Moin,
ixh will gar keinen aus dem Land jagen.
Du vielleicht nicht. Aber Verfolgung entsteht nicht aus dem „Nichts“ heraus. Verfolgung beginnt da, wo man andere Menschen als nicht (mehr) zur Gesellschaft zugehörig ansieht.
Aber es ist nun einmal eine Tatsache, daß über 1.000 Jahre
lang die Mehrheit der Deutschen christlich war und daß dies
auch Spuren in diesem Lande hinterlassen hat.
Soweit bin ich einverstanden. Es will ja auch niemand, den Kölner Dom einreißen, aber wenn ein neuer Kindergarten gebaut oder renoviert wird, dann denke ich schon, dass es legitim ist, sich über die Dekoration Gedanken zu machen, bzw. darüber, ob eine bestimmte Art der Dekoration heute noch zeitgemäß und „pädagogisch wertvoll“ ist.
Selbst unsere
Sprache und unsere Vorstellungen von der Welt sind christlich
geprägt - daran haben nicht mal die Kommunisten hier im Osten
etwas ändern können.
Die Sprache und Vorstellungen in dieser Gesellschaft sind in erster Linie materialistisch/naturwissenschaftlich geprägt. Den meisten Deutschen düfte der Inhalt ihres Bankkontos wichtiger und geläufiger sein, als der Inhalt der Bergpredigt. Daran ändert meiner Meinung nach auch das Kleben an Äußerlichkeiten nichts. Die paar Leute, denen ich in meinem Leben begegnet bin, die tatsächlich versuchten, nach christlichen Vorstellungen wie Nächstenliebe, Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit etc. ihr Leben zu leben, kann ich an einer Hand abzählen. Vor diesen hatte ich allerdings auch den höchsten Respekt. Merkwürdigerweise sind das aber auch nicht unbedingt die Leute, für die ein Kruzifix im Kindergarten staatstragend ist.
Deshalb fällt ja auch vielen das
Verständnis anderer Religionen so schwer -
Ich muss auch nicht jede Religion verstehen. Was mich aber nicht daran hindert, Leuten, die einer anderen Religion als ich anhängen, zunächst mit der gleichen Einstellung zu begegnen, wie allen anderen auch.
Natürlich gab es auch Andersgläubige - Deutschland hatte auch
lange jüdische Traditionen. Aber die sind leider weg und
schwer wieder zurückzurufen. Sicher gab es andere
(Freimaurertum und christlicher Glaube schließen im Übrigen
nicht aus). Aber das waren Minderheiten - oft auch verfolgte
Minderheiten.
Vielleicht ist dir das nicht klar, aber fast alle Menschen in Deutschland gehören irgend einer Minderheit an. Bei den einen ist es die Religion, andere sind chronisch krank, arbeitslos, millionäre, kinderlos, kinderreich, rothaarig, Musiker, Rheinländer, FDP-Wähler etc. Religion ist nur ein Aspekt des Menschen unter ganz vielen. Was diese Menschen jedoch alle verbindet, ist nicht die Religion, die Geschichte oder sonstwas, sondern dass sie in einem Staat leben, der allen im Rahmen des Grundgesetze, der Verfassung und des Strafgesetzbuches eine freie Entfaltung ihrer Meinung, Religion, Hobbies oder was auch immer garantiert. Wer dies nicht anerkennt und unterstützt, der gefährtet in meinem Augen mutwillig den Frieden in dieser Gesellschaft, auch wenn er sich zufällig gerade in einem bestimmten Aspekt in der Mehrheit wähnt. Demokratie zeigt sich nicht in der Diktatur irgendeiner Mehrheit, sondern im Schutz der Minderheiten und jeder Angehörige einer Minderheit, sei es der chronisch Kranke oder Kinderreiche, ist diesbezüglich in gewisser Weise vom „goodwill“ der Mehrheit abhängig.
In jedem dieser „Minderheitsaspekte“ ist es für den gesellschaftlichen Frieden von entscheidender Bedeutung, dass ein gesellschaftsfähiger Konsens gefunden wird, der zwischen der Mehrheit und einer Minderheit ausdiskutiert werden muss, sei es dass es um die Unterstützung kinderreicher Familien oder chronisch Kranker geht, um das Angebot von staatlich geförderter Kulturangebote oder die Frage, wo wer ein Kruzifix oder anderes religiöses oder politisches Symbol aufhängen darf. Wenn ich mit Sorge beobachte, dass westwliche Demokratien zunehmend den Bach herunter gehen, dann liegt ein Grund meiner Meinung nach auch daran, dass die Menschen immer weniger demokratiefähig sind. Demokratie und eine freiheitliche Gesellschaft ist nichts, was man mal eben so hinterhergeworfen bekommt. Wenn man sich nicht aktiv dafür einsetzt, kann es damit ziemlich schnell vorbei sein, und wehe dem, der sich dann plötzlich in einer ungeliebten Minderheitengruppe wiederfindet.
Leider gehören auch diese Verfolgungen zur deutschen
Geschichte. Die kannst Du nicht ausblenden, indem Du einfach
das Kruzifix von der Wand nimmst.
Wie kommst du überhaupt darauf, dass das eine mit dem anderen was zutun hat? Hältst du Verfolgung Andersdenkender für eine zentrale Eigentschaft des Christentums? Ich nicht.
Es gibt ziemlich gut Untersuchungen darüber, welche Ursachen Verfolgung und Gewalt gegen „Andere“ haben. Ein ganz zentraler Aspekt davon ist, dass Menschen aufgrund eines bestimmtn Merkmals, sei es Religionszugehörigkeit, Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht oder jedes andere völlig beliebige Merkmal von Leuten, die dieses Merkmal nicht haben, als minderwertig und nicht „dazugehörig“ deklassiert werden. Aus diesem Grund säät jeder Gedanke und jedes Wort, dass in Richtung einer wertenden Pauschalisierung geht, die Ursachen für Gewalt auch in unserer Gesellschaft.
Gruß
Marion