Hallo,
Ich frage mich, welche Langzeit-Auswirkungen es für ein Kind hat, dass in der frühen Kindheit (Baby, Kleinkind und Grundschulkind, auch später noch) vernachlässigt wurde, weil die Mutter keine Zeit hatte.
Ich bin heute 28 Jahre. Als ich in den Kindergarten gekommen bin, hat man meiner Mutter empfohlen eine Therapie mit mir zu machen, da ich Verhaltensauffällig gewesen bin (schlechte soziale Kompetenz). Ich war dann ca. 2 Jahre in Therapie (jede Woche ein Termin) und meine Mutter hat erfahren, dass sie zu wenig Zeit für mich hatte und nicht konsequent in der Erziehung mit mir war. Ich habe eine drei Jahre ältere Schwester. Sie, genau wie meine Eltern, wurden nicht direkt in die Therapie mit einbezogen (zu meinem heutigen Bedauern). Meine Schwester fühlte dich vom „Thron“ gestoßen als ich zur Welt kam (sicherlich auch wegen dem Zeitmangel meiner Mutter). Mein Vater hat sich aus jeder Erziehungsfrage herausgehalten (altes Rollen-Klischee zu 100% erfüllt). Ich habe mich damals sehr schlecht gefühlt, da man mir „nur“ vermittelt hat, dass ich der „Kasus-knacktus“ bin, der die Familien-Idylle ins wanken bringt. Es wurden mir viele Vorwürfe auch seitens meiner Mutter gemacht. Für meinen Vater war ich sicherlich ein Kind, auf das er auch gut hätte verzichten können, da er harmoniebedürftig ist und Stress/Streit nicht gut ertragen kann. Meine Mutter hat später (als ich im Teenager alter war) nicht mit Kritik an mir gespart. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich sämtliche Schuld auf mich lade und ich auch bei anderen familiären Konflikten gerne als Sündenbock diente. Damals war ich oft sehr traurig. Habe versucht darüber nachzudenken, wie ich mich ändern kann! Ich habe ernsthafte Selbstreflexion betrieben und versucht an mir zu arbeiten. Oft war ich verzweifelt.
Wenn ich heute zurückblicke, sehe ich viele Dinge, die ich damals nicht so gesehen habe. Zum Beispiel die Verachtung meiner Schwester mir gegenüber. Meine Schwester hat keine Situation ungenutzt gelassen mir zu beweisen, dass ich ein weniger liebenswerter Mensch bin als sie es ist (Konkurrenzkampf). Sie hat sich stehts gut durchgesetzt und alles was sie glaubte ihr zu steht von meinen Eltern eingefordert und bekommen. (Sie ist nicht zu kurz gekommen, auch wenn die es heute noch denkt.) Vor allem aber die Beziehung zu meiner Mutter ist bis heute schwer belastet. Sie ist unfair (in dem Sinne, dass sie Stress/Launen an der Familie auslässt, gerne an mir, aber auch ab und an an meinem Vater), sie hat immer noch kein Vertrauen in mich, denkt ich kann mein Leben nicht meistern! Ihre Sorge geht soweit, dass sie persönliche Grenzen überschreitet und meine Privatsphäre nicht respektiert. Manchmal ist es unerträglich für mich, wenn sie „schwerfällige Gedanken“ hat (meist plötzlich) und mir einreden will, dass ich psychisch labil bin. Sie sagt dann Sätze wie „Das ist doch nicht mehr normal“ zu mir. Es stört mich sehr, dass sie kein Vertrauen in mich hat. Ich studiere im letzten Semester (Naturwissenschaften, Fach möchte ich nicht genau sagen, Personenschutz) und schreibe nun noch ca. 1-2 Wochen meine Bachelorarbeit zu ende. Da ich die Praxisphase an einer anderen Uni gemacht habe, welche in der Nähe meines Elternhauses ist, wohne ich nun seit ca. 8 Monaten wieder zu hause. Ich werde so bald wie möglich wieder ausziehen (zum Glück dauert es nicht mehr lange). Ich habe in der Zeit die ich nicht zu hause gewohnt habe (Ausbildung, Studium) mich meiner Meinung nach gut weiter entwickelt. Auch dass ich mein Abitur gut gemacht habe, finde ich schön. Ich habe viele Freunde an der Schule und Uni gefunden und seit ca. 8 Jahren einen Freund. Ich habe über mein Umfeld in dieser Zeit viel positives Feedback bekommen und mein Selbstwertgefühl gestärkt. Aber nur 8 Monate im Haus meiner Eltern, bringen mich wieder zur Verzweiflung. Der Konflikt mit meiner Mutter ist anscheinend noch nicht „überwunden“. Es hat mich zum Nachdenken gebracht, dass ich live miterleben konnte (wie eine 3 beobachtende Person) wie wir in alte Verhaltensmuster zurückgefallen sind. Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll!! Grundsätzlich macht es mir nichts aus, wenn meine Mutter mich kritisiert, da ich mich für kritikfähig halte. Es gibt nur einen Knackpunkt: Ihre Kritik trifft mich an meiner schwächsten Stelle. Sie denkt ich bin nicht lebenstauglich!!! Ich habe das Gefühl, sie will UNBEDINGT, dass ich ein schlechtes Selbstwertgefühl habe. Nichts ist gut genug. Alles ist schlecht. Ich bekomme keine Anerkennung. Abitur, Ausbildung, Studium alles ohne Pause mit guten Noten „durchgezogen“. Ich frage mich dann : „Weiß sie eigentlich nicht, wer ich bin?“ Sie hat ein anderes Bild von mir, als ich von mir. Mein langjähriger Freund hat mal gesagt, dass nicht ich die mit den psychischen Problemen bin, sondern meine Mutter. Es macht mich wirklich sehr traurig, dass ich ihr nichts recht machen kann und dass sie kein Vertrauen in mich hat. Nach so langer Zeit und nachdem ich doch nun (fast) unabhängig mit beiden Beinen im Leben stehe. Ich spiele mit dem Gedanken nach meinem Umzug in eine andere Stadt den Kontakt vorerst einschlafen zu lassen. Es kränkt mich extrem, dass sie kein Vertauen in mich hat.
Anmerkung: Mit meiner Mutter sind keine normalen Gespräche möglich! Mit meinem Vater unterhalte ich mich gerne. Wir haben auch gemeinsame Interessen. Die Beziehung zu meinem Vater hat sich positiv entwickelt, weil er, anderes als meine Mutter (und meine Schwester) erkennt, dass ich erwachsen geworden bin und er fragt mich auch oft um Rat (letzteres würde meine Mutter niemals tun, da sie sowieso alles besser weiß).
Abschließende Frage:
Wie lange werde ich noch diesen inneren Konflikt in mir tragen? Auf der einen Seite meine Mutter (deren Meinung mir viel bedeutet), die mich klein macht und ständig kritisiert, sogar psycho-Attacken muss ich aushalten. Auf der anderen Seite das positive Feedback aus meiner (nicht-elterlichen) Umgebung, der Erfolg im Beruflichen und die Freunde die mich schätzen. Es zerreißt mich innerlich, dass sie ein so schlechtes Bild von mir hat. (Zum Glück hat mein Vater diese Haltung verloren)
Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte gefunden habe, mein Problem darzulegen.
Aber vielleicht kann mir jemand sagen, wie es zu dem Verhalten meiner Mutter kommt?? Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht?
P.S.: Dachte ich als Kind und Jugendliche oft, dass ich ein Störfaktor in der Familie bin, asozial, unfähig, schlecht, so sehe ich heute, dass ein Kind niemals Täter ist, sondern Opfer.
Ich habe viele Jahre gebraucht, um dies für mich selbst zu klären (warum wurde dies mir in der Therapie nicht vermittelt?). Das heißt, ich dachte ich bin ein schlechter Mensch und daher verhaltensauffällig, nicht weil mein Umfeld mich dazu veranlasst hat. Meine Mutter ist sich bis heute sicher, der perfekte Mensch zu sein. Sie hat natürlich auch niemals einen Fehler in der Erziehung gemacht. Dass sie während ich beim Kinderpsychologen in Therapie war, weiterhin dachte, sie hätte alles richtig gemacht finde ich auch eine Frechheit, vor allem, dass sie meiner Oma die Schuld gab. (Meine Oma hat mich mehr oder weniger groß gezogen, da meine Mutter keine Zeit hatte). Ich will ihr keine Vorwürfe machen, und doch mache ich ihr welche. Nicht weil sie Fehler in der Erziehung gemacht hat, sondern dass sie sich nicht im Klaren darüber ist, welche „Kettenreaktion“ daran verknüpft ist und dass ich heute noch manchmal darunter leide.