Marxismusbegriff
Hallo Franz,
„Materialismus oder Dialektik“ ist genau die richtige
Fragestellung! Beides geht nicht.
das wäre dann meine Stellungnahme zum Diamat, die du ja angefordert hast.
Da kennst Du in der Tat die falschen Leute. Die Marxisten, die
ich kenne, gehen von bestimmten politischen und
philosophischen Grund-Einsichten dieser Theorie aus und
verteidigen sie gegen andere; auch indem sie dabei Konzepte
anderer Theoriegebäude heranziehen (In meinem Fall ist das vor
allem der „Poststrukturalismus“)
Ich meine diese Positionen nicht, wenn ich von „Marxismus“ spreche, denn das sind - wie ich schon an Branden schrieb - aus meiner Sicht vor allem Sozialphilosophen marxistischer Prägung. Marxisten sind - und das geht aus dem Bezug meiner Postings eigentlich schon hervor - die Hardliner des „wissenschaftlichen Sozialismus“ (Engels, Mende, Klaus etc.).
die Dialektik bleibt immer im
Hegelianismus gefangen (wie Du selbst sagst); ich halte sie
für eine spekulative Verdoppelung des Bestehenden, egal ob bei
Hegel auf dem Kopf oder bei Marx auf den Füßen.
Jetzt wird mir deine Position wieder unklar, denn einerseits willst du beim Diamat den Materialismus kippen, jetzt aber auf einmal die Dialektik.
Und das was übrig bleibt,
ist letzten Endes ein Hegel mit sozialer Komponente.
Ganz richtig. (wobei freilich die „soziale Komponente“ nicht
ein Marx’scher Zusatz ist, sondern durch das
„auf-die-Füße-stellen“ entsteht; sie ist genau diese
„Fundierung“.) Ich aber komme mit Hegel nicht hin, darum
brauche ich ihn auch bei Marx nicht!
Wenn du das Auf-die-Füße-Stellen so interpretierst, ist das aus meiner Sicht nicht falsch, allerdings ist das keine methodische, sondern eine ethische Fundierung, der dann eben die methodische Fundierung fehlt. Denn das ist Sozialpolitik, keine Dialektik und schon gar kein Materialismus.
Der Materialismus, den ich bei Marx sehe, ergibt sich nicht
durch das „Füße-Stellen“, sondern besagt, dass die „Materie“
(welchen ontologischen Status diese hat ist eine zu
umfangreiche Frage) sein eigenes Erkennen hervorbringt, dieses
Erkennen aber immer auch (systematisches) Verkennen ist, nie
gesichert sein kann; dieses Erkennen geschieht freilich nicht
in der Weise, wie der alte Materialismus sich das vorgestellt hat
Das „Materie“ zu nennen, halte ich für Begriffsmagie, um nicht zu sagen Begriffsmissbrauch. Denn genau um den ontologischen Status geht es doch, wenn ich von „Materialismus“ rede. Für die Erkenntnis, dass Erkennen immer auch ein Verkennen ist, benötige ich Marx nicht, denn das wusste man vorher schon, Marx erweitert das Ganze in dieser Hinsicht nur um einen soziologischen Ansatz.
Es gibt kein Thema, das der Philosophie äußerlich ist.
Das würde ich bestreiten, ich denke nur an medizinische oder physikalische oder theologische Fragen. Dabei meine ich natürlich nicht die Methodenfrage, denn die ist schon philosophisch, aber eben nicht jede Frage. Das scheint mir nicht sinnvoll bestreitbar. Im Prinzip sind alle empirischen Fragen Fragen der Einzelwissenschaften. Nur die Frage nach dem Sinn von Empirie ist philosophisch.
Es ist doch gerade Marx’ Grundthese, dass die Entwicklung der
Wissenschaften (und der Philosophie) der sozialen
(ökonomischen) Entwicklung folgen. Hier muss man auch nicht
unbedingt die Epiphänomen-Haltung einnehmen, also behaupten,
die Bewegung der Ökonomie würde alles streng determinieren,
wie dies die alten Stalinisten machten.
Hier könnten wir zu einem Konsens ansetzen, wobei ich bestreiten würde, dass die Wissenschaftsentwicklung der Sozialentwicklung zwingend folgt. Denn es sind - zwar nicht nur, aber auch - die sozialen Außenseiter, die gelegentlich die Wissenschaft voranbringen (z. B. Schopenhauer oder Einstein).
Jedenfalls erkenntnistheoretisch ist die Leistung Marxens oder
des Marxismus aus meiner Sicht gerade nicht.Da müsstest Du Deine Sicht erklären. Aus meiner Sicht sehe
ich, dass Marx in der Tat das überwindet, was bei Kant und
Hegel als Erkenntnistheorie auftaucht, weil er das Subjekt der
Erkenntnis, also die metaphysische („spekulative“) Basis der
Erkenntnis, in Frage stellt. Darum ist aus meiner Sicht Marx
der erste Post-metaphysiker (wenn z.B. der logische Empirismus
ihm Metaphysik-durch-und-durch vorwirft, liegt das am anderen
Metaphysikbegriff; ich glaube der Marx’sche ist viel überzeugender)
Die Kritik des logischen Empirismus am Metaphysikbegriff des Marxismus halte ich nicht in allen Punkten für überzeugend, vor allem weil ich der Ansicht bin, dass der blinde Fleck, den die logischen Empiristen beim Marxismus sehen, genauso bei ihnen selbst zu finden ist. Der Begriff des Materialismus ist in zweierlei Hinsicht verstehbar, einmal als ontologischer und einmal als erkenntnistheoretischer. Ontologisch ist er richtig, erkenntnistheoretisch falsch. Das ist der Grund dafür, dass der vielfach verwendete Gegensatz zwischen Materialismus und Idealismus obsolet ist. Materialismus bezieht sich auf das Objekt (Gegensatz ist Realismus), Idealismus auf das Subjekt (Gegensatz ist Spiritualismus). So ist es sinnvoll und richtig, dass man gleichzeitig Materialist und Idealist ist, je nachdem worauf man sich bezieht. Falsch ist es, den erkenntnistheoretischen Idealismus auf das Objekt zu beziehen, weil dann keine empirische Kontrolle des Erkannten mehr stattfindet. Genauso falsch ist es, den Materialismus auf das Subjekt zu beziehen, weil dann der Erkenntnisbegriff nicht funktional, sondern ontologisch verstanden wird.
Mit Althusser müsste
man sich auf der Basis des Nachlasses aus den 90er Jahren
komplett neu auseinandersetzen. Dies geschieht kaum, in
Deutschland am ehesten noch im Kreis um Haugg in Berlin.
Von Haug habe ich einiges gelesen, habe es aber im Moment nicht mehr präsent. Ich schau mal, was ich da noch erinnere oder finde. Danke für den Hinweis.
Gramsci war unter den Faschisten lange Zeit inhaftiert. Die
Faschisten wollten „Rasse“, nicht „Klasse“; dieser Unterschied
ist fundamental.
Die Inhaftierung ist bedauerlich, rechtfertigt aber nicht die Argumentation. Was die Unterscheidung angeht, bin ich der Meinung, dass es in beiden Fällen um eine falsche Elitebildung geht.
In der Tat legt Althusser den „halben Marx“ ab, nämlich den
aus den Frühschriften bis etwa 1845; damit entfernt er Hegel
und Feuerbach aus Marx; so meint er das Genuine Marx’
herausgearbeitet zu haben.
Ich würde genau den frühen Marx noch als philosophisch gelten lassen.
Wenn man so die Bände des Kapitals
isoliert von den Problematiken der Frühschriften liest,
überzeugt das durchaus.
Die ökonomische Theorie des Kapitals ist Ökonomie, keine Philosophie.
Ob das noch Marxismus ist, ist eine müßige Frage, seiner politischen
Implikation nach ist es das jedenfalls durchaus.
Ich würde meinen, dass man gerade das als Marxismus bezeichnen sollte, nur eben nicht als Philosophie.
Philosophie ist es sehr wohl, gerade weil Althusser Hegel aus
Marx entfernt hat, schließlich hat dieser zuerst das Ende der
Philosophie erklärt. Außerdem ist Althusser kein Dogmatiker.
Die Begründung verstehe ich nicht. Es ist Philosophie wegen der Entfernung? Und wieso ist entscheidend, dass man kein Dogmatiker ist, das ist allenfalls notwendige, aber doch noch nicht hinreichende Bedingung?
Die elfte
Feuerbachthese ist doch nicht der Aufruf, das „Interpretieren“
bleiben zu lassen, sondern der, mit dem Glauben aufzuhören,
man könne Interpretieren ohne zu Verändern; und dies im
doppelten Sinn: das Verändern als Anstoß des Interpretierens
und das Interpretieren immer auch als Verändern.
Ich denke darüber nach, im Moment scheint mir zumindest die Interpretation als Aufforderung problematisch, weil sie methodisch eine Konzession, nicht aber eine Erklärung wäre.
Meines Erachtens ist die elfte FT keine
„Handlungsaufforderung“,
Ok, dann ist mein Einwand von eben ja richtig.
sondern ein „erkenntnistheoretischer“
Grundsatz, der mit der Dichotomie von Subjekt und Objekt
bricht, zeigt, wie das Erkennen des Objekts im Objekt wirkt,
also dem Objekt nicht von außen (vom Subjekt) zukommt.
Aus meiner Sicht bricht er keine Dichotomie, sondern betont lediglich ein Seite (in erkenntnistheoretischer Hinsicht die falsche).
Das ist sehr wohl zulässig, wenn die Zeit nicht als Kantische
Anschauungsform gedacht wird, sondern als ein dem
Erkenntnisobjekt immanentes, bzw. ein von ihm erzeugtes. Zeit
ist so im Grunde genommen Teil des Objekts bzw. Objekt unter
anderen.
Das halte ich für falsch, gerade wegen Kant und wegen Einstein.
Marx war Genussmensch, was ihn menschlich sympathisch macht.
Leider kann ich nicht einmal da zustimmen. Würde sich der
Genußmensch lieber mitten ins Elend setzen, denn als
„bürgerlicher“ Philosoph auf den bequemen Lehrstuhl?
Das Exil war ja erzwungen, nicht gewollt. Und den sozialen Impetus habe ich ja nicht an sich kritisiert, sondern nur als erkenntnistheoretischen Ansatz.
Herzliche Grüße
Thomas Miller
P. S. Ich freue mich über die sachliche und anregende Diskussion. So etwas hatten wir hier lange Zeit nicht mehr.
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