Homosexuelle im Iran und vor deutschen Gerichten

Hallo,
folgenden bemerkenswerten Fall möchte ich gerne hier zur Diskussion stellen, wo er, trotz Überschneidungen, m.E. besser aufgehoben ist als auf dem Inlands- oder dem Rechts-Brett.

In der FR-online heute:

"Andre Aragolis Asylantrag wird vom Verwaltungsgericht Kassel 2004 endgültig abgelehnt. Zwar sei Aragoli „irreversibel homosexuell“ und in Iran seien homosexuelle Handlungen „mit der Todesstrafe bedroht“, formulierte das Gericht spitzfindig. Doch eine Gefahr bestehe für Aragoli nur dann, „wenn er seiner homosexuellen Neigung nachgebend sexuelle Handlungen mit Männern pflegen würde“. Lebensgefahr könne man jedenfalls nicht erkennen.

(…) Jetzt hoffen die beiden Männer auf eine Petition, die beim Hessischen Landtag anhängig ist. Wird sie abgelehnt, droht Aragoli die Abschiebung nach Iran, von wo die Presseagentur Isna am 20. Juli berichtet: „Das Urteil, zwei Männer hinzurichten, die gleichgeschlechtliche Liebe praktizierten, wurde in Mashad, im Osten Irans, vollstreckt. (…) Die Hinrichtung durch Erhängung fand öffentlich und im Beisein einer Vielzahl von Zuschauern statt.“

Hier der Link zum ganzen Artikel:
http://fr-aktuell.de/fr_home/startsei

Grüße
oranier

Hi,

"Andre Aragolis Asylantrag wird vom Verwaltungsgericht Kassel
2004 endgültig abgelehnt. Zwar sei Aragoli „irreversibel
homosexuell“ und in Iran seien homosexuelle Handlungen „mit
der Todesstrafe bedroht“, formulierte das Gericht spitzfindig.

Das Urteil muss wohl sowieso aufgehoben werden, da ein Gericht, dass im Zusammenhang mit Homosexualität von „irreversibel“ spricht mit Sicherheit gegen den Antragssteller befangen ist.

Grüße,

Anwar

Hallo,

vielleicht wollte das Gericht einfach nur verhindern, das eine Schwemme von angeblichen Schwulen nach Deutschland rüberschwabbt.
Behaupten kann man ja schliesslich viel :wink:

LG
Rocco

Hallo,

vielleicht wollte das Gericht einfach nur verhindern, das
eine Schwemme von angeblichen Schwulen nach Deutschland
rüberschwabbt.
Behaupten kann man ja schliesslich viel :wink:

Solche Urteile dienen offenkundig immer auch dazu, die Definition für politische Verfolgung und damit den Kreis der Anspruchs-Berechtigten möglichst eng zu fassen.

Ich würde aber im Zusammenhang mit der Wanderung oder Flucht von Menschen nicht die Begriffe für Naturkatastrophen („eine Schwemme schwappt“) benutzen wollen.

Grüße
0ranier

Hallo,

Das Urteil muss wohl sowieso aufgehoben werden, da ein
Gericht, dass im Zusammenhang mit Homosexualität von
„irreversibel“ spricht mit Sicherheit gegen den Antragssteller
befangen ist.

Das ist sehr fraglich, und pikanterweise ist die „Feststellung“ der Irreversibilität gerade im Interesse des Antragsstellers, denn wenn das Gericht seine homosexuelle Neigung nur als vorübergehende Laune ansehen würde, gäbe es erst recht keinen Grund, ihn nicht abzuschieben.

Grüße
oranier

Hi,

Ich würde aber im Zusammenhang mit der Wanderung oder Flucht
von Menschen nicht die Begriffe für Naturkatastrophen („eine
Schwemme schwappt“) benutzen wollen.

musst du auch nicht. Wenn du mit jeder Floskel etwas negatives verbinden möchtest, ist es deine Sache.

LG
Rocco

Hi,

Ich würde aber im Zusammenhang mit der Wanderung oder Flucht
von Menschen nicht die Begriffe für Naturkatastrophen („eine
Schwemme schwappt“) benutzen wollen.

musst du auch nicht. Wenn du mit jeder Floskel etwas negatives
verbinden möchtest, ist es deine Sache.

Die benützte Sprache enthölt die negative Verbindung.
Grüße
oranier

Hallo Oranier,

vorab: Dein Link funktioniert nicht, darum zwei andere:
http://typo3.lsvd.de/332.0.html?&no_cache=1&tx_ttnew…
http://www.aragoli.info.ms/

"Andre Aragolis Asylantrag wird vom Verwaltungsgericht Kassel
2004 endgültig abgelehnt. Zwar sei Aragoli „irreversibel
homosexuell“ und in Iran seien homosexuelle Handlungen „mit
der Todesstrafe bedroht“, formulierte das Gericht spitzfindig.
Doch eine Gefahr bestehe für Aragoli nur dann, „wenn er seiner
homosexuellen Neigung nachgebend sexuelle Handlungen mit
Männern pflegen würde“. Lebensgefahr könne man jedenfalls
nicht erkennen.

Ich halte es für ziemlich schwierig, dazu etwas zu sagen. Soweit ich sehe, sind im Iran bestimmte -für uns absurde- „Straftaten“ mit dem Tod bedroht: Homosexualität, Ehebruch, wiederholter Alkoholkonsum, etc.;

dies sind nun Dinge, die man prinzipiell (zumindest aus der Sicht des Rechtssystems) machen oder auch unterlassen kann.

Wie meine Quelle:
http://www.proasyl.de/lit/iran/iran2.htm
es angibt, erkennt das iranische Recht eine mögliche Schuldunfähigkeit wegen „Geisteskrankheit“ (also die die es nicht unterlassen können) durchaus an.

Obwohl ich natürlich durchaus der Meinung bin, dass man iranische Homosexuelle als „politisch Verfolgte“ anerkennen sollte, ihnen damit Asyl nach GG 16a (1) gewähren müsste, ist es auf der anderen Seite wohl nicht unschlüssig, wenn das Gericht argumentiert, der Antragsteller sei ja nicht gezwungen, diese „Straftat“ zu begehen, auch nicht durch seine „irreversible Neigung“ (das mag einen psychologischen Zwang darstellen, scheint aber kaum die rechtliche Frage der Schuldfähigkeit zu berühren);

das Gericht begeht aus meiner Sicht also weder einen formallogischen Widerspruch noch eine „Spitzfindigkeit“, weil aus der „irreversiblen Neigung“ bei einem „geistig Gesunden“ nicht die Straftat folgen muss.

Ein anderer Aspekt wäre natürlich der politische, ob man es denn überhaupt tolerieren kann, dass in anderen Ländern Praktiken wie die Homosexualität mit einer solchen Strafe belegt sind, bzw. ob man die Todesstrafe als solche überhaupt tolerieren kann.

Dazu würde ich zweimal mit einem entschiedenen Nein antworten, weshalb hiermit noch mal der Aufruf des LSVD verlinkt sei:
http://www.aragoli.info.ms/

Viele Grüße
franz

Irreversible Veränderung vs. Natürlicher Zustand
Hallo,

Das ist sehr fraglich, und pikanterweise ist die
„Feststellung“ der Irreversibilität gerade im Interesse des
Antragsstellers, denn wenn das Gericht seine homosexuelle
Neigung nur als vorübergehende Laune ansehen würde, gäbe es
erst recht keinen Grund, ihn nicht abzuschieben.

Ich bezog mich bei meiner Kritik gar nicht auf die Permanenz oder nicht-Permanenz der Homosexualität, sondern darauf, dass das Wort „irreversibel“ einen ursprünglichen, natürlichen Zustand vorraussetzt, der verändert wurde. Nach Ansicht des Gerichtes ist also die Heterosexualität der ursprünglich, natürliche Zustand und die Homosexualität nur eine Aberation davon. Eine Einstellung die wir in Deutschland eigentlich seit den 70er Jahren für widerlegt halten.
IMO hätte das Gerichte also einen „permanent vorliegenden Zustand der homosexuellen Ausrichtung“ attestieren können, aber nicht einen „irreversiblen Zustand“.

Grüße,

Anwar

Grüße,

Anwar

Hallo Franz,
danke für die bedenkenswerten zusätzlichen Gedanken und Informationen!

vorab: Dein Link funktioniert nicht

hier trotzdem nochmals ein Versuch:
http://fr-aktuell.de/fr_home/startseite/?cnt=702866

Grüße
oranier

Hallo,

Ich bezog mich bei meiner Kritik gar nicht auf die Permanenz
oder nicht-Permanenz der Homosexualität, sondern darauf, dass
das Wort „irreversibel“ einen ursprünglichen,
natürlichen Zustand vorraussetzt, der verändert wurde.
Nach Ansicht des Gerichtes ist also die Heterosexualität der
ursprünglich, natürliche Zustand und die Homosexualität nur
eine Aberation davon.

Der Gedanke gefällt mir und überzeugt mich, zumal ich jetzt noch gesehen habe, dass „Irreversibilität“ in der Medizin für „Unheilbarkeit“ steht.

Eine Einstellung die wir in Deutschland
eigentlich seit den 70er Jahren für widerlegt halten.

Da bin ich mir in dieser Verallgemeinerung nicht so sicher. Seit den 70er Jahren ist Homosexualität hier kein Straftatsbestand mehr, aber die Diskussionen um die „Homo-Ehe“ zeigen, für wie wenig „natürlich“ Homosexualität hier in weiten Telen von Politik und Gesellschaft gehalten wird. (Mal abgesehen von der unangemessenen Biologismus, der in einem solchen „Natürlichkeits“-Argument steckt).

IMO

Die Abkürzung verstehe ich leider nicht.

hätte das Gerichte also einen „permanent vorliegenden
Zustand der homosexuellen Ausrichtung“ attestieren können,
aber nicht einen „irreversiblen Zustand“.

Ich glaube nicht, dass du der deutschen Justiz damit ernsthaft kommen könntest, oder sind dir entsprechende Urteile bekannt?
Ein Richter braucht Dingfestes und würde im Zweifelsfall einen psychologischen, wenn nicht gar psychiatrischen Gutachter beauftragen.

Aufgeklärte Menschen gehen vom sexuellen Selbstbestimmungsrecht der Menschen aus, dabei kann es einem egal sein, ob jemand auch anders könnte oder seine Vorlieben für „natürlich“ oder sonstwie fixiert anzusehen sind.

Das eigentlich skandalöse an dem Urteil ist ja, dass in dem zugrundeliegenden Denken der praktische sexuelle Verkehr nicht als ein genuines menschliches Bedürfnis und Recht angesehen wird, sondern als etwas, das ein Staat ihm nach Belieben streitig machen kann, ohne dass dieser deshalb als politisch repressiv eingestuft wird.

Man könnte ja dem Richter mal in Aussicht stellen, er könne in unserem liberalen Staat unbehelligt leben, solange er nicht mit einer Frau verkehrt (die Neigung dürfe er aber ruhig haben), sonst müsse er leider damit rechnen, öffentlich erhängt zu werden.
Vielleicht fällt er dann andere Urteile.

Grüße
oranier

Grundsatzfrage und Provokation
hallo

das ganze läuft sich auf die frage hinaus, inwieweit fremde, von unserem abweichende, moralische regelwerke als gleichwertig akzeptiert werden oder nicht bzw. ob und wie dieses moralisch zu rechtfertigen ist.

das urteil dieses gerichts ist wasserdicht: es besteht keine gefahr von leib und leben durch die pure existenz der person. anders so bei ethnischen verfolgungen, oder politischen, weil jemand etwas verbotenes gesagt oder geschrieben hat usw usf.

es gibt länder, meines wissens zum beispiel singapur, in denen auf drogenhandel die todesstrafe steht. haben jetzt alle drogenkonsumenten anrecht auf asyl? sie könnten ja handeln müssen (durch ihre sucht bedingt) und dadurch straffällig werden.

jeder würde diesen fall als absurd abtun.

man darf sich nicht ins bockshorn dadurch jagen lassen, daß „homosexualität“ ein emotional aufgeladenes thema ist. bei jeder diskussion darüber steht das ergebnis ohnehin schon fest: es ist keine krankheit, es ist angeboren, man kann nix dagegen machen, es ist natürlich, man muß es ausleben.

der iran sieht das anders. frage: 1. muß 2. kann 3. darf man es akzeptieren?

wenn nicht, ist das nicht - achtung - kulturimperialismus?

gruß
dataf0x

Moin,

es geht hier wohl weniger um die Frage der Homosexualität, sondern um die Frage, ob Menschen, die von der Todesstrafe bedroht werden, abgeschoben werden dürfen.

es gibt länder, meines wissens zum beispiel singapur, in denen
auf drogenhandel die todesstrafe steht. haben jetzt alle
drogenkonsumenten anrecht auf asyl?

Nein, aber wenn sie mit der Todesstrafe bedroht werden, dürfen sie IMHO auch nicht abgeschoben werden.

http://www.forum-recht-online.de/2004/404/404roehl.htm

wenn nicht, ist das nicht - achtung - kulturimperialismus?

Da es sich bei dem betreffenden Herrn um jemanden handelt, der sich in Deutschland aufhält, dürften für diesen Fall auch die in Deutschland üblichen Werte und Vorstellungen ausschlaggebend sein. Einen solchen Menschen in den Iran abzuschieben, hieße hingegen, sich die Moralvorstellungen des Iran zueigen zu machen (da man eine entsprechende Todesandrohung billigend in Kauf nähme).

Gruß
Marion

Hallo,
ich habe nicht sämtliche Beiträge zu diesem Artikel gelesen, aber das Urteil des Kasseler Gerichts ist typisch. Man muß doch davon ausgehen, daß die Ausübung von Sexualität für einen Erwachsenen zum Grundrecht gehört. Hier wird aber argumentiert, der Verfolgte müsse ja keinen Sex haben…
Grundsätzlich ist geschlechtsspezifische und sexuelle Verfolgung immer noch ein Thema, das die „Entscheider“ hier herunterspielen.

Darüber hinaus wird der schwule Verfolgte im Iran mit Sicherheit drangsaliert werden, auch wenn er nicht nachweislich Sex mit einem Mann hatte. Allein, wenn er zurückkommt in den Iran, wird er wahrscheinlich erst mal festgenommen und dann observiert.
So ist es viele Jahre in Kuba passiert.
Kann dieser Fall nicht vor die EU-Menschenrechtskommission gebracht werden?
Grüße von Kerstin

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo,
ich habe nicht sämtliche Beiträge zu diesem Artikel gelesen,
aber das Urteil des Kasseler Gerichts ist typisch. Man muß
doch davon ausgehen, daß die Ausübung von Sexualität für einen
Erwachsenen zum Grundrecht gehört. Hier wird aber
argumentiert, der Verfolgte müsse ja keinen Sex haben…

Was ist, wenn man es so betrachtet, mit irreversibel Pädophilen?

Stark assymetrische Sexuelle Beziehungen, die nicht in gegenseitigem Einvernehmen stattfinden, wollen wir doch mal bei der Betrachtung aussen vor lassen, nicht wahr

Mike

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

MOD: Zurück zum Thema, Bitte. o.w.T.

es geht hier wohl weniger um die Frage der Homosexualität,
sondern um die Frage, ob Menschen, die von der Todesstrafe
bedroht werden, abgeschoben werden dürfen.

hi

ich denke das ist klar: nein. (oder habe ich das falsch interpretiert?)

die frage war eher, ob dieser mann von der todesstrafe bedroht ist oder nicht. das gericht sagte nein, was imho korrekt argumentiert ist, WENN man die im iran vorherrschende meinung über honmosexualität anerkennt.

Da es sich bei dem betreffenden Herrn um jemanden handelt, der
sich in Deutschland aufhält, dürften für diesen Fall auch die
in Deutschland üblichen Werte und Vorstellungen
ausschlaggebend sein.

es ging doch darum, daß er sich illegal aufhält, oder? sonst würde er nicht abgeschoben werden.

Einen solchen Menschen in den Iran
abzuschieben, hieße hingegen, sich die Moralvorstellungen des
Iran zueigen zu machen (da man eine entsprechende
Todesandrohung billigend in Kauf nähme).

ja, darum geht es.

gruß
dataf0x

Moin,

es geht hier wohl weniger um die Frage der Homosexualität,
sondern um die Frage, ob Menschen, die von der Todesstrafe
bedroht werden, abgeschoben werden dürfen.

hi

ich denke das ist klar: nein. (oder habe ich das falsch
interpretiert?)

Keine Ahnung. Aber bei drohender Todesstrafe ist der Grund für die drohende Todesstrage bei Abschiebung IMHO erstmal irrelevant.

die frage war eher, ob dieser mann von der todesstrafe bedroht
ist oder nicht. das gericht sagte nein, was imho korrekt
argumentiert ist, WENN man die im iran vorherrschende meinung
über honmosexualität anerkennt.

Du meinst, weil er ja keine homosexuellen Handlungen vornehmen müsste ? Da wäre in der Tat spitzfindig und eine Aushöhlung unseres Asylrechts, denn es muss sich ja z.B. auch niemand politisch betätigen oder politische Opposition z.B. in einem totalitären Staat leisten. Zudem würde ich das Recht auf Ausübung der Sexualität durchaus unter die Grundrechte zählen, sofern nicht das Recht eines Anderen dadurch beeinträchtigt wird.

Da es sich bei dem betreffenden Herrn um jemanden handelt, der
sich in Deutschland aufhält, dürften für diesen Fall auch die
in Deutschland üblichen Werte und Vorstellungen
ausschlaggebend sein.

es ging doch darum, daß er sich illegal aufhält, oder? sonst
würde er nicht abgeschoben werden.

Nein. Solange ein Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, hält sich derjenige auch nicht illegal in D auf. Allerdings ist das Aufenthaltsrecht in D ziemlich kompliziert, es gibt da alle möglichen Sonderfälle von Aufenthaltsgenehmigung bis Duldung etc.

Einen solchen Menschen in den Iran
abzuschieben, hieße hingegen, sich die Moralvorstellungen des
Iran zueigen zu machen (da man eine entsprechende
Todesandrohung billigend in Kauf nähme).

ja, darum geht es.

Das Problem ist hier aber, dass ein Asylantragsteller nachweisen muss, dass er im speziellen Fall tatsächlich von Folter, Tod oder ähnlichem bedroht ist. Mir scheint, hier gibt es reichlich Ermessensspielraum.

Aber ich halte das tatsächlich eher für eine juristische Frage. Oder interpretier ich hier nun was falsch ?

Gruß
Marion

Grundsatzfrage: ausführliche Antwort
Hallo,

Ist das Posting ernst gemeint oder führte womöglich am heißen Sonntag Abend der kühle Barkan Kiddush die virtuelle Feder?

  1. Es geht mitnichten um moralische Regelwerke, sondern um vom Staat zu ahndende Straftaten. Das sind im modernen europäischen Staatsverständnis seit dem 17. Jhd. zwei grundverschiedene Dinge. Der Staat hat die Bürger zu schützen, und nur, wo jemand durch sein Handeln die Integrität und Rechte anderer verletzt, greift er legitimerweise durch Strafverfolgung ein. Alle anderen Handlungen und Einstellungen, gleich, nach welchem moralischen Regelsystem, gehen den Staat explizit nichts an.

  2. Was vielleicht auch Marion etwas durcheinanderbringt:
    Es gibt hier zwei verschiedene Rechtsgrundsätze: a) das Recht auf politisches Asyl, b) den Grundsatz, niemanden in ein Land abzuschieben oder auszuliefern, wenn ihm dort die Todesstrafe droht.

Anspruch auf politisches Asyl haben nur politisch Verfolgte, nicht Kriminelle.

D.h., der Drogendealer dürfte wegen der drohenden Todesstrafe nicht ausgeliefert werden. Das ist eine Besonderheit, die sich tatsächlich nur auf die Todesstrafe bezieht. In jedem anderen Fall geht das danach, ob mit dem betreffenden Staat ein Auslieferungs-Abkommen besteht.

Der anerkannte politisch Verfolgte dürfte aber auch dann nicht ausgeliefert werden, wenn ihm zu Hause „nur“ eine Haftstrafe oder auch nur Repressalien drohen, selbst wenn ansonsten ein Auslieferungs-Abkommen für Straftäter bestünde.
Man könnte unseren Fall also tatsächlich so aufgliedern: a) ist ihm Asyl zuzusprechen? b) darf er abgeschoben werden?
Du hast wahrscheinlich sogar recht: Das Urteil ist vermutlich wasserdicht, sowohl in der Ablehnung des Asylantrags als auch in der Frage der Abschiebung.

  1. Gleichwohl ist es im Hinblick auf die Menschenrechte skandalös.
    „Kulturimperialismus“ ist das, was deine amerikanischen Freunde tun, wenn sie mit militärischen Mitteln in Mittelasien traditionelle Stammesherrschaft zurückdrängen und stattdessen versuchen, einen Präsidenten zu installieren.

Hier geht es um etwas ganz anderes, nämlich um Menschenrechte, und die sind, auch wenn erstmals in Amerika und Europa gesetzlich verankert, universell gültig, d.h., das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Meinungsfreiheit etc. haben die Menschen als solche, nicht als westlich Orientierte o.ä., und kein Staat hat das Recht, ihnen diese streitig zu machen.

  1. Menschenrechte, Sexualität, Natur.
    Kerstin hat schon darauf hingewiesen: Auch wenn es (noch) nicht in den Kanon Art. 3.3 GG aufgenommen ist: Sexuelle Selbstbestimmung gehört zu den elementaren Menschenrechten (11 von 45 europäischen Ländern haben immerhin schon entsprechende Anti-Diskriminierungsgesetze).

Es gibt weder natürliche noch unnatürliche Sexualität. Sexualität ist ein genuin menschlich-kulturelles Phänomen. Tiere haben ein Gattungsverhalten, aber keine Sexualität.
Die Menschen, so wie sie sich kulturell entwickelt haben, verkümmern ohne eine erfüllende (und das heißt immer: selbstbestimmte, was denn sonst?) Sexualität. Jemandem zuzumuten, irgendwo zu leben, wo ihm dies bei Todesstrafe verwehrt ist, ist der blanke Zynismus, so, als würde jemand in die Wüste geschickt mit dem Hinweis, es bestehe keine Gefahr, er müsse sich nur das Trinken abgewöhnen.

Grüße
oranier