Kritik am Engagement anderer

Bei einem aktuelle Thread bin ich über ein Verhalten gestolpert, dass mir insbesondere im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise, aber auch bereits bei früheren Gelegenheiten wie z.B. Fukushima aufgefallen ist:

Wenn sich jemand für was auch immer persönlich oder finanziell engagiert, fühlen sich manche Leute - die sich selbst überhauot nicht engagieren - bemüßigt, dieses Engagement lautstark zu kritisieren. Da wird dann beispielsweise bemängelt, dass jemand sein Geld für den Tierschutz statt für bedürftige Menschen spendet oder sich um Flüchtlinge statt um einheimische Obdachlose kümmert.

Nun ist es ja grundsätzlich legitim, dass jeder seine persönlichen Schwerpunkte setzt, wenn es um die finanzielle oder zeitliche Unterstützung von Hilfsprojekten geht. Allerdings fallen diese Kritiker mit unschöner Regelmäßigkeit eben gerade dadurch auf, dass sie selbst in keinster Weise für die ihnen angeblich wichtigen bzw. wichtigeren Dinge aktiv werden - sie kritisieren nur andere für deren „falsches“ Engagement.

Wie lässt sich dieses Phänomen psychologisch erklären?

Die Frage ist sehr geschickt gestellt.
Aber Ziel sollte doch auch sein, solche Dinge nicht als gottgegeben zu nehmen, sondern möglichst aufzulösen.
Im angedeuteten Fall hat sich der Kritiker doch durchaus engagiert und zwar im ganz persönlichen Bereich?
(Ich persönlich finde solche Vergleiche und Wichtigkeitsthierarchien zwischen lebenden Wesen dennoch absurd und unwichtig.)

Psychologisch könnte deiner Frage nahe kommen die Frage „warum urteilt der Mensch so gerne?“
Und da ist es auf der lösungsorientierten Ebene oft der beste Weg bei sich selber zu gucken, „wo urteile ich?“.
Denn das tun wir alle. Der Haken ist nur oft, dass wir mitunter glauben, das sei nicht OK.Natürlich ist es OK, aber es ist auch nicht weltbewegend.Und genau darum dürfen zwei Meinungen auch nebeneinander stehen.
Warum können wir den anderen nicht in seinem Urteilen belassen, nachdem wir wissen und darauf hingwiesen haben, dass das Urteil seines ist und mit uns nur am Rande zu tun hat, vielleicht sogar völlig ohne Fundament ist?
Übermäßige Rationalität kann übrigens manchmal auch nur sein ein guter Abwehrschild gegen solche Verstrickungen.

Ich verstehe diesen Satz nicht, Könntest du ihn bitte erläutern?

Es geht mir nicht um den konkreten Fall; aber auch da hat sich der Kritiker selbst nicht für die als Argument angeführten notleidenden Menschen vor Ort engagiert.

Ich möchte es das nicht ins Allgemeine abdriften lassen - es geht mir tatsächlich ganz konkret um die Kritik an dem Engagement anderer durch Personen, die sich selbst nicht engagieren.

Das hilft nicht weiter, da ich selbst das Engagement anderer Privatpersonen in Bereichen/Weltengegenden, in denen ich mich nicht engagiere, nicht kritisiere. Vielleicht ist mir gerade deshalb das Phänomen bereits vor einiger Zeit (erstmals, wenn ich mich recht erinnere, tatsächlich im Zusammenhang mit Fukushima) aufgefallen. Außerdem möchte ich keine „Lösung“, ich will das Ganze nur nachvollziehen bzw. die psychologischen Hintergründe verstehen können.

Weil sie darauf hinaus läuft „Wie schränke ich die Meinungsfreiheit anderer ein und wie entgegne ich ihnen bei Mangel an Argumenten auf die psychologische (gefühlte Überlegenheits-) Tour?“
?

awM

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Verstehe.
Damit müsste dann der erste Satz auch nicht weiter beachtet werden

Nun glaube ich aber durchaus, dass das etwas mit der Leidenschaft am Urteilen zu tun hat und nur eine Abwandlung davon ist. Jeder halt, wo er gerade was findet.
Hier ist die Abwandlung zu einem einfachen Urteil noch die , dass man ja nicht für sich selber, sondern für andere argumentiert,es wirkt ein wenig selbstloser. So gelingt hin und wieder die Täuschung, dass das jetzt nichts, wie eigentlich alle Urteile dieser offensiven Art, mit dem Ego zu tun hat, sondern auch nur um einen selber kreist. (Steigt das Gegenüber dann ein und verteidigt sich betreiben zwei Egos Selbstbefriedigung.)
Nur selten steckt echter Altruismus dahinter, und dann kommt das auch anders rüber, nicht anklagend und weniger hart.

Das selbe Muster hatten wir übrigens auch bei Notre dame. Da wurden auch absurde Vergleiche aufgemacht, wie man denn für Kultur spenden könne, solange noch irgendwo Menschen leiden müssen.

Es ist nicht so simpel.
Aber urteilen tun wir alle, regelmäßig auch mit diesen trennenden Zwischentönen, die auf das eigene Ego hindeuten und nicht auf konstruktive Motive. Was OK ist.Aber das zu verstehen kann helfen.

.

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Das ist jetzt dein Urteil…

Inwiefern wird die Meinungsfreiheit (die im Übrigen vom Staat und nicht von Privatpersonen garantiert wird) eingeschränkt, wenn ich zu verstehen versuche, warum Leute, die sich selbst nicht engagieren, das Engagement anderer Personen schlecht zu machen versuchen?

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Erst kürzlich im Zusammenhang mit dem Brand der Notre Dame und dem übermäßigen spontanen Spendenfluß für die Restaurierung. Die Kritik daran war fast ein ebensolcher Internet-Hype wie der Brand selbst.

Unter den psychologischen Beschreibungskategorien scheint mir einer der → Abwehrmechanismen nächstliegend, und zwar die sog. → Projektion. Dabei wird ein innerer, als unangenehm erlebter Konflikt abgewehrt, verdrängt, indem derselbe einer anderen Person unterstellt wird. Er wird ihr „vorgeworfen“… daher der Terminus „Projektion“.

Der eigene Innere Konflikt wäre hier die kognitive Dissonanz: „Ich verhalte mich nicht faktisch so, wie ich meine, mich gemäß meiner eigenen ethischen Grundsätze verhalten zu müssen.“

Indem ich genau diesen Verhaltenswiderspruch dir vorwerfe, kann ich mich von der uangenehmen Selbstbefindlichkeit befreien, daß ich eigentlich mir selbst diesen Vorwurf mache.

Gruß
Metapher

Meinem Eindruck nach wird aber im Normalfall dann über das Verhalten anderer negativ geurteilt bzw. dieses verurteilt, wenn sich dieses Verhalten von dem eigenen Verhalten unterscheidet bzw. sich von diesem bewusst abgrenzt (klassisches Beispiel: Fleischesser vs. Veganer).

Auffällig finde ich bei dem hier thematisierten Phänomen aber gerade, dass die Kritiker an dem Engagement anderer sich nicht etwa selbst für etwas anderes, sondern eben gerade nicht für das als Argument herangezogene „bessere“ Thema bzw. Projekt engagieren.

Stimmt, da ist es mir auch aufgefallen - wobei da noch als zusätzliche Komponente die Kritik an Großspendern hinzukam. Während aber Großspender zumindest theoretisch die Möglichkeit haben, sich zusätzlich auch für andere Bereiche zu engagieren (und das oft genug auch tun), finde ich die Kritik an privaten Personen besonders seltsam, da diese meist nur einen vergleichsweise kleinen Betrag für Spenden zur Verfügung haben und auch nur über begrenzte Zeit verfügen, in der sie sich für ein Anliegen einsetzen können.

Das mag sein, aber die Kritik an dem Engagement anderer macht auf mich einen besonders destruktiven Eindruck,

Yep.
Aber am Ende ist es dem Ego egal, woran es seine story ausbreiten kann.Es geht um die Hierarchie ich Recht, du Unrecht, ich cool, du Holzweg.

Aber im aktuellen Fall finde ich ein persönliches Engagement , direkt mit einer Person, die man unterstützt durchaus wert, es gelten zu lassen!
Ich wäre dafür, diesen Fall, der wohl Anlass für die Frage war, von der grundsätzlichen Frage, für die es grundsätzlich aber genügend Beispiele gibt, zu trennen.

Es trifft den Nerv derer, die sich für engagiert und altruistisch halten.Und aus irgendeinem Grund da noch interne Konflikte haben.
Wir urteilen ja alle nicht nur gerne, wir verteidigen ebenso gerne, worüber wir unseren Standpunkt schon gefunden haben.
Und viele von uns sind gebrannte Kinder aus ganz früher Lebenszeit und damit aufgewachsen, dass unsere Standpunkte nicht ernst genommen, gesehen und gewertschätzt wurden. Geradezu der Klassiker für eine Kindheit als Tochter/Sohn derer, die noch den Krieg mit erlebt haben oder kurz danach geboren wurden. (Das war aber vorher auch schon so, hatte aber andere Nuancen.)

Weniger destruktiv wird das, wenn wir als Gegenüber uns nicht verstricken.
Indem wir in aller Subjektivität unseren eigenen Standpunkt schätzen und vertreten und selbstverständlich dennoch Zuweisungen benennen und uns Schuhe nicht anziehen.
Das game ist so tricky, weil schnell beide involviert sind, manchmal sogar bei bester Absicht auf beiden Seiten.

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Das hast du wirklich schön erklärt!
Und man kann das in einem Forum, das - nomen est omen- wer weiss was auch noch heisst alltäglich beobachten.

Ich finde es sehr bedenklich, das Ganze unter dem Dach eines psychologischen Phänomens abzuhandeln und dem „Kind“ dann auch noch den Namen Projektion zu geben. Damit kann man nämlich berechtigte Kritik auch schön in eine Schublade stecken, Klebchen „Plemplem“ oder „du bist das Problem“ und nicht etwa das, was du kritisierst.

Ich weiß nicht, um welchen Thread es in der Ausgangsfrage geht. Aber du hast hier das Beispiel Notre-Dame genannt. Die Kritik, soweit ich sie mitbekommen habe, fokussierte weitgehend auf die Großspender und war ziemlich differenziert, in weiten Teilen aus meiner Sicht auch berechtigt. Was man dieser Kritik in jedem Fall nicht vorwerfen kann, ist der Vorwurf der Projektion. Zumal man ja über die Kritiker gar nichts weiß oder man weiß, dass sie sich engagieren. Das heißt der Vorwurf, dass diese sich nicht engagieren würden, stimmt entweder gar nicht oder man kann über das Engagement nichts sagen. Das Stichwort Projektion passt also m.E. bei der Notre-Dame-Diskussion bzw. den Kritikern an den Spenden nicht.

Wenn man überhaupt von Abwehr oder anderen Phänomenen sprechen kann, wäre m.E. eher zu diskutieren, warum vehement und reflexhaft jedwede Kritik in dieser Richtung als Neid tituliert wird, um sie auch gleich abzuwürgen.

Grundsätzlich halte ich es aber, wie eingangs angesprochen, für sehr, sehr gefährlich, in einer Diskussion mit psychologischen Effekten zu kommen und das sollte man meiner Meinung nach auch lieber lassen. Es ist wesentlich sinnvoller, den Diskurs auf inhaltlicher Ebene zu führen.

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Nenn es Vorahnung…

awM

Nein, denn kritisiert wurde ja, dass Tieren und nicht notleidenden Menschen vor Ort geholfen wird - und das tut der Kritiker ja selbst auch nicht. Dass jemand in der Firma, in der er arbeitet, nett zu jemandem ist, der aus einer Region stammt, in der es notleidende Menschen gibt, ist m.E. qualitativ etwas ganz anderes.

Wenn du in einer Gesprächsrunde einen bestimmten Friseur empfiehlst, sich daraufhin jemand, der sich die Haare gar nicht von einem Friseur schneiden, sondern diese lang wachsen lässt, lautstark darüber auslässt, wie schlecht dieser Friseur doch sei, und du dich über dieses Verhalten wunderst - bedeutet das dann, dass du einen inneren Konflikt bezüglich deiner eigenen Haare hast?

Es gibt m.E. auch unberechtigte Kritik. Und ich habe ja, denke ich, ziemlich genau beschrieben, worum es mir geht - die Kritik an dem Engagement anderer durch Personen, die sich selbst nicht engagieren.

Es ging um einen Fall, in dem Spenden für ein Tierschutzprojekt mit dem „Argument“ kritisiert wurden, dass es in der Region, in der dieses Tierschutzprojekt tätig ist, ja auch notleidende Menschen gebe - vorgebracht von einer Person, die selbst den notleidenden Menschen in dieser Region nichts spendet.

Nein, das kam erst später und ursprünglich nicht von mir - auch wenn ich mich dabei über die heftigen Reaktionen ebenfalls gewundert habe. Die Sache mit den Großspendern habe ich bereits erwöhnt, auch wenn ich einen großen Teil der Kritik nicht sonderlich differenziert fand.

Das habe ich nicht getan.

Ich habe die Frage nicht in der Diskussion selbst gestellt, sondern extra gesondert in dem passenden Brett, da ich wirklich gerne verstehen möchte, was die Kritiker zu ihrem Verhalten bewegen mag.

Meiner Erfahrung nach ist das gerade bei denjenigen, die andere für ihr Engagement kritisieren, aber sich selbst nicht engagieren, nur sehr eingeschränkt oder sogar gar nicht möglich.

Doch und ich habe ja auch gesagt, dass ich diese Art von Vergleichen grundsätzlich ablehne.Ich finde sie absurd.

Wer sich in meinem Beispiel für altruistisch und für einen von den Guten hält ist der, der solche Vergleiche aufstellt.
Indem er sich über den, der Tieren helfen will erhebt und dessen Wunsch zu helfen abwertet und anfängt Hilfe zu wiegen.
Es ermöglicht ihm zu glauben, irgendwie noch besser zu sein.
Der Konflikt in diesem Fall wäre der mit dem tatsächlich auch vorhandenen inneren Anteil, der nämlich alles andere als altruistisch ist.Näher kann ich diesen Anteil nicht beschreiben, weil er immer unterschiedliche Formen hat.

Daher hatte ich das Thema Meinungsfreiheit frühzeitig ins Spiel gebracht.

awM

Und wo ist da der Zusammenhang?

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Huhu! :sleeping:

ich lese den Text zu Beginn dieses Threads etwas anders. Aus meiner Sicht geht es hier um die Mechanismen des Schlechtredens, der Lästerung, Abwertung. Ich vermag jetzt schnell nicht die Unterschiede dazwischen zu kennzeichnen. Es geht aber, denke ich, um die ansteckende Kraft der Einladung, über jemand schlecht zu reden. Ungefähr so als ein imaginärer Dialog: Geht es dir gut? - nein? ooh, wer hat dir das angetan? - es folgt schlechtreden über die dritte Person. Oder in dem konkreten Fall hier: die einen unterstützen das Spenden für den Tierschutz oder das Kümmern um die Flüchtlinge, die anderen kritisieren das: stattdessen solle man für bedürftige Menschen spenden. Die ersten regen sich über diese Kritik auf und fragen ad hominem: und selbst, hast du denn gespendet für deine bedürftigen Menschen? - nein? es folgt schlechtreden über die dritte Person.

Ich denke, das ist ein anderer Mechanismus als die Projektion. Über die Gruppenbildung als Funktion spricht man in diesem Zusammenhang sofort. Aber das Erstaunliche für mich in diesem Mechanismus, das Besondere ist - dass es hoch emotional und ansteckend ist:

Hast du dafür einen besser passenden Begriff?

Liebe Grüße
peet

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Mit dem Argument kann man sich so schön von jedem schlechten Gewissen frei machen: Es gibt IMMER etwas anderes, für das ich mich AUCH engagieren könnte, von dem ich mir einreden kann, es sei noch wichtiger. Dann lasse ich es lieber ganz und engagiere michgar nicht… ist eh viel bequemer!