Kürzester Abstand zwischen zwei Punkten?

Hallo,

Glückwunsch, Du hast gerade entdeckt, dass punktförmige Konvergenz noch keine gleichmäßige Konvergenz bedeuten muss – so würden jedenfalls Mathematiker den von Dir erradelten :wink: Sachverhalt in Ihrer Fachsprache ausdrücken.

Eine Skizze: http://img147.imageshack.us/img147/5899/konvergenz.jpg

Die schwarzen Punkte darin sind natürlich der Start- und Endpunkt der Reise. Ihre „luftlinienmäßige“ Entfernung sei d, z. B. d = 5 km. Die Linien dazwischen geben die Fahrtroute an.

Folgende Aussagen treffen dann zu: (1) Wenn die Anzahl der Abknickpunkte steigt (1, 2, 4, 8…), nähert sich die rote Linie der schwarzen Linie an. (2) Die grüne Linie tut das auch, sowie sie immer flacher wird. (3) Die rote Linie ist immer gleich lang (!), nämlich √2 d. (4) Die grüne Linie wird immer kürzer, je flacher sie verläuft. Ihre Länge nähert sich d an.

Sowohl „rot“ als auch „grün“ konvergieren unbestreitbar gegen „schwarz“, aber offensichtlich gibt es einen prinzipiellen Unterschied in der Art, wie sie das tun. Dieser Unterschied existiert tatsächlich, und in der Analysis, der mathematischen Disziplin, die für solche Fragen zuständig ist, ist er sogar von enormer Relevanz. Wie genau man sich dort damit technisch auseinandersetzt, ist aber eher uninteressant. Zum Vorschein kommen zwei Begriffe, die man für die beiden Annäherungsarten ersonnen hat: Die „primitiv-urtümliche“ Konvergenz nennt man punktweise. Sowohl rot als auch grün konvergieren also punktweise gegen schwarz. Darüberhinaus gibt es jedoch noch gewissermaßen eine „Edel-Konvergenz“, die in diesem Beispiel nur grün erfüllt. Man nennt sie gleichmäßig. Grün konvergiert also zusätzlich auch noch gleichmäßig gegen schwarz, aber rot tut das nicht.

Die große theoretische Bedeutung gleichmäßig konvergenter Funktionenfolgen liegt darin, dass man aus einfachen Funktionen komplizierte Funktionen aufbauen kann (das Beispiel schlechthin: Potenzreihenentwicklung), und dabei muss geklärt werden, unter welcher Voraussetzung sich gewisse fundamentale Eigenschaften wie Stetigkeit, Differenzierbarkeit und Integrierbarkeit von den einfachen auf die daraus erzeugten komplizierten Funktionen übertragen. Diese Voraussetzung ist die gleichmäßige Konvergenz.

Wie kann das sein? Kann man diesen „Umschlagpunkt“ irgendwie
berechnen?

Es gibt keinen „Umschlagpunkt“. Die rote Linie behält ihre Länge bei, auch wenn Tausend, eine Million oder noch viel mehr Knicks drin sind. Nur mit einem Fahrrad abfahren kann man so eine filigran gezackte Linie nicht mehr – aber das ist ein anderes Problem.

Und wieso hat man das Gefühl, durch die vielen
kleinen Kurven die Strecke doch zu verkürzen? Haben wir den
Pythagoras (damit hat das doch zu tun, oder???) irgendwie in
unserem Instinkt?

Eine durchaus interessante Frage, finde ich, aber ich glaube, das Psychologiebrett wäre dafür besser geeignet. Vermutlich liegt es daran, dass wir immer vorschnell gleichmäßige Konvergenz unterstellen – auch wenn wir damit manchmal falsch liegen.

Gruß
Martin