Mein Standardplädoyer mit Geschichte
Hallo Bianca!
Ja, man möchte nichts falsch machen und nicht versäumen, sein Kind so gut wie möglich zu fördern. Versteh ich. Wir haben ähnliches mitgemacht und machen es immer noch.
Durch unsere Umzüge mussten wir die U9 direkt beim Gesundheitsamt nachholen, bei einer Ärztin, die unser Kind nicht kannte und darüber hinaus anscheinend auch alles ganz richtig machen wollte. Wir kamen nach Hause, mit einer ganzen Liste von Mängeln an unserem Kind und waren auch überzeugt davon, dass unser Kind zum Ergotherapeuten, zur Logopädie und zum Orthopäden müsste, wenn nicht noch mehr.
Dann sind wir zum neuen Kinderarzt, der sich die aufgeführten Punkte noch einmal ansah und eigentlich alle relativierte: Dass ein Kind, dem beide großen Schneidezähne gerade fehlen nicht fehlerfrei spricht, ist ja irgendwo nachvollziehbar.
Die klassischen Kinderplattfüße würden sich von allein aufrichten, seiner Ansicht nach erschweren Einlagen dies.
Und die Zappelei und angeblichen Motorischen Schwierigkeiten guckte er sich noch einmal sehr genau an und sagte sinngemäß Folgendes:
„Wenn Sie darauf bestehen, verschreibe ich Ihnen eine Ergotherapie. Aber ich würde davon abraten.“ Er nannte einige Gründe:
- Der von Pomeranze genannte: Man vermittelt dem Kind, mit ihm sei etwas nicht in Ordnung.
- Man nimmt dem Kind die Gelegenheit, etwa durch Übung oder einfache Weiterentwicklung sich selbst zu verbessern. Bei der Ergotherapie wird es ja quasi als Patient behandelt, gibt die Verantwortung für sich ein Stück weit ab. So nach dem Motto: „Ich brauch mir keine Mühe geben. Ich bin ja krank. Der Doktor wird es schon richten.“ Es wird auch eine Art Hilflosigkeit gefördert. Bei kleinen Problemen gewöhnt man sich daran, sich externe Hilfe zu holen, ohne selbst an der Lösung zu arbeiten. Das hat auch was mit Vertrauen in das eigene Kind zu tun. Ein „Du schaffst das schon“ ist oft sinnvoller als ein „Lass, ich helf Dir.“
- Der Arzt sagte, er habe noch nie von einem Kind gehört, dass nach einer Anzahl verordneter Ergotherapiestunden als „geheilt“ entlassen oder bezeichnet wurde. Im Gegenteil: Unter der Lupe der genauen fachlichen Betrachtung offenbaren sich meist immer mehr Defizite, was wiederum zu Punkt 1. führt.
Was ich sagen will. Ergotherapie kann sicher auch sinnvoll sein, aber ich würde mir genau überlegen, ob das für Deinen Fall zutrifft. Ich würde zu diesem Mittel nur bei starken Beeinträchtigungen greifen und erst, wenn ich eine Weile abgewartet hätte, ob sich die „Mängel“ nicht durch normale (oder eben leicht zeitversetzte) Entwicklung, Übung, Erziehung selbst beseitigen.
Dass eine 5jährige ab und an unkonzentriert ist, halte ich für völlig im Rahmen (soweit von hier aus zu beurteilen). Die meisten Kinder trainieren das ab dem 1. Schultag Stück für Stück und das gibt sich früher oder später.
Bei meinem eigenen Kind übrigens später, wahrscheinlich gar nicht. Aber ich denke, er wird ja sein Leben lang mit seinem Charakter klar kommen müssen, ich werde ihn nicht grundsätzlich ändern und eine Therapie auch nicht. Lieber versuche ich ihm Methoden beizubringen, wie er mit seinen Eigenschaften (und „Defiziten“) durchs Leben kommt. Falls er massivere Schwierigkeiten in der Schule bekommt, wegen seiner Zappelei (nein, er hat kein ADHS, er ist einfach ein munteres Kerlchen), dann werde ich etwas unternehmen. Aber ich kann (und will auch) nicht jedes Hindernis für ihn beseitigen.
So, das war mein Plädoyer, ich hoffe, es wird nicht missverstanden.
Schöne Grüße
kernig