Es geht mir um die sprachliche Abgrenzung Flüchtling, Flüchtende, Fliehender, Geflohener und das „fliehen“.
Durch den Artikel über die sog. Fluchtrouten http://www.abendblatt.de/politik/article207148191/Gefaehrliche-Umwege.html bin ich auf ein sprachliches Problem gestoßen.
In dem Artikel heißt es z.B. „Die Geflohenen wollen weiter - über den Balkan“,„die Fliehenden werden…neue Wege suchen“, „Nur wenige flohen über Rumänien …“,"…aus der Türkei fliehen sie über Georgien und Russland zur finnischen Grenze.
Wie lange „flieht“ man eigentlich? Für mein Verständnis flieht man aus einem festumrissenden Problemort, z.B. Gefängnis, Kriegsschauplatz, Ort einer Gewaltherrschaft, etc.
Wenn man da" raus" ist, ist die Flucht doch aber vorbei. Man ist fortan ein „Geflohener“. Der Geflohene kann doch begrifflich nicht mehr weiter „fliehen“, wenn er weiter bis nach Helsinki will .Richtiger wäre doch wohl „reisen“,„wandern bzw. fahren,fliegen“ oder „hin bewegen“ etc.
Wie seht Ihr das?
Gruß
rakete
Für mich flieht ein Flüchtling solange bis er da ankommt wo er bleiben und legal ein neues Zuhause gründen darf.
O.K… Mal angenommen, er kommt aus Syrien und dürfte in der Türkei bleiben und legal ein neues Zuhause gründen. Tatsächlich will er jedoch nach Finnland und bewegt sich dorthin. Dann ist er ein Geflohener, der nach Helsinki reist, oder?
Es wird kompliziert, wenn man den Wunsch des Flüchtling als Flucht-Route impliziert. Andernfalls, ja.
Das würde doch aber die Dramatik nehmen und nicht genug an unsere Gefühle appelieren. „Ahmed will weiter nach Helsinki reisen“, klingt doch nach „och, hier gefällt es mir nicht, ich will nach Helsinki.“ Ahmed ist bis Helsinki „auf der Flucht“ klingt doch viel besser. Auch wenn sie auf dem Weg von (Land aus dem sie fliehen) nach Helsinki schon zig Länder passiert haben in denen sie vor dem vor dem sie ursprünglich geflohen sind sicher wären.
Siehe die „Flüchlinge in Idomeni“ die dort „im Dreck ausharren“. Die sind da weil sie nicht in GR bleiben wollen, weil sie sich dort nicht registrieren lassen wollen, weil sie weiter (vermutlich mehrheitlich nach Deutschland) wollen. Es gäbe nur wenige km weiter eine Unterkunft die nicht täglich unter Wasser steht. Aber wir bekommen zu 95% zu sehen wie Reporter in Gummistiefelen durchs Zeltlager stapfen und mit bedröppelter Miene kleine weinende Kulleraugen zeigen. Das erzeugt Quote! So wie „Die Auswanderer“ ja auch keiner gucken würde wenn Familie Müller nach Spanien auswandern will, und vorher fleissig Spanisch lernt, sich mit den Gesetzen dort vertraut macht und dann ales gut läuft. Da gucken wir doch lieber dabei zu wie Familie Müller auf dem Finanzamt in Palma schockiert feststellt dass es die Formulare gar nicht auf deutsch gibt!
So doof sind die Medien ja auch nicht.
Servus,
meine Oma kam 1945 nach Österreich und sah sich zeit ihres Lebens als Flüchtling.
Lg,
Penegrin
Gute Frage! Wie es scheint hat die deutsche Sprache so ihre Tücken, bzw. kann man mit der Sprache „an sich“, doch nicht das ausdrücken was man eigentlich meint. Klar, jeder weiss was gemeint ist, doch diese Frage hat ihre Existenzberechtigung. Ich vermute mal das liegt daran, das der Mensch nicht ausschliesslich nur mit der Sprache kommuniziert. Bspw.: Wenn in einer Gruppe einer sagt: „… es ist schon 20 Uhr …“ dann will er selten nur die Zeit ausdrücken, er meinte vielleicht eher: „… meine Güte, kommt seht zu, es ist viel zu spät, wir hätten längst weg sein müssen …“ Es könnte vielleicht daran liegen, das wir eine Art „Gewissen im sozialen Umgang miteinander“ haben. Vielleicht ist das der Grund der unkorrekten Aussprache.
Gilt nicht für Flüchtlinge außerhalb der Defintion gem. GFK:
Der Flüchtling behält diesen Begriff als ein ihn ausweisendes Etikett. Aus dieser Etikettierung heraus leitet sich sein Recht auf ein Asylbegehren ab. Ebenso seine Straffreiheit wg. seines illegalen Aufenthalts. solange er umgehend bei staatlichen Stellen um Asyl nachsucht.
Natürlich ist die Person i.d.R. kein Flüchtender mehr, nachdem er den Staat verlassen hat aus dem er floh. Eine Ausnahme wäre ein Iraker, der vor Verfolgung durch Gruppe X nach SYR flieht und dort wegen Gruppe X oder Y weiterfliehen muß.
Das Wort „Flüchtling“ ist so umfassend, dass man eine Begrenzung nicht ziehen kann. Auch der Anerkannte gem, GFK bleibt rechtl. ein Flüchtling, zumal eben die GFK ihn definiert und Rechte über die Anerkennung hinaus zubilligt. Genausogut könnte man ihn auch als Schutzgefundenen bezeichnen.
Das Dublin3-Abkommen billigt dem GFK-Flüchtling zurecht nicht zu, dass er von Dublin3-Staat A nach B im Sinne der GFK „flüchtet“. Staat B kann sich aber bereiterklären, den GFK-Flüchtling von Staat A zu übernehmen.
D lässt übrigens keine GFK-Flüchtlinge mehr durch die österreichisch-deutsche Grenze passieren, die nach DK oder S weiterreisen wollen.
Gruß
vdmaster
„Gefangen im Schlamm von Idomeni“ titelte SPON erst gestern.
Vor zwei oder drei Tagen haben ich bei NTV einen „Gefangenen“ gesehen. Dieser sagte auf den Hinweis hin, dass die griech. Polizei das Lager evtl. räumen würde, sinngemäß er werde alle (Polizisten) töten, wenn sie ihn auch nur nach seinem Namen fragen. Ähhh, ja der Stress, das Wetter und die Enge und so … da ist man schon „etwas“ reizbar und verärgert.
Gestern in den Nachrichten wurde einer auf der Straße interviewt, der gerade von dem 15km entfernten Lager kommt und sich auf dem Weg nach Indomeni befand, weil in dem Lager ja gar nichts passieren würde. Btw: Wetterfeste Zelte, trockene Böden, Nahrung, Strom, Wasser, Duschen, Toiletten gibt es in diesem Lager.
Das derzeit beliebteste Motiv. Neben den zelebrierten „Merkel/Gemany-Rufen“. Gerne zum Abschluß ein Kameraschwenk auf eine Zeltaufschrift „HELP US“.
vdmaster
Meine Oma kam aus Ostpreussen mit Aufbruch, als russ. Panzer unmittelbar vor Osterschau standen und Tieffliegern, die den Treck zerfetzten (leider kein Scherz). Sie sah sich aber eher als Vertriebene. Der Flüchtlingsstatus endet für mein Dafürhalten dann, wenn der „Fluchtdruck“ wegfällt.
Beweis: Bei uns endet die Sprachregelung „Flüchtling“ spätestens, wenn der Flüchtling gezwungenermaßen als abgelehnter Asylbewerber g zurückkehrt oder sogar freiwillig zurückkehren will, weil er kein Haus bekommen hat oder das Essen nicht schmeckt. Der „Flüchtling“ mutiert dann sprachlich zum „Rückkehrer“.
Wenn nicht von jeher die „Flucht“ wesentlich als Flucht nach, also über ihren Zielort, verstanden werden würde, dann würden wir nicht von der „Flucht nach Ägypten“ (Josefs buchstäbliches Traum-Land) sprechen, sondern von der „Flucht aus Bethlehem mit anschließender Weiterreise nach Ägypten“.
Gruß
F.
Mag sein. Aber das ist dann aus meiner Sicht dann eher ein „Wirtschaftsflüchtling“, wenn zwischendurch der Fluchtdruck weggefallen sein sollte…
http://www.duden.de/rechtschreibung/Wirtschaftsfluechtling
Josef und Maria wirst du nicht als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen wollen …
Es geht doch schlicht darum, wenns dir denn tatsächlich um Sprachliches gehen sollte, dass der Begriff der Flucht noch nie einfach nur bedeutet hat, aus der unmittelbaren brenzligen Situation herauszukommen, sondern immer schon auch eine Zielkomponente hat.
Kein geeigneter Indikator, aber dennoch: der Begriff „Flucht nach“ hat mehr google-Treffer als die Begriffe „Flucht von“ und „Flucht aus“.
Gruß
F.
Nein, natürlich nicht. Aber da lag die sachlage anders:
"Nachdem die Weisen aus dem Morgenland abgereist waren, erschien Josef ein Engel im Traum. Dieser befahl ihm, mit Maria und Jesus nach Ägypten zu fliehen, da Herodes das Kind töten wolle. "
Nach dem Befehl des Engels war also nach Ägypten zu fliehen. Das ist ein klarer Unterschied. Aber lassen wir hier bitte die Theologie raus.
Gruß
rakete
Kein Mensch hat hier irgendwas Theologisches geschrieben.
Die „Flucht nach Ägypten“ ist in unseren Breiten eben das bekannteste Beispiel eines Sprechens von einer „Flucht nach …“ statt einer „Flucht von/aus …“.
Die „Flucht nach Amerika“ der Juden vor dem NS wäre übrigens auch ein passendes Beispiel.
Da wird wahrscheinlich auch kein halbwegs normaler Mensch sagen, bis Amsterdam, Marseille oder sonstwohin sind sie geflohen und danach „gereist“.
Gruß
F.
Hallo,
leider ganz großer Quark. Irgendwann kommt doch immer einer mit der Bibel unterm Arm, um Vergleiche zu ziehen. Ein durchsichtiges Manöver um „christl. Nächstenliebe (Verpflichtung)“ anzuregen? Btw: Schon irritierend, wenn das in Talkshows von Personen gemacht wird, die sonst so rein gar nichts mit dem Christentum zu tun haben wollen .
Flucht aus dem Gefängnis, Flucht aus Kriegsgefangenschaft, Flucht vor einer Bedrohung. Dein „jeher … wesentlich“ lässt sich nicht halten und findet auch keinerlei Niederschlag im Völkerrecht. In einer Erzählung hört die Story nur meist nicht auf, sondern bedarf eines Endes mit der Angabe des letzten Ortes. Und diese geht ja später weiter, weil Josef zurückkehrt nachdem Herodes ins Gras gebissen hat.
Zudem gibt es nur eine Bibelstelle. Bei Matthäus bekommt Josef explizit den Auftrag in Richtung Ägypten zu entfleuchen. Also aus dem gesamten Herrschaftsgebiet des „Kindermörders“ Herodes heraus. Wäre ja auch zu blöd gewesen, wenn der ihn doch noch gekriegt hätte. Und da damals auf dem Sinai nicht unbedingt der Bär steppte, war es auch logisch sich in Richtung reiches Ägypten aufzumachen. Die in der Gegend tätige EU hieß nur anders und das Zentrum war nicht Brüssel.
Erzzähltechnisch mussten die Consiglieri ihre Puzzlearbeit mit Verschnitt ja auch so hindrechseln, dass man neben der Verbindung zu David (Geburt) gleich noch den hübschen Bogen zu Moses unterbringen konnte. So wie im Mittelalter auch jeder Hinz und Kunz vom besonders hohen und blauen Blute versuchte, seine Legitimation auf eine bestimmte Sorte Purpur hinzubiegen. Und wenn es nur ein Tröpfchen war.
Gruß
vdmaster
„Flucht vor“ hat ca. die 6fache Trefferzahl als „Flucht nach“. Aber Du hast sehr richtig erkannt, dass das ziemlich egal ist.
Dann könnten wir jetzt noch die sprachlichen Feinheiten diskutieren, ob die Engel auf der Nadelspitze alle sitzen, stehen oder so eine pyramidenartige Cheerleaderfigur proben. Nur, damit Ägypten nicht vergessen wird.
Gruß
vdmaster
So ein Blödsinn.
Anders als du habe ich keinerlei theologischen Bezug hergestellt.
Die „Flucht nach Ägypten“ ist sicherlich in unseren Breiten das wichtigste sprachliche Beispiel des Topos „Flucht nach …“.
Oder willst du das bestreiten?
Wenn der User R. schon angeblich eine Sprach-Diskussion führen will, dann muss er sie auch führen.
Vermutlich gings aber sowieso nicht um Sprache, sondern um den ewig gleichen Quark hier seit Beginn der ‚Flüchtlingskrise‘.
Gruß
F.
Das ist richtig. Allerdings ist die Formulierung „Flucht vor“ die weitaus gängigere Formulierung.
Ist nun mal das beherrschende Thema im Großraum Deutschland/Österreich. Da können in D derzeit thematisch nur noch die Wahlen mithalten, die ihrerseits von der Flüchtlingsthematik massiv mitbestimmt werden.
Wenn schon tagein wie tagaus die Labertaschen in den Nachrichten erzählen, dass „Europa“ kurz vor dem Exitus steht bzw. schon verwest und Indomeni zur Katastrophe gepuscht wird, dann wundert mich die Resonanz keinesfalls.
Gruß
vdmaster
Ich habe auch lediglich behauptet, dass „von jeher die ‚Flucht‘ wesentlich als Flucht nach, also über ihren Zielort, verstanden“ worden ist.
Das ist ja wohl durchaus eine korrekte Entgegnung auf des UPs Bemerkung: „Für mein Verständnis flieht man aus einem festumrissenden Problemort“.
Da fehlt nämlich schlichtweg etwas Wesentliches in seinem Verständnis.
Hier im www ist diese Resonanz eher gering.
Außer einem kleinen, sehr lautstarken Grüppchen wird das Thema von den meisten anderen Usern mittlerweile ziemlich gemieden.
Anders gesagt, diese „Labertaschen“, die du da oben anführst, sind es nicht, die das Thema hier so breittreten.
Gruß
F.