Ethik und Wissenschaft
Hallo Franz,
das Ganze ist etwas unübersichtlich und lang geworden, …
stimmt, das finde ich auch, zudem ist Wochenende und ich kann dann nicht immer online sein. Vielleicht konzentrieren wir uns auf das Wesentliche oder machen irgendwann einen neuen Thread auf. Nur einschlafen lassen möchte ich unsere Diskussion nicht, weil ich sie für sehr interessant halte.
- Marx selbst hat immer behauptet, kein „Marxist“ zu sein,
- Marx selbst war eindeutig in philosophischer Hinsicht auf der
Höhe der Zeit;
Beides d’accord!
warum der Marxismus nicht?
Weil sich der Marxismus, der sich vor allem auf den sog. „wissenschaftlichen Sozialismus“ stützt, also Engelsscher Prägung ist, das Wort „wissenschaftlich“ lediglich stolz umhängt, aber die Inhalte, die mit diesem Wort und den entsprechenden hohen Ansprüchen verbunden ist, nicht erfüllt.
- Ich betrachte mich als „orthodoxen Marxisten“, gerade weil ich
nicht an jedem Buchstaben klebe.
Ist es denn nicht „marxistisch“, die Theorie in Anbetracht der
ökonomischen und sozialen Entwicklung zu entwickeln?
Ich habe kein Problem damit, dass eine Theorie weiterentwickelt wird, nur würde ich sie dann gerade nicht „orthodox“ nennen (aber das ist nur ein Wortproblem). Die Frage ist vielmehr, ob ökonomische und soziale Theorien Philosophie sind. Denn zwar hast du Recht mit der Aussage, dass Philosophie nicht nur Wissenschaftstheorie ist, aber auf der anderen Seite ist sie das doch zu einem großen Teil.
der Grundsatz, dass die
Positionen innerhalb des gesellschaftlichen Ganzen den auf sie
verteilten Subjekten immer schon vorhergehen.
Im Prinzip kann ich das unterschreiben, nur das „immer schon“ würde ich in dem Sinne für problematisch halten, dass man sich dem schon widersetzen kann (und im Sinne einer Rationalisierung sollte).
dieser Materialismus impliziert die Entfernung des
Subjekt-Begriffs als Fundament und Garant der Erkenntnis (nur
als das!; deshalb stört auch Hegel in diesem Materialismus;
wenngleich Hegel diesen Schritt schon vorbereitet hat, indem
er Subjekt und Substanz zusammenführt);
Nun, ich möchte Hegel an dieser Stelle gar nicht verteidigen. Die entscheidende Leistung Hegels ist die Erfindung der Dialektik. Ich würde nicht jeden Ansatz Hegels übernehmen wollen, wie du vielleicht vermutest. Aber ich meine, dass man Fundament der Erkenntnis und Garant der Erkenntnis auseinanderhalten muss, weil - und das ist eine entscheidende Leistung Kants - das Subjekt beim Erkennen nicht übergangen werden kann. Was nicht heißt, dass die Erkenntnis subjektiv ist, sondern nur, dass das Bewusstsein des subjektiven Einflusses voraussetzung für objektives Erkennen ist. Genau das ist doch der Punkt, den Marx von Kant übernommen hat. Er interpretiert ihn nur in Fichteschem Sinne, und das ist ein Fehler.
Meines Erachtens gibt es gar keine Fundierung; schon gar nicht
eine ethische. Ethik ist im Marxismus entweder überall oder
nirgendwo. „Nirgendwo“, weil Engels zurecht sagt, Freiheit
wäre die Einsicht in die Notwendigkeit.
Das ist aber ein (verstümmelter) Hegel-Satz, nur dass Engels ihn uminterpretiert, indem er diesen Satz anders gewichtet (man könnte fast sagen, im Sinne Heideggers zu wörtlich nimmt *g*).
Wie sollte sich da eine Ethik im herkömmlichen Stil entwickeln?
Ich habe nicht behauptet, dass das ethische Fundament, an das ich dachte, herkömmlich sei. Allerdings sehe ich gerade darin, dass es nicht herkömmlich, sondern universell sein soll, ein Manko (das sehe ich auch bei Kant, aber das wäre ein neues Thema).
Für die Erkenntnis, dass Erkennen immer auch ein Verkennen ist,
benötige ich Marx nicht, denn das wusste man vorher schon,
warum? Hat nicht Hegel das „absolute Wissen“ postuliert, …
Das mag sein, aber ich gebe ihm da nicht Recht, du hast nur den Eindruck, dass - wenn ich sage, dass mir Hegel reicht - ich Hegel verteidigen würde. Das Entscheidende ist für mich, dass jeder Denker immer nur stellenweise, nie zur Gänze Recht hat. Das Systemdenken Hegels ist für mich genauso obsolet wie das von mir an Marx kritisierte.
Differenz wirklich/sklavenhalterisch, wirklich/kapitalistisch,
etc. und nicht wirklich/unwirklich; demzufolge ist etwa
„kapitalistisches Erkennen“ nicht bloßes Verkennen. Diese
Einsicht halte ich für eine enorme Neuerung und ist ein
wichtiger Grund, an Marx auch heute festzuhalten
Bei den genannten Differenzierungen würde ich sagen, dass sie Sacherkenntnis mit Werterkenntnis unrechtmäßig vermischen und den Eindruck erwecken, die Theorie sei unumstößlich.
Im Grunde hast Du schon Recht, aber Philosophie ist keine
bloße Wissenschaftstheorie (das war eine Hauptposition Adornos
im Positivismusstreit).
Das ist alles richtig, aber sie ist es eben auch - und eben zu einem nicht geringen Teil. Der Positivismusstreit ist in meinen Augen völlig überflüssig, weil beide Recht haben, Popper auf empirischer, Adorno auf nichtempirischer Seite.
Zu bestreiten, dass die Wissenschaftsenwicklung der
Sozialentwicklung folgt, scheint mir unmöglich:
Ich bestreite es ja gar nicht, nur die Ausschließlichkeit bestreite ich bzw. die Unüberwindbarkeit.
Materialismus
bezieht sich auf das Objekt (Gegensatz ist Realismus),
Idealismus auf das Subjekt (Gegensatz ist Spiritualismus). So
ist es sinnvoll und richtig, dass man gleichzeitig Materialist
und Idealist ist, je nachdem worauf man sich bezieht.
Genau. „kognitive Aneignung“, also An- (Eindruck des Objekts
auf das Subjekt) -eignung (des Objekts durch das Subjekt;
„kognitiv“ ist redundant). Allerdings ist hier kein „Anfang“
zu sehen, weder in den Merkmalen des Objekts, noch in
irgendeiner transzendentalen Ausstattung des Subjekts, also
ein Ur-an oder eine Ur-eignung.
Ich denke, hier könnten wir uns gut einigen, müssten allerdings diese kybernetische Denkweise jeweils erläutern, was aber sicher zu weit führen würde.
Die Diktatur des Proletariats (das ist es, was auch Gramsci
mit seinem Begriff meint) möchte nicht Elite bilden, sondern
bekämpfen; dies eben auch mit dem Mittel der voübergehenden
„Elitenbildung“; das Ziel des Faschismus ist dessen genaues
Gegenteil; übrigens: eine solche Debatte um die Wahl der
Mittel in der Erreichung der proletarischen Revolution gab es
in den 20ern zwischen Kautsky (keine Gewalt), Trotzky
(notfalls auch mit Gewalt) und Dewey (dann lieber doch keine
Revolution).
Die Diskussion ist mir bekannt (aber die Lektüre lange her). Mein Einwand ist, dass auch vorübergehende Elitebildung eine Elitebildung ist. Einen echten Vergleich mit dem Faschismus italienischer Prägung will ich gar nicht anstrengen, es war nur eine Reaktion wegen G.
Zumindest ist sie nicht Ökonomie sondern politische Ökonomie;
in der Tat steht gewissermaßen die Philosophie zwischen den
Zeilen,
Alles zugegeben, aber vornehmlich ist sie eben politische Philosophie, und die ist nur ein Anwendungsgebiet von Philosophie überhaupt.
Hegel hat die Philosophie seinem Selbstverständnis nach
beendet, in Wissenschaft übergeführt.
Da hat sich Hegel eben geirrt.
Der Wissenschaftsbegriff ist eigentlich ein ganz leerer Begriff (ein Kampfbegriff sogar), der gar nichts aussagt (außer einer Ausgrenzung der Nichtwissenschaft). Wo aber die Grenze verläuft, sehen die jeweiligen Vertreter jeweils anders. Aufgabe der Philosophie wäre es, hier begründet Stellung zu nehmen, was wann wo wie und warum Wissenschaft ist - und das tun viele ja auch, es ist eben nur strittig.
Herzliche Grüße
Thomas Miller
P. S. Nicht böse sein, dass ich so gekürzt habe, bitte.