Hallo Thomas,
ich sehe mich keineswegs als Vertreter der OLP.
Wollte ich Dir auch nicht unterstellen; habe die OLP nur als hier passendes Beispiel genommen.
Es geht
einfach darum, dass man nicht mehr verstanden wird, wenn man
sich nicht am normalen Gesprächsgebrauch orientiert (natürlich
im jeweiligen Umfeld). Im fachlichen Umfeld ist das natürlich
ganz anders als im umgangssprachlichen. Und wenn es keine
Einigung gibt, dann diskutiert man eben zuvor über die genaue
bzw. dort übliche Verwendung.
richtig, gar keine Frage! Nur gebe ich zu bedenken, dass es weder d i e Fachsprache, noch d i e Umgangssprache gibt, sondern dass dort alle möglichen Begrifflichkeitssysteme nebeneinanderstehen; und außerdem kann sich ein Fachdiskurs niemals ausschließlich an der Umgangssprache orientieren, sondern muss immer zu einem bestimmten Quantum am jeweiligen Fachdiskurs anschließen, einfach weil er die (Begriffs-)Geschichte seines Diskurses kennen muss, um nicht bloß ständig das längst Gesagte zu wiederholen; richtig aber ist, dass die Umgangssprache die Verständigungsbasis darstellt.
ein Nebeneinander von
Umgangssprache und fachspezifischer Frage ist undenkbar
Warum? Es kommt doch auf das Umfeld an. Wenn ich
Philosophielaien mit „Kategorien“ oder „Dialektik“ komme,
verstehen sie es erst nicht. Wenn ich es aber erklärt habe,
verstehen sie es schon. Dabei gibt es natürlich auch wieder
verschiedene Ebenen der Unterhaltung. Mit einem Kantexperten
redet man anders als mit einem Hegelexperten, sofern man
selbst das eine oder andere jeweils ist.
So habe ich es ja gemeint; ein Nebeneinander ist deshalb undenkbar, weil beide „Sprachen“ ständig ineinander verwoben sind, also, wenn Du dem Laien die Dialektik erklären willst, musst Du auf zuerst auf die Umgangssprache zurückgehen, um ihn mit in die Fachsprache nehmen zu können (umgekehrt übrigens genauso: so bekommt ein neu entdecktes Phänomen einen Begriff der Umgangssprache bzw. einen durch den Zeichenvorrat der Umgangssprache verständlichen Neologismus); und Dein Argument mit den „verschiedenen Ebenen“ sehe ich als meinem Argument der „Pluralität von Begrifflichkeitssystemen“ nahe.
wissenschaftliche Praxis ist soziale Praxis.
Das mag sein, aber sie ist keine (hinreichende) Theorie, und
da Theorie Wissenschaft ist, Praxis aber nicht, ist sie keine
Wissenschaft.
Das ist schon klar, trifft aber nicht das, was ich damit meine; Ich versuche es anders; gerade wegen der Tatsache, dass Fach- und Umgangssprachen (im Plural) nicht rein nebeneinander laufen können, sind alle Begriffssysteme (nicht: einzelne Begriffe!) grundsätzlich überdeterminiert: ihre semantische Reichweite ist nicht auf auf die Fachsprache als eine gänzlich von der Umgangssprache abgetrennte „künstliche Sprache“ zu beschränken; also wird die Begrifflichkeit eines Fachdiskurses genauso von der Entwicklung der Umgangssprache beeinflußt, wie auch umgekehrt; die Frage von Theorie und Praxis wollte ich hier gar nicht anschneiden.
der abstrakte Begriff (also auch die abstrakte Wahrnehmung) wirkt
als wissenschaftlicher/umgangssprachlicher in der Realität,
sorgt für die Reproduktion des Bestehenden:
Das ist richtig, die Wirkung muss aber vom Gebrauch (also von
der Bedeutung) unterschieden werden.
Ja! (würde gerade auch Marx sagen)
Totalitarismusthese (nicht nur in der Arendtschen Version)
Lass uns das mal bitte ausblenden, ich bin im Moment etwas in
Zeitdruck, und das wird mir zu viel. Wir können ja später das
nochmal aufgreifen.
Lassen wir das ganz weg; es war anfangs ja nur ein beiläufige Bemerkung.
der „Sprung“ hat nicht mit Ablehnung von Begründung zu tun!!!
Es geht prinzipiell darum: Während die „bürgerliche“
Philosophie von einem Erkenntnissubjekt ausgeht, das
prinzipiell alles Erkennbare erkennen kann, also voraussetzt
(!), dass jeder Mensch grundsätzlich das erkennen kann, was
ein anderer Mensch auch erkennen kann, ist das
Erkenntnissubjekt des Marxismus ein anderes;
Wenn das eine eine Grundannahme ist, ist es das andere auch.
Wenn man also darüber einen Konsens erreichen möchte, muss man
darüber diskutieren, welche von beiden Annahmen die
wahrscheinlichere ist.
Richtig, das sind Grundannahmen, die Marx (und Freud; auch Heidegger, etc.) von den „anerkannten“ Positionen trennen. Aber es kann hier nicht um Wahrscheinlichkeit gehen; es geht wohl vielmehr um die Frage, ob man zu Recht voraussetzen kann, dass es so etwas wie den Menschen gibt (jenseits aller biologischen „Spezies“), oder ob man das nicht kann. Diese Voraussetzung zu machen, halte ich für Metaphysik, weil inmitten eines Diskurses vom Diskurs abstrahiert wird und auf den Träger des Diskurses geschlossen wird (den Mensch als Sprecher; darum Heideggers Kritik an der Vorstellung des animal rationale). Marx und die Genannten streiten ja nicht ab, dass unter bestimmten Bedingungen, diese Situation, dass alle Menschen gleich erkennen können, erreicht werden kann, sie setzen sie lediglich nicht von vorneherein spekulativ voraus.
Du hast also mit Deinem Argument der „Wahrscheinlichkeit“ recht, wenn Du darunter verstehst, dass man darüber streiten kann, wie die Verständigung der Menschen empirisch zu beurteilen ist; die Frage, ob man eine solche Voraussetzen setzen kann, ist aber weder mit Empirie noch mit Wahrschienlichkeitsbetrachtungen einzuholen;
Man muss also begründen, warum man
jeweils seine Grundannahme macht. Was also spricht für die
These, dass jeder alles erkennen kann? Nun, dafür spricht die
Einheitlichkeit der Erklärungsmuster, die universell sind,
eben weil sie logisch bzw. begründet sind.
Nein, auf der Basis, dass sich h e u t e in der westlichen Welt außerhalb der geschlossenen Anstalten und oberhalb eines bestimmten Bildungsniveaus universelle Erklärungsmuster und die „Gesetze“ der Logik finden lassen, lässt doch noch lange nicht darauf schließen, dass dies aus der (natürlichen) Ausstattung des Erkenntnissubjekts entstammt; Was machen wir mit dem „Geisteskranken“, dessen Erklärungsmuster alles andere als „logisch sind“? Ist er deshalb schon kein Mensch mehr? Definitiv kann er jedenfalls nicht alles erkennen, anderes aber vielleicht schon, was wir nicht erkennen können.
Wenn ich hingegen
an einer bestimmten Stelle nicht in der Lage bin, etwas zu
erkennen, dann kann ich es mir doch sehr wohl durch Begründung
erarbeiten. Mit der anderen Herangehensweise bin ich
festgelegt und habe keine Chance. Möchtest du das allen
Ernstes behaupten?
Ja allerdings; ich sehe nicht, wie „man sich alles erarbeiten kann“; ich verstehe auch gar nicht, warum man das nicht behaupten könnte; geifen wir als Beispiel nochmal zum „Geisteskranken“: nur derjenige, der eine bestimmte Disposition erworben hat, kann jemals erkennen, was paranoider Verfolgungswahn ist; wir, die wir diese Disposition nicht haben, können lediglich dessen Beschreibung in unsere Wahrnehmungsmuster pressen und dann über die Symptomatiken dieses „Leidens“ sprechen, nicht aber erkennen, wie es der Paranoiker erlebt, also was es für ihn ist; Du wirst nun vielleicht sagen: das ist die normale Problematik des Fremd-Verstehens; das ist es zum Teil auch, aber eben auch viel mehr, weil eben der Paranoiker „Dinge“ erkennen kann, die andere nicht erkennen können, „Dinge“ über deren tatsächliche Realität wir nicht so leicht ein Urteil fällen können; (bitte hänge Dich nicht an diesem Beispiel auf; es ist anschaulich, aber trifft nicht genau meinen Punkt, weil wir teilweise zu Recht dem Geisteskranken Wahn unterstellen können) Und wenn Marx sagt, dass man den Kapitalismus in seiner Gänze, damit in seiner Überwindbarkeit, erst in der Konstellation eines bestimmten „Ausbildungsniveaus“ in Verbindung mit erfahrener Verelendung und Hoffnungslosigkeit erkennen kann, dann würde ich zwar der von ihm bestimmten Konstellation (die natürlich mehr umfasst, als das was ich gerade genannt habe) widersprechen, aber sein Grundargument, dass die Erkenntnisleistung nicht „angeboren“ ist, dem Erkennen als Transzendental vorausgeht, halte ich nicht für „unwissenschaftlich“. Und mit Religion hat das Ganze schon deshalb nichts zu tun, weil diese entweder der Meinung ist, prinzipiell könne jeder Mensch glauben/Gott erkennen, oder aber im anderen Extrem von „Auserwählung“ ausgeht. Beides greift also eher zu der Position einer „Grundausstattung“ des Erkenntnissubjekts.
Auch bei Marx geht es doch um das Selbstdenken nicht anders
als bei Sokrates, oder? Das ist doch das, was ein Denken zur
Philosophie macht, und gerade insofern ist ja Marx auch
Philosoph, eben als „früher Marx“.
Der frühe Marx geht von der Position des „Erkenntissubjekts“, das prinzipiell alles erkennen kann, aus; Wenn es faktisch heute dies nicht kann, ist dies seiner Entfremdung geschuldet; im Kommunismus wird es dies wieder können. Das ist für mich zutiefst religiös: Paradies -> Sündenfall -> Erlösung; (bei Hegel das gleiche Muster) erst der späte Marx, der sich von Feuerbach und Hegel gelöst hat, nimmt die von mir gezeigte Position an, das heißt, er setzt nicht mehr voraus, dass das Faktische ein Mangel ist, der sich einem Sündenfall verdankt, und wieder behoben werden kann. Das finde ich einen unglaublichen Fortschritt, weshalb meines Erachtens diese Marx’sche Entdeckung (auch: Freudsche, Heideggersche, poststrukturalistische, etc. Entdeckung) unhintergehbar ist, einfach weil sie nicht ein Dogma errichtet, sondern im Gegenteil eines bricht.
Als später Marx hat er sich
dann eben von der Philosophie entfernt, sie aufgegeben, man
könnte auch sagen: axiomatisiert.
siehe oben. Wenn für dich Philosophie notwendig an die genannte Voraussetzung gebunden ist, dann ja. Und das würde ja auch der Meinung Marx’ entsprechen (der die Philosophie seinem Selbstverständnis nach beendet hat). Für mich ist Philosophie aber etwas mehr, nämlich die Reflektion der Wissenschaften bzw. der Begrifflichkeitssysteme; dass sie dabei an Begründungen gebunden ist, bestreite ich überhaupt nicht, lediglich, dass es Begründungen gibt, die zum Konsens führen m ü s s e n, wohl aber führen können. Übrigens. Den Vorwurf der Axiomatisierung teile ich nicht, eher sehe dessen genaues Gegenteil.
Und hier sehe ich Land für
einen Konsens zwischen uns. Marxens späte Schriften kann ich
als politische und damit eben angewandte Philosophie durchaus
gelten lassen, ich würde sie aber für verfehlt halten und
eigentlich auch nicht für philosophisch und damit nicht für
wissenschaftlich, weil sie ihre Axiome nicht kritisieren
lassen wollen.
Das sehe ich wie gesagt ganz anders. Natürlich können diese „Axiome“ kritisiert und diskutiert werden, aber eben nicht einfach durch ein anderes „Axiom“ (Ich würde es lieber „Voraussetzung“ nennen) ersetzt werden, aber das ich doch keine Eigenheit des Marxismus.
Sie gelten eben. Basta. - Und das ist eine
zutiefst unphilosophische Haltung.
Man kann natürlich Marx so interpretieren! Von daher gebe ich Dir ja durchaus Recht; dass er auch so interpretiert worden ist und wird ist auch richtig; dass er möglicherweise (da bin ich gar nicht sicher) sogar damit als Staats-„Religion“ dienen musste, stimmt auch, aber hat nicht etwa für Aristoteles im Mittelalter nicht das ganz Gleiche gegolten? Warum also reden wir über Aristoteles noch heute? Weil wir ihn so interpretieren, dass er philosophisch zu verstehen ist. Warum bei Marx nicht? Und Du wirst nicht behaupten können, dass ich eine Basta-Haltung an den Tag lege; dennoch stehe ich auf dem Boden des späten Marx.
Das ist übrigens auch ein
Einwand gegen die Logistik, die du ja auch ablehnst. Sie ist
zwar richtig, stellt aber ihre Voraussetzungen nicht zur
Disposition bzw. nur in Ausnahmesituationen oder spielerisch.
(Das ist jetzt sehr kurz formuliert, aber vielleicht verstehst
du mich ja trotzdem.)
Verstehe ich. Und teile ich. Darum meine Kritik an dem Marx-Verständnis, das so vorgeht. Für dieses Verständnis trifft Deine Kritik vollkommen zu. Ich glaube hier haben wir einen ersten Konsens erreicht!
ich würde aber zumindest
darauf bestehen, dass es von seiner Position im Verhältnis zum
Gesamten der Gesellschaft abhängt);
Du meinst, dass man nicht Philosophieren kann, wenn man am
Fließband stehen muss, um Geld zu verdienen? Das bezweifle
ich. Ich kenne einige Menschen, die das sehr wohl können,
jedenfalls prinzipiell, sofern sie sich Mühe geben,
Begründungsverhalten zu lernen.
Nein, das trifft nicht die Sache. Es geht eher darum, dass man seiner Position gemäß bestimmte Erfahrungen macht, bestimmte Haltungen annimmt, ein bestimmtes Seblbtverständnis erwirbt, ein bestimmtes Verhältnis zu seiner eigenen Zukunft (gute/schlechte Aussichten, etc.) erlangt, etc. Diese „Dinge“ wirken quasi als „Kategorien“ der Wahrnehmung. Ungefähr so könnte man das Erkenntnissubjekt bei Marx verstehen (feilich nicht so „psychologistisch“, wie mein Beispiel)
Nun ist es heute in Westeuropa nicht mehr der Fall, dass die großen Scheidelinien entlang der Berufsarbeit verlaufen, von daher ist Dein Beispiel nicht mehr zutreffend. Übrigens: selbstverständlich kann jeder Philosophieren als Technik lernen, aber das was er philosophiert, kann nicht an seinen „Kategorien“, damit an seiner gesellschaftlichen Position, vorbeilaufen.
Grunddifferenz, aber doch kein „Rückfall hinter Sokrates“!!!
Schon bei Hegel ist das Erkenntnissubjekt historizistisch
eingerahmt, kann der alte „Römer“ nicht das selbe erkennen wie
der „Preuße“;
Aber das gilt nicht prinzipiell, sondern empirisch - und damit
zufällig. Geschichte ist kein Gesetz. Das ist bei Hegel
genauso falsch wie bei Marx.
Richtig; bei Hegel völlig falsch; bei Marx falsch, wenn man ihn hegelianisch interpretiert; darum meine Unterscheidung der Dialektik in zwei Varianten! Geschichte ist immer gesetzlos („zufällig“ wäre mir zu stark): sie kann auf keinem Gesetz ruhen; Gesetze und damit Notwendigkeiten können immer nur in der Geschichte und von der Geschichte hervorgebracht werden. Die Variante 2) der Dialektik, die ich für genuin Marxistisch halte, erkennt dies an. Wer Geschichte als Gesetz begreift, betreibt Theologie, nicht Philosophie, weil er das Gesetz in der Geschichte aus der Geschichte herausnimmt und zu ihrem Fundament macht
ich verstehe nicht,
inwiefern dies an Religion erinnert; im Gegensatz zur
„bürgerlichen“ Wissenschaft versucht der Marxismus zu
erklären, warum es hier keinen Konsens geben kann (was ja
faktisch stattfindet und damit erklärungsbedürftig ist!),
Aus meiner Sicht ist das eben überhaupt keine Erklärung,
sondern
Abschottung, eben weil die Prämissen nicht stimmen bzw. nicht
reflektiert werden. Ohne diese Reflexion gibt es keine
Erklärung, sondern nur eine Pseudo-Erklärung (ist wieder nicht
schroff gemeint).
Dass es Abschottung sein kann, gebe ich zu; das es aber nicht nur Abschottung ist, habe ich wohl in diesem Posting ausführlich gezeigt.
während Du einfach voraussetzt, dass Konsens prinzipiell
möglich sein muss; warum kann der Marxismus deshalb nicht als
Wissenschaft „ernst genommen werden“?
Ich setze es nicht voraus, sondern meine, dass die
Begründungsfunktion dadurch besser ist, weil man nicht auf sie
verzichten kann, weil sie reflexiv begründet werden kann
(Stichworte: Apels Transzendentalpragmatik, Habermas
Universalpragmatik).
Also Du meinst, man bräuchte sie als „kontrafaktische Unterstellung“? Meine Kritik an Apel und Habermas wäre aber, dass diese „k.U. einer idealen Sprechsituation“ keineswegs alles Sprechen begleiten m u s s; mit der Setzung diese „Muss“ wird meines Erachtens nur die genannte Voraussetzung eines Erkenntnisobjekts, das prinzipiell alles erkennen könnte, auf eine „höhere Stufe“ gelegt, nicht aber mit ihm gebrochen
Viele Grüße
franz