Hallöchen,
vorab: Das Argument von Rainer ist Käse, weil sich in den letzten 50 Jahren die Arbeitswelt geringfügig geändert hat. Weiterhin gibt es keine logische Abfolge if Steuersatz=X then Arbeitslosenquote=Y.
Die Volkswirtschaft ist ein chaotisches System im eigentlichen Sinne des Wortes, d.h. man kennt weder den status quo noch die genauen Wirkungsketten, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, daß die Stimmungslage von einigen hundert Millionen Menschen in die Gemengelage mit einfließt.
Nun gibt es einige Modelle, die nach den empirischen Erfahrungen und dem gesunden Menschenverstand besser sind als andere. Einige falsche hat man in den letzten hundert Jahren aussortiert, einige andere werden noch weiterentwickelt.
Bei der Frage der Einkommensteuersätze läuft die Sache im Prinzip auf eines hinaus: Hat der Staat eine höhere Wirtschaftskompetenz als seine Bürger? Ist er in der Lage, Mittel besser und effizienter einzusetzen als die potentiellen Steuerzahler? Angesichts der desolaten Lage der Haushalte der letzten 30 Jahre, der jährlichen Ver(sch)wendung der zur Verfügung stehenden Mittel sowie der Wirtschaftsentwicklung in den letzten zehn Jahren habe ich daran gewisse Zweifel.
Wer ist nun von der Absenkung der Steuersätz betroffen? Das Lieblingsspielzeug der Linken ist der Spitzensteuersatz, fangen wir also damit an: Der Spitzensteuersatz wird von Spitzenverdienern bezahlt, unter die überproportional Selbständige fallen. Was also passiert, wenn ein Selbständiger Steuern zahlen muß?
Ganz einfach: Er muß das Geld seinem Unternehmen entziehen, d.h. es steht nicht mehr für die Bezahlung von Rechungen zur Verfügung (bedeutet Kreditaufnahme bei der Bank) und auch nicht für Investitionen, die dadurch verhindert oder doch zumindest teurer werden (durch die Kreditaufnahme bzw. fällt diese u.U. dummerweise aus, weil das Unternehmen über ein mikroskopisch kleines Eigenkapital verfügt).
Eine Reduzierung der Spitzensteuersätze bedeutet also, daß den Unternehmen, die die deutsche Wirtschaft tragen (also dem Mittelstand, in dem Personengesellschaften dominieren), mehr Liquidität und ein höheres Eigenkapital zur Verfügung steht als vor der Steuersenkung. Das bedeutet mehr Investitionen, geringere Kapitalkosten usw. Das beste Umfeld für mehr Arbeitsplätze, wenn die Nachfrage entsprechend da ist bzw. wäre.
Dies bringt uns zur nächsten Rubrik: Den mittleren Einkommen. Sie werden durch eine flachere Steuerprogression begünstigt, verfügen also über ein etwas höheres Nettoeinkommen. In dieser Bevölkerungsschicht ist noch alles in Ordnung: Das Gehalt wird weitgehend konsumiert bzw. investiert, es ist noch genug für die private Altersvorsorge übrig, d.h. die Sparquote liegt irgendwo um die 10%. Der Konsum geht deutlich über das hinaus, was zum Leben absolut nötig wäre, d.h. man gönnt sich Urlaube, ein nutzloses technisches Spielzeug, kauft lieber vernünftiges Zeug als den Ramsch, der schon auf dem Heimweg zu Staub zerfällt. Man kauft mitunter in Feinkost- oder Bioläden ein, achtet auch bei Lebensmitteln eher auf Qualität als auf den Preis.
Bei dieser Gruppe gehen höhere Nettoeinkommen zum überwiegenden Teil in den Konsum, d.h. das Geld fließt in die Wirtschaft und zwar - aufgrund der Qualitätsansprüche - überproportional in die deutsche Wirtschaft (also über den reinen Einzelhändler hinaus), d.h. es freuen sich Miele, TUI, der Biobauer um die Ecke, Kattus und Audi.
Kommen wir zur dritten Gruppe, den eher geringverdienenden Arbeitnehmern und Empfängern von staatlichen Hilfen.
Durch die Steuersenkungen steht den Haushalten ein höheres Einkommen zur Verfügung, wobei dieser Zuwachs ebenfalls in den Konsum gehen wird, wenn auch vermehrt in den Nahrungsmittelbereich, der im unteren Preissegement der deutschen Wirtschaft nur wenig Impulse gibt.
Hinzu kommt, daß hohe Freibeträge dazu führen, daß sich die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eher wieder lohnt.
Soviel zur einen Seite. Die andere Seite betrifft den Finanzmittelbedarf des Bundes und der Länder. Angesichts der großen Löcher in den Haushalten kann man natürlich auf den Gedanken kommen, daß die Senkung der Steuereinnahmen nicht unbedingt eine gute Idee ist. Nur stellt sich die Frage, ob die Haushaltsdefizite durch zu geringe Einnahmen oder zu hohe Ausgaben verursacht werden. Ich bin eher für die zweite Variante.
Insgesamt sehe ich bei einer Reduzierung der Einkommensteuersätze eher positive als negative Effekte auf die Beschäftigung. Wenn sich allerdings die Einnahmeausfälle wieder an anderer Stelle durch andere Steuern wiederholt, gehen die Effekte schnell wieder verloren.
Im übrigen ist die Frage, ob die Steuersenkungen etwas gebracht haben oder nicht, mit der Frage nach der Wirksamkeit von Medizin vergleichbar. Wäre der Patient ohne Behandlung genauso krank wie jetzt oder bereits tot?
Gruß,
Christian
P.S.
Wenn es irgendwo wirr klingt: Ich habe den Artikel in mehreren Schüben geschrieben.