Hallo,
ich bin auch eine von diesen seltsamen Missgeburten, und ich scheine es an meine Kinder weitergegeben zu haben.
Was für Indizien gab es bei mir?
- Ich habe in der Grundschule sehr schnell und fehlerlos
gelernt.
- Ich habe mir sehr schnell Kenntnisse in meinen Hobbies (z.B.
Eisenbahntechnik) angeignet.
- Ich habe Fragen gestellt, die für mein Alter ungewöhnlich
waren. (z.B.: „Warum bekommen Vögel keinen Stromschlag, wenn
sie sich auf die Freileitungen setzen“ mit etwa vier Jahren.)
Ziemlich genauso war es bei mir und meiner Tochter - ich kann mich noch an eine Situation erinnern, in der mich wohl eine Straßenbahnladung voller Leute für komplett meschugge gehalten hat, als ich meinem damals noch nicht 3jährigen Tochterherzen auf deren Nachfrage hin erklärt habe, wie sich die Erde um die Sonne und der Mond um die Erde bewegen.
- Und, ja, ich habe viele scheinbar „dumme“ Sachen gemacht,
die meine Familie sehr lustig fand (meine Mutter hatte sogar
ein Notizuch mit „lustigen“ Sprüchen von mir.)
Dies wiederum ist eher die Spezialität meines Sohnes, der in letzter Zeit den gesamten Haushalt mit ‚Experimenten‘ beglückt.
Wann und wie hat man es denn bei Dir festgestellt?
Da war ich etwa 25 - also vor sechs Jahren, und es war das
beste, was mir je passiert ist. Auf einmal habe ich soooo
viele Sachen verstanden, die in meiner Kindheit passiert sind
…
Auch ich wurde erst mit Anfang Zwanzig getestet; zu spät also für irgendeine schulische Förderung (nicht, dass es derlei damals schon gegeben hätte). Und auch wenn dies natürlich ein integraler Bestandteil meiner Persönlichkeit ist, habe ich manchmal meine Zweifel daran, ob dieses Wissen wirklich gut für mich war - ein überdurchschnittlicher IQ ist nämlich keineswegs eine Garantie für Lebenserfolg (was auch immer dies sein mag), und gerade, wenn die Dinge nicht rund laufen, kann es äußerst frustrierend sein, wenn man nicht nur den äußeren Vorgaben sondern auch den Ansprüchen, die man dadurch an sich selbst entwickelt haben mag, nicht entspricht.
Das schlimme ist: Ich habe mich zeitlebens für ziemlich dumm
gehalten - zum einen wegen der dummen Sachen, die ich als Kind
gemacht habe, zum anderen wegen meiner Schulnoten, die in
höheren Klassen ziemlich schlecht wurden. Ich war nur gut,
solange der Stoff relativ leicht war, sobald es schwieriger
wurde, habe ich Fünfen geschrieben.
Ich habe mich zum Glück nie für dumm gehalten, da ich, obwohl ich in der Mittelstufe das aktive Lernen komplett eingestellt habe, immer eine gute Schülerin war und auch stets bewusst wahrgenommen habe, dass meine Mitschülerinnen sehr viel langsamer im Erfassen neuer Unterrichtsstoffe waren als ich.
Ich galt dafür gemeinhin als etwas seltsam bis hin zu völlig durchgeknallt, da ich mich einfach für ganz andere Dinge interessierte als meine Umgebung - als meine Klassenkameradinnen sich noch mit ‚Hanni und Nanni‘ vergnügten, interessierte ich mich bereits für römische Geschichte und las Tolstoi.
Der Grund war aber ein ganz anderer: Ich habe es nie gelernt,
wie man lernt.
Das habe ich auch nie (und auch meine Tochter bislang noch nicht). Ich bin allerdings zu meinem Glücke immer irgendwie ‚durchgerutscht‘ - so lange ich im Unterricht zugehört habe, habe ich alles automatisch verstanden und kam gar nicht in die Situation, etwas lernen zu müssen (von den leidigen Vokabeln einmal abgesehen). Problematisch wurde es für mich immer dann, wenn ein Thema schon seit Wochen durchgekaut wurde und ich mich deshalb ausgeklinkt habe (einige Lehrer haben nach einer Weile geduldet, dass ich während des Unterrichts las - so habe ich wenigstens nicht die anderen gestört…) - nur zu leicht habe ich dann verpasst, wenn ein neues Thema durchgenommen wurde…
Grundsätzlich habe ich mich nur am Unterricht beteiligt, wenn mich das Thema interessiert hat - noch heute lerne ich quasi dadurch, dass irgendeine Kleinigkeit am Rande mein Interesse weckt und ich mich dann Hals über Kopf in die Sache stürze. Sobald mich etwas langweilt, weigert sich mein Gehirn beharrlich, sich damit zu beschäftigen. Das hat in der Oberstufe z.B. zu der grotesken Situation geführt, dass ich in ein und demselben Halbjahr in Mathe nur 3 Punkte, in Informatik aber 14 Punkte hatte.
Mein Abiturnote war 3,0, und um ein Haar wäre
ich durchgefallen - allerdings habe ich insgesamt auch nuir 15
oder 20 Stunden dafür gelernt …
Auch ich habe vor dem Abitur nicht mehr getan, als noch einmal meine - spärlichen - Unterlagen kurz durchzublättern; allerdings hatte ich das Glück, dass es die reformierte Oberstufe erlaubte Zusatzkurse (wie eben jene Informatik) zu belegen, durch die ich die eher peinlichen Kurse ausgleichen konnte.
Als drittes kam noch dazu: Meine Gedanken waren für viele
andere nicht nachvollziehen, deshalb wurden sie als „Blödsinn“
oder mit „Wenn interessiert das?“ abgetan. Und über meine
Wortspiele oder Witze hat keiner gelacht, weil keiner um so
viel Ecken gedaht hat.
Jau, so isses. Meine gesamte Kindheit und Jugend war geprägt von dem permanenten Gefühl des Andersseins, des Unverstandenseins und - trotz eines festen Freundeskreises - des Alleineseins. Oft hatte ich das Gefühl, ich müsse mich ‚verstellen‘, um von meinen Freunden und auch von meinen Familienangehörigen akzeptiert zu werden - und wenn ich mich denn öffnete und etwas von der ‚wahren‘ Katze ans Licht ließ, war die übliche Reaktion nur zu oft ein mehr oder weniger freundliches ‚Du spinnst ja!‘
Auch deshalb beobachte ich die Entwicklung meiner Kinder mit gemischten Gefühlen - einerseits erfreut es ja das mütterliche Herz, sich selbst in den Kindern wiederzufinden, andererseits ist es eben kein Spaß, wenn man anders ist als die anderen. Zumal es auch durchaus geschehen kann, dass ein als ‚schlau‘ bekanntes Kind deutlich weniger Lob und Anerkennung bekommt als ein ‚normales‘. Ich beobachte dies auch in meinem eigenen großen Familienkreis: Schon unter meinen zahlreichen Geschwistern war ich der einzige ‚Freak‘, und auch in der Folgegeneration hat es nur meine Nachkömmlinge getroffen. Speziell für meinen kleinen Sohn ist es schwierig, denn er hat einen Cousin, welcher gerade einmal ein halbes Jahr jünger ist als er. Ein fröhliches, sonniges Kerlchen, das bislang nur in 2-Wort-Sätzen spricht und jedes Mal über den grünen Klee gelobt wird, wenn er z.B. mit Leidenschaft auf seines Onkels Schlagzeug herumtrommelt. Mein Knilch dagegen singt im Zweifelsfalle ein 3strophiges Lied, was aber nur als für ihn eben normal zur Kenntnis genommen wird - dafür lassen sich alle lang und breit darüber aus, wie ‚anstrengend‘ er ist.
Mit besten Grüßen
=^…^=
Katze
@Herr Meyer: Wenn Du wüsstest, wie ich manchmal anfange zu stottern und zu stammeln, weil ich mich gerade in meinen eigenen Gedanken verheddert habe… 