der Geist, die Idee und der Himmel
Hi,
eine interessante und weitreichende Frage.
Ich beantworte sie dir zwar nicht so, wie du sie gestellt hast. Aber es gibt ein paar Bemerkungen dazu, dir mir einfallen.
Wenn ich dazu etwas weiter ausholen darf:
Der Gedanke, der sich populärsprachlich in der Form „in den Himmel kommen“ verbreitet hat, gehört mit zu dem Bedeutendsten und Folgereichsten, was die gesamte europäische Geistesgeschichte geprägt hat.
Die christliche Variante dieses Gedankens hat ihren Ursprung im sog. Johannes-Evangelium. Hier wird die Rede „das (König-)Reich des Gottes sehen“, „ins Reich des Gottes eintreten“ mit einem anderen Ausdruck identifiziert, der eine eigene Kreation des (unbekannten) Autors dieses Textes ist (der, wie ich immer deutlicher sehe, zu den ältesten Dokumenten des „Neuen Testamentes“ gehört): Das ist die Rede vom „ewigen Leben“.
Der deutlichste Ausdruck davon ist: „… wird leben, auch wenn er stirbt“ [Joh.11.25]. Damit ist gesagt, daß dies mit lebendig oder tot sein nicht das geringste zu tun hat. An anderer Stelle wird gesagt, daß man es, das „ewige Leben“, unter gewissen Voraussetzungen „schon habe“. Es handelt sich also um etwas, das von der Präsenz der Lebenszeit nicht abhängt.
Der Urspung des Begriffs „Reich des Gottes“ liegt derweil nicht in der jüdischen Religion. Er taucht zuerst auf in den Gathas des Zarathustra, und es ist nicht der einzige Begriff aus der zarathustrischen Religion, der in der christlichen eine fundmentale Rolle spilen sollte! Bei ihm ist das Herrschaftsreich (Xšaθra, Chschathra) des Ahura Mazda („Fürst des Wissens“) dasjenige, das dem zukommt, der sich in der freien Wahl zwischen dem „heiligen Geist“ (spņta manjaw, hier hat der Begriff „heiliger Geist“ seinen ältesten Beleg!) und dem „bösen Geist“ (aŋgra manjaw, „Ahriman“) für den ersten entschieden hat.
Im Joh.-Ev. gibt es etwas Ähnliches [Joh.3.1ff]: Das „Reuch des Gottes“ kann nur der sehen, der „aus dem Geist“ (pneuma, was zugleich „Wind“ heißt) von neuem geboren wird. Auch hier stellt der Autor, dem die menschliche Handlungsvollmacht und Autonomie sehr im Vordergrund steht, dieses „aus dem Geist geboren werden“, das mit „das Reich des Gottes sehen“ identisch ist, in die Entscheidungsfreiheit des Menschen.
Aber was diese Dinge zu bedeuten haben, wird daraus allein noch nicht klar. Das erhellt erst aus einer anderen Quelle, die von diesem zarathustrisch-johanneischen Denken nicht weit entfernt ist (auch zeitlich und räumlich nicht): Es ist Platon, oder besser sein Lehrer Sokrates, der bei der Untersuchung der Frage, woher wir unsere Begriffe haben und wieso wir überhaupt Erkenntnisse (über das sinnlich Reale) haben, folgende Lösung hat:
Die Realität, die wir sinnlich wahrnehmen und interpretieren, ist nicht das „wahre“ Sein. Das ist bloß die „Welt des Werdens“, in dem alles vergänglich ist, auch wir selbst. Das ist die Welt des Irrtums, der Täuschung, der Einbildung. Bloßer Anschein. Es wird gefragt, was denn ewig sei, „reines“ Sein, das nicht dem Wechsel von Entstehen und Vergehen unterliegt.
Die Antwort faßt sich im Begriff der „Ideen“. Die Ideen sind das Urbild, von dem die sogenannte Realität nur ein unvollkommenes Abbild ist. Die Ideen oder die Idee ist hier sogar die schöpferische Quelle, die sich selbst abbildet, sozusagen reproduziert, indem sie die Welt des Werdens erschafft.
Diese Welt ist so - nach Regieanweisung der Idee - gebildelt, daß sie zunächst sehr unvollkommen, leer ist, der leere Raum. Dann aber sich aus sich selbst heraus immer vollkommener macht bis zum höchsten Produkt: Die „Seele“. In ihr ist die Ähnlichkeit mit der Idee am größten und die ist daher auch unsterblich, ewig, wie die Idee selbst.
Das ist der zweite, oder besser gesagt dritte Strang dieses Grundgedankens. Im damaligen philosphischen Brutkessel Alexandria haben sich diese Ideen amalgamiert und haben einige der Grundsteine abendländischer Philosophie gelegt.
Gruß
Metapher