Ist die Natur (des Menschen) böse?

Hai, Friedhelm,

D’ accord, d’ accord, - aber worüber sprichst Du? innerhalb
einer heterogenen (fremdgesetzlichen) Natur, die es auch im
menschlichen Körper gibt, eben auch im Hirn, also physisches
und chemisches Geschehen, da gibt es höchstwahrscheinlich kein
„Gut“ und „Böse“, wie auch natürliche Triebe weder gut noch
böse sind und keine Verantwortung tragen.

Nicht „höchstwahrscheinlich“ - unsere Instinkte, die
chemischen Reaktionen, der ganze biologische Kladderadatsch
sind nicht gut oder böse. Aber sie sind auch nichts, was uns
fremd-bestimmt - das sind wir.

Wenn eine biologische Entität körperliche Bedürfnisse, wie
Hunger, stillt, dann tut sie das nicht fremd-bestimmt. Selbst
die Kultur scheint nur Ausdruck unserer Instinkte zu sein
(zumindest weisen Untersuchungen von sogenannten Wolfskindern
stark darauf hin).

Ich denke, es ist eben keine heiße Luft, keine spinnige These
oder unsinnige Theorie, wenn man von menschlicher Autonomie
spricht, von Schuld und Verantwortung, und dann über die
Schnittstelle mit jener Heteronomie.

Das Problem ist die „Schnittstelle“, die gar keine ist. Die
Frage ist nicht, ob der Mensch von Natur aus in der Lage ist,
die moralischen Ansprüche in seiner Kultur zu erfüllen,
sondern ob die jeweilige Kultur so gestaltet ist, daß sie den
Instinkten nicht widerspricht.


Wenn man das mal im Kopf behält, während man sich durch die
Texte zum Thema „Ist die Natur des Menschen gut oder böse?“
kämpft, dann fällt einem erst auf, wie unsinnig die Frage
ist…

Gruß
Sibylle

Hallo Sibylle,
O-weh, Du bist also ein Triebtäter und nennst dies Dein Ich??

Ich bin im Augenblick - für ein paar Tage - unterwegs, und es ist recht umständlich - und teuer - von hier zu antworten.

Wir sind hier im Forum für Religionswissenschaften; und Du scheinst Religion und insbesondere Theologie abzulehnen, wo es um die Frage Gut-Böse und Falsch-Richtig geht, was es natürlich in der fremdbestimmt heteronomen Natur nicht gibt (wie es scheint). Ein hinabfallender Stein handelt weder gut noch böse, wenn er einem Menschen auf den Kopf fällt, wie sich auch die Sonne kein Gewissen macht, wenn sie abends verschwindet oder morgens erscheint.
Was dort als Stein oder Sonne passiert, ist denn auch keine Handlung, sondern nur ein Geschehen aufgrund bestimmter Gesetze, wie wir annehmen.
Anders wäre es, wenn jemand den Stein mit Absicht geworfen hätte, um mir zu schaden, oder wenn ein Gott mit Absicht die Sonne dorthin plazziert hätte, um mir mein Leben auf dieser Erde zu ermöglichen.

Es sind eben nicht nur hirnrissige Philosophen und Theologen, die solchen Unterschied zwischen physikalisch fremdbestimmtem Geschehen und selbstbestimmter Handlung mit einer Absicht unterscheiden.

ganz herzlich für heute
Friedhelm

Hallo Petra,

Kein Mensch ist von Natur aus böse. Ich weiß nicht woher
dieses Gerücht stammt aber es gibt kein Baby das böse zur Welt
kommt. Durch die Erziehung, durch die Umstände, durch das
Einwirken von Mitmenschen und Medien wird ein Mensch geprägt.

und wie erklärt sich dann das „Trotzalter“?

Wenn der Mensch von Natur gut ist, müsste jedes Kind von Natur auch gehorsam und brav sein.

Gruss Harald

Harald,

Wenn der Mensch von Natur gut ist, müsste jedes Kind von Natur
auch gehorsam und brav sein.

das riecht nach extremistischen Grundeinstellungen. Wieso ´müsste´? Eine Familie ist eine Gemeinwesen und keine Kinderspielzimmer für Erwachsene. Von daher sollte eher ein beiderseits respektvoller Umgang gepflegt werden anstatt bedingungslose Gefolgsamkeit. Idealisierst Du ein faschistoides Familienmodell?

guvo

Oh, oh, oh Harald!

und wie erklärt sich dann das „Trotzalter“?

Als Laie auf diesem Gebiet würde ich mal vermuten: als
entwicklungspsychologische Notwendigkeit!

Wenn der Mensch von Natur gut ist, müsste jedes Kind von Natur
auch gehorsam und brav sein.

Eine so reaktionäre Betrachtungsweise zu vertreten, finde ich
zumindest ziemlich mutig.
Ich weiss schon: brave Kinder machen einem Freude.
Aber: WEM soll denn das Kind blindlings gehorsam sein?
«Seinen gottgegebenen Eltern» wirst du wohl sagen.
Wo und wann soll das Kind denn lernen und einüben, eine eigene
Meinung zu bilden und diese vertreten zu dürfen (ohne mit
Liebesentzug bestraft zu werden), wenn nicht in ihrer Familie?
Ich denke, das Kind muss auch lernen, seinem eigenen Gewissen zu
folgen, sonst wächst da bloss ein Duckmäuser und Arschkriecher heran.

Dazu, ob die Natur des Menschen böse ist oder nicht, geben uns
Trotzalter und (Un)gehorsam keinen Hinweis.

Freundliche Grüsse
Rolf

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Natur des Menschen?
Moin,

da ich von Fiedhelm keine Antwort auf meine Frage bekommen habe, was er denn überhaupt unter der „Natur des Menschen“ versteht, möchte ich die Frage mal an alle weitergeben, die sich dazu in irgend einer Weise geäußert haben und zu wissen scheinen, was mit der „Natur des Menschen“ gemeint ist: Was versteht ihr denn unter der „Natur des Menschen“?

Gruß
Marion

Gude,

unter der Floskel „Natur des Menschen“ sollte zuerst einmal Lebensumfeld der Menschen verstanden werden. Das sind die Umwelt, die Arbeitswelt und die sonstigen soziale Einbindungen. Die Maßgeblichkeit des Umfeldes liegt im relativierenden Aspekt. Die charakterliche Veranlagung ist nachrangig. Dafür ist niemand rechenschaftspflichtig. Nicht ausgeschlossen, dass die individuell veranlagte Bösartigkeit so weit ausgeprägt ist, dass selbst das günstigste Umfeld nichts ausgleichendes mehr bewirkt. Das sollte grundsätzlich jedoch nichts entschuldigen.

guvo

Hai, Marion,

scheinen, was mit der „Natur des Menschen“ gemeint ist: Was
versteht ihr denn unter der „Natur des Menschen“?

ich verstehe darunter den nicht-kulturell geprägten Anteil am Verhalten des Menschen, also Instinkte, biologische Anforderungen usw.
Also wie der Mensch ist, wenn man das kulturabhängig erlernte „rausrechnet“.

Gruß
Sibylle

Moin Sibylle

scheinen, was mit der „Natur des Menschen“ gemeint ist: Was
versteht ihr denn unter der „Natur des Menschen“?

ich verstehe darunter den nicht-kulturell geprägten Anteil am
Verhalten des Menschen, also Instinkte, biologische
Anforderungen usw.
Also wie der Mensch ist, wenn man das kulturabhängig erlernte
„rausrechnet“.

Das klingt für mich wie eine Betrachtungsweise auf einer Ebene, die der Mensch mit dem Tier gemeinsam hat. Ist also für dich dir Frage: „Ist die Natur des Menschen gut oder böse“ identisch mit der Frage „Sind Tiere gut oder böse“ ?

Kann man „Natur des Menschen“ nicht aus so verstehen, dass damit das Wesentliche des Menschen gemeint ist, als genau das, was ihn z.B. vom Tier unterscheidet?

Gruß
Marion

Gude,

guvie :smile:

unter der Floskel „Natur des Menschen“ sollte zuerst einmal
Lebensumfeld der Menschen verstanden werden. Das sind die
Umwelt, die Arbeitswelt und die sonstigen soziale
Einbindungen.

Damit verstehst du unter der „Natur des Menschen“ ungefähr das Gegenteil von dem, was Sybille darunter versteht. Interessant.

Gruß
Marion

Entschuldige Marion,
ich bin für ein paar Tage unterwegs und habe nur einen recht umständlichen Zugang zum Internet. Deswegen - und nicht aus Verlegenheit - hier nur eine kurze Antwort.
Unser Erkenntnisvermögen gehört sicher sowohl zur Natur allgemein wie auch zur Natur des Menschen, - dabei muß man zwischen beidem einen Unterschied machen. Eine der frühesten grundsätzlichen Unterscheidungen, die der Mensch zwischen beidem, nämlich zwischen Schöpfer und Schöpfung machte, ist uns in der Genesis überliefert, wobei in dem Verhältnis zwischen beidem auch „Gut“ und „Böse“ auftaucht.
Ich komme bestimmt auf Deinen Beitrag zurück,

für heute ganz herzlich
Friedhelm

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo guvo,

Wenn der Mensch von Natur gut ist, müsste jedes Kind von Natur
auch gehorsam und brav sein.

das riecht nach extremistischen Grundeinstellungen. Wieso
´müsste´?

das ist eine „wenn - dann“ Schlußfolgerung.

Eine Familie ist eine Gemeinwesen und keine
Kinderspielzimmer für Erwachsene. Von daher sollte eher ein
beiderseits respektvoller Umgang gepflegt werden anstatt
bedingungslose Gefolgsamkeit.

Den „respektvollen Umgang“ des Kleinkindes mit seinen Eltern, wenn es mit dem Fuß trotzig auf den Boden stampft und „nein“ brüllt, kann ich nicht sehen.

Idealisierst Du ein faschistoides Familienmodell?

Ich weiss nicht, was Du darunter verstehst.
Ich favorisiere die „heile Familie“, in der jeder das Wohl des anderen (und ganz besonders das der Kinder) im Sinn hat.
Dazu gehört, dass man dem Kind im Winter eine Jacke anzieht.
Und wenn dieses Kind sich dem widersetzt, kommt es eben zu der geschilderten Szene.

Wäre der Mensch „von Natur aus gut“, würde das Kind, wenn schon nicht aus Einsicht, so doch aus Vetrtrauen, dem Anziehen zustimmen.

Gruss Harald

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Hallo Rolf,

Wenn der Mensch von Natur gut ist, müsste jedes Kind von Natur
auch gehorsam und brav sein.

Eine so reaktionäre Betrachtungsweise zu vertreten, finde ich
zumindest ziemlich mutig.

dazu lies meine Erklärung an guvo.

Wo und wann soll das Kind denn lernen und einüben, eine eigene
Meinung zu bilden und diese vertreten zu dürfen (ohne mit
Liebesentzug bestraft zu werden), wenn nicht in ihrer Familie?

Dieser Entwicklungsschritt kommt doch erst viel später.
Das Trotzalter hat mit Meinung bilden noch nichts zu tun.
Hier geht es erst darum, herauszufinden, ob die Eltern auch wirklich „nein meinen“, wenn sie „nein sagen“.

Dazu, ob die Natur des Menschen böse ist oder nicht, geben uns
Trotzalter und (Un)gehorsam keinen Hinweis.

Zorn, Wut und Trotz sind Eigenschaften, die nicht erlernt werden sondern angeboren sind. Also durchaus in der Natur des Menschen vorhanden. Es bleibt Dir überlassen, diese Eigenschaften gut oder böse zu benennen.

Gruss Harald

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Hallo Harald

Wo und wann soll das Kind denn lernen und einüben, eine eigene
Meinung zu bilden…

Dieser Entwicklungsschritt kommt doch erst viel später.
Das Trotzalter hat mit Meinung bilden noch nichts zu tun.

Hier geht es erst darum, herauszufinden, ob die Eltern auch
wirklich „nein meinen“, wenn sie „nein sagen“.

Das mag so sein, dann habe ich zwei verschiedene Dinge unter den
gleichen Deckel getan.
Ich dachte sogar an etwas noch Elementareres: Dass das Kind erkennt,
dass es zwischen «ich» und «nicht-ich» eine Trennung, einen
Unterschied gibt. Dies allerdings habe ich als Grundlage dafür
betrachtet, dass man eine Person wird und eigene Meinungen
entwickelt.

Zorn, Wut und Trotz sind Eigenschaften, die nicht erlernt
werden sondern angeboren sind. (…) Es bleibt Dir überlassen, diese
Eigenschaften gut oder böse zu benennen.

Ich ziehe es vor, dies aus dem Bewertungsschema gut/böse
herauszuhalten!
Trotz des Missbehagens, das sie auch in mir erwecken,
betrachte ich Zorn, Wut und Trotz für zum menschlichen Leben und zur
sozialen Erfahrung gehörend. Und ich halte mich für die Möglichkeit
offen, dass dies alles seinen (etwas verborgenen) Sinn hat.

Freundliche Grüße
Rolf

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Hi Harald,

Kinder suchen genauso wie Du danach, wo Ihre Grenzen sind. Erwachsene tun das gleiche: Preisnachlässe fordern, Zahlungen hinauszögern, Regeln übertreten etc.

das ist eine „wenn - dann“ Schlußfolgerung.

Deine Schlussfolgerung ist zu zwanghaft zumal der Sachverhalt falsch ist.

Wäre der Mensch „von Natur aus gut“, würde das Kind, wenn
schon nicht aus Einsicht, so doch aus Vetrtrauen, dem Anziehen
zustimmen.

Das tun se auch. Kinder sind grundsätzlich lernwillig. Stresssituationen sind für gewöhnlich die Ausnahme.

guvo

Ich habe eine relativierte Ansichtsweise. Sie baut auf dem Verständnis von Sybille sozusagen auf. Bei allem Respekt. Übrigens, ich bin bis übernächste Woche verreist. Schöne Herbsttage.

guvo

Hai, Friedhelm,

O-weh, Du bist also ein Triebtäter und nennst dies Dein Ich??

Selbstverständlich bin ich das - wer sonst? Ich bekomme Hunger, ich will Alphatier in der Hierarchie sein, ich will alles für mein Rudel behalten und die Fremden aus unserem Revier vertreiben, ich will die Gene des stärksten Männchens für meinen Nachwuchs haben…
…aber ich bin nicht nur Instinkt-gesteuert. Ich bin es auch, die nicht den Laden plündert, sondern bis zu Hause mit dem Essen warten kann, ich halte Hierarchien für ein ungünstiges Modell und entscheide mich gegen das Streben nach der Alpha-Position, ich definiere „mein Rudel“ so, daß es einfach alle Menschen umfasst, ich entscheide mich gegen Gen-Shopping…
…weil ich „gut“ bin? Nee - weil ich natürlicherweise eine weitere Fähigkeit habe, die es mir ermöglicht, den Vorteil-jetzt gegen den Vorteil-später abzuwägen, die mir ermöglicht, den einen Instink zu unterdrücken und einen anderen zu betonen: wir nennen es den Intellekt. Diese Fähigkeit haben nicht nur wir Menschen - bei uns hat sie nur die auffälligsten Blüten getrieben.

Wir sind hier im Forum für Religionswissenschaften; und Du
scheinst Religion und insbesondere Theologie abzulehnen, wo es
um die Frage Gut-Böse und Falsch-Richtig geht, was es
natürlich in der fremdbestimmt heteronomen Natur nicht gibt
(wie es scheint).

Ich lehne die Religion für mich als Erklärungsmodell für die Welt ab, stimmt - die Theologie nicht, denn die kann mir erklären, warum andere die Religion nicht ablehnen und wie Religionen entstanden sind und funktionieren.

Unabhängig davon halte ich aber schon diese Trennung für falsch; die Natur ist nicht fremdbestimmt, wir sind nicht durch die Natur fremdbestimmt - diese Natur ist in uns, ist nicht-trennbarer Teil von uns, sind wir.

Diese Natur in uns (so, wie ich „Natur des Menschen“ verstehe) ist genausowenig gut oder böse, wie ein fallender Stein, oder eine scheinende Sonne. Die Begriffe gut und böse sind eben rein moralische Begriffe und können daher auch nur innerhalb moralischer Fragen sinnvoll genutzt werden. Als absolute Bezeichnungen sind sie vollständig unbrauchbar, denn sie sind abhängig von der Kultur/Moral, die nicht nur von Weltecke zu Weltecke differiert, sondern auch noch zeitlich.

Du scheinst mir ein Jahwe-Gläubiger zu sein - eventuell auch Bibel-Gläubiger? In dem Fall fällt es mir besonders leicht, aufzuzeigen, wie uneinheitlich das „Gute“ ist:
da steht: Du sollst nicht morden…
und da steht: …schlachte Deinen Sohn für mich…
Da steht: wenn Dir einer auf die linke Wange haut, halt ihm auch die rechte hin
und da steht: tötet ihre Kinder, ihre Sklaven und ihr Vieh…
(jeweils nicht wörtlich - aber dem Sinn nach)

Nimmt man die Bibel nun als Verhaltenskodex für „Gut-sein“, kommt man schnell und heftig ins Rühren, denn: was ist denn überhaupt „gut“?

…und nun sind wir wieder am Anfang der Diskussion: wie kann man mit moralischen Kriterien, die über Zeit und Ort veränderlich sind, über etwas urteilen, was nicht einmal nach moralischen Kriterien funktioniert?

Es sind eben nicht nur hirnrissige Philosophen und Theologen,
die solchen Unterschied zwischen physikalisch fremdbestimmtem
Geschehen und selbstbestimmter Handlung mit einer Absicht
unterscheiden.

Es geht nicht um die Unterscheidung zwischen selbst- und fremd-bestimmt, es geht darum, ob gut und böse absolute, von der aktuellen Kultur unabhängige, Kriterien sind - und es geht mir darum, daß genau dieser Makel den meisten Philosophen und Theologen durchaus bewusst war und ist und sie trotzdem darüber elaborieren, als wären gut und böse absolut und als hätten sie die Wahrheit über diese Begriffe in Besitz…
…und als würde das noch nicht reichen, werden die Begriffe auch noch in einem Bereich angewandt, wo sie nichts zu suchen haben…

Gruß
Sibylle

Hai, Marion,

Das klingt für mich wie eine Betrachtungsweise auf einer
Ebene, die der Mensch mit dem Tier gemeinsam hat. Ist also für
dich dir Frage: „Ist die Natur des Menschen gut oder böse“
identisch mit der Frage „Sind Tiere gut oder böse“ ?

doch, ja - eigentlich schon…

Kann man „Natur des Menschen“ nicht aus so verstehen, dass
damit das Wesentliche des Menschen gemeint ist, als genau das,
was ihn z.B. vom Tier unterscheidet?

vorneweg, für mich müsste es heißen: „…z.B. von anderen Tieren unterscheidet…“

*grummel-grummel-irgendwie führt die daraus folgende Gedankenkette vom Rücken durch die Brust ins Auge*

Frage: was unterscheidet denn eigentlich den Menschen von anderen Tieren?
Meine Antwort darauf lautet: die variationsreichen und arabesquen Kulturen inklusive ihrer selbstgegebenen Regeln („einfache“ Kulturen, wie die Weitergabe erlernten Wissens an die nachfolgenden Generationen, haben auch andere Tierarten). „Gut und Böse“ sind Teil dieser elaborierten Kulturen. Womit die Frage nunmehr lautet: Ist „Gut und Böse“ gut oder böse?

Gedanken-wieder-entknotenden Gruß
Sibylle

Friedhelm schreibt:

O-weh, Du bist also ein Triebtäter und nennst dies Dein Ich??

Danke erst mal für die Reflexion oder Meditation über Dein Verhalten. Aber niemand hat Dich gezwungen.

O-weh, Du bist also ein Triebtäter und nennst dies Dein Ich??

Sibylle schrieb:
Selbstverständlich bin ich das - wer sonst? Ich bekomme
Hunger,

Friedhelm schreibt:
Ist Hunger eine Handlung? Eine Tat? Deine Absicht, Deine Entscheidung?
Es ist ein Trieb, ohne Zweifel.
Die Absicht, ihm jetzt oder später nachzukommen, ihn zu stillen, ist etwas grundsätzlich anderes.
Aber Du kannst ihm nachkommen und kannst auch in den Hungerstreik treten.

Sibylle schrieb:
ich will Alphatier in der Hierarchie sein,
ich will alles für mein Rudel behalten und die Fremden
aus unserem Revier vertreiben, ich will die Gene des
stärksten Männchens für meinen Nachwuchs haben…
…aber ich bin nicht nur Instinkt-gesteuert. Ich bin es
auch, die nicht den Laden plündert, sondern bis zu Hause mit dem
Essen warten kann, ich halte Hierarchien für ein
ungünstiges Modell und entscheide mich gegen das Streben nach
der Alpha-Position, ich definiere „mein Rudel“ so, daß es
einfach alle Menschen umfasst, ich entscheide mich gegen
Gen-Shopping…

Friedhelm schreibt:
Na also, dann bin ich erst mal beruhigt. Du handelst vernünftig und verantwortlich; und eben nicht unverantwortlich. Damit ist aber noch nicht entschieden, ob Dein Verhalten jeweils gut ist oder böse, richtig oder falsch

Sibylle schrieb:
…weil ich „gut“ bin? Nee - weil ich natürlicherweise eine
weitere Fähigkeit habe, die es mir ermöglicht, den Vorteil-jetzt
gegen den Vorteil-später abzuwägen, die mir ermöglicht, den
einen Instink zu unterdrücken und einen anderen zu betonen: wir
nennen es den Intellekt. Diese Fähigkeit haben nicht nur wir
Menschen - bei uns hat sie nur die auffälligsten Blüten
getrieben.

Friedhelm schreibt:
Richtig, Willensfreiheit gibt es auch bei Tieren.

Wir sind hier im Forum für Religionswissenschaften; und Du
scheinst Religion und insbesondere Theologie abzulehnen, wo es
um die Frage Gut-Böse und Falsch-Richtig geht, was es
natürlich in der fremdbestimmt heteronomen Natur nicht gibt
(wie es scheint).

Sibylle schrieb:
Ich lehne die Religion für mich als Erklärungsmodell für die
Welt ab, stimmt - die Theologie nicht, denn die kann mir
erklären, warum andere die Religion nicht ablehnen und wie
Religionen entstanden sind und funktionieren.

Friedhelm schreibt:
Ist ein vernünftiger Standpunkt.

Sibylle schrieb:
Unabhängig davon halte ich aber schon diese Trennung für falsch;
die Natur ist nicht fremdbestimmt, wir sind nicht durch die
Natur fremdbestimmt - diese Natur ist in uns, ist
nicht-trennbarer Teil von uns, sind wir.

Friedhelm schreibt:
Da hast du recht: Die Annahme einer allgemeinen Apriorität der Kausalität ist ein Denkfehler.

Sibylle schrieb:
Vielleicht gehörst Du ja zu so einer Meditationsrichtung, wo die Menschen dann schweben können. Wir normalen Menschen unterliegen dagegen z.B. der Schwerkraft, wir bestehen aus ein paar Kilo Chemikalien und ein paar Eimer Wasser, und dies alles reagiert und verhält sich nach ganz normalen allgemeinen physikalischen und chemischen Gesetzen, und nicht nach Deinem Willen, verhält sich also heteronom.

Sibylle schrieb:
Diese Natur in uns (so, wie ich „Natur des Menschen“ verstehe)
ist genausowenig gut oder böse, wie ein fallender Stein, oder
eine scheinende Sonne.

Friedhelm schreibt:
Richtig, die allgemeinen heteronomen physikalischen und chemischen Gesetze sind wertfrei. Es wäre Unsinn, von einem bösen Wasser zu reden, von der bösen Schwerkraft usw.

Sibylle schrieb:
Die Begriffe gut und böse sind eben rein
moralische Begriffe und können daher auch nur innerhalb
moralischer Fragen sinnvoll genutzt werden.

Friedhelm schreibt:
Richtig.

Sibylle schrieb:
Als absolute Bezeichnungen sind sie vollständig unbrauchbar, denn sie sind
abhängig von der Kultur/Moral, die nicht nur von Weltecke zu
Weltecke differiert, sondern auch noch zeitlich.

Friedhelm schreibt:
Auch noch richtig.

Sibylle schrieb:
Du scheinst mir ein Jahwe-Gläubiger zu sein - eventuell auch
Bibel-Gläubiger?

Friedhelm schreibt:
Ist auch richtig.

Sibylle schrieb:
In dem Fall fällt es mir besonders leicht,
aufzuzeigen, wie uneinheitlich das „Gute“ ist:
da steht: Du sollst nicht morden…
und da steht: …schlachte Deinen Sohn für mich…
Da steht: wenn Dir einer auf die linke Wange haut, halt ihm auch
die rechte hin
und da steht: tötet ihre Kinder, ihre Sklaven und ihr Vieh…
(jeweils nicht wörtlich - aber dem Sinn nach)

Nimmt man die Bibel nun als Verhaltenskodex für „Gut-sein“,
kommt man schnell und heftig ins Rühren, denn: was ist denn
überhaupt „gut“?

Friedhelm schreibt:
In der Bibel steht auch: „Kain erschlug seinen Bruder Abel.“
An anderer Stelle steht: „Gehe hin und tue das Gleiche.“
Will sagen, wenn Du willst, kannst Du aus der Bibel herauslesen oder hineinlesen, was Du willst
Will sagen, auch der Bibel gegenüber bleibst Du ein freier Mensch. Auch da kommt es auf Dich selbst an, - es sei denn, Gott nimmt Dich an die Hand und zeigt Dir den rechten Weg für ein richtiges Verständnis.

Sibylle schrieb:
…und nun sind wir wieder am Anfang der Diskussion: wie kann
man mit moralischen Kriterien, die über Zeit und Ort
veränderlich sind, über etwas urteilen, was nicht einmal nach
moralischen Kriterien funktioniert?

Friedhelm schreibt:
So fürchterlich kompliziert ist das in der Regel nun auch nicht: Wenn Du mir mein Geld klaust, finde ich es nicht gut. Und wenn ein anderer Dir Dein Geld klaut, wirst Du das wahrscheinlich ähnlich sehen. Nämlich „Nicht Gut“. Goldene Regel: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“

Es sind eben nicht nur hirnrissige Philosophen und Theologen,
die solchen Unterschied zwischen physikalisch fremdbestimmtem
Geschehen und selbstbestimmter Handlung mit einer Absicht
unterscheiden.

Sibylle schrieb:
Es geht nicht um die Unterscheidung zwischen selbst- und
fremd-bestimmt, es geht darum, ob gut und böse absolute, von der
aktuellen Kultur unabhängige, Kriterien sind - und es geht mir
darum, daß genau dieser Makel den meisten Philosophen und
Theologen durchaus bewusst war und ist und sie trotzdem darüber
elaborieren, als wären gut und böse absolut und als hätten sie
die Wahrheit über diese Begriffe in Besitz…
…und als würde das noch nicht reichen, werden die Begriffe
auch noch in einem Bereich angewandt, wo sie nichts zu suchen
haben…

Friedhelm schreibt:
OK, aber mir ging es ja darum: wie ist es möglich, (oder ist es überhaupt möglich), daß der Mensch, der physisch nur aus heteronom gesteuerten Mineralien besteht, selbst nach eigenem Willen, also autonom und verantwortlich so oder so, richtig oder falsch, gut oder böse handeln kann. Ist es das Physische, der Leib, das ihn zum Bösen tendieren läßt?

ganz herzlich
Friedhelm

Hai, Friedhelm,

Danke erst mal für die Reflexion oder Meditation über Dein
Verhalten. Aber niemand hat Dich gezwungen.

*?* Darüber brauchte ich nicht großartig zu reflektieren oder zu meditieren - warum ich mich verhalte, wie ich es tue, ist keine Erkenntnis, die erst durch Dein Posting ausgelöst worden wäre…
…und wieso gezwungen? Musst Du dazu gezwungen werden, über Dich selber nachzudenken?

Sibylle schrieb:

tat ich garnicht… :wink:

Vielleicht gehörst Du ja zu so einer Meditationsrichtung, wo
die Menschen dann schweben können. Wir normalen Menschen

*häh?*

unterliegen dagegen z.B. der Schwerkraft, wir bestehen aus ein
paar Kilo Chemikalien und ein paar Eimer Wasser, und dies
alles reagiert und verhält sich nach ganz normalen allgemeinen
physikalischen und chemischen Gesetzen, und nicht nach Deinem
Willen, verhält sich also heteronom.

Aber mein Körper - also dieser Haufen chemikalischer Verbindungen - ist doch nichts Fremdes, das mich bestimmt, sondern ein, nicht unwesentlicher, Teil von mir…

Gott nimmt Dich an die Hand und zeigt Dir den rechten Weg für
ein richtiges Verständnis.

Ich laß mich aber nicht von einem imaginären Etwas an die Hand nehmen - und es scheint ja auch nicht nur ein"richtiges Verständnis" zu geben.
Es gibt soviele unterschiedliche Verhaltenskodizes, die sich alle auf Bibel und Gott berufen - ich kann nicht entscheiden, wer von denen richtig liegt oder ob überhaupt einer, also halt ich mich aus der Entscheidung raus und lebe nach der Prämisse: „Denke selbst, Narr!“. Meine einzige Bedingung an alle ist es, daß sie nicht versuchen, ihre Moral-Vorstellungen mir aufzuzwingen.

OK, aber mir ging es ja darum: wie ist es möglich, (oder ist
es überhaupt möglich), daß der Mensch, der physisch nur aus
heteronom gesteuerten Mineralien besteht, selbst nach eigenem
Willen, also autonom und verantwortlich so oder so, richtig
oder falsch, gut oder böse handeln kann.

Ich scheine es überhaupt nicht geschafft zu haben, Dir zu erklären, was ich meine… ich versuch’s nochmal:

Wir bestehen zunächst einmal aus Materie. Die gehorcht den physikalischen Spielregeln - das ist keine Fremdbestimmung, das ist der Materie immanent, die Materie ist so.
Gut und Böse haben hier nichts zu suchen.

Wir sind Lebewesen. Als solche haben wir einen Satz grundlegender Verhaltensweisen, die uns unabhängig von Kultur das Überleben ermöglicht. Hunger ist ein Ausdruck einer ganz grundlegenden Verhaltensweise, nämlich dem Körper Nahrung zuzuführen, aber zum Beispiel auch unsere Neigung, uns unserem Rudel anzupassen, damit wir nicht ausgeschlossen werden.
Und wieder ist es keine Fremdbestimung sondern den Lebewesen immanent - wir sind so.
Gut und Böse spielen hier immernoch nicht mit.

Jetzt kommt erst unser Willen. Man kann ihn nicht isoliert betrachten. Wir können nur innerhalb der durch Materie und angeborenen Verhaltensweisen vorgegebenen Schranken ‚wollen‘. Wir können z.B. nicht schweben wollen (wünschen können wir’s uns schon). Das wir gegen unsere Instinkte Handeln können, ist Folge/Zeichen unserer hohen Entwicklungsstufe - aber das ist nicht so leicht, wie sich das anhört. Um gegen einen Instinkt handeln zu können, müssen wir erstmal erkennen, daß da ein Instinkt die Ursache für bestimmte Verhaltensweisen ist. Haben wir erkannt, daß ein Instinkt unser Handeln steuert, können wir etwas anderes wollen. Ob wir in unserem jeweiligen Wollen dem Instinkt folgen, oder gegen ihn handeln wollen, hat aber immernoch nichts mit Gut und Böse zu tun.
Da die Instinkte unsere Überlebensmechanismen sind, hat es außerdem unangenehme Folgen, wenn man zu viele oder die falschen Instinkte zu sehr unterdrückt (zu lange nicht-essen-wollen).

Hier „endet“ nun die „Natur des Menschen“. Das bisher Geschriebene trifft auf alle Menschen der Welt zu, unabhängig, wann und wo sie leb(t)en.
Aber jetzt kommen wir endlich zu Gut und Böse.

Das wir die Fähigkeit haben, gegen den Instinkt zu handeln, hat nicht nur Vorteile (rein biologisch: höhere Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Umeltbedingungen), sondern auch Nachteile (wenn der Instinkt nicht mehr die Unterordnung unter das Alphatier oder den Zusammenhalt regelt - was dann?). Die Menschen haben Kulturen entwickelt. Regelwerke, die beschreiben, welche Verhaltensweisen das Überleben der jeweiligen Gruppe Menschen ermöglichen. Sich an die Regeln zu halten ist „gut“, sich gegen die Regeln zu verhalten ist „böse“.
Diese Regelwerke sind natürlich je nach Umwelt unterschiedlich - in einer Ecke der Welt ist es sinnvoller einen bestimmten Instinkt zu unterdrücken, in der anderen ist es sinnvoller, nach diesem Instinkt zu handeln (Beispiel: Säuglingstötung durch Mütter. Ist die Umwelt so beschaffen, daß Hungerzeiten nur kurzfristig anhalten, ist es für das Überleben der Art günstig, wenn Mütter den Säugling behalten und in Kauf nehmen, selbst stark an Gewicht zu verlieren. Ist die Umwelt aber so, daß Hungerzeiten in der Regel länger anhalten, ist es günstiger, den Säugling zu töten und der Mutter so ein Überleben zu ermöglichen und dann ein neues Kind zu bekommen.)
Welche Kombination von mit-dem-Instinkt und gegen-den-Instinkt als „gut“ bezeichnet wird, ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich und da bin ich nun wieder angekommen, bei Deiner Frage.
Gut und Böse sind nur auf Handlungen innerhalb des Kontextes der jeweiligen Kultur sinnvoll anwendbar. Die „Natur des Menschen“ ist aber genau der Teil, der außerhalb der Kultur besteht (obwohl die Kulturen aus ihm erwachsen sind). Darum ist es unsinnig / nicht sinnvoll / nicht möglich die Natur des Menschen mit gut oder böse zu bewerten.

Ist es das Physische,
der Leib, das ihn zum Bösen tendieren läßt?

Wenn eine Kultur erfordert, daß zu viele oder die falschen Instinkte unterdrückt werden, daß ist die Wahrscheinlichkeit, daß viele Menschen den entsprechenden Regeln zuwiderzuhandeln und somit innerhalb dieser Kultur „böse“ sind, höher. Z.B. sind die Instinkte, die direkt das Überleben des Körpers steuern, die stärksten - erfordert eine Kultur also ständig zu hungern, werden mehr Menschen „böse“ handeln und doch essen. Insofern kann „der Leib einen Menschen zum Bösen tendieren“ lassen - jedoch ist da nicht der Leib böse…

Gruß
Sibylle

Hallo Sybille!

Friedhelm schreibt:

Danke erst mal für die Reflexion oder Meditation über Dein
Verhalten. Aber niemand hat Dich gezwungen.

Sibylle schrieb:
*?* Darüber brauchte ich nicht großartig zu reflektieren oder zu
meditieren - warum ich mich verhalte, wie ich es tue, ist keine
Erkenntnis, die erst durch Dein Posting ausgelöst worden
wäre…
…und wieso gezwungen? Musst Du dazu gezwungen werden, über
Dich selber nachzudenken?

Friedhelm schreibt:
Tatsächlich werde ich oft gezwungen, über mich nachzudenken, mich auf mich selbst zu besinnen. Grundsätzlich geschieht dies immer, wenn ich einer offensichtlich falschen Wahrnehmung und einer falschen Erkenntnis aufsitze, z.B. einem Denkfehler, einem Traum, einer Halluzination, dann ist nämlich nicht das Wahrgenommene falsch, sondern ich liege falsch, wenn ich das fälschlich als richtig Erkannte für wirklich halte. Dann erst komme „ich“ ganz bewusst ins Spiel durch Selbstbesinnung.
Manche Barbaren versuchen bei anderen Menschen solche Selbstbesinnung durch Prügel und Strafe zu erreichen.

Sibylle schrieb:

*häh?*

unterliegen dagegen z.B. der Schwerkraft, wir bestehen aus ein
paar Kilo Chemikalien und ein paar Eimer Wasser, und dies
alles reagiert und verhält sich nach ganz normalen allgemeinen
physikalischen und chemischen Gesetzen, und nicht nach Deinem
Willen, verhält sich also heteronom.

Sibylle schrieb:
Aber mein Körper - also dieser Haufen chemikalischer
Verbindungen - ist doch nichts Fremdes, das mich bestimmt,
sondern ein, nicht unwesentlicher, Teil von mir…

Friedhelm schreibt:
Nun ja, heteronom d.h. fremdbestimmt reagiert Calcium, Magnesium, Eisen und H2O (d.h. alles Materielle) in Deinem Körper eben nicht nach Deinem autonomen Willen sondern wie es überall in der Natur – auf der Erde nicht anders als auch auf dem Mars - ebenfalls reagiert. Immanent bedeutet immer noch, dass es nicht nach Deinem Willen, sondern heteronom nach anderen Gesetzen funktioniert.

Friedhelm schreibt:

Gott nimmt Dich an die Hand und zeigt Dir den rechten Weg für
ein richtiges Verständnis.

Sibylle schrieb:
Ich laß mich aber nicht von einem imaginären Etwas an die Hand
nehmen - und es scheint ja auch nicht nur ein „richtiges
Verständnis“ zu geben.
Es gibt soviele unterschiedliche Verhaltenskodizes, die sich
alle auf Bibel und Gott berufen - ich kann nicht entscheiden,
wer von denen richtig liegt oder ob überhaupt einer, also halt
ich mich aus der Entscheidung raus und lebe nach der Prämisse:
„Denke selbst, Narr!“. Meine einzige Bedingung an alle ist es,
daß sie nicht versuchen, ihre Moral-Vorstellungen mir
aufzuzwingen.

Friedhelm schreibt:
Die Freiheit, selbst zu denken, solltest Du Dir auch nicht nehmen lassen!

OK, aber mir ging es ja darum: wie ist es möglich, (oder ist
es überhaupt möglich), daß der Mensch, der physisch nur aus
heteronom gesteuerten Mineralien besteht, selbst nach eigenem
Willen, also autonom und verantwortlich so oder so, richtig
oder falsch, gut oder böse handeln kann.

Sibylle schrieb:
Ich scheine es überhaupt nicht geschafft zu haben, Dir zu
erklären, was ich meine… ich versuch’s nochmal:

Wir bestehen zunächst einmal aus Materie. Die gehorcht den
physikalischen Spielregeln - das ist keine Fremdbestimmung, das
ist der Materie immanent, die Materie ist so.
Gut und Böse haben hier nichts zu suchen.

Wir sind Lebewesen. Als solche haben wir einen Satz
grundlegender Verhaltensweisen, die uns unabhängig von Kultur
das Überleben ermöglicht. Hunger ist ein Ausdruck einer ganz
grundlegenden Verhaltensweise, nämlich dem Körper Nahrung
zuzuführen, aber zum Beispiel auch unsere Neigung, uns unserem
Rudel anzupassen, damit wir nicht ausgeschlossen werden.
Und wieder ist es keine Fremdbestimung sondern den Lebewesen
immanent - wir sind so.
Gut und Böse spielen hier immernoch nicht mit.

Jetzt kommt erst unser Willen. Man kann ihn nicht isoliert
betrachten. Wir können nur innerhalb der durch Materie und
angeborenen Verhaltensweisen vorgegebenen Schranken ‚wollen‘.
Wir können z.B. nicht schweben wollen (wünschen können wir’s uns
schon). Das wir gegen unsere Instinkte Handeln können, ist
Folge/Zeichen unserer hohen Entwicklungsstufe - aber das ist
nicht so leicht, wie sich das anhört. Um gegen einen Instinkt
handeln zu können, müssen wir erstmal erkennen, daß da ein
Instinkt die Ursache für bestimmte Verhaltensweisen ist. Haben
wir erkannt, daß ein Instinkt unser Handeln steuert, können wir
etwas anderes wollen. Ob wir in unserem jeweiligen Wollen dem
Instinkt folgen, oder gegen ihn handeln wollen, hat aber
immer noch nichts mit Gut und Böse zu tun.
Da die Instinkte unsere Überlebensmechanismen sind, hat es
außerdem unangenehme Folgen, wenn man zu viele oder die falschen
Instinkte zu sehr unterdrückt (zu lange nicht-essen-wollen).

Hier „endet“ nun die „Natur des Menschen“. Das bisher
Geschriebene trifft auf alle Menschen der Welt zu, unabhängig,
wann und wo sie leb(t)en.
Aber jetzt kommen wir endlich zu Gut und Böse.

Daß wir die Fähigkeit haben, gegen den Instinkt zu handeln, hat
nicht nur Vorteile (rein biologisch: höhere Anpassungsfähigkeit
an unterschiedliche Umeltbedingungen), sondern auch Nachteile
(wenn der Instinkt nicht mehr die Unterordnung unter das
Alphatier oder den Zusammenhalt regelt - was dann?). Die
Menschen haben Kulturen entwickelt. Regelwerke, die beschreiben,
welche Verhaltensweisen das Überleben der jeweiligen Gruppe
Menschen ermöglichen. Sich an die Regeln zu halten ist „gut“,
sich gegen die Regeln zu verhalten ist „böse“.
Diese Regelwerke sind natürlich je nach Umwelt unterschiedlich -
in einer Ecke der Welt ist es sinnvoller einen bestimmten
Instinkt zu unterdrücken, in der anderen ist es sinnvoller, nach
diesem Instinkt zu handeln (Beispiel: Säuglingstötung durch
Mütter. Ist die Umwelt so beschaffen, daß Hungerzeiten nur
kurzfristig anhalten, ist es für das Überleben der Art günstig,
wenn Mütter den Säugling behalten und in Kauf nehmen, selbst
stark an Gewicht zu verlieren. Ist die Umwelt aber so, daß
Hungerzeiten in der Regel länger anhalten, ist es günstiger, den
Säugling zu töten und der Mutter so ein Überleben zu ermöglichen
und dann ein neues Kind zu bekommen.)
Welche Kombination von mit-dem-Instinkt und gegen-den-Instinkt
als „gut“ bezeichnet wird, ist von Kultur zu Kultur
unterschiedlich und da bin ich nun wieder angekommen, bei Deiner
Frage.
Gut und Böse sind nur auf Handlungen innerhalb des Kontextes
der jeweiligen Kultur sinnvoll anwendbar. Die „Natur des
Menschen“ ist aber genau der Teil, der außerhalb der Kultur
besteht (obwohl die Kulturen aus ihm erwachsen sind). Darum ist
es unsinnig / nicht sinnvoll / nicht möglich die Natur des
Menschen mit gut oder böse zu bewerten.

Ist es das Physische,
der Leib, das ihn zum Bösen tendieren läßt?

Wenn eine Kultur erfordert, daß zu viele oder die falschen
Instinkte unterdrückt werden, daß ist die Wahrscheinlichkeit,
daß viele Menschen den entsprechenden Regeln zuwiderzuhandeln
und somit innerhalb dieser Kultur „böse“ sind, höher. Z.B. sind
die Instinkte, die direkt das Überleben des Körpers steuern, die
stärksten - erfordert eine Kultur also ständig zu hungern,
werden mehr Menschen „böse“ handeln und doch essen. Insofern
kann „der Leib einen Menschen zum Bösen tendieren“ lassen -
jedoch ist da nicht der Leib böse…

Friedhelm schreibt:
Hallo, liebe Sibylle, ist ja schrecklich! Ich verstehe jetzt, worauf Du hinaus willst. Aber solcher Utilitarismus lässt mir die Haare zu Berge stehen; ein solches logisches Zweckdenken hat ein Gefälle in die schlimmste Barbarei, - ins Böse.
Beispiel: Sicher kennst Du den amerikanischen Film, wo die Menschen nach dem Tod nicht mehr beerdigt oder verbrannt, sondern direkt wieder zur Nahrung verarbeitet und zur Ernährung der Lebenden benutzt werden. Und in Notzeiten suchte man lebende Freiwillige, die man mit einem schönen Tod ködert. O-weh!
Im Gegensatz zu Dir würde ich diese utilitaristische Sichtweise und Entwicklung z.B. als böse bezeichnen.
Ein anderes Beispiel, das ich selbst erlebte: Ein „grüner“ Entwicklungshelfer erklärte mir in Afrika, dass es nicht sinnvoll wäre, ein etwas entlegenes Dorf mittels einer einfachen Wasserleitung mit Wasser zu versorgen, weil „die sich sonst sofort wie Kaninchen vermehren, und dann immer mehr Wasser wollen“.

Nach Deinem Welt- und Menschenverständnis könnte man dann auch den Kannibalismus wieder erlauben???
Ich selbst habe noch den Nationalsozialismus erlebt: Die bessere Rasse muß/darf die schlechtere Rasse auslöschen, töten, ebenso Geisteskranke, Schwule, Kriminelle, Andersdenkende.

Aber nun mal ernst, ich will Dir solche barbarischen Gedanken und Ziele auch nicht ernsthaft unterstellen.
Rein logisch und gesetzmäßig, so wie auch alles Materielle nach der von Dir sog. immanenten Gesetzmäßigkeit funktioniert die Materie. Und wenn man den Menschen und die menschliche Gemeinschaft derart, nämlich rein logisch nur als Materie sieht, dann gilt in der Tat „homo homini lupus“,
Aber was ist der Geist, das Denken? Was ist das Gewissen des Menschen, dass doch Macht hat über den materiellen Körper, einen freien Willen? Wieso und wie kann Materie dem Geist und Willen des Menschen gehorchen, wenn Du z.B. einfach den Arm hebst, - ohne damit gegen die Naturgesetze zu verstoßen? (Die war meine ursprüngliche Frage!!!) wie ist das überhaupt möglich?

Natürlich kann man ebenfalls Menschen auch rein logisch als Menschenmaterial wie Materie sehen und behandeln und berechnen. Man kann auch Menschen durch Terror und Erpressung zwingen, sich so oder so zu verhalten und dies mit Gottes Willen begründen, was Du völlig zurecht kritisierst und ablehnst. Dies ist eben nicht menschlich und von Gott gewollt, und mag es noch so logisch sein.

Über solchem Denken sollte stets die echte Frage nach Gott, der jeden Einzelnen liebt – oder doch zumindest das Gewissen stehen.

Ich wollte nur zeigen, das die Natur rein logisch – als Fressen und Gefressenwerden – eben nicht menschlich und nicht christlich ist, „liebe Deinen Mitmenschen wie Dich selbst!“ heißt es in der Bibel, und sich auch nach den (leider erst nur theoretisch) weltweit geltenden Menschenrechten verbietet, was Du sicher befürwortest.

Ganz herzlich
Friedhelm