Hallo HC,
> Oh, da haben wir wieder einmal eine kleine
> Definitionsdivergenz! Lt. Lexika ist Esoterik:
> „Nur Eingeweihten zugängliche Lehre, Geheimlehre.“
nein, das entspricht dem, was ich meinte, freilich nicht in dem Sinne, dass er die Lehre geheim halten würde, sondern in dem Sinne, dass er sie nur für die zugänglich hält, die ALLES von ihm gelesen haben. Das mag ein Irrtum sein, aber so habe ich deine Aufforderung verstanden, dass man Einzelnes nur aus dem Kontext reißen KANN.
> Wilbers Bücher aber stehen in jeder Buchhandlung und sind
> somit der allgemeinen Kritik ausgesetzt.
Da ich nicht alle lesen kann, sag mit mal, welches ich denn lesen soll, um einen möglichst schnellen Einstieg zu bekommen. Das Logos-Buch kann ich leider über Fernleihe nicht bekommen. Gibt es vielleicht ein anderes, dass sich aus deiner Sicht besonders lohnt und für das man nicht unbedingt noch drei weitere lesen muss, um es zu verstehen?
> Er ist ein Theoretiker, der sich die Frechheit herausnimmt,
> seine Vorstellung zu veröffentlichen.
Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst. Es ist doch völlig normal, seine Vorstellungen zu veröffentlichen.
> Daß er damit auf dem Scheiterhaufen der heiligen
> Wissenschaftsinquisition landen wird, ist schon klar.
Aber warum?
> Wenn sich allerdings seine Visionen irgendwann als treffend
> erweisen würden, (ja der Konjunktiv!), wären es genau diese
> Inquisitoren, die dann schulterklopfend „umihnherumschleimen“!
Das spricht weder für noch gegen ihn, sondern allenfalls gegen die Inquisitoren.
> „Nichts ist stärker, als eine Idee, deren Zeit gekommen ist!“
> Du weißt genau so gut wie ich, daß die Menschheit auf solche
> Visionen wartet,
Das würde ich bestreiten, jedenfalls was den vernünftigen Teil der Menschheit angeht. Solche Zitate überzeugen mich nicht, sondern sind eher dazu angetan, mir Wilber unsympathisch zu machen. Entweder die Theorie ist gut oder eben nicht. Wenn sie gut ist, braucht es solche Sprüche nicht. Ich jedenfalls will keine Visionen, sondern Klarheit.
> deine Befürchtungen kann ich durchaus nachvollziehen. Nur
> allzugern laufen sie falschen Propheten nach und üben
> Götzendienste. Aber ist Erfolg denn ein Indiz für Falschheit
> oder Gefahr?
Du sagst es doch selbst: Weil es häufiger der Fall ist, dass die Menschen den falschen Propheten nachlaufen als den richtigen, ist großer Erfolg zumindest ein Indiz (kein stichhaltiger Beweis natürlich!) dafür.
> Aber wir werden nicht daran vorbeikommen.
Woran denn nun? Und vor allem warum?
> Einerseits steht hier Dürrs Aussage, andererseits Dr. Millers > Aussage, für mich als neutralen Beobachter also eine
> Pattsituation.
Du wirst polemisch, mein Lieber: Dürr hat auch einen Titel
! Das hast du nicht nötig - und ich auch nicht. Und in der Sache bringt es uns auch nicht weiter.
> Und nur weil ich eine gewisse Symphatie für dich hege, heißt
> das nun für mich noch nicht, dass deine Sicht die Richtige ist.
Das habe ich ja auch nie behauptet. Aber jeder meiner Fragen nach Aussagen von Wilber wurde bisher beantwortet in dem Sinne, dass man den ganzen Wilber eben selbst lesen, besser noch erleben solle. Es ist doch unvermeidlich, dass das skeptisch macht.
> Dürr ist schließlich kein Schwachkopf! Sondern immerhin ein
> bekannter Physikprofessor.
Ja, sehr richtig, er ist Physik professor! Das bedeutet, dass er naturwissenschaftlich denken kann und dass er Gedankenexperimente beherrscht (als theoretischer Physiker). Über die Qualität seiner philosophischen Aussagen sagt das nichts aus – jedenfalls nicht ohne weiteres. Ich kenne seine wichtigsten Bücher und halte ihn für gemäßigt und auch interessant. Deshalb muss ich aber nicht alles teilen, was er sagt.
> Im direkten Vergleich mit dir hat er allerdings einen
> entscheidenden Vorteil: Er kennt Wilber ganz genau! 
Das liegt nur zum Teil an mir, weil ich eben kein Exemplar von Wilber zur Hand habe bzw. nicht die Zeit, mich durch ALLES hindurchzulesen - jedenfalls nicht auf Verdacht (und vor einem evt. Kauf will ich erst hineinschnuppern). Hier in der UB habe ich ein einziges seiner Bücher im Katalog gefunden.
> Ich kann Stellen zitieren, die jeder Kritik standhalten, weil > sie eben wissenschaftlich fundiert sind. Dann allerdings wirst > du mir wieder zurecht vorwerfen, immunisierungsstrategische
> Vorgaben zu machen.
Im Gegenteil: Ich warte darauf, denn nur dann kann man wirklich darüber reden, ob und vor allem weshalb man wie auch immer zu Wilber steht. Eine Immunisierungsstrategie liegt doch nur vor, wenn man sich der Diskussion entzieht. Man müsste sich allerdings vermutlich auch darüber einigen, wodurch denn eine Theorie wissenschaftlich fundiert wird, also was das eigentlich bedeutet bzw. inwiefern dadurch die Theorie jeder Kritik standhalten kann.
> Es geht mir um die Wahrheit! Nicht darum Wilber zu verteidigen
> oder zu widerlegen. Ich denke > ohne jegliche Prämissen"!
> Jedenfalls keine Bewußten!
Fein, dann können wir ja anfangen. Also: Was soll ich lesen?
> Daß die Mentalität der Amis für uns Europäer merkwürdig
> erscheint, erlebe ich tagtäglich weil ich mit ihnen zu tun habe!
Mehr wollte ich damit auch nicht sagen.
> Oh nein, du hast mich nicht gekränkt!
Sehr gut!
> Ich habe mit deiner Anschauung kein Problem. Wenn ich sie auch > in manchen, beileibe nicht in allen Punkten, nicht vertreten
> kann.
Das ist ja auch nicht zu erwarten und wäre auch nicht wünschenswert, denke ich. Man muss sich auch nicht über alles einig sein. Aber man muss darüber reden können.
> Wo siehst du, daß man sich nicht mit ihm
> auseinandersetzenkann? Das scheint mir ein Vorurteil!
Das bezog sich nur auf die Berufung auf Ganzheit und Gesamtheit etc. Das sind Begriffe, die von sich aus eine Tendenz haben, eine eventuelle Gegenmeinung zu diskreditieren.
> Einsteins Postulat der Relativitätstheorie, … 2. Die
> absolute Zeit
Das ist noch nicht völlig ausdiskutiert, meine ich. Zwar ist der überwiegende Teil der Physiker dieser Meinung, aber es gibt auch Gegenmeinungen, z. B. von Seiten der sog. Neo-Lorentzianer oder aus der Sicht der Konstruktivisten. Aber das jetzt zu diskutieren, würde einen Nebenschauplatz eröffnen, dem ich mich zudem nicht ganz gewachsen fühlte, weil ich immer noch nicht dazu gekommen bin, meine Kenntnisse diesbezüglich aufzufrischen (mein Kenntnisstand ist der von vor etwa 15 Jahren).
> Auch das Bewußtsein unterliegt dieser Theorie.
Für diese Behauptung müsste man Gründe anführen.
> Nur die relative Bewegung ist von Bedeutung. Die absolute Ruhe > oder die absolute Zeit existieren nur in unserer subjektiven
> Vorstellung.
Aus der Sicht der Konstruktivisten sind es methodische Vorgaben, die die Arbeit erleichtern. Damit wären sie nicht ganz subjektiv, sondern intersubjektiv im pragmatischen Sinn, also auf Nützlichkeit ausgerichtet.
> Die Bewegung (Evolution), jetzt im Hegelschen Sinn, wie er in > seiner Phänomenologie des Geistes sagt ist ein „Negieren und
> Aufbewahren zugleich“. Das bedeutet, daß alles Niedere im
> Höheren ist, nicht aber alles Höhere im Niederen.
Formal kann ich das durchaus nachvollziehen, aber über die Inhalte sagt das noch nichts aus, also darüber, WAS denn nun das Höhere bzw. das Niedere ist.
> Induziert man diese Erkenntnis auf das Bewußtsein, bedeutet
> das, daß eine emergierende höhere Ebene, schöpferischer
> Neuartigkeit auf mancherlei Weise über die Gegebenheit des
> vorhergehenden hinausgeht, ohne diese oder ihre Grundmuster zu
> verletzen.
Die Berechtígung dieser Ausweitung würde ich zunächst einmal anzweifeln. Nicht alles Formale lässt sich ohne weiteres auf alles Inhaltliche anwenden. Ganz einfach lässt sich das zeigen, wenn man sagt, dass Nägel und Schrauben ein Gewicht haben und auch das Gehirn. Aber die vom Gehirn produzierten Gedanken, haben höchstens im übertragenden Sinn ein Gewicht. Du bzw. Wilber müsste also zeigen, inwiefern die Übertragung berechtigt ist.
> Erreicht ein Bewußtsein nun die kritische Masse wird es, wie
> Wittgenstein sagen würde, die Leiter umwerfen.
Ja darunter hat nicht nur Wittgenstein gelitten, sondern schon etwa Thomas von Aquin, der mitten in der Konzeption seines Hauptwerkes mehrere Wochen vor seinem Tod die Arbeit daran unterbrach mit der Bemerkung, alles, was er bisher geschrieben habe, käme ihm nun plötzlich vor wie Stroh. Aber das ist Mystik (schon im positiven Sinn gedacht), und darüber kann man streng genommen nicht reden (sondern man muss darüber schweigen). Jedenfalls ist es nicht vermittelbar (und also nicht philosophisch – was aber nicht heißen soll, dass es uninteressant oder gar falsch wäre) und man muss sich dann – wenn man die Erfahrung nicht selbst gemacht hat – dem Urteil enthalten.
> Oder Sysyphus dem Stein nicht mehr ins Tal folgen.
Aber Sisyphus war mit dem Stein glücklich – jedenfalls nach Camus.
> Dies kann natürlich durch Wissenschaft durchaus gelingen, ist
> aber auch ohne Wissenschaft schon gelungen, z.B. als sich der
> Mensch vom Tier abspaltete.
Das ist nicht zwingend, insbesondere nicht aus der Sicht einiger Ganzheitsdenker, die diese Abspaltung als Fehlgriff ansehen, der zur Vernichtung der Erde führen wird, was ohne den Menschen undenkbar gewesen wäre. Soweit ich Wilber bisher verstanden habe, sieht er das weitgehend auch so.
> Alle Weisheitslehren haben den Anspruch auf Respekt, bis sie
> denn einmal widerlegt würden!
Aber man kann doch nicht jeder Absurdität nachgehen, das musst du doch zugeben. Wer würde sich die Mühe machen, und die Partei der Jogi-Flieger (ich weiß nicht, ob du sie kennst) widerlegen wollen. Deren Gedankengut ist so abstrus, dass man der Pflicht der Prüfung entzogen ist. Es fragt sich halt nur, wo da die Grenze gezogen werden sollte.
> Wiss. ist eine erkennende, erfahrende, messende…, empirische > Tätigkeit, aber keine wirklich operative oder schöpferische!
Das trifft nur für die Naturwissenschaften zu. Die Geisteswissenschaften sind durchaus operativ, indem sie z. B. klassifizieren oder logische Verknüpfungen herstellen; und sie sind auch schöpferisch, wie du selbst mit Hegel gezeigt hast. Und die Konstruktivisten, die zwar in der Minderheit sind, aber dennoch Gehör verdienen, bezeichnen sich im Bereich der Naturwissenschaften sogar explizit als „Operationalisten“ (Ich denke hier nur an die logischen Konstruktivisten wie Dingler, Lorenzen, Janich, Inhetveen usw., nicht an den sogenannten „Radikalen Konstruktivismus“, der alle Wirklichkeit Konstrukt sein lassen will.)
> Das Universum, die Mathematik, die physikalischen Gesetze…
> existierten auch ohne sie!
So einfach kann man das nicht sagen, denke ich, oder hast du schon mal die Zahl 2 in der Natur angetroffen (und in die Hand genommen). Auch Ursache und Wirkung sind keine Naturkonstanten, sondern Denkmechanismen.
> Allerdings ist dies der Status Quo. Genforschung,
> Relativitätstheorie, Quantenmechanik etc. geben zu
> Spekulationen Anlass, die ich nicht weiter ausführen möchte. > Den Staus quo kennen wir, stellt sich die Frage: Quo Vadis!
Also ist die Frage keine Frage der Erklärung, keine Frage nach dem Warum, sondern eine Frage nach dem „Wozu“, mithin teleologisch und also in letzter Konsequenz keine Wissensfrage, sondern eine ethische Frage nach dem, was wir eigentlich wollen. Sehe ich das richtig?
> Ein kleiner logischer Fehler deinerseits, mein lieber Thomas!
> War es nicht Sokrates, der gesagt hat: Prüfe die
> Voraussetzungen? Du setzt voraus, dass ich mich in der
> mitteleuropäischen Zeitzone aufgehalten habe! In anderen
> Zeitzonen (z.B. Wilbers Heimat
ist dies eine ganz übliche
> Zeit! Vielleicht machst du mit Wilber den gleichen Fehler!
>
)))))
Gut gekontert! Sowas gefällt mir!
Herzliche Grüße
Thomas Miller