Ich habe gestern Abend schon geantwortet, aber etwas unsauber geschrieben. Darum nun noch einmal.
Ausgangspunkt ist die Frage, ob der 13-Jährige in dem Beispielfall das erhöhte Beförderungsentgelt zahlen muss. Das ist, was N.N. von uns willen will.
Einig sind wir uns offenbar darin, dass die herrschende Auffassung diese Frage verneint. Zwischen dir und mir bzw. dir und den anderen ist im Wesentlichen nur streitig, ob es eine Minderansicht gibt, welche diese Frage bejaht. Noch konkreter muss man allerdings sagen, dass die Frage lautet, ob ein vertragsunabhängiges erhöhtes Beförderungsentgelt durch spezialgesetzliche Regelung in Betracht kommt. Denn wenn man auf welchem Wege auch immer eine Einwilligung (§ 107 BGB) der Eltern konstruieren kann, liegt die Sache ganz einfach, und es besteht kein Zweifel daran, dass das erhöhte Beförderungsentgelt bezahlt werden muss. Darauf habe ich schon am zweiten (?) Tag hingewiesen. Ob und wann man so eine Einwilligung konstruieren kann, ist ein Thema für sich, das auch sicher mehr Freiheit in der Auslegung erlaubt und vor allem vom konkreten Einzelfall abhängt.
Du zitierst die Dissertation mit folgenden Worten:
„Soweit angeführt wird, die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter beziehe sich nicht auf Schwarzfahren eines Minderjährigen, hat das Bundesverfassungesgericht dieser Argumentation mit einem Beschluss vom 20.05.1987 [Fn: VRS 80,81] eine deutliche Absage erteilt. […] Im gleichen Atemzug stellt das BVerfG den Grundsatz fest, dass die Verpflichtung, ein erhöhtes Beförderungsentgelt zahlen zu müssen, keine Aushöhlung des im BGB verankerten Minderjährigenschutzes sei [Fn: BVerfG VRS 80, 81 (82)]. […] Nach dieser Argumentation wäre der schwarzfahrende Minderjährige zumindest im alltäglichen Regelfall zur Zahlung des erhöhten Fahrpreises […] verpflichtet.“
Ich verspüre wenig Bedürfnis, deiner Empfehlung gemäß mit dem Doktor oder dem Doktorvater Kontakt aufzunehmen. Trotzdem erlaube ich mir den Hinweis, dass das schlicht und ergreifend nicht stimmt. Denn diese „deutliche Absage“ gibt es nicht und kann es ja auch gar nicht geben. Das ist ziemlich eindeutig, wie du sogleich sehen wirst.
Das Bundesverfassunsgericht kann von Menschen (nicht von Staatsorganen) nur in einer einzigen Situation angerufen werden: wenn die Verletzung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts behauptet wird (Art. 93 GG, § 13 BVerfGG). Zu den ersten Dingen, die ein Jurastudent lernt, gehört der für die meisten zu diesem Zeitpunkt unverständliche Satz, dass das Bundesverfassungsgericht keine Superrevisionsinstanz ist. Superrevision ist die Revision der Revision. Wenn also z.B. der BGH in der Revision etwas entscheidet, kann die Partei, die unterliegt, nun nicht noch einmal in Revision gehen, indem sie das BVerfG anruft. Natürlich ist das BVerfG erst recht keine (normale) Revisions- oder sogar Berufungsinstanz. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin und nur darin, das angefochtene Urteil (oder den sonstigen Akt staatlicher Gewalt) auf eine verfassungsspezifische Rechtsverletzung zu untersuchen.
Bevor wir uns die in der Dissertation genannte Entscheidung ansehen, sollten wir betrachten, was ihr überhaupt vorausgegangen ist, nämlich eine Entscheidung des AG Köln v. 09.07.1986, Az. 119 C 68/86, zu finden auch unter NJW 1987, 447, VersR 1987, 1103. Ich füge sie unten als Anhang 1 an. Durch dieses Urteil wurde ein Minderjähriger verurteilt, das erhöhte Beförderungsentgelt von damals nur DM 40,00 zu zahlen. Begründet wird dies aber gerade nicht mit einer gesetzlichen Regelung, sondern wie folgt:
„Die für die Wirksamkeit des Vertrages erforderliche Einwilligung der gesetzlichen Vertreterin der minderjährigen Beklagten liegt vor. Diese ist, wie die Beklagte selbst vorträgt, mit dem Benutzen der Straßenbahn durch ihre Tochter einverstanden. Diese Form des Einverständnisses ist als Generaleinwilligung zu einem Kreis von zunächst noch nicht individualisierten Geschäften zulässig. Soweit die Beklagte erklärt, die Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreterin erstrecke sich nicht auf ein Fahren ohne Fahrausweis ist dies unbeachtlich, da eine entsprechende Einschränkung gegen Treu und Glauben verstößt und insoweit unwirksam ist. Die gesetzliche Vertreterin würde dann das Risiko, ob das Kind zahlt oder nicht auf die Klägerin abwälzen wollen.“ (Rn. 20)
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung war wegen des geringen Streitwerts nicht gegeben. Darum hat die Verurteilte Verfassungsbeschwerde erhoben. Das BVerfG hat diese nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie - was ja auch richtig ist - ganz offensichtlich unbegründet war und keiner näheren Untersuchung bedurfte. Der Beschluss des BVerfG ist also nun der in der Dissertation genannte. Erfreulicherweise ist er sehr kurz, viel kürzer gar als das Urteil des Amtsgerichts, so dass du ihn in dem Anhang 2 findend schnell lesen kannst. Ich gebe da nur die Entscheidungsgründe wieder. Alles andere ist ja bekannt.
Was nun sagt das BVerfG zusammenfassend?
-
Wir äußern uns nicht zur einfachgesetzlichen (=nicht-verfassungsrechtlichen) Rechtslage, denn das dürfen wir nicht (und wollen wir auch nicht, denn es würde ja nur Arbeit machen).
-
Die Entscheidung des Amtsgerichts, ob nun zivilrechtlich richtig oder nicht, ist kein verfassungsspezifischer Rechtsverstoß. Die Beschwerdeführerin wird vielleicht, vielleicht auch nicht in ihren Rechten verletzt, aber nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten, und alles andere interessiert an dieser Stelle nicht (wir sind schließlich keine Superrevisionsinstanz).
-
Es ist auch nicht grundgesetzwidrig, dass gegen das Urteil weder Berufung noch Revision eingelegt werden konnte. Im Grundgesetz steht nicht, dass es solche Rechtsmittel geben muss.
Und nun noch einmal, was die von dir zitierte Dissertation daraus macht:
„Soweit angeführt wird, die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter beziehe sich nicht auf Schwarzfahren eines Minderjährigen, hat das Bundesverfassungesgericht dieser Argumentation mit einem Beschluss vom 20.05.1987 [Fn: VRS 80,81] eine deutliche Absage erteilt.“
Das ist schlicht und ergreifend nicht das, was das BVerfG sagt. Es äußert sich überhaupt nicht zu der Frage der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, mit keinem Wort spricht es davon, und das ist ja auch ganz richtig so, denn damit würde das BVerfG, das kein Instanztgericht ist, seine Kompetenzen überschreiten. Das BVerfG ist nicht das „höchste“ deutsche Gericht, es steht außerhalb des Instanzenzuges.
Du zitierst die Dissertation weiter:
„Im gleichen Atemzug stellt das BVerfG den Grundsatz fest, dass die Verpflichtung, ein erhöhtes Beförderungsentgelt zahlen zu müssen, keine Aushöhlung des im BGB verankerten Minderjährigenschutzes sei [Fn: BVerfG VRS 80, 81 (82)]. […] Nach dieser Argumentation wäre der schwarzfahrende Minderjährige zumindest im alltäglichen Regelfall zur Zahlung des erhöhten Fahrpreises […] verpflichtet.“
Hier gilt dasselbe. So etwas schreibt das BVerfG mit keinem Wort. Die Damen und Herren Richter dort sind ausgewiesene Experten, unterstützt von einem Heer wissenschaftlicher Mitarbeiter, die allesamt selbst als Richter geeignet wären. Niemals käme das BVerfG auf die Idee zu sagen, hier werde der Minderjährigenschutz des BGB ausgehebelt oder nicht ausgehebelt, denn diese Beurteilung steht dem BVerfG schlicht und ergreifend nicht zu. Das BVerfG nimmt auf die Minderjährigkeit zwar Bezug, dies aber nur mit Blick auf das Grundgesetz. Die Entscheidungsgründe sind eindeutig. Es gibt drei Möglichkeiten:
-
Der Minderjährigenschutz wird insgesamt gewahrt --> BVerfG weist Verfassungsbeschwerde zurück
-
Der Minderjährigenschutz wird nicht im Sinne der Verfassung gewahrt --> BVerfG gibt Verfassungsbeschwerde statt
-
Der Minderjährigenschutz wird im verfassungsrechtlichen Sinne, nicht aber im Sinne des BGB gewahrt --> BVerfG weist Verfassungsbeschwerde zurück (!)
Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass das nicht nur graue Theorie ist, über die sich das BVerfG hinweggesetzt hat, sondern dass das BVerfG diesen seinen eigenen Maßstäben in der genannten Entscheidung treu geblieben ist.
Du schreibst weiter:
„Damit kommt Pohar zu dem Ergebnis, dass bei Minderjährigen meist ein wirksamer Vertragsabschluss vorliegt. Eine Einschränkung der Zustimmung dahingehend, dass Schwarzfahrten nicht abgedeckt seien, sei treuwidrig.“
Das hilft aus zwei Gründen nicht weiter.
Zum einen fehlt hier jede Begründung, denn alles, was du bislang als Begründung aus der Dissertation zitiert hast, ist grotesker Unsinn. Ich würde zwar verstehen, wenn du mir nicht glaubtest, allerdings habe ich dir ja die relevanten Entscheidungen angehängt, in denen du meine Ausführungen bestätigt findest.
Zweitens ist diese Frage zwischen dir und mir gar nicht streitig. Ich bin zu faul, jetzt rauszusuchen, wo genau ich bereits darauf hingewiesen habe, dass, wenn man eine Einwilligung der Eltern konstruiert, alles ganz anders sei, als wenn man dies nicht tue. Insbesondere ist das eine vom Einzelfall abhängige Frage, die man obendrein auch rechtsdogmatisch unterschiedlich beurteilen kann. Mit einem vertragsunabhängigen, nämlich gesetzlichen Anspruch auf ein erhöhtes Beförderungsentgelt hat das nur rein gar nichts zu tun. Und nur hier hatten bzw. haben wir einen Dissens.
Weiter zitierst du die Dissertation wie folgt:
„Zu betonen ist an dieser Stelle aber, dass der Vertragsschluss nicht unbedingt die einzige Grundlage für die Verpflichtung zur Zahlung der 40 Euro darstellt. Es ist damit noch nichts über mögliche andere Grundlagen gesagt. In Frage kommt insbesondere die Rechtspflicht eigener Art (LG Bremen, NJW 1966, 2360), die von Pohar als gesetzlich verankerter zivilrechtlicher Zahlungsanspruch bezeichnet wird (Seite 244).“
Die genannte Entscheidung des LG Bremen, NJW 1966, 2360 beruft sich auf die Lehre vom faktischen Vertrag aus sozialtypischen Verhaltem. Das hilft vorliegend ebenfalls nicht weiter, aus zwei Gründen:
-
Diese Lehre besagt, dass Ansprüche durch ein sozialtypisches Verhalten entstehen, auch wenn dieses Verhalten keinen Vertrag begründet. Die Argumentation ist also eine andere als die, welche zwischen uns bislang streitig war. Geht man von ihr aus, kommt es auf den Minderjährigenschutz nicht oder vielleicht nicht an, weil der ja in direkter Anwendung zunächst einmal nur für rechtsgeschäftliche Ansprüche gilt. Man kann dann also die Frage aufwerfen, ob man nicht den Minderjährigenschutz als allgemeinen Grundgedanken heranziehen muss, um trotz dieser Lehre den Anspruch gegen den Minderjährigen zu verneinen, man kann aber diese Heranziehung verneinen. Das hat allerdings nix mit dem zu tun, was du mit mir hier diskutierst. Darum geht es nicht, sondern es geht um eine gesetzliche Regel, die sagt, dass ein Anspruch auf erhöhtes Beförderungsentgelt entsteht, ganz gleich ob ein Vertrag vorliegt oder nicht. Du hast dich ausdrücklich darauf berufen, dass Grundlage die einschlägigen Verordnungen sind. Das hat mit der Lehre vom faktischen Vertrag durch sozialtypisches Verhalten nichts zu tun.
-
Die Entscheidung des LG Bremen feiert in einigen Jahren ihren 50. Geburtstag. Der Grund, dass ausgerechnet sie ihren Weg in die recht junge Dissertation gefunden hat, liegt wohl darin, dass es wesentlich jüngere Entscheidungen dieser Art nicht geben dürfte. Die Lehre vom sozialtypischen Verhalten wird nämlich heute mehr oder weniger einhellig abgelehnt. Ob es noch jemanden gibt, der sie ernsthaft vertritt, weiß ich nicht. Laut Rolf Schmidt, BGB, Allgemeiner Teil, 6. A. 2009, Rn. 483 (m.w.N.) wird diese Lehre nicht mehr vertreten. Wird sie es doch, so hat sie mit der Diskussion zwischen dir und mir nichts zu tun.
Das Buch von Rolf Schmidt gibt es übrigens kostenlos im Internet, du kannst also nachlesen:
http://download.jurawelt.com/download/studentenwelt/…
Weiter schreibst du:
„Als Quelle dafür, in den Fällen, in denen ein Minderjähriger gegen den Willen der Eltern einen Zug nutzt, § 823 Abs. 3 BGB heranzuziehen, nennt er Dörner/Staudinger [Verbraucherrechte im öffentlichen Personenverkehr, B II 5 a) cc)]. Er erwähnt auch gegenläufige Ansichten, die sich auf §§ 104 ff. BGB berufen.“
Hieran sieht man die unsaubere Arbeit. Einen § 823 Abs. 3 BGB gibt es nämlich nicht und hat es auch, soweit ich weiß, nie gegeben.
Im Übrigen ist dieses Zitat für sich genommen nicht sehr aussagekräftig. Wenn man aus § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB einen Schadensersatzanspruch herleiten will, muss man sich ja mit der Frage auseinandersetzen, worin eigentlich der Schaden liegt. Nun ist das deutsche Schadensrecht zwar sehr komplex und vielgestaltig, aber bei einer kursorischen Betrachtung wird es schwer fallen, einen Anspruch auf das erhöhte (!) Beförderungsentgelt zu begründen. Grundsatz ist Naturralrestitution (§ 249 BGB). Ausgeglichen werden soll der Schaden, der durch das schädigende Ereignis entstanden ist. Der Geschädigte soll so stehen, wie er ohne das schädigende Ereignis gestanden haben würde. Dann hätte er aber nicht das erhöhte Beförderungsentgelt kassiert. Die Rechtsgutverletzung liegt ja nicht in der Minderjährigkeit, sondern im Schwarzfahren.
Abgesehen davon ist vermutlich kein Rechtsgut aus § 823 Abs. 1 BGB betroffen, so dass man nur noch mit § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Strafbestand weiterkäme. Das wäre grundsätzlich denkbar, weil die Rechtsprechung in § 265 a StGB ja eine einschlägige Regelung für Schwarzfahren sieht. (Zumindest wäre mir nicht bekannt, dass, wie kürzlich hier behauptet, diese Rechtsprechung sich überholt hätte.)
Weiter zitierst du die Dissertation wie folgt:
„Somit ist mit […] weiteren Vertretern im Schrifttum [Die hier angebrachte Fußnote enthält acht Quellenangaben] anzunehmen, dass § 12 Abs. 1 lit. a) EVO einen gesetzlich verankerten Zahlungsanspruch statuiert. Die Pflicht, den erhöhten Fahrpreis zu zahlen, stellt nach dieses Ansicht ein spezielles eisenbahnrechtliches Institut, ein besonderes gesetzliches Schuldverhältnis dar [Fn: Czerwenka/Heidersdorf/Schönbeck Nr. 70 (EVO) § 12 Anm. 1 a) aa)].“ (Seite 244)“
Hier komme ich dir entgegen. Wenn du möchtest, dass doch der Verfasser dieser Dissertation von einem gesetzlichen Anspruch ausgeht, der keines Vertrages bedarf, und dass es somit eine Minderungmeinung gibt, so sei dies. Dann gibt es eben eine Mindermeinung, und du hattest insofern die ganze Zeit Recht.
Wenn aber die Begründung, die du zitierst, alles ist, was der Autor dazu zu sagen hat, halte ich das für mehr als unwissenschaftlich, und ich würde nicht protestieren, wenn jemand sagte, dass das nicht einmal für eine Mindermeinung reicht. Juristen sprechen in seltenen Fällen von einer „allgemeinen Ansicht“. Damit ist dann natürlich nicht gemeint, dass kein Volljurist je etwas anderes behauptet hat. Ganz vereinzelte Stimmen bleiben außer Betracht. So könnte der Fall hier liegen. Die acht Quellen, von denen du sprichst, kenne ich nicht. Sie könnten die Annahme, es liege hier eine Mindermeinung vor, stützen. Vielleicht. Man weiß es nicht. Die von mir geprüfte Quelle (die Entscheidung des BVerfG) sagt nun wirklich etwas ganz anderes - geradezu das Gegenteil! - dessen, was der Autor der Dissertation behauptet. q.e.d.
Schließen wir also mit meinem Kommentar zu deinem letzten Zitat:
"- Selbst wenn die Eltern ihre Einwilligung zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch ihr Kind ausdrücklich nicht auf Schwarzfahrten beschränkt haben, kann trotzdem der zur Zahlung der 40 Euro führende Vertragsschluss vorliegen.
- Daneben ergibt sich ein gesetzlich verankerter zivilrechtlicher Zahlungsanspruch, wenn das Kind mindestens sieben Jahre alt ist und über eine gewisse Einsichtsfähigkeit verfügt.
- Fehlt diese Einsichtsfähigkeit, etwa wenn ein Achtjähriger einfach mal eine Spazierfahrt mit der Straßenbahn unternehmen will, ergibt sich ein entsprechender Anspruch nicht."
Der erste Punkt war nie streitig (wobei ich unterstelle, dass du dich hier verschrieben hast, denn eine Beschränkung der Einwilligung auf Schwarzfahrten wäre ja schon eigenartig…).
Der zweite Punkt ist nach wie vor unbelegt. Man kann nur zur Kenntnis nehmen, dass der Autor der Dissertation das denkt, aber du hast uns noch keine akzeptable Begründung zitiert.
ANHANG 1:
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 40,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 07.09.1985 sowie weitere 10,-- DM zu zahlen.
Die Feststellungswiderklage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Beklagte benutzte am 30.05.1985 gegen 7.40 Uhr die Straßenbahnlinie 1 der Klägerin.
2
Bei der durch die Fahrausweisprüferin hinter der Haltestelle F-straße durchgeführten Kontrolle stellte diese fest, daß sieh die Beklagte keinen gültigen Fahrausweis beschafft hatte. Die Beklagte befand sich auf dem Weg zur Schule. Erst in der Bahn hatte sie bemerkt, daß sie keinen unbenutzten Sammelkartenabschnitt und auch kein Geld zum Kauf eines Einzelfahrscheins bei sich hatte, setzte ihre Fahrt aber gleichwohl fort, um rechtzeitig in der Schule zu erscheinen. Zum damaligen Zeitpunkt war die Beklagte 12 Jahre alt.
3
Am 09.09.1985 um 13.15 Uhr auf dem Rückweg von der Schule und am 17.01.1986 um 16.20 Uhr auf einer nicht schulbedingten Fahrt wurde die Beklagte erneut ohne gültigen Fahrausweis angetroffen.
4
Die Mutter der Beklagten – als alleinige gesetzliche Vertreterin – ist mit dem Benutzen der Bahn durch ihre Tochter grundsätzlich einverstanden. Ihre Einwilligung erstreckt sich nicht auf ein Fahren ohne Fahrausweis.
5
Die Klägerin ist der Ansicht, daß ihr ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 40,-- DM zustehe, daß die gesetzliche Vertreterin die generelle Genehmigung zu Fahrten dieser Art (Benutzung der Straßenbahn zum Schulbesuch) erteilt habe und folglich auch für die in Frage kommende Fahrt, bei der es sich nach der Schilderung des Beklagtenvertreters um eine solche gehandelt habe, ein Beförderungsvertrag zustandegekommen sei.
6
Aber auch wenn die Erteilung der Zustimmung ausdrücklich bestritten wurde, sei dennoch ein gültiger Beförderungsvertrag zustandegekommen, da die Inanspruchnahme von Massenverkehrsmitteln als ein sozialtypisches Verhalten zu betrachten sei, an das sich nach allgemeiner Rechtsüberzeugung die gleichen Rechtsfolgen anknüpften, wie an bewußte Willenserklärungen der vertragsschließenden Parteien. Die Minderjährigkeit sei dabei unerheblich. Allein erforderlich sei, daß die Fähigkeit zur Einsicht in die sozialtypische Bedeutung vorhanden sei, also der Fahrgast wisse, daß er ohne gültigen Ausweise die Straßenbahn nicht berechtigterweise nutze beziehungsweise hierfür das erhöhte Beförderungsentgelt zu entrichten habe. Dies sei hier der Fall gewesen. Der mehr als 12- jährigen Beklagten sei bewußt gewesen, daß sie die Fahrzeuge der Klägerin nicht ohne Fahrausweis habe benutzen dürfen. Ob sie das Unvermögen zur Lösung einer Fahrkarte erst in der Bahn festgestellt habe, sei unerheblich. Sie hätte sich vor Betreten der Bahn vergewissern müssen, ob sie eine Fahrkarte oder Geld bei sich hatte.
7
Die in den Beförderungsbedingungen enthaltene Verpflichtung zur Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgelts bedeute keine Umgebung des Minderjährigenschutzes. Es handele sich bei dieser Regelung nicht um eine sachlich unangemessene einseitig begünstigende vorgedruckte Vertragsbestimmung, sondern um eine im berechtigten Interesse des Verkehrsunternehmens liegenden Schutzvorschrift zur Erhaltung der vertraglichen Zahlungs- und Fahrausweispflicht des Fahrgastes.
8
Die Widerklage sei abzuweisen, da ein Rechtsschutzbedürfnis nicht gegeben sei.
9
Die Klägerin beantragt,
10
die Beklagte zu verurteilen, an sie 40,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem Tage der Zustellung dieses Mahnbescheides sowie 10,-- DM vorgerichtliche Kosten zu zahlen.
11
Die Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen und widerklagend festzustellen, daß ohne ausdrückliche Zustimmung der gesetzlichen Vertreterin der minderjährigen Beklagten und Widerklägerin § 9 der Besonderen Beförderungsbedingungen der Verkehrs- und Tarifgemeinschaft Rhein-Sieg (VRS) vom 02. August 1980 („erhöhtes Beförderungsentgelt“) zwischen den Parteien nicht Bestandteil eines Beförderungsvertrages werden konnte und kann.
13
Die Klägerin beantragt,
14
Abweisung der Widerklage.
15
Die Beklagte ist der Ansicht, daß die Klägerin keinen Anspruch auf das erhöhte Fahrgeld nach § 9 der Besonderen Beförderungsbedingungen der Verkehrs- und Tarifgemeinschaft Rhein-Sieg vom 02.08.1980 habe, da diese Vorschrift mangels Zustimmung der gesetzlichen Vertreterin der Beklagten nicht Bestandteil des Beförderungsvertrags geworden sei.
16
Ihre Mutter sei zwar mit dem Benutzen der Straßenbahn durch sie grundsätzlich einverstanden, ihre Einwilligung erstrecke sich aber nicht auf ein Fahren ohne Fahrausweis. Die Klägerin könne die Beförderung der Beklagten nicht davon abhängig machen, daß die gesetzliche Vertreterin § 9 der Besonderen Beförderungsbedingungen akzeptiere. Diese Vorschrift regele den Fall minderjähriger Fahrgäste nicht ausdrücklich, somit sei davon auszugehen, daß die im übrigen auch ranghöheren Vorschriften der §§ 104 ff. BGB über den Minderjährigenschutz unangetastet bleiben sollte. Die Vorschriften zugunsten des Minderjährigenschutzes dienten nicht zuletzt auch dem finanziellen Schutz der Unterhaltsverpflichteten. Diesen sei eben deshalb auch vorbehalten, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen ihrer Kinder nach freier Entscheidung zu billigen oder abzulehnen. Jedenfalls aber ergebe sich aus § 9 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen, daß ein vertraglich erhöhtes Beförderungsentgelt für nicht vollgeschäftsfähige vom Grundgedanken des Minderjährigenschutzes abweiche und damit gemäß § 9 Abs. 2. Nr. 1 AGB-Gesetz eine unangemessene Benachteiligung der Vertragspartner der Klägerin darstelle. Im übrigen spreche auch der Umstand, daß nur ein einheitlicher Betrag als erhöhtes Beförderungsentgelt vorgesehen sei, dafür, daß diese Vorschrift auf Minderjährige nicht anwendbar sein soll; andernfalls hätte es der Tarifstruktur entsprochen, eine Kinderermäßigung auch im Rahmen des erhöhten Fahrgelds vorzusehen. Im Ergebnis wäre sonst das erhöhte Fahrgeld für Kinder bis zu 14 Jahren relativ höher als das für ohne Fahrausweis fahrende Erwachsene.
zum Seitenanfang
Entscheidungsgründe
17
Die Klage ist begründet.
18
Die Beklagte ist gemäß § 9 der Verordnung über die allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Omnibusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 27.02.1970 in der Fassung der Verordnung zur Änderung personenbeförderungsrechtlicher Vorschriften vom 13.05.1981 in Verbindung mit den vom Regierungspräsidenten Köln genehmigten „Besonderen Beförderungsbedingungen der Verkehrs- und Tarifgemeinschaft Rhein-Sieg vom 02.08.1980“ verpflichtet, ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 40,-- DM zu zahlen.
19
Zwischen der Klägerin und der Beklagten ist ein wirksamer Beförderungsvertrag zustandegekommen.
20
Die für die Wirksamkeit des Vertrages erforderliche Einwilligung der gesetzlichen Vertreterin der minderjährigen Beklagten liegt vor. Diese ist, wie die Beklagte selbst vorträgt, mit dem Benutzen der Straßenbahn durch ihre Tochter einverstanden. Diese Form des Einverständnisses ist als Generaleinwilligung zu einem Kreis von zunächst noch nicht individualisierten Geschäften zulässig. Soweit die Beklagte erklärt, die Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreterin erstrecke sich nicht auf ein Fahren ohne Fahrausweis ist dies unbeachtlich, da eine entsprechende Einschränkung gegen Treu und Glauben verstößt und insoweit unwirksam ist. Die gesetzliche Vertreterin würde dann das Risiko, ob das Kind zahlt oder nicht auf die Klägerin abwälzen wollen.
21
Dies ist im Hinblick darauf, daß sie das Kind die Straßenbahn in Anspruch nehmen läßt eine unzulässige Belastung der Klägerin, daß sie dieser in diesem Fall jede Möglichkeit nehmen würde über den Weg der Vertragsstrafe Einfluß auf ein positives Verhalten des Kindes zu nehmen. Dem steht auch nicht entgegen, daß die Klägerin diesen Einfluß auch bei Wiedereinführung von Straßenbahnschaffnern ausüben könnte, da gerade die Einführung des weitgehend automatisierten Betriebs kostengünstige Auswirkung für die Allgemeinheit und damit auch die Beklagte hat. Mit der Wirksamkeit des Beförderungsvertrags hat die Beklagte auch die sich daraus für sie ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen. Einer ausdrücklichen Zustimmung zu einer einzelnen Vertragsbestimmung bedarf es daher nicht mehr. Sie hat auch insoweit die Bestimmung der Beförderungsbedingungen bezüglich des erhöhten Beförderungsentgeltes gegen sich gelten zu lassen, da auch ein Gesetzesverstoß nicht gegeben ist.
22
Eine Aushöhlung des im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Minderjährigenschutzes liegt nicht vor.
23
Auch bei anderen Rechtsgeschäften Minderjähriger, die zu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedürfen, wird der Minderjährige bei Einwilligung zum Vertragsabschluß nicht vor den Folgen – etwa einer positiven Vertragsverletzung – geschützt. Es ist auch nicht unbillig, daß die Beförderung dadurch im Ergebnis davon abhängig gemacht wird, daß die Bestimmung des erhöhten Beförderungsentgelts akzeptiert wird.
24
Der Vorzug der Inanspruchnahme des Verkehrsmittels steht in angemessenem Verhältnis zur Belastung bei unentgeltlicher vertragswidriger Benutzung auch im Hinblick darauf, daß zur Erhaltung der vertraglichen Zahlungs- und Fahrausweispflicht des Fahrgastes die Vereinbarung der Vertragsstrafe unbedingt erforderlich ist wie die Vielzahl der Schwarzfahrer trotz der bestehenden Bestimmung der Verpflichtung zur Zahlung des erhöhten Beförderungsentgeltes beweist. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, daß dem gesetzlichen Vertreter die wirtschaftlichen Folgen der Ungehorsamkeit des Kindes auferlegt würden, da andernfalls die Abwälzung auf die Allgemeinheit die unausbleibliche Folge wäre sei es durch Abstandnahme vom weitgehend automatisierten Betrieb des Unternehmens der Klägerin und damit verbundener höherer Kosten für die Klägerin, die letztlich wieder die Allgemeinheit treffen, sei es durch die von der Beklagten geforderten erzieherischen Maßnahmen, die ebenfalls besonderer mit Kosten verbundener Einrichtungen beziehungsweise Erweiterungen bestehender Einrichtungen bedürften.
25
Im Übrigen reicht auch soweit das Minderjährigenrecht den gesetzlichen Vertreter indirekt von wirtschaftlichen Nachteilen schützen will, dieser Schutz nur so weit als Entscheidungsfreiheit, ob Einwilligung beziehungsweise Genehmigung erteilt wird, gewährt wird. Dies ist auch hier der Fall, da der gesetzlichen Vertreterin die Entscheidung verbleibt, ob sie der Beklagten jegliche Benutzung der Bahn erlaubt oder verbietet.
26
Auch soweit die Beklagten ausführt, daß mangels Ermäßigung für Kinder im Rahmen des erhöhten Beförderungsentgelts dieses für Kinder relativ höher wäre als für Erwachsene, liegt darin keine unangemessene Benachteiligung, da es sich bei der Ermäßigung des Beförderungsentgeltes für Kinder um eine Vergünstigung handelt, die nicht dazu zwingt, auch auf vertragswidriges Verhalten gleiche Vergünstigung zu gewähren. Da wie oben ausgeführt mit der Bestimmung bezüglich eines erhöhten Beförderungsentgeltes von den wesentlichen Grundgedanken des Minderjährigenschutzes nicht abgewichen wird, ist auch in § 9 der Besonderen Beförderungsbedingungen der Verkehrs- und Tarifgemeinschaft kein Verstoß gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG enthalten.
27
Nach § 9 der vom Regierungspräsidenten Köln genehmigten Besonderen Beförderungsbedingungen in Verbindung mit Abschnitt IX/h der Tarifbestimmungen und Entgelte der VRS vom 01.05.1982 hat die Beklagte ein Bearbeitungsentgelt in Höhe von 10,-- DM zu zahlen.
28
Die Klägerin hat nach Wochenfrist die Beklagte zur Zahlung gemahnt.
29
Die Feststellungswiderklage war abzuweisen. Sie ist unzulässig. Für das Feststellungsbegehren besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, da die Frage ob § 9 der Besonderen Beförderungsbedingungen ohne ausdrückliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters wirksamer Bestandteil eines Beförderungsvertrages werden kann mit der Klage entschieden werden mußte und wurde.
30
Die Kostenentscheidung erfolgt nach § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach den §§ 708 Ziff. 11, 713 ZPO.
ANHANG 2:
1
Das angegriffene Urteil ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es beruht auf der Anwendung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften; diese ist jedoch Aufgabe der Fachgerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (BVerfGE 18, 85 ; st. Rspr.). Die angegriffene Entscheidung bietet keinen Anhalt dafür, daß das Amtsgericht die Bedeutung von Grundrechten der Beschwerdeführerin verkannt hat.
2
Die Verpflichtung zur Zahlung des erhöhten Beförderungsentgelts verletzt die Beschwerdeführerin insbesondere nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in seinem Beschluß vom 13. Mai 1986 ausgesprochen, daß durch die Auferlegung finanzieller Verpflichtungen in erheblichem Maße die Grundbedingungen freier Entfaltung und Entwicklung und damit nicht nur einzelne Ausformungen allgemeiner Handlungsfreiheit, sondern die engere persönliche Lebenssphäre junger Menschen betroffen würde (BVerfGE 72, 155 ). Eine Grundrechtsverletzung kommt danach erst in Betracht, wenn dem Minderjährigen kein Raum bleibt, sein weiteres Leben ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten, die er nicht zu verantworten hat (BVerfGE, a.a.O. . Davon kann vorliegend schon in Anbetracht der Höhe des zu entrichtenden Beförderungsentgelts keine Rede sein.
3
Im übrigen ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, daß das angegriffene Urteil im Rechtswege nicht weiter angefochten werden kann. Weder Art. 103 Abs. 1 GG noch das verfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 33 GG) gewährleisten einen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 11, 232 ; 65, 76 ; st. Rspr.).
4
Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 Abs. 2 BVerfGG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.