Hallo Christian!
… in den letzten 20 Jahren hat sich … in Sachen Technik und Materialien einiges getan.
Ja. Waren früher Fahrräder einfach nur Drahtesel, an denen es über Jahrzehnte kaum nennenswerte Weiterentwicklungen gab, gedacht für Schulkinder, einkaufende Hausfrauen und Leute, die sich kein Auto leisten können, hat sich diese Situation gründlich geändert. So fuhr es sich früher mit per Seitendynamo angetriebener Funzel, mit der man kaum etwas sah, ziemlich mühsam. Bei Nässe, spätestens bei Schnee, versagte der Dynamo und man stand im Dunkeln. Ach ja stehen – Fahrrad und Reifenpanne gehörten untrennbar zusammen.
Der alte technische Stand ist im unteren Preissegment bis heute handelsüblich. Das liegt daran, dass weitgehend pannensichere Reifen und eine Lichtanlage, die den Namen verdient, weil sie die Straße richtig ausleuchtet und sich das Fahrrad trotzdem leichtgängig fahren lässt, so viel wie ein komplettes Fahrrad vom Discounter kosten. Welches Fahrrad auch immer du kaufst, auf weitgehend pannensichere Reifen, z. B. Marathon Plus von Schwalbe, Nabendynamo und LED-Scheinwerfer (nicht Halogen), z. B. Fabrikat Busch & Müller, solltest du nicht verzichten.
Schaltung: Hier sind die Aspekte Gewöhnung, Region und Wartungsintensität zu berücksichtigen. Bis du an eine Nabenschaltung mit Rücktrittbremse gewöhnt, kannst nur du selbst beurteilen, ob du dich umgewöhnen willst/kannst. Nabenschaltungen sind wartungsarm, nehmen längere Vernachlässigung kaum übel und bieten die Möglichkeit eines buchstäblich umfassenden Kettenschutzes. Allerdings liegt der Wirkungsgrad einer Nabenschaltung um einige Prozent unter dem einer Kettenschaltung, was bei längeren Touren durchaus spürbar sein kann. Außerdem ist die Rücktrittbremse als Baueinheit mit einer Nabenschaltung ungeeignet für hohes Fahrergewicht und lange Gefällestrecken. Dabei wird die Bremse nämlich zu heiß, was bis zur Zerstörung von Schaltung und Bremse gehen kann. Wer vorzugsweise in flachen oder hügeligen Regionen unterwegs ist und keine Rennen fahren will, kommt mit dem Schaltumfang von etwa 300% einer 7-Gang-Nabenschaltung bestens aus. Die über 500% Schaltumfang einer Kettenschaltung oder Rohloff-Nabe werden von Otto-Normalfahrer kaum jemals genutzt.
Eine Sonderstellung unter den Nabenschaltungen nimmt die 14-Gang-Schaltung von Rohloff ein Eine Rücktrittbremse ist nicht integriert. Die Schaltung schafft den Wirkungsgrad einer guten Kettenschaltung, ist aber richtig teuer. Die Rohloff-Schaltung braucht regelmäßige Wartung mit Ölwechsel. Wer sich solche Schaltung zulegt, hat entweder einen Zweiradmechaniker zur Hand, der mit diesen Schaltungen vertraut ist oder sollte sich selbst schlau machen. Dafür und für viele andere technische Fragen rund um‘s Fahrrad ist das Buch „Fachkunde Fahrradtechnik“, ISBN 3808522917 Buch anschauen eine Empfehlung wert.
Bremsen: Die Zeiten, als ein Hartgummiklotz ziemlich wirkungslos von oben auf den Reifen des Vorderrads drückte, sind zum Glück vorbei. An dem, was sich danach Felgenbremse nannte, stimmte nur der Teil Felge. Von Bremse konnte ähnlich wie bei Autos der damaligen Zeit nicht wirklich gesprochen werden. Heute gibt es für Fahrräder Bremsen vom Feinsten, die sich dosiert betätigen lassen, aber auch fest zupacken können. Mit Ausnahme der Rohloff-Nabenschaltung lassen sich übliche Nabenschaltungen mit Rücktrittbremse nicht mit einer Scheibenbremse kombinieren. Scheibenbremsen sind also den Kettenschaltungen (sowie der Rohloff-Nabe) vorbehalten und haben gegenüber Felgenbremsen den Vorzug, an den Felgen keinen Verschleiß zu bewirken. Bei hohem Gewicht – mit Fahrer + Fahrrad + Gepäck sind selbst in nicht adipösen Kreisen 120 kg schnell beisammen – sollte man die nicht ganz billigen hydraulischen Scheibenbremsen in Betracht ziehen. Aber auch gute Felgenbremsen sind keineswegs ein Notbehelf. Die hydraulischen Varianten (statt Seilzug) sind selbsttätig nachstellend und sehr fein dosierbar (Hersteller Magura).
Durchschnittlich wird ein Fahrrad in Deutschland etwa 200 km pro Jahr bewegt. Das bedeutet, die meisten Fahrräder landen nach guten Vorsätzen und einer Probetour unbenutzt in der Garage. Das wissen natürlich auch die Hersteller und richten sich in der Qualität von Standardware danach. Wer jährlich Tausende km fährt, wird erleben, dass billige Standardware nicht lange mitmacht. Ist die Felge eines billigen Laufrades verschlissen (aufgerieben von der Felgenbremse), kauft man eben ein neues Laufrad. Das ist billiger als der Kauf nur einer Felge und neues Einspeichen, nur um die alte, billige Nabe zu retten. Bei höherwertigen Komponenten sieht der Gedankengang anders aus und man möchte den Verschleiß auf die Bremse beschränken. Hoher Verschleiß tritt bei hoher Fahrleistung und/oder hohem Gewicht auf. In solchem Fall ist man mit einer Scheibenbremse gut bedient.
Federung: Ich würde kein Fahrrad mit gefedertem Rahmen kaufen, weil gefederte Rahmen (bruch-)anfällig und nicht so steif wie ungefederte Rahmen sind. Eine gefederte Gabel z. B. von Magura kann den Fahrkomfort verbessern. Bevor man aber eine billige Federgabel unbekannter Herkunft kauft, lässt man es lieber bleiben, weil eine Gabel ein hochbeanspruchtes Teil ist. Ähnliches gilt auch für eine gefederte Sattelstütze, die außerdem prinzipbedingt den Nachteil hat, dass der Abstand Sitzfläche-Tretlager nicht konstant ist. Wenn man auf irgendwas am ehesten komplett verzichten kann, sind es Federungen an Rahmen, Sattelstütze und Gabel (in dieser Reihenfolge).
Ob Stahl- oder Aluminiumrahmen ist für das Gewicht des gesamten Fahrrads mit allen Anbauteilen nicht entscheidend. Für ein Tourenrad erscheint mir wichtiger, dass der Hersteller des Rahmens eine ausreichend hohe zulässige Belastung angibt. Ohne diese Angabe muss man davon ausgehen, dass der Rahmen für nur 75 kg für Fahrer einschl. Gepäck ausgelegt ist, was i. d. R. viel zu dürftig ist. Fahrradrahmen werden bis zum einem zulässigen Gesamtgewicht von 140 kg angeboten. Aber das sind keine Rahmen von Fahrrädern aus dem Baumarkt!
Fahrräder werden oft mit einer Größenangabe des Rahmens in cm beschrieben, z. B. 58 cm. Gemeint ist der Abstand zwischen Tretlager und Oberkante des Rahmen-Sattelrohrs. Mit solcher Angabe ist ein Fahrrad mit seiner Rahmengeometrie nur unzureichend beschrieben, weil dabei weder Sitzposition (aufrecht, leicht oder stärker gebeugt) noch Lenkeigenschaften (Neigung des Steuersatzes, Gabel- und Lenker-Bauart) berücksichtigt sind. In der Praxis hilft deshalb nur Probefahren beim Fahrradhändler.
Wer mit dem Fahrrad über etwas längere Strecken unterwegs ist, braucht Wasser, Proviant und Regenkleidung. Ohne Gepäckträger und Gepäcktaschen kommt man kaum aus. Bei Gepäckträgern gibt es flätiges Zeug, das eher der Zierde denn der Belastung dient, aber für etwas mehr Geld gibt es stabile Konstruktionen. Das gilt auch für Gepäcktaschen. Fabrikneuen Müll aus China gibt es schon für 15 €. Bezahlt man den 3fachen Preis für ein holländisches Fabrikat (Name fällt mir gerade nicht ein und mein Fahrrad steht draußen im Stall), erkennt man den Qualitätsunterschied auf Anhieb.
Praktisch: Ein stabiler Zweibeinständer. Die standardmäßigen Seitenständer sind ungeeignet, ein Tourenrad mit Gepäck standsicher abzustellen. Dann kommt man schon mal in Versuchung, das Fahrrad in die elenden Speichenklemmer zu stellen, die vor jedem Laden stehen. Geht gar nicht.
Die letzten 20 Euro sollten für ein stabiles Schloss ausgegeben werden, lang genug, dass das Fahrrad samt Regenrinne des Hauses geklaut werden müsste, wo man es angekettet hat.
Preis: Für 800 bis 1.000 € bekommst du ein gutes Fahrrad. Viel billiger wird es wohl nicht. Natürlich kann man mit Rohloff-Schaltung und Rahmen mit handgemaltem Goldstreifen (gibt’s tatsächlich) sehr viel mehr ausgeben, aber ich melde leise Zweifel an, ob damit höherer Nutzen einher geht. Den erwähnten Effekt mit den guten Vorsätzen und der Garage wird man natürlich weit von sich weisen, aber vielleicht sollte man ihn doch im Hinterkopf behalten und für das erste Fahrrad nach langer Zeit nicht die supertolle, speziell zusammengestellte Maschine für 3.000 € kaufen. Erstmal Erfahrung sammeln und es bei dem o. g. Preisrahmen belassen. Soll das Fahrrad nämlich wirklich optimal an den Fahrer angepasst sein, geht es an leider kostspielige Feinheiten. So sind die üblichen Pedalarme immer 175 mm lang. Es gibt aber in 2,5 mm-Stufen alle möglichen Längen, die im Interesse optimaler Kraftübertragung je nach Körperbau des Fahrers zu bemessen sind.
Gruß
Wolfgang