Kapitalismus pro und contra
Hi Voltaire.
Ich schrieb verwegen: Die Situation der Arbeiter hat sich grundlegend gebessert. Es hat im Gegensatz zur Marxâschen Prognose keine Verelendung stattgefunden.
Ich glaube immer noch, dass das stimmt.
NatĂŒrlich stimmt das, die Frage ist nur, warum. Vor ĂŒber 120 Jahren stand Bismarck unter groĂem innenpolitischen Druck, denn die sozialistischen Parteien fanden immer mehr AnhĂ€nger. Um die Gefahr von Unruhen zu mildern, Ă€nderte und erweiterte er die Gesetzgebung und fĂŒhrte die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung ein. Hinzu kamen das Sozialistengesetz (âGesetz gegen die gemeingefĂ€hrlichen Bestrebungen der Sozialdemokratieâ), das einem Parteienverbot gleichkam.
Damit war Deutschland ein Vorreiter in Sachen Sozialstaat geworden. Das allerdings nicht aus altruistischen Motiven, sondern aus rein taktischem KalkĂŒl seitens des Staates, der, wie Marx klarmacht, nur der Kumpan des Kapitals ist statt eine neutrale Instanz, die zwischen ökonomischem und gesellschaftlichem System vermittelt. Daran hat sich bis heute prinzipiell nichts geĂ€ndert.
Es ist auĂerdem ein grundsĂ€tzlicher Vorteil des Kapitalismusses, die Grundversorgung besser abzudeckenâŠ
Nur am Rande: man schreibt generell âdes Kapitalismusâ, ohne AnhĂ€ngsel.
ich wollte damit darauf hinweisen, dass man bei der Zumessung âbestes Wirtschaftssystem aller Zeitenâ auch die Vorteile des Kapitalismusses in die Waagschale werfen muss.
NatĂŒrlich hat der Kapitalismus (in seiner sozial gebremsten Form) QualitĂ€ten, die kein anderes ökonomisches System hat. Die sehe ich aber nicht in jenen sozialen ZugestĂ€ndnissen (denn die sind nur âimportierteâ Ideen), sondern im kreativen Potential, das er entfalten kann. Dass es keine ernsthafte Alternative zum sozial gemilderten Kapitalismus gibt, ist fĂŒr mich Fakt.
Nur bleibt es eine vermutlich ewige Herausforderung, die Balance zwischen beiden Komponenten (der egozentrisch-kapitalistischen und der altruistisch-sozialen) herzustellen. Die Globalisierung vor allem ist es, die das vorlÀufig unmöglich macht (aufgrund des LohnkostengefÀlles zwischen den Nationen bzw. Kontinenten). Politik wird solange erpressbar bleiben, wie die Wirtschaft mit Verlagerung in Niedriglohnzonen drohen kann.
also eine gebremste Variante des puren Kapitalismus, welcher fĂŒr sich genommen ein Raubtier ist.
Ein unersÀttliches zudem. Aber: Besteht nicht alle 4 Jahre die reale Chance, dieses Raubtier erneut an die Kette zu legen?
Chance ja, real wenigerâŠ
Weil wir die HÀnde in den Schoà legen oder dieselben klagend gen Himmel strecken ⊠existiert dieses System, so wie es jetzt ist. Es ist ein Spiegelbild der Volksmeinung.
Ich weiĂ nicht, ob man das so sagen kann. Es gibt nicht âdieâ Volksmeinung. Und schlecht geht es auch nur einer Minderheit, vor allem im Hartz-4-Bereich (ein systemstĂŒtzendes Gangstergesetz, geschaffen von einem Gangster). Solange die meisten sich noch Sorgen darĂŒber machen, ob sie den Urlaub in Ăsterreich o d e r auf Mallorca verbringen, sind soziale Unruhen nicht zu befĂŒrchten.
Beunruhigend ist vor allem die psychologische Situation: dass die Bonzen nur den Profit im Hirn haben, springt so ins Auge, dass es schon gespenstisch ist. Die Profitgeier tragen gar keine Maske mehr. Und Frau Merkel ist ihr artiger Papagei. Woran erkennt man, dass sie lĂŒgt? Wenn sie den Mund aufmachtâŠ
Dem reinen Kapitalismus (und Kapitalisten) ist das Wohlergehen der Arbeiterschaft doch so schnurz wie dass in Neu Delhi ein Fahrrad umfÀllt.
Genauso schnurz wie dir und mir, wage ich mal zu sagen.
Ich nehme an, du meinst jetzt das Fahrrad.
Aber bevor wir die âGroĂverdienerâ (zu denen ich nicht die Kaste der Politiker zĂ€hle) in Grund und Boden verdammen: In der Sekunde, in der wir beim Angebot im Discounter rein nach dem Preis gehen und uns einen feuchten Dreck um Herkunft und EntstehungsabhĂ€ngigkeiten der angebotenen Ware scheren, zementieren wir Verfahrenswege und können die GroĂverdiener nicht wirklich glaubwĂŒrdig kritisieren.
Viele denken durchaus daran, aber wer nur nach diesen Kriterien wertet und einkauft, muss es sich auch leisten können. Das ist ein Dilemma, das nicht immer sauber lösbar ist.
Wir machen dann im kleinen Stil nichts anderes als die Herren Ackermann & Co im groĂen Stil.
Das âwirâ ist mir hier zu rhetorisch. Im Prinzip stimme ich dir aber zu. Was aber nichts am Fakt Ă€ndert, dass kritisches Denken wach bleiben sollte. Wie sagten die französischen Strukturalisten so schön: âL`auteur nÂŽexiste pasâ .
Was zÀhlt, ist der G e d a n k e, der im Umlauf bleibt und andere Gedanken und daraus folgende Handlungen (z.B. Kreuzchen auf dem Wahlzettel) inspiriert. Ob der Urheber authentisch dahinter steht, ist sekundÀr und nicht ein wirkliches Argument.
GruĂ Horst