Ich habe hier ein Blatt (zu) liegen?

Also berlinerisch könnte passen…

Berliner nutzen wieso gerne das Wörtchen zu… :wink:

Zum Beispiel: zurückzu
runterzu
hinzu
hochzu etc. :wink:

Gruß

Marco

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brandenburgischer infinitiv
hi, toll, dass endlich auch mal dieses thema diskutiert wird. mir ist dieser sprachgebrauch in und um berlin auch schon aufgefallen, und ich habe ihn für mich „brandenburgischen genitiv“ genannt.

Zunächst: „Ich habe hier ein Blatt zu liegen“ ist hochdeutsch/schuldeutsch schlichtweg falsch. aber anders als weiter unten gepostet, ist „ich habe hier ein blatt liegen“ – richtig heiße es: hier liegt ein blatt – zwar selten, aber möglich. und man kann das sogar mit „zu“ sagen, weil es ein echter regionalismus ist und keine marotte, nur eben nicht hochdeutsch.

Sodann: „Haben“ kann neben der bedeutung „besitzen“ ("ich habe hier ein blatt papier) oder „müssen“ (mit „zu“: „ich habe zu tun“, „ich habe um zehn zu hause zu sein“) oder als Hilfsverb („ich habe gehabt“) auch eine weitere bedeutung haben, die an „besitzen“ anknüpft und vom duden als „verblasst“, wahrlich eine seltene kategorie, bezeichnet wird: „in verbindung mit einem infinitiv und einer raumangabe: drückt aus, dass jemandem etwas an einem bestimmten Ort zur verfügung steht“, zB „seine kleider im schrank hängen haben“ (duden, großes WB der dt. sprache, Bd. 4, s.v. haben). Für eben nur diesen fall kennt duden auch landschaftlich berlinerisch „zu“, zB: „5000 Mark auf der bank zu liegen haben“.

Weiter: Eine solche Form kann auf mindestens zwei Wegen entstanden sein. entweder, weil der traditionelle erweiterte infinitiv mit „zu“ gebildet wird und die vielleicht in brandenburg zuvor eher ungebräuchliche satzkonstruktion fälschlich für einen erweiterten infinitiv gehalten wurde oder zumindest analoge formbildung erzwang, oder, weil das imperativische „zu haben haben“ eine „phonetische“ nähe vermuten ließ. Gibts noch andere vorschläge?

Schlussendlich: warum taucht diese form nur in berlin/brandenburg und sonst nirgendwo auf? da weiss ich auch nicht weiter. vielleicht hat es mit der polnischen immigration nach berlin im 19. Jh zu tun (die sich dann assimiliert hat) weil in den westslawischen sprachen zwei infinitive hintereinander auch durch „za“ (was dem deutschen „zu“ entspricht) o.ä. getrennt werden können? diese ganze konstruktion „(zu) liegen haben“ ist ja von der aussage her sehr komplex, und vielleicht gibt es ja im polnischen eine möglichkeit, den gleichen sachverhalt ganz ähnlich auszudrücken, nur eben mit dem klitzekleinen unterschied des „zu“? dann müsste man allerdings der frage nachgehen, warum das gleiche phänomen nicht auch im ruhrgebiet aufgetaucht ist (vielleicht, weil da kein deutsch lernender den „anfangsfehler“ gemacht hat, oder weil berlin näher an polen war und die verbindungen in die heimat stärker und deswegen die präsenz der heimatlichen grammatik größer?).

frage an die philologen unter uns: gibts es überhaupt den fall, dass fremdsprachige zuwanderer eine grammatische struktur in die sprache des ziellandes eingebracht haben?

so weit erst mal … *grübel grübel
dietmar

Der Satz müßte richtig lauten: „Vor mir liegt ein Blatt.“

nö. siehe oben beitrag „brandenburgischer infinitiv“

frage an die philologen unter uns: gibts es überhaupt den
fall, dass fremdsprachige zuwanderer eine grammatische
struktur in die sprache des ziellandes eingebracht haben?

danke, Dietmar, das fand ich jetzt wirklich sehr aufschlussreich :smile:)

und deine letzte Frage würde mich auch sehr interessieren…mir ist zwar bekannt, dass es im Bayerischen etwa viele Begriffe gibt, die aus dem Französischen stammen…aber gibt es auch irgend einen Einflüsse auf die deutsche Grammatik ???

ich hoffe sehr auf weitere qualifizierte Beiträge…

Gruß
Uschi

hi, toll, dass endlich auch mal dieses thema diskutiert wird.
mir ist dieser sprachgebrauch in und um berlin auch schon
aufgefallen, und ich habe ihn für mich „brandenburgischen
genitiv“ genannt.

Das ist ja hochinterssant. Ich gebe zu, dieser ‚brandenburgische Genitiv‘ ist mir als Brandenburgerin (weit ab von Berlin!!)natürlich ziemlich geläufig und ich wäre nie auf die Idee gekommen da könnte irgendetwas falsch dran sein.
Ich weiß nur, daß meine Deutschlehrerin immer unser typisches ‚ebend‘ auszumerzen versuchte.

Schlussendlich: warum taucht diese form nur in
berlin/brandenburg und sonst nirgendwoauf?..
…oder weil berlin näher an polen
war und die verbindungen in die heimat stärker und deswegen
die präsenz der heimatlichen grammatik größer?).

Dazu kann ich nur ergänzen, daß Brandenburg bis ins 11 Jhdt. immerhin slawisch besiedelt war und noch bis zur Reformationszeit hat es in einigen Regionen rein slawische Dörfer gegeben. Noch heute gehören die Sorben samt ihrer Sprache zu Brandenburg (heute teilweise Sachsen), vielleicht hängt es damit zusammen?

Gruß Heike

In Anlehnung an die gestellte Frage fällt mir dieser typische sächsische Satz auf (nicht wegen der Flasche . Ich sehe ihn als grammatisch falsch an, selbst sächsische Lehrer benutzen aber diese Art Satz, wenn ich sagen würde:

Diese Flasche gehört mir. oder
Diese Flasche ist meine.

(ich kämpfe hier immer völlig aussichtslos gegen meine Kinder!)

Vielleicht weiß ja auch darüber jemand etwas.

Gruß Heike

‚brandenburgische Genitiv‘

sorry sorry ich meinte natürlich brandenburgischer infinitiv, wie ich es auch in der überschrift geschrieben hatte

unser typisches ‚ebend‘

dazu gab es hier schon eine diskussion, nich? müsste im archiv aufzufinden sein

Dazu kann ich nur ergänzen, daß Brandenburg bis ins 11 Jhdt.
immerhin slawisch besiedelt war und noch bis zur
Reformationszeit hat es in einigen Regionen rein slawische
Dörfer gegeben. Noch heute gehören die Sorben samt ihrer
Sprache zu Brandenburg (heute teilweise Sachsen), vielleicht
hängt es damit zusammen?

ich finde das viiiel einleuchtender als die sache mit der immigration. aber so weit ich weiss, lag die westliche slawische siedlungsgrenze irgendwo westlich der elbe; dann müsste diese form doch eigentlich in fast ganz nord/ostdeutschland verbreitet sein … wie weit bist du als (land-)brandenburgerin denn von berlin weg? oder kommst du aus BRB selbst? viellleicht posten ja noch mehr leute, die das kennen, und wir können eine verbreitungskarte anfertigen :smile:

dietmar

possessiver dativ

Ich
sehe ihn als grammatisch falsch an

der grammatik-duden, absatz 1118, ist da anderer ansicht und erlaubt ein dativobjekt, das u.a. einen besitzer oder empfänger bezeichnet, bsp: das buch ist mir eigen.

ich kenne das übrigens aus dem rheinland, wo ich aufgewachsen bin, von meiner oma, die hat beim rommee-spielen immer gesagt: „dieses spiel ist mir“. leider hatte sie zu oft recht …

dietmar

unser typisches ‚ebend‘

dazu gab es hier schon eine diskussion, nich? müsste im archiv
aufzufinden sein

Da schau ich doch gleich mal nach - so lange bin ich noch nicht bei www.

… wie weit bist du als

(land-)brandenburgerin denn von berlin weg? oder kommst du aus
BRB selbst? viellleicht posten ja noch mehr leute, die das
kennen, und wir können eine verbreitungskarte anfertigen :smile:

Die Elbe war die Westgrenze des Slawenreiches, obwohl ja auch das Wendland (Lüchow/Dannenberg)lange noch slawisch besiedelt war. Wenn Du Dir die Karte mal anschaust, ganz Brandenburg liegt im ehemaligen Siedlungsgebiet der Slawen, einiges gehört allerdings heute auch zu Sachsen Anhalt.

Ich selbst stamme aus der Gegend um Perleberg, urmärkisches Gebiet. :wink: Da wir später immer tiefste Provinz waren, ist es unwahrscheinlich, das dieses ‚zu‘ aus Berlin zu uns rübergewachsen ist , eher glaube ich an die gemeinsame Quelle.

Als größere Immigrantengruppe (ca 20.000) sind übrigens nur die Hugenotten nach Brandenburg gekommen. Diese siedelten aber wohl vor allem um Potsdam und im Fläming.

Gruß Heike

Ich selbst stamme aus der Gegend um Perleberg, urmärkisches
Gebiet. :wink: Da wir später immer tiefste Provinz waren, ist es
unwahrscheinlich, das dieses ‚zu‘ aus Berlin zu uns
rübergewachsen ist , eher glaube ich an die gemeinsame Quelle.

das denke ich nun auch, weil perleberg ja wirklich weit weg von berlin ist

Als größere Immigrantengruppe (ca 20.000) sind übrigens nur
die Hugenotten nach Brandenburg gekommen.

hm, tja, es sind doch mehr als 20.000 polen nach berlin gekommen, im 19. Jh?? (jetzt mal berlin wie vor 1701 als brandenburgisch gesehen)

dietmar

angelsächsischer genitiv

frage an die philologen unter uns: gibts es überhaupt den
fall, dass fremdsprachige zuwanderer eine grammatische
struktur in die sprache des ziellandes eingebracht haben?

habe gerade selbst einen entdeckt, den angelsächsischen genitiv: uschi`s frisiersalon, peter’s kneipe, fritzens’ getränke-shop

den haben die engländer allerdings nicht mitgebracht, sondern wir haben ihn uns geholt, und zwar auf biegen’s und brechen’s :wink:))
d.

hm, tja, es sind doch mehr als 20.000 polen nach berlin
gekommen, im 19. Jh?? :

Also ich weiß nur das im 19. Jhdt. zu den 80.000 Wanderarbeitern BRANDENBURGS ca 20.000 Polen gehörten, ob das aber mit Immigration verglichen werden kann, ich glaube nicht. Das werden vor allem Landarbeiter gewesen sein. Mag sein das natürlich im Zuge der Industrialisierung sicher auch viele Polen dauerhaft nach Brandenburg kamen, aber das ist mir so deutlich nicht bewußt.

(jetzt mal berlin wie vor 1701 als
brandenburgisch gesehen)

Auweia, das ist so ein wunder Punkt im Selbstverständnis der Brandenburger. Erst kürzlich zur Abstimmung über ein gemeinsames Land Berlin/Brandenburg, haben die Brandenburger gezeigt, daß sie Berlin als nicht-brandenburgisch betrachten. Aber dies nur so am Rande.

Gruß Heike

frage an die philologen unter uns: gibts es überhaupt den
fall, dass fremdsprachige zuwanderer eine grammatische
struktur in die sprache des ziellandes eingebracht haben?

Oh ja, das gibt es. Die heutzutage allseits beliebten Redewendungen: „vor Ort“ und „unter Tage“ sind von polnischen Arbeitern, die ins Ruhrgebiet kamen, um im Bergbau zu arbeiten, direkt aus dem polnischen, mit Beibehaltung der polnischen Grammatik, ins Deutsche übertragen worden. Von den deutschen Kumpel übernommen, gelangten sie von da in die Allgemeinsprache.

Beste Grüße
Fritz Ruppricht

1 Like

habe gerade selbst einen entdeckt, den angelsächsischen
genitiv: uschi`s frisiersalon, peter’s kneipe, fritzens’
getränke-shop

den haben die engländer allerdings nicht mitgebracht, sondern
wir haben ihn uns geholt, und zwar auf biegen’s und brechen’s
:wink:))

Auch hierzu eine Ergänzung:

Mehr zum Brechen finde ich Anschriebe auf Kneipentafeln, die ankündigen, dass es

„nachmittag´s“ kein warmes Essen gibt, aber „abend´s“ ab 18 Uhr wieder.

Oder im Hafen von Meersburg wirbt der Bootsverleih mit dem Text:

„Rudern Sie im Hafen der schönsten Stadt des Bodensee´s!“

Das ist nicht ganz wörtlich, aber der Genitiv steht dort so.

Gruß Fritz

Auch hierzu eine Ergänzung:

Mehr zum Brechen finde ich Anschriebe auf Kneipentafeln, die
ankündigen, dass es

„nachmittag´s“ kein warmes Essen gibt, aber „abend´s“ ab 18
Uhr wieder.

Oder im Hafen von Meersburg wirbt der Bootsverleih mit dem
Text:

„Rudern Sie im Hafen der schönsten Stadt des Bodensee´s!“

Das ist nicht ganz wörtlich, aber der Genitiv steht dort so.

Gruß Fritz

genau so absurd finde ich den „Jean’s Shop“…very cool, ey :wink:

Gruß
Uschi’s :wink:

VORSICHT mit den Begriffen!!!
Hallo!

Bitte nichts durcheinanderbringen:

Der angelsächsische Genitiv ist im Deutschen durchaus legitim (z.B. Uschis Bierbar, Peterchens Mondfahrt…). Lediglich die Schreibweise mit Apostroph ist im Deutschen falsch, aber die Bezeichnung „angelsächsischer Genitiv“ bezieht sich nur auf die Möglichkeit, Besitz oder Zugehörigkeit durch vorangestelltes Substantiv mit angehängtem „s“ auszudrücken.

Grüße,
Vlado

*stutz*
das habe ich ja noch nie gehört (und auch in keinem meiner Grammatikbücher gefunden), dass der s-Genitiv im Deutschen „angelsächsischer Genitiv“ genannt wird

wo kann ich das denn nachlesen? würde mich wirklich interessieren…

Gruß
Uschi

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angelsächsischer possessivgenitiv
vlado, das stimmt *verdutzt
war mir vollkommen neu, dass (angel-)sächsisch nur bezeichnet, dass der genitiv vorangestellt und nicht der einsatz eines apostrophs nötig ist…
dietmar

*stutz*
das habe ich ja noch nie gehört (und auch in keinem meiner
Grammatikbücher gefunden), dass der s-Genitiv im Deutschen
„angelsächsischer Genitiv“ genannt wird

uschi,
ich habe sogar bei der duden-sprachberatung angerufen (die einzige 0190-nummer,die ich vom büro aus anrufen darf). die bezeichnung angelsächischer genitiv steht zwar nicht im grammatik-duden, aber unter sprachwissenschaftlern, hieß es, sei der vorangestellte genitiv als sächsischer oder angelsächsischer g. bezeichnet. dafür braucht es nicht mal einen apostroph…

dietmar

vielen Dank, Dietmar :wink:)

ich sag’s (nein, das ist jetzt kein falscher Genitiv *g*) ja immer: man (frau) lernt nie aus…

Uschi

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