Missverständnisse (Vorsicht: lang!)
Hallo Franz,
dass kein Interesse daran besteht, diejenigen Fragestellungen
zu diskutieren, die darin -gleichsam als unausgesprochene
Fragen- mittransportiert werden.
das scheint mir nicht richtig zu sein, denn der User ist nicht nur von mir mehrfach aufgefordert worden, seine Ideen zu präsentieren. Was er gemacht hat, war, dass er die anfangs noch gemäßigten, ja sogar Interesse zeigenden Einwände gegen seine Darstellungen als Angriffe gegen ihn persönlich wertete. Das ist eine ganz übliche und keineswegs seltene Haltung von fachlichen Laien nicht nur im Bereich der Philosophie und insofern nicht weiter bemerkenswert. Hier wird das Unvermögen, gegen Argumente zu kämpfen damit überdeckt, dass man den anderen unterstellt, SIE hätten den blinden Fleck. Damit wird die Argumentation gegen sie als Abweisung ihrer Person dargestellt, weil damit der vermeintliche (!) Angriff als unmoralisch gebrandmarkt werden soll.
Anders verhält es sich mit der
Frage, ob nicht der
Einfluß des staatlichen Bildungsapparates (schulisch und
universitär) auf die Produktion von Wissen, also auch von
philosophischem Wissen, nicht doch eine „Lehrmeinung“
hervorbringt, die vielleicht nicht in einzelnen Dogmen (wie
Kriwetz meint), aber doch eventuell immerhin in einem
geschlossenen Raum der Fragestellungen besteht (eine -fast im
Sinne Heideggers- durch die Akademisierung der
Wissensproduktion entstande "Seins-Vergessenheit), durchaus
festzuhalten wäre.
, die differenzierter aus meiner Sicht differenzierter beurteilt werden muss, als du es hier so kurz darlegst (bitte, das ist kein Vorwurf, nur eine Feststellung). Zunächst einmal muss das zugrundeliegende berechtigte Ansinnen vom unberechtigten getrennt werden. Unberechtigt ist nämlich z. B. der Einwand, den Frank hier dauernd bringt. Da scheint es denn so, als ob die Vertreter der
„bürgerlichen Lehrmeinung“ (ein Begriff, den ich mit Absicht in Anführungszeichen setze!) einer „ideologischen Lehre“ aufsitzen würden, dem die richtige Lehre gegenübergestellt werden müsse.
Dabei wird gerne übersehen, dass gerade die Vertreter dieser vermeintlich richtigen Lehre die eigentlichen Ideologen (Ideologie im Sinne von „falscher Meinung“) sind, weil nämlich sie - und nicht etwa die Schulphilosophie - sich als Vertreter der einzig richtigen Lehrmeinung darstellen. Da hört man dann immer so Sätze wie Marx (oder gar Engels) habe ein „Dilemma aufgegriffen“, und dann wird dieses „Dilemma“, das vielleicht sogar zu Recht von Marx aufgegriffen wurde, als das Zentralproblem ALLER Philosophie hingestellt.
Es ist aber kein Problem da, wenn man Marx oder andere als diskutierende Personen akzeptiert, die einen vielleicht in ihrer Zeit und möglicherweise sogar darüber hinaus wichtigen Ansatz gemacht zu haben. Dann nämlich kann man darüber diskutieren. Aber genau das wollen die Vertreter dieser eigentlichen Ideologie gar nicht, weil sie ihre Meinung (das ist in der Regel die bei Marx oder entsprechenden Denkern abgelesene oder sogar hineininterpretierte Meinung) für ABSOLUT unanfechtbar halten. Und genau das ist Dogma, das Gegenteil ALLER (berechtigten) Philosophie.
Und damit ist der Übergang zum möglicherweise berechtigten Einwand:
Sind die Mechanismen der
Wissensproduktion (einheitliche, weil staats- und
ökonomie-getragene Ausbildungssysteme, bürokratisches Schema
der Disziplin-, Fakultäts-, Bibliotheks-,
Zeitschriften-Einteilung, etc.) tatsächlich dem Wissen selbst
äußerlich?
Das Entscheidende in der Philosophie ist nicht das Wissen, sondern die Fähigkeit, von eben diesem Wissen als feststehendem abzusehen, es zu reflektieren. Dass innerhalb der Philosophie Schulen existieren, widerspricht diesem Grundsatz nicht, denn es scheint nur so, dass die meisten von ihnen mit den anderen nicht vereinbar wären. Der innerphilosophische Streit wird - und dieser Vorwurf ist zumindest teilweise berechtigt - gerne so geführt, als wenn es so wäre, dass Meinung A gegen Meinung B stünde und damit die Sache eben so sei. Das ist aber nicht der Fall. Richtig ist, dass vielfach so diskutiert wird.
Richtig philosophisch diskutieren aber heißt, dass man eben nicht die Meinungen gegenüberstellt, sondern die jeweiligen Begründungen dieser Meinungen und wenn das nicht reicht, die Begründungen der Begründungen. Diese Vorgehensweise findet man bei allen Philosophen, auch beim frühen und gelegentlich auch beim späten Marx, man findet sie nicht mehr bei Engels (der Anti-Dühring ist vor allem Polemik) und auch nicht in den veröffentlichten Schriften von Lenin (gelegentlich aber in seinen aus dem Nachlass veröffentlichten Schriften).
Wer philosophisch diskutieren will, muss also nach den Gründen für die gemachten Aussagen suchen. Wenn also die Meinung A gegen die Meinung Nicht-A steht, dann muss man sich auf verschiedenen Ebenen nach der Berechtigung (und genau das ist eine Begründung) der einzelnen Aussagen fragen. Das geschieht auf mehreren Ebenen, die ich natürlich nicht alle ansprechen kann, aber nennen möchte ich etwa die Frage nach der Verwendung der richtigen Begriffe. Dann argumentiert man etwa so: Deine Aussage ist falsch, weil du den falschen Begriff B verwendest. Und nun hat sich die Diskussionsbasis verlagert um eine Ebene nach hinten sozusagen. Wir streiten - zunächst! - erstmal nicht um A oder Nicht-A, sondern um die Berechtigung der Formulierungen, die wir verwenden.
Jetzt wird deine zweite berechtigte Frage interessant:
Muss nicht der Autodidakt, also derjenige, der
diesem Produktionssystem äußerlich ist, nicht zurecht die
„Lehrmeinung“ als Monolithen erleben (Man denke dabei an
Rousseau, Marx, Nietzsche, etc.)?
Die beschriebene Vorgehensweise ist dem Autodidakten zunächst fremd. Die drei von dir genannten Namen können da aber nicht so einfach genannt werden, weil sie jeder für sich eine eigene von den anderen abweichende Problematik zeigen. Was der Autodidakt aber meistens nicht lernen will, weil er es für unwichtig erachtet, ist, dass er - wenn er seine Meinung vertreten möchte - die Begründungen für diese Meinung mitliefern muss, jedenfalls sofern er ernst genommen werden möchte. Ich kann auch nicht zu einem Mediziner gehen und ihm vorschlagen, die nächste Blinddarmentzündung einmal versuchsweise mit Tritten gegen das linke Schienbein zu behandeln. Er würde mich zu Recht auslachen. Wenn ich aber nachweisen könnte, dass ich Versuchsreihen gemacht hätte, die die Wirksamkeit belegen, wäre die Sache schon anders. Daher muss auch dem Autodidakten zugemutet werden, ein Mindestmaß an Begründungen zu liefern - und nicht nur implizit.
Die dritte Frage berührt wiederum etwas ganz anderes.
Kann es nicht sein, dass
deshalb eine (fast im Habermaschen Sinne gemeint) „System“
gewordene Philosophie tatsächlich der „Lebenswelt“, also den
gesellschaftlichen Praktiken, überaus unzugänglich geworden
ist, und das nicht erst in den Antworten, sondern in den
Fragestellungen selbst? Ist also vielleicht nicht Kriwetz ein
Symptom genau dieser Fragestellungen und damit -zumindest in
dieser Hinsicht- durchaus ernst zu nehmen?
Kriwetz lasse ich jetzt einmal außen vor, weil das hier nicht einschlägig ist. Was du ansprichst, ist eigentlich die zunehmende Entfernung der akademischen Philosophie von der (nicht nur) gesellschaftlichen Wirklichkeit. Hier muss man sagen, dass es in neuerer Zeit einige Ansätze gibt, die dem entgegenwirken wollen, aber die Besprechung würde hier zu weit führen (und außerdem muss ich gleich weg - aber wir können ja in den nächsten Tagen weiterdiskutieren).
Herzliche Grüße
Thomas Miller