Tach
So sehr ich Dir in den meisten Deiner Punkte auch zustimmen
muss: Dieses „Abwatschen“ findet schon seit sehr langer Zeit
statt, nur eben auf deutsche Weise: man bleibt mit dem A… zu
Hause, anstatt wählen zu gehen. Was die vier
„Volks“*lol*parteien herzlich wenig juckt, es sei denn, es
bleiben mal punktuell besonders viele Wähler des jeweiligen
Glückskeksbeschriftungsvereins weg.
Das ist aber der Effekt, der zustande kommt; indem sehr viele nicht mehr zu den Urnen gehen bleiben auch die „Mehrheitsbeschaffer“ weg und die Großen büßen gegenüber den eher kleinen Ransgruppen- pder Protestparteien ein… nicht so dass die kleinen plötzlich groß und die Großen klein sind, aber doch so dass keine stabilen Mehrheiten mehr zustande kommen. Das erzwang im Bund die große Koalition und in Hessen dass weder die CDU noch die SPD ein regierungsfähiges Bündnis mit den althergebrachten, naheliegenden Koalitionspartnern FDP bzw. Grüne zuwege brachten. In Hamburg hat man nochmal gerade so die Kurve gekriegt indem die CDU mit den Grünen koaliert… in Bayern ist die absolute Mehrheit der CSU dahin, was dort eher lokale Gründe hatte, im Ergebnis aber auch dazu führt dass Koalitionen gebildet werden müssen und die Karten neu gemischt werden, also auch hier ist es nicht mehr so einfach wie es mal war.
Und wenn der Deutsche - in Masse - protestwählt, dann tut er
das mit Vorliebe da, wo es vor bald 80 Jahren schon einmal so
prachtvoll funktionierte. Das wiederum muss ich nicht haben
Glaube ich eher nicht, die Linken haben ziemlichen Aufwind, von rechts kommt eher wenig, und wenn dann eher hochnotpeinliche Blamagen. Da sehe ich eher kein Potential auf bundespolitischer Ebene.
Es stimmt zwar dass sich in der Linken auch noch SED-Köppe oder Kommunisten tummeln, aber die Partei besteht, vor allem im Westen, sehr stark aus WASG-Mitgliedern. Die WASG (Wahlalternative soziale Gerechtigkeit) war ein Zusammenschluß abtrünniger SPD-Mitglieder, die Schröders Agenda-Politik nicht mehr mittragen wollten und sich deswegen zu einem eigenen Bündnis zusammengeschlossen haben.
Diese sind dann mit der PDS fusioniert und so entstand „Die Linke“. Insofern sind in dieser Partei nicht nur umbenannte SEDler unterwegs, sondern da hat sich inzwischen auch ein Teil westdeutscher Ex-SPD herein gemischt. Auch Lafontaine selber hat ja diesen Weg genommen.
Natürlich kann man nicht bestreiten dass „Die Linke“ am Ende die Nachfolgerin der „Stasi-SED“ ist, aber man kann die nicht einfach in einen Topf mit den Rechten werfen und sagen „ist dasselbe“. Es ist schon deswegen nicht dasselbe weil sich die Rechten bisher in allen Landesparlamenten, in die sie gewählt wurden, bis auf die Knochen blamiert haben. Die Linken machen, vor allem im Osten, durchaus Politik „für’s Volk“. Dass sie z. B. in Berlin nur mit Wasser kochen und keineswegs so toll sind, wie sie ansonsten tönen, stimmt natürlich genauso.
Allerdings: die Linken sitzen im Bundestag und zunehmend in Landesparlamenten. Wenn der Protestwähler die Biertrinkerpartei wählt, braucht er gleich gar nicht wählen gehen, das hat das gleiche Protestpotential. Wenn er aber die Linken wählt weiß er, dass die womöglich ins Parlament einziehen - und das tut den etablierten Parteien dann wirklich weh.
Insofern ist es nicht dasselbe ob man Spaßparteien, NPD oder die Linken wählt… Was aber stimmt, da gebe ich dir Recht: viele Enttäuschte gehen gar nicht mehr zur Wahl.
Ein weiterer Punkt ist dass die Rechten es hierzulande (mal abgesehen von Landstrichen in Sachsen etc.) allgemein schwer haben weil alles, was nur im Entferntesten Bezug auf Tugenden der Nazis nimmt, ein rotes Tuch ist.
Und wie ich ja schon schrieb, die Mauer ist seit 19 Jahren offen, die DDR ist also schon ziemlich lange Geschichte. Auch das lässt mich fragen wieso den anderen Parteien nichts anderes einfällt um die Linken zu bekämpfen, also permanent unsachlich auf Ereignissen herum zu reiten, die im Jahr der nächsten Bundestagswahl 20 Jahre Vergangenheit sind. Das wird so nicht funktionieren.
Solange man den Bürgern keine Antworten auf die großen Zukunftsfragen gibt, also wie entwickelt sich diese Gesellschaft weiter, was wird aus der SOZIALEN Marktwirtschaft, wohin steuert der Kapitalismus, wie schaffen wir es Kindern und Jugendlichen eine gute Ausbildung und Perspektiven zu verschaffen, wovon leben die Menschen im Alter und wie wird es mit der Rente, solange all diese großen Themen nicht angeschnitten werden und klein-klein aufeinander herumgehackt wird, solange wird es weiter abwärts gehen mit der Stimmung.
Hier im Forum gab es zur Verhinderung bestimmter
Wahlergebnisse schon diverse abstruse Vorschläge, von denen
ich nur zwei nenne:
nach Steueraufkommen, also
Dreiklassenwahlrecht;
Wahlverbot in Bundesländern, in denen die damalsnoche PDS
stärkste Fraktion
wird.
Bezeichnenderweise kamen beide
Vorschläge aus der Juppiheidi-Ecke. Lass so etwas Ähnliches
mal einen Normalbürger, oder meinetwegen einen bekennenden
Linken, vorschlagen - dem würde die Verfasssung um die Ohren
gehauen, bis er rosa Elefanten sieht. Unsere Kapitalisten aber
… die dürfen das. Deswegen wird auch, wenn sich der Staub zu
legen beginnt, der Herr Wasserwelle mit seinen Trabanten
wieder hinstellen und nach mehr Markt blöken. Aber erst, wenn
die Subventionen schön verteilt, versteckt, versoffen, verhurt
und verbestochen sind, gelle?
Ja, aber es geht nicht immer weiter. Das funktioniert alles solange der Grundrahmen stimmt und die große Masse zufrieden und satt ist, sich halbwegs sicher fühlt was die Zukunft angeht, das schöne deutsche Auto vor dem Reihenhaus parkt und man sich den Urlaub auf Malle oder weiter entfernt leisten kann.
Inzwischen kommen aber auch der „Mittelschicht“ die Einschläge näher. Den maximal 5 Jahre alten VW kann man sich nicht mehr leisten, der Traum vom Haus wird für viele unrealistischer, in den Firmen steht man neben Leiharbeitern, durch die man sich im Gehaltsniveau und generell den Arbeitsplatz bedroht sieht, auf die staatliche Rente kann keiner mehr setzen und die privaten Anlagen geraten in den Strudel der Finanzkrise. Der Durchmarsch aus der Mitte ins Prekariat geht inzwischen sehr schnell wenn man seinen Job verliert…
Da verändert sich etwas, ich glaube nicht dass es so simpel ist wie in früheren Jahren, wo das Grundgerüst im Grunde immer fest stand und der Eindruck einer allgemeinen Talfahrt im Gegensatz zu heute einfach gar nicht existent war.
Gruß,
MecFleih