..............................................................................35
1.2.2.4 Das theoretisierende Subjekt und seine Theorieposition..............................................36
1.2.2.5 Das theoretisierende Subjekt und seine Oppositionalität..............................................37
1.2.2.6 Das theoretisierende Subjekt und seine Entgleisung....................................................38
1.2.2.7 Das theoretisierende Subjekt und seine Distanz zu sich im Akt des
 Theoretisierens..............................................................................................................39
1.2.2.8 Das theoretisierende Subjekt und sein Wissen um sein Sein........................................40
1.2.2.9 Konsequenzen dieses Wissens für das Theoretisieren..................................................40

2. Die Theorie-Praktik-Differenzierung............................................................................42
2.0.1 Rückblick: Die Bedingtheiten der Theorie-Praktik-Differenz......................................42
2.0.2 Ausblick: Was ist die Theorie-Praktik-Differenz?........................................................44
2.0.3 Eine Vernähung von Rück- und Ausblick am Ort des Aktivisten.................................45
2.1 Rekonstruktion und Inkludierung..................................................................................47
2.1.1 Die theoretische Rekonstruktion des Praktischen.........................................................47
2.1.1.1 Die Theorie der Performativität: fortschreibende Umschreibung.................................47
2.1.1.2 Die Theorie der Performativität: der Bruch..................................................................49
2.1.1.3 Die Theorie der Performativität: gesellschaftliche Iterabilität.....................................49
2.1.1.4 Die Rekonstruktion des Bruchs aus der Perspektive einer
 Theorie gesellschaftlicher Iterabilität...........................................................................51
2.1.1.5 Die Interpretation der Welt als Veränderung der Welt.................................................52
2.1.1.6 Theorie als politisch-ethisches Projekt – oder auch nicht?...........................................54
2.1.2 Die Inkludierung des Ausgeschlossenen.......................................................................55
2.1.2.1 Die Theorie-Praktik-Differenz als Radikales Befragen................................................56
2.1.2.2 Die fortwährende Politisierung des Unpolitischen.......................................................57
2.1.2.3 Die Doppelgestalt feministischer Praktik: Repräsentation und Produktion
 der Kategorie „Fraue(en)“.............................................................................................58
2.1.2.4 Die Frage des theoretischen (Anti)Fundamentalismus.................................................60
2.2 Verstrickung und Störung.............................................................................................62
2.2.1 Die Verstrickung des Theoretischen im Praktischen
- Theoriearbeit im Modus ihres Gebrauchs...................................................................62
2.2.2 Das Theoretische als Störung des Praktischen.............................................................64
2.2.2.1 Die Störung des einer Praktik ein Ende Setzens...........................................................64
2.2.2.2 Die Störung des eine Praktik Aufrechterhaltens...........................................................66
2.2.2.3 Die Störung des eine Praktik in Gang Setzens..............................................................68

3. Theorie-Praktik..............................................................................................................71
3.1 Radikalisierung der Theorie-Praktik.............................................................................71
3.1.1 Was ist Radikalität?.......................................................................................................71
3.1.2 Innen/Außen..................................................................................................................73
3.1.3 Repetition und Differenz...............................................................................................74
3.1.4 Identitäten als Mannigfaltigkeiten.................................................................................76
3.2 Radikales Denken der Bedingtheit................................................................................77
3.2.1 Paradoxologische Einwürfe...........................................................................................78
3.2.2 Linguistic turn und das Problem des Formalismus.......................................................78
3.2.3 Weder Skeptizismus noch Relativismus.......................................................................79
3.3 Radikale Demokratisierung...........................................................................................80
3.3.1 Die sprachliche Möglichkeit Radikaler Demokratie.....................................................80
3.3.2 Radikale Demokratie – ein endloses Begehren.............................................................81
3.3.3 Endlich: Ein gefährliches Denken.................................................................................82


Literaturverzeichnis..................................................................................................................84


Anhang......................................................................................................................................87
Wortlaut der Zitate Butlers im amerikanischen Original…………………….………..…..….87
Lebenslauf des Verfassers…………………………………………………………………….95
Ehrenwörtliche Erklärung…………………………………………………………………….96

Intuition
Na dann wundert mich mein intuitiver Impuls nicht mehr!
Sollen wir gleich ins Esobrett wechseln oder die Kunst
der Telepathie weiter vertiefen?

Interessieren täts mich schon… :smile:

Gruß
ST

Papa ante portas
Lieber Candide

„…eine
Psychologie, die von der Gesellschaft nichts hören will und
idiosynkratisch auf dem Individuum und dessen archaischem Erbe
beharrt, spricht mehr von der gesellschaftlichen Fatalität aus
als eine [… des] ‚wholistic approach‘“.

Dieser Seitenhieb dürfte dann C.G. Jung weit mehr treffen als Freud, wenn ich es richtig verstehe. :wink:
Es grüßt dich
Branden

„…eine
Psychologie, die von der Gesellschaft nichts hören will und
idiosynkratisch auf dem Individuum und dessen archaischem Erbe
beharrt, spricht mehr von der gesellschaftlichen Fatalität aus
als eine [… des] ‚wholistic approach‘“.

Dieser Seitenhieb dürfte dann C.G. Jung weit mehr treffen als
Freud, wenn ich es richtig verstehe. :wink:

Naja, es ist schwierig, mein lieber vanBranden, mit dem Adorno und seiner dialektischen Raserei.
Wenn er sagt, Freud hätte gerade da recht gehabt, wo er unrecht hatte, dann müsste man, wollte man das obige Unrechte mehr auf Jung münzen denn auf Freud, der dialectischen Afterconsequenz halber sagen, der Jung hätte mehr recht gehabt als der Freud … das geht nun auch nicht, versteht sich :wink:

Schönen Abend!

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Lieber Candide

Naja, es ist schwierig, mein lieber vanBranden, mit dem Adorno
und seiner dialektischen Raserei.

Sowieso :wink:

Wenn er sagt, Freud hätte gerade da recht gehabt, wo er
unrecht hatte, dann müsste man, wollte man das obige Unrechte
mehr auf Jung münzen denn auf Freud, der dialectischen
Afterconsequenz halber sagen, der Jung hätte mehr recht gehabt
als der Freud … das geht nun auch nicht, versteht sich :wink:

Tja…manchmal bin ich ja froh, mich mehr in der praktischen Psychotherapie aufzuhalten als in der theoretischen Philosophie…:wink:
Es grüßt dich
Branden

Herrensignifikant und Bedeutung
Hi Candide.

Danke für die schöne Veranschaulichung des Themas.

Szene I (… ) erhält ihre Bedeutung erst durch nachträgliche Sinn-Zuschreibung, Auslegung, Resignifikation… Das ist Hermeneutik, der Zeitpfeil geht ‚rückwärts‘.

Ist das aber nicht nur die „halbe“ Hermeneutik? Der Hermeneutische Zirkel ist doch eine Synthese aus Vor- und Rückwärtsbewegung, d.h. in der retroaktiven Interpretation ist ein Vorverständnis, das aus der Vergangenheit stammt (sich also linear bewegt), immer enthalten. In diesem Sinn wäre Hermeneutik die Synthese jener beiden Bewegungen, die du als Hermeneutik und Szientismus unterscheidest.

Hermeneutik ist eine dialektische Position: etwas (z.B. eine Vorstellung) ist nicht einfach nur „sich selbst“, sondern auch ein Effekt oder eine Reflexion einer anderen Vorstellung.

Lacans Konzept der Nachträglichkeit impliziert das Konzept des Herrensignifikanten, also eines übergeordneten Signifikanten, der eine Signifikantenkette „durchsteppt“ und deren einzelnen Gliedern nachträglich ihre Bedeutung verleiht.

Genau das meinte ich, als ich davon sprach, dass die Kriterien von Emanzipation vielfältig und immer im Fluss sind und dass daher Psychoanalyse keine exakte Wissenschaft sein könne, da Interpretation ein offenes Feld ist.

Beispiele für Herrensignifikanten: „Gott“, „Kommunismus“ und „Liberalismus“.

Je nach wirksamem Herrensignifikant (der eine Kette steppt und sie signifiziert) erhalten Begriffe wie „Freiheit“, „Mensch“, „Gerechtigkeit“, „Liebe“ und so weiter unterschiedliche, oft gegensätzliche Bedeutungen.

Was ich ja auch im Sinn hatte, als ich vom Reduktionismus der meisten Psychoanalytiker sprach: i h r e Interpretationen sind jeweils an die Herrensignifikanten gebunden, von denen sie beherrscht werden.

Also kann von „Naturwissenschaft“ bei der Psychoanalyse keine Rede sein.

Natürlich war für Lacan eine vollkommene Bewusstwerdung des Subjekts (im Sinne von Habermas´ emanzipatorischer Selbstreflexion) illusionär, da das Subjekt immer ein Durchgestrichenes bleibt (kraft der Signifikanten).

Gruß

Horst

Adorno und die Poststrukturalisten
Hi VB.

Adorno gab wertvolle Impulse, das gebe ich gerne zu, und er wäre sicher einen eigenen Thread wert, den ich auch erwäge. Z.B. als Vergleich mit den teilweise sehr ähnlichen Theorien von Derrida und Deleuze.

Gruß Horst

Ja, das wäre auch interessant
.

Herrn Fliess’ Vertreibung aus dem Paradies :wink:
Lieber [Edit: Name entfernt]!

Szene I (… ) erhält ihre Bedeutung erst durch nachträgliche
Sinn-Zuschreibung, Auslegung, Resignifikation… Das ist
Hermeneutik, der Zeitpfeil geht ‚rückwärts‘.

Ist das aber nicht nur die „halbe“ Hermeneutik? Der
Hermeneutische Zirkel ist doch eine Synthese aus Vor- und
Rückwärtsbewegung, d.h. in der retroaktiven Interpretation ist
ein Vorverständnis, das aus der Vergangenheit stammt (sich
also linear bewegt), immer enthalten.

In der Tat müssten wir über die Bedeutung meiner verwendeten Begriffe „Hermeneutik“ und auch „Szientismus“ sprechen, was wenig erquicklich ist, denn gerade „Hermeneutik“ ist ja seit einiger Zeit ein richtiger Modebegriff geworden, der für alles mögliche steht. Nicht von ungefähr hatte damals Sokal seine bekannte Postmoderne-Persiflage folgenderweise benannt:
Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity

Ich erkenne im Hermeneutischen Zirkel keine Vorwärtsbewegung außer der, dass sich die Interpretation eines Textes fortschreitend immer mehr dem ursprünglichen Sinn eines Textes annähert. Dies geschieht logischerweise notwendig „retro-“, also „rückwärts“, von den Vorannahmen des hic et nunc hin zum ursprünglichen Sinn, S <- I.

Dass der Verstehensprozess dabei zirkelhaft bzw. spiralhaft ist, tut dem keinen Abbruch, weil es mir ja nicht um den Verstehensprozess geht, sondern um das chrono-logische Grundmuster des Verstehens, das von den Vorbedingungen des Verstehenden aus (Denkmuster, Begriffe usw.) -und deren Transformation bei jedem neuen „Kreislauf“- sich an das zu-Verstehende annähert.

Die Kausalerklärung dagegen funktioniert „nach vorne“: Mittels einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit erklärt sie die Wirkung W als Folge der Existenz der Ursache U, also: U -> W

Lacans Konzept der Nachträglichkeit impliziert das Konzept des
Herrensignifikanten, also eines übergeordneten Signifikanten,
der eine Signifikantenkette „durchsteppt“ und deren einzelnen
Gliedern nachträglich ihre Bedeutung verleiht.

richtig, „nachträglich“, und zwar, um die englische Übersetzung aufzugreifen- „retroactively“, nicht „deferred action“
(an der Probe der Übersetzung merkt man es leicht!).

Der Herrensignifikant kann nur „durchsteppen“, wenn die Signifikantenkette schon vorhanden ist, er schiebt nicht von vorneherein die Signifikantenkette auf (to defer).

Wobei das bei Lacan sicher komplex genug ist, ich will ihn nicht auf die „hermeneutische Position“ reduzieren, man müsste es strikt am Text bei Gelegenheit mal genauer diskutieren.
Er führt die „Nachträglichkeit“ glaub ich 1953 mit seine Rede von Rom ein, und zwar eben am Fall des Wolfsmanns von 1914/7, unglücklicherweise meiner Erinnerung nach unter konsequenter Nicht-Beachtung der Briefe an Fliess 1896/7, wo Freud erstmals das „nachträglich“ einführte - und zwar dort fast durchgehend im Sinne von „deferred action“.

Natürlich war für Lacan eine vollkommene Bewusstwerdung des
Subjekts (im Sinne von Habermas´ emanzipatorischer
Selbstreflexion) illusionär, da das Subjekt immer ein
Durchgestrichenes bleibt (kraft der Signifikanten).

Dieser Post-Strukturalismus stört mich ehrlich gesagt bei Lacan sehr:
der (Nom du) Pere vertreibt dich unwiderruflich aus dem Paradies der jouissance in der frühen Mutter-Kind-Dyade …

Das ist genauso theo-ontologisches Denken wie das Habermas’sche Emanzipationsideal des zu-sich-Kommens.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Lacan und der Tod des Dings
Hi Candide.

Ich erkenne im Hermeneutischen Zirkel keine Vorwärtsbewegung außer der, dass sich die Interpretation eines Textes fortschreitend immer mehr dem ursprünglichen Sinn eines Textes annähert. Dies geschieht logischerweise notwendig „retro-“, also „rückwärts“, von den Vorannahmen des hic et nunc hin zum ursprünglichen Sinn, S W

Das ist das Prinzip der Naturwissenschaften. Das aber im mentalen Bereich nicht voll zünden kann, da hier die Verhältnisse komplizierter sind, d.h. die Kontexte sind unendlich komplex, in synchronischer wie diachronischer Hinsicht. Das Unbewusste arbeitet mit einer Vielzahl irrationaler Mechanismen, die Einfluss auf den hermeneutischen Prozess (egal ob in Geisteswissenschaft oder Alltag) haben.

Der Herrensignifikant kann nur „durchsteppen“, wenn die Signifikantenkette schon vorhanden ist, er schiebt nicht von vorneherein die Signifikantenkette auf (to defer).

Das ist der eine Punkt. Ein anderer wäre, dass erst der syntaktische Kontext den Textelementen (Signifikanten) nachträglich ihren Sinn verleiht. D.h. erst wenn man einen Satz zu Ende liest, beginnt man den Sinn der Wörter zu begreifen.

Beispiel: „Eine endlose Schlange…“

Klingt phantastisch.

„…von Fahrzeugen blockierte den Highway.“

Aus dem weiteren Text könnte dann z.B. hervorgehen, dass es sich um Militärfahrzeuge auf einem Highway in Kalifornien handelt. Das erweitert wieder retroaktiv den Sinn der Wörter im obigen Satz. Aus dem weiteren Text erschließt sich dann z.B., dass die Szenerie fiktiv ist (oder real). Was wieder den Sinn retroaktiv determiniert.

Sätze werden also im Kontext von immer größeren Texteinheiten (Absätze, Kapitel, Bücher, Biografie des Autors, Zeitgeschichte) zunehmend verständlicher. Insofern ist „Nachträglichkeit“ nie abgeschlossen, wie eben der ganze Prozess des Sinnverstehens, siehe Gadamer.

Er führt die „Nachträglichkeit“ glaub ich 1953 mit seine Rede von Rom ein…

Der französische Ausdruck bei Lacan ist übrigens : „à posteriori“, gemäß Kants Ausdruck.

Natürlich war für Lacan eine vollkommene Bewusstwerdung des Subjekts (im Sinne von Habermas´ emanzipatorischer

Selbstreflexion) illusionär, da das Subjekt immer ein
Durchgestrichenes bleibt (kraft der Signifikanten).

Dieser Post-Strukturalismus stört mich ehrlich gesagt bei Lacan sehr: der (Nom du) Pere vertreibt dich unwiderruflich aus dem Paradies der jouissance in der frühen Mutter-Kind-Dyade …

Lacan ist nur Überbringer der schlechten Botschaft, nicht ihr Verursacher :smile:

Seine Lehre besagt jedenfalls, dass Vater/Gesetz/Phallus/Sprache die harmonische Mutter-Kind-Dyade aufbricht und einen Keil zwischen das so erst wirklich entstehende Subjekt (Kind) und das fortan jenseits eines Abgrunds liegende Objekt (Mutter, Natur, Welt) treibt. So entsteht ein Subjekt, das dem Gesetz (den Signifikanten) unter-worfen (sub-ject) ist und das unter einem Mangel leidet, dessen Behebung es unablässig und ohne Hoffnung auf Erfüllung hinterher jagt (siehe objekt klein a).

Lacan sagte irgendwo in Anlehnung an Hegel: „Das Wort ist der Tod des Dings“, d.h. der die Welt symbolisierende Signifikant tritt an die Stelle der Vollkommenheit einer unio mystica, deren prärationale Variante die Mutter-Kind-Dyade ist.

Wie Wilber immer betont: das Prärationale muss durch das Rationale (hier die Sprache und das Gesetz) überwunden werden, damit das Transrationale (die unio mystica) erscheinen kann (wenn das Rationale temporär suspendiert ist).

Das ist genauso theo-ontologisches Denken wie das Habermas’sche Emanzipationsideal des zu-sich-Kommens.

Ja, zurück zu Habermas: er bezog sich in EuI auf die Psychoanalyse, weil sie für ihn ein Modell für kritisch-emanzipatorische Selbstreflexion ist. Ich finde diesen Grundgedanken gut. Marx hatte ja Entfremdung und falsches Bewusstsein auf gesellschaftliche Faktoren zurückgeführt, die den Menschen unbewusst determinieren. Das entspricht auf der Makroebene dem, was Freud im Mikrobereich des Subjekts entdeckte: dass Strukturen, wenn sie verdrängt werden – also unbewusst bleiben -, das Bewusstsein in entstellender Weise determinieren.

Es ging Habermas darum zu zeigen, dass Hermeneutik auch einen kritischen Impuls hat bzw. haben sollte, d.h. dass im Verstehen immer auch die transzendentalen Ansprüche der Rationalität wirksam sind bzw. sein sollten.

Gruß

Horst

PS. Bin erst Montag wieder online.

¿ '-> v ∧ Lieber [Edit: Name entfernt]!

Ich erkenne im Hermeneutischen Zirkel keine Vorwärtsbewegung
außer der, dass sich die Interpretation eines Textes
fortschreitend immer mehr dem ursprünglichen Sinn eines
Textes annähert. Dies geschieht logischerweise notwendig
„retro-“, also „rückwärts“, von den Vorannahmen des hic et
nunc hin zum ursprünglichen Sinn, S <- I.

Natürlich ist das Verstehen rückwärts gerichtet

gut, dann wäre das ja geklärt :wink:

, aber
mitbestimmt durch die Gadamer´sche „Wirkungsgeschichte“, die
vorwärts verläuft: … Der jetzt gelesene Sinn enthält den
„ursprünglichen“ Sinn kernhaft in sich, wobei die Wahrheit des
Textes (also sein wahrer Sinn) von einem jetzigen Interpreten
besser enthüllt werden kann als von einem Zeitgenossen des
ursprünglichen Textes. Das denkt jedenfalls Gadamer (in
„Wahrheit und Methode“):

„Der wirkliche Sinn eines Textes“ ist nicht der, den der
„Verfasser“ oder „sein ursprüngliches Publikum“ (280 f.) in
ihm sahen: „Der zeitliche Abstand … lässt den wahren Sinn,
der in einer Sache liegt, erst voll herauskommen …“(282)

Das Apriori jeden Wissens-Schaffens ist die Vorwärtsbewegung, entsprechend auf dieser Ebene auch das der Hermeneutik.


Ich will die Debatte nicht unnötig abstrakt und ausufernd führen, wir können uns wohl darauf einigen, dass es rein auf dieser einen Ebene, um die es mir geht, zwei unterschiedliche Ausrichtungen zum Zeitpfeil gibt:

  1. die (spätere) Wirkung W wird erklärt durch die (frühere) Ursache U, also U -> W, also ->
  2. mittels des (späteren) Vorwissens V über einen (früheren) Sachverhalt S wird der Sinngehalt von S bestimmt, also S <- V, also <-

wobei

2a) das spätere V deckt das frühere S auf - „Rekonstruktion“
2b) V erzeugt S als ein früheres - „Konstruktion“
beide Male aber S <- V

Ich denke, darauf können wir uns einigen. Und wir können uns wohl auch darauf einigen, dass wir das obige Gadamer-Zitat der Rubrik 2a) zuordnen, genauso wie wir Habermas in dem, wofür er in E+I die Psychoanalyse gebraucht, 2a) zuordnen sollten.

Ausgangspunkt unsere Diskussion war meine These, dass Habermas in E+I die Psychoanalyse „hermeneutisch zurichtet“, weil er die Dimension 1) ausblendet, die bei Freud nun mal zweifellos nicht nur enthalten ist, sondern wohl sogar das Primat hat.

Wie gesagt: ich glaube nicht, dass hier ein Rückwärts von
einem Vorwärts isoliert werden kann, da beim Verstehen in
jedem Moment eine progressive Bewegung (vom vergangenen zum
gegenwärtigen Horizont) wirksam ist, d.h. die
Wirkungsgeschichte (Vorwärtsbewegung) determiniert immer auch
die Art und Weise des Verstehens (Rückwärtsbewegung).

Noch einmal am Beispiel des Wolfsmanns und der „Nachträglichkeit“ gezeigt.
Wir haben hier zwei entscheidende Szenen:
Szene I: die Beobachtung des elterlichen Koitus im Alter von 1,5 Jahren.
Szene II: der damit (wie auch immer) verbundene Wolfstraum im Alter von 4 Jahren, der die Kindheitsneurose auslöst.

  1. Die Beobachtung der Koitus-Szene ist die Ursache für den Traum, der nachträglich (von Szene I aufgeschoben = deferred) die Neurose auslöst, I -> II

  2. der Traum (re)sifnifiziert die Koitus-Szene nachträglich (retroactively), so dass dadurch die Neurose ausgelöst wird, I <- II

Wir haben doch hier bei 2) eine eindeutig isolierbare Rückwärtsbewegung, selbst dann noch, wenn auf diesen Wolfstraum noch unendlich viele Träume folgen mögen, die den ursprünglichen Sinn der Koitus-Szene immer besser erfassen würden (das entspräche doch der angeführten „Wirkungsgeschichte“).

Wenn man übrigens dann noch Szene III hinzufügt, nämlich die analytische Situation selbst, in der der adulte Wolfsmann über sich selbst als Kind spricht, dann wird klar, wie zentral diese hier diskutierte Frage für die Psychoanalyse ist, weil es um den epistemischen Status der in der Analyse aufgedeckten Szenen geht, nicht nur um Wissenschaftstheorie.

Der Herrensignifikant kann nur „durchsteppen“, wenn die
Signifikantenkette schon vorhanden ist, er schiebt nicht von
vorneherein die Signifikantenkette auf (to defer).

Das ist der eine Punkt. Ein anderer wäre, dass erst der
syntaktische Kontext den Textelementen (Signifikanten)
nachträglich ihren Sinn verleiht.

Ja, eben. Beide Male das „nachträglich“ als „retroactively“ verwendet, also so: <-

Er führt die „Nachträglichkeit“ glaub ich 1953 mit seine Rede
von Rom ein…

Der französische Ausdruck bei Lacan ist übrigens : „à
posteriori“, gemäß Kants Ausdruck.

Wo?

Lacan führt „Nachträglichkeit“ in der Rede von Rom als „aprés coup“ ins Französische ein (S. 255 der Écrits I).

Seine Lehre besagt jedenfalls, dass
Vater/Gesetz/Phallus/Sprache die harmonische Mutter-Kind-Dyade
aufbricht und einen Keil zwischen das so erst wirklich
entstehende Subjekt (Kind) und das fortan jenseits eines
Abgrunds liegende Objekt (Mutter, Natur, Welt) treibt.

Du kennst ja die Kritik der Derridas dieser Welt an solcher Konzeption: dieses Vorher des Gesetzes ist das Vorher des Gesetzes bzw. der vorsprachliche Zustand ist der Zustand, den die Sprache als sein eigenes Vorher hervorbringt.

Es ist ja unleugbar, dass die Setzung der Grenze Imaginäres/Symbolisches im und durch das Symbolische geschieht.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

%!’§$%%&/)(?=???
Hi Candide.

Sicher droht bei der Zeitpfeildebatte die Gefahr (durch mich) der Haarspalterei (typisch für Dialektikfans). Es bleibt aber noch genauer zu klären, was beim Verstehen abläuft.

Zunächst mal ist auch der kausale Ansatz, nicht nur der hermeneutische, rückwärts gerichtet, und das ist so offensichtlich, dass man es glatt übersehen kann. Es geht nämlich darum, eine Wirkung zu erklären, und dazu muss man notwendigerweise nach einer Ursache suchen, die zeitmäßig davor liegt. Man schließt also aus einer Wirkung auf die Ursache, was rückwärts gerichtet ist. Nichts anderes geschieht in der Hermeneutik: man hat ein Symptom oder einen Text oder was auch immer und steht vor der Aufgabe, den dazugehörigen Sinn retrospektiv zu ermitteln: wie kam es dazu? Im Grunde das gleiche Problem wie beim kausalen (naturwissenschaftlichen) Ansatz, nur unter unterschiedlichen methodologischen Bedingungen.

Dem hermeneutischen Vorwissen korreliert beim kausalen Erklären das deduktive Verfahren: man kennt irgendein Gesetz A, dem gemäß aus dem Gegebensein der Bedingung B mit Notwendigkeit die Wirkung C hervorgeht. Also erklärt man C, indem man deduktiv auf das vorausgehende B schließt kraft des Gesetzes A.

Allerdings läuft es beim Verstehen nicht so glatt. Wie können wir z.B. Luthers Angst und Paranoia vor dem „Satan“ verstehen? Nicht indem wir Luthers Perspektive einnehmen. Denn wirklich verstehen kann man nur aus der Distanz.

Auf die Schnelle aus Wiki:

„Verstehen ist das inhaltliche Begreifen eines Sachverhalts, das nicht in der bloßen Kenntnisnahme besteht, sondern in der intellektuellen Erfassung des Zusammenhangs, in dem der Sachverhalt steht.“

Luther aber war nie in wirklicher Kenntnis des „Zusammenhangs“,d.h. er konnte – nach heutigen Maßstäben – seine Paranoia nicht selbstreflexiv (insbesondere psychoanalytisch) durchschauen. Er projizierte seine unbewussten Ängste einfach nach außen.

  1. mittels des (späteren) Vorwissens V über einen (früheren) Sachverhalt S wird der Sinngehalt von S bestimmt, also S

(un)abschließend
Lieber Horst!

Zunächst mal ist auch der kausale Ansatz, nicht nur der
hermeneutische, rückwärts gerichtet, und das ist so
offensichtlich, dass man es glatt übersehen kann. Es geht
nämlich darum, eine Wirkung zu erklären, und dazu muss man
notwendigerweise nach einer Ursache suchen, die zeitmäßig
davor liegt. Man schließt also aus einer Wirkung auf die
Ursache, was rückwärts gerichtet ist. Nichts anderes geschieht
in der Hermeneutik: man hat ein Symptom oder einen Text oder
was auch immer und steht vor der Aufgabe, den dazugehörigen
Sinn retrospektiv zu ermitteln: wie kam es dazu? Im Grunde das
gleiche Problem wie beim kausalen (naturwissenschaftlichen)
Ansatz, nur unter unterschiedlichen methodologischen
Bedingungen.

Darauf können wir uns gern einigen, wenn wir festhalten, dass wir Forschungslogik und Forschungspraxis radikal vermengen wollen.
Mir dagegen ging es allein um die Forschungslogik, weshalb ich abschließend ein paar rhetorische(?) Fragen zu obiger Parallelisierung in den Raum werfe:

  • warum ist dann ein Begriff wie beispielsweise „Resignifikation“ für den „naturwissenschaftlichen“ Ansatz nicht im Ansatz denkbar?
  • warum bei den Szientisten dieser Akzent auf die „Prädikation“, der bei den Hermeutikern weitgehend fehlt?
  • warum spielt die Subjektiviät des Forschers beim einen Ansatz eine so wesentliche Rolle, beim anderen gar keine bzw. dann eine wichtige Rolle, wenn es um ihre Elimination geht?

–> das sind drei Dinge, die m.E. ganz klar mit dieser besprochenen Zeitpfeil-Richtung zu tun haben.

Ansonsten will ich jetzt aber gar nicht noch stärker den bekannten Dichotomien Naturwissenschaft/Geisteswissenschaft, Erklären/Verstehen, quantitativ/qualitativ das Wort reden.
In diese Richtung wollte ich eigentlich nie, im Gegenteil ging es mir ja darum, die Psychoanalyse -entgegen Habermas’ Intention- quer dazu anzusetzen.

  1. mittels des (späteren) Vorwissens V über einen (früheren) ::Sachverhalt S wird der Sinngehalt von S bestimmt, also S muss ist nun wirklich umstritten.

Ich kenne diese Debatte ja vor allem von den verschiedenen (hermeneutischen) Ansätzen der sog. Interpretativen Soziologie.
Und hier gibt es durchaus Ansätze, die sich mit der Rekonstruktion des subjektiven Sinns (z.B. die phänomenologisch und die symbolisch-interaktionistisch orientierten), also S1, begnügen wollen, im Gegensatz zu Ansätzen wie der vom Strukturalismus inspirierten „Objektiven Hermeneutik“ Oevermanns oder halt eben der psychoanalytisch inspirierten „Tiefenhermeneutik“ von H.-D. König.

der Traum (re)signifiziert die Koitus-Szene nachträglich
(retroactively), so dass dadurch die Neurose ausgelöst wird, I ohne deshalb eben das „->“ aufgeben zu müssen: phylogenetisch verankerte Urphantasien -> infantile Fantasie.

Der Russe selbst war nie
wirklich von der Deutung überzeugt und berichtete noch im
Alter, Freud habe ihm den Glauben an seine Deutung nahezu
aufgedrängt.

Laplanche nannte den Wolfsmann („homme aux loups“) mal in Anspielung an seine vielen Analysen den „homme aux analystes“.

Vielleicht hat ihm ja die Analytikerin nach Freud die Deutung aufgedrängt, er habe sich von Freud eine Deutung aufdrängen lassen … *lach*

Seine Lehre besagt jedenfalls, dass Vater/Gesetz/Phallus/Sprache die harmonische Mutter-Kind-Dyade aufbricht …

Du kennst ja die Kritik der Derridas …: dieses Vorher des
Gesetzes ist das Vorher des Gesetzes bzw. der vorsprachliche
Zustand ist der Zustand, den die Sprache als sein eigenes
Vorher hervorbringt.

Jaja, die Magie des genitivus objectivus/subjectivus. Damit
hatte aber Lacan schon getrickst, als Derrida noch an der
Mutterbrust hing…

Über Lacan/Derrida können wir uns hier gerne mal austauschen. Natürlich hat Lacan vieles bei Derrida vorweggenommen, keine Frage.

Es ist ja unleugbar, dass die Setzung der Grenze ::Imaginäres/Symbolisches im und durch das Symbolische geschieht.

Das Imaginäre ist keine theoretische Konstruktion, es ist
vielmehr allgegenwärtig. Ganze Industrien leben davon.

Moment!
Niemand sagt es gäbe kein Imaginäres, nur weil es nicht jenseits des Symbolischen bzw. das Jenseits des Symbolischen ist.

Und dass der Signifikant die äußere Realität etabliert (d.h.
die Subjekt-Objekt-Spaltung im Bewusstsein determiniert) und
das wahre Subjekt ins Unbewusste drängt (wo es als Begehren
fortwirkt), halte ich für extrem plausibel, zumal es schön
korrespondiert mit den Aussagen gewisser spiritueller Lehren.

und ich dagegen halte mit Adorno (Schwenk zum Thread-Thema) jedes Reden vom „wahren Selbst“ und überhaupt das Beschwören des Vorbegrifflichen für einen ziemlich unwissenschaftlichen "Jargon der Eigentlichkeit :wink:

Aber mehr dazu, wenn ich demnächst zum Thema „Adorno, Derrida
und Deleuze“ einen eigenen Thread aufmache, zu dem du
eingeladen bist.

Dank dir für die Einladung, mal sehen ob ich überhaupt was vernünftiges dazu beitragen kann.

Warum eigentlich quasi als Vorabentscheidung Derrida und Deleuze gegen Adorno?
M.E. unterscheiden sich die beiden erstgenannten beträchtlich - gerade auch in ihrem Bezug zur Psychoanalyse übrigens.
Hier würde ich sogar fast dazu neigen, Adorno+Deleuze gegen Derrida zu setzen. Naja, fast :wink:

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Über Lanzen und Pfeile
Hi Candide.

warum ist dann ein Begriff wie beispielsweise „Resignifikation“ für den „naturwissenschaftlichen“ Ansatz nicht im Ansatz denkbar?

Nimmt man diesen Begriff als „Umdeuten“ oder „eine Bedeutung erweitern“ usw., dann geschah das in der Naturwissenschaft aber doch häufig.

Ein Paradigmenwandel z.B. oder neue Theorien verändern die Erklärung bestimmter naturwissenschaftlicher Phänomene. Diese werden im neuen Kontext anders interpretiert bzw. „erklärt“. Ich weiß nicht, wie vor Newton das Herabfallen eines Apfels erklärt wurde, aber das änderte sich jedenfalls mit Newton. Also wurde dieses Phänomen „resignifiziert“.

warum bei den Szientisten dieser Akzent auf die „Prädikation“, der bei den Hermeutikern weitgehend fehlt?

Eben weil Natur etwas ganz anderes ist als Geist (der Gegenstand der Hermeneutik). In der Hermeneutik reflektiert der Geist auf sich selbst bzw. seine eigenen Erzeugnisse (die per se Sinnträger sind). In der Naturwissenschaft reflektiert er auf physikalisch-chemische Prozesse (die per se keine Sinnträger sind). Ein hermeneutisches Objekt „hat Sinn,“ ein naturwissenschaftliches nicht. Ein Shakespeare-Sonett ist ein Sinnträger, eine Sonnenprotuberanz nicht.

warum spielt die Subjektiviät des Forschers beim einen Ansatz eine so wesentliche Rolle, beim anderen gar keine bzw. dann eine wichtige Rolle, wenn es um ihre Elimination geht?

Beim naturwissenschaftlichen Ansatz spielen subjektive Perspektiven oft eine Rolle, nämlich dann, wenn mehrere Theorien konkurrieren und keine ein Primat beanspruchen kann. Das zeigt sich doch schon in der „Interpretation“ (sic!) klimatischer Ereignisse, die für manche sehr besorgniserregend sind, für andere nicht oder viel weniger. Hier müssen tatsächlich Daten „interpretiert“ werden, wenn der kausale Kontext nicht zuverlässig feststeht.

Warum die Subjektivität in der Hermeneutik relevant ist, ergibt sich aus der Methode und dem Gegenstand. Denn hier operiert vornehmlich das Unbewusste. Und da fischt man als Interpret unvermeidlich im Trüben.

:smiley:ie Hermeneutik muss also auf zwei Ebenen operieren – einer empathischen (wie war es subjektiv für Luther?) und einer kritischen (wie war es objektiv für uns Aufgeklärte?).
naja, muss ist nun wirklich umstritten.

Ich wollte halt eine Lanze für das Geburtstagskind brechen.

Ich kenne diese Debatte ja vor allem von den verschiedenen (hermeneutischen) Ansätzen der sog. Interpretativen Soziologie.

An dieser Stelle will ich mal die persönliche Frage einflechten, inwiefern du (professionell?) mit Soziologie befasst bist, was dein Spezialgebiet zu sein scheint.

Dazu kann man aber sagen, dass Freud in einer späteren Fußnote zum Text selbst den Realitäts-Gehalt der Urszene in Zweifel zieht. So entstand bei ihm die Hypothese der „Urphantasie“.

Soll laut Freud ein phylogenetisches Erbgut sein. Möglich. Auch esoterische Erklärungen bieten sich an (unbewusste Erinnerungen aus Vorleben). Ich sehe auch eine Nähe zu Jungs Archetypen. Vielleicht aber einfach nur eine Projektion. Hier können also mehrere Theorien gleichwertig konkurrieren.

Moment! Niemand sagt es gäbe kein Imaginäres, nur weil es nicht jenseits des Symbolischen bzw. das Jenseits des Symbolischen ist.

Nichts dagegen. Für Lacan gilt die Mutter als „erster Signifikant“, sie bereitet das Feld vor, auf dem der Vater später seinen großen Auftritt hat. Imaginäres und Symbolisches sind also vermutlich gleichursprünglich. Allerdings findet mit dem Non-du-Pere (Lacans Wortspiel) ein Wechsel der Dominanz statt.

Und dass … das wahre Subjekt ins Unbewusste drängt (wo es als Begehren fortwirkt), halte ich für extrem plausibel …

und ich dagegen halte mit Adorno … jedes Reden vom „wahren Selbst“ und überhaupt das Beschwören des Vorbegrifflichen für einen ziemlich unwissenschaftlichen "Jargon der Eigentlichkeit :wink:

Nun, Lacan hatte nur drei Möglichkeiten: das Moi ist das wahre Subjekt, es gibt k e i n Subjekt, oder das unbewusste Subjekt ist das wahre Subjekt. Er entschied sich für letzteres. Er sprach aber nicht vom „ Selbst“, sondern vom Subjekt. Das ist etwas anderes. Ein „wahres Selbst“ gab es für ihn natürlich nicht.

Warum eigentlich quasi als Vorabentscheidung Derrida und Deleuze gegen Adorno? M.E. unterscheiden sich die beiden erstgenannten beträchtlich - gerade auch in ihrem Bezug zur Psychoanalyse übrigens.

Die drei zeichnen sich explizit durch ihre Attacke gegen das Identitätsdenken aus, Adorno dabei als der entscheidende Wegbereiter. Ich meine auch nicht (D + D) vs. A, sondern einfach A + D + D.

Gruß

Horst

Pflanzen haben keine Eile
Lieber Horst!

zur Resignifikation: Paradigmenwechsel der Nat.wi. und so ist schon klar. Dabei gehts aber um einen veränderten Zugang zum Objekt, während bei der Hermeneutik die Resignifikation Teil des Objekts selbst ist.
Stichwort Nachträglichkeit: die (vermeintliche?) Urszene des Wolfsmanns verändert sich selbst durch ihr Geträumt-Werden, verändert sich durch ihre Verbalisierung in der Analyse usw., es geht nicht nur darum, dass sie auf fortwährend andere Weise analysiert wird.

warum spielt die Subjektiviät des Forschers beim einen Ansatz eine ::so wesentliche Rolle, beim anderen gar keine bzw. dann ein ::wichtige Rolle, wenn es um ihre Elimination geht?

Beim naturwissenschaftlichen Ansatz spielen subjektive
Perspektiven oft eine Rolle, nämlich dann, wenn mehrere
Theorien konkurrieren und keine ein Primat beanspruchen kann.
Das zeigt sich doch schon in der „Interpretation“ (sic!)
klimatischer Ereignisse, die für manche sehr besorgniserregend
sind, für andere nicht oder viel weniger. Hier müssen
tatsächlich Daten „interpretiert“ werden, wenn der kausale
Kontext nicht zuverlässig feststeht.

Hier sprichst du von der Forschungspraxis, nicht von der Forschungslogik.
Natürlich lässt sich zeigen, dass auch in den Naturwissenschaften, sogar in der Mathematik, die Subjektivität des Forschers eine wichtige Rolle spielt (es gibt ja genug entsprechende Studien darüber: der frühe Bruno Latour oder Karin Knorr-Cetina als wichtige Stichworte dafür).
Die naturwissenschaftliche Forschungslogik funktioniert aber ohne jeden Zweifel als Elimination der Forschersubjektivität.

Ich kenne diese Debatte ja vor allem von den verschiedenen (hermeneutischen) Ansätzen der sog. Interpretativen Soziologie.

An dieser Stelle will ich mal die persönliche Frage
einflechten, inwiefern du (professionell?) mit Soziologie
befasst bist, was dein Spezialgebiet zu sein scheint.

Ich bin als Soziologe ausgebildet.

Dazu kann man aber sagen, dass Freud in einer späteren Fußnote zum Text selbst den Realitäts-Gehalt der Urszene in Zweifel zieht. So entstand bei ihm die Hypothese der „Urphantasie“.

Soll laut Freud ein phylogenetisches Erbgut sein. Möglich.
Auch esoterische Erklärungen bieten sich an (unbewusste
Erinnerungen aus Vorleben). Ich sehe auch eine Nähe zu Jungs
Archetypen. Vielleicht aber einfach nur eine Projektion. Hier
können also mehrere Theorien gleichwertig konkurrieren.

Ja, natürlich. In diesem Zusammenhang fällt mir natürlich gleich auch Grof ein.

Lacan
sprach aber nicht vom „Selbst“, sondern vom Subjekt. Das ist
etwas anderes. Ein „wahres Selbst“ gab es für ihn natürlich
nicht.

Stimmt, mein Fehler.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _