Hallo,
Nach außen hin mag die Situation ja sogar identisch sein
(verheirateter Partner), aber inhaltlich? Es gibt
außereheliche Verhältnisse, die Ehen zerstören, und
außereheliche Verhältnisse, die Ehen stabilsieren (nur
Überschauen wir die Konsequenz unseres Verhaltens nunmal
leider nicht restlos in dem Moment, wo eine Entscheidung von
uns gefordert wird) .
hier forderst du gerade die Genauigkeit, die du eigentlich nicht willst. Wir brauchen den Vergleichmaßstab ja nicht, um ABSOLUTE Gleichheit zu haben.
Was kennzeichnet für dich im Kant’schen
Sinne nun eine ähnliche, oder gar „dieselbe“ Situation?.
Der konkrete Vergleich ist (auch nach Kant) wieder eine Sache der Urteilskraft, formal kann man nur sagen, dass die bedeutsamen Elemente einer Situation die gleichen sein müssen. Es ist also (in diesem Kontext) nicht sinnvoll, die „Verhältnisse, die eine Ehe zerstören“ mit den „Verhältnissen, die Ehen stabilisieren“ zu vergleichen, denn das einzige, was sie ähnlich sein lässt, ist, dass es „Verhältnisse“ sind. Vielmehr ist zu fragen - und das ist jetzt durchaus formal und nicht inhaltlich - ob wir „Verhältnisse, die Ehen zerstören“ tolerieren, ABGESEHEN von den übrigen Umständen. In diesem Kontext ist also die Frage der möglichen Zerstörung das entscheidende Moment.
Sonst könnte ich ja einfach sagen, heute entscheide ich mich so,
und wenn ich mich später in einer ähnlichen Situation befinde,
entscheide ich entgegengesetzt.
Und was spräche dagegen? Sowohl ich, also auch die Umstände
können sich doch von heute auf morgen extrem verändern, auch
wenn die konkrete Situation durchaus vergleichbar ist.
Es gibt situationsbestimmende und situationsmarginale Eigenschaften. Sollten im Falle des späteren Andershandelns die situationsbestimmenden Eigenschaften der Situation dieselben sein (oder hinreichend ähnlich, was wieder die Urteilskraft zu bestimmen hätte), dann müsste man sich zum späteren Zeitpunkt vorwerfen, zum früheren Zeitpunkt die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Das ist verzeihlich, aber trotzdem nicht angenehm. Man kann natürlich der Adenauerschen Doktrin folgend sagen, dass das eigene Geschwätz von gestern mich nichts mehr angeht (was auch Herr A. natürlich nicht ganz so streng, sondern eher witzig gemeint hat), aber dann gibt es gar keinen Maßstab des Handelns. Das ist vertretbar, aber unbefriedigend.
Klartext: Entweder ich gehe das Verhältnis ein oder ich gehe
es nicht ein, entweder man darf Tiere essen oder man darf es
nicht - da gibt es keine Halbheiten.
Das ist meiner Meinung nach an der Realität vorbei. Viele
Menschen essen z.B. weniger Fleisch als früher oder nur
Bio-Fleisch oder was auch immer. …
Du argumentierst auf der Ebene dessen, was ist , was geschieht, die Kantische Ethik und die philosophische Ethik allgemein zielt aber auch das, was sein soll. Beides darf man nicht verwechseln.
Und der Grund dafür ist genau der, den Kant liefert: Ich muss mich
mit Gründen so verhalten, dass ich mich dieser Gründe später nicht
schämen muss oder mich ihrer entledigt sehe.
Auch das finde ich völlig realitätsfremd. … Für diese
Veränderung genügt manchmal schon ein bisschen mehr an
Informationen, was die Konsequenz einer bestimmten
Handlungsweise angeht.
Das ist richtig, trifft aber Kant nicht. Denn Kants Ansicht nach geht es nicht darum, sich richtig zu verhalten, sondern darum, die richtige ABSICHT zu haben. Wer also nach Kant falsch handelt, aber in guter Absicht, handelt trotzdem moralisch. Nur muss sich eben diese Absicht nach dem Kategorischen Imperativ richten und allgemeingültig gedacht sein. Das ist z. B. beim Nationalsozialismus nicht der Fall, weil er interessebezogen, also perspektivisch denkt. Und genau diese Interessebezogenheit diskreditiert auch den Marxismus und das Denken Nietzsches. Denn deren Aussagen, dass Philosophie perspektivisch ist und auch sein muss, verwechselt genauso wie du oben die Ebenen von Sein und Sollen.
aber Mitleid ist im Grunde genommen auch ein bloß formales Prinzip,
denn es sagt uns auch nicht konkret, wie wir mit Naziverbrechern
konkret umgehen sollen.
Warum nicht? Auch Naziverbrecher kann man mit Mitgefühl
(dieser Begriff ist mir lieber als „Mitleid“) behandeln und
dennoch seine Taten ablehnen.
Natürlich kann man Mitgefühl haben, aber das schreibt - wie Kant auch - immer noch keine konkreten Handlungen vor. Beim Buddhismus akzeptierst du das, bei Kant gilt es dir als Manko. Möchtest du das Vermeiden von Handeln, also das Nichthandeln als Handeln auffassen? Aus kantischer Sicht wäre das nicht zulässig, weil Handeln sich von Nichthandeln durch die absichtlich erreichte Veränderung unterscheidet.
Wer sagt denn, dass man „konkrete Anweisungen“ braucht? …
Das sagst du selbst, indem du die fehlenden „konkreten Anweisungen“ bei Kant als mangelnde Praxisbezogenheit geißelst. Ich stimme deinen Ausführen zum Mitfühlen durchaus zu und auch deine Personenbeispiele sind richtig. Aber du misst mit zweierlei Maß.
In dem Moment, wo dieses „Sittengesetz“ jedoch ein
persönliches ist, weil die Gesellschaft kein allgemein
gültiges Sittengesetzt vorgibt, und jeder im Grund in dem
Punkt machen kann was er will, hast du genau die „Anarchie“,
der du Kant entgegensetzen wolltest.
Das ist ein Missverständnis. Es geht Kant weder um ein persönliches, noch um ein gesellschaftliches Sittengesetz. Kant arbeitet das allen, den persönlichen wie den gesellschaftlichen Sittengesetzen zugrundeliegende Sittengesetz heraus, nicht das, das allen zugrunde liegt, sondern das, was allen zugrunde liegen SOLLTE. Und dieses besteht eben darin, dass man bestrebt ist, seinem eigenen Streben Allgemeingültigkeit zu verleihen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die übrigen Formulierungen des Kat. Imp. (es sind insgesamt vier bzw. fünf) bei Kant gehen eine Ebene tiefer und wenden das auf verschiedene Aspekte an. Erst auf der nächstunteren Ebene folgt dann die Anwendung auf die konkrete Erlebnissituation.
Gruß
Bona