Hallo Oliver,
wenn du erlaubst, möchte ich noch Stellung nehmen zu den von dir geäußerten Vorwürfen, auch wenn du die Diskussion, wie du darlegst, gerne beenden möchtest. Mir fällt auf, dass du meine Sichtweise häufig so wiedergibst, wie du sie verstanden hast, dass diese Darstellung aber nicht immer mit dem übereinstimmt, was ich gesagt oder gemeint habe. Es mag natürlich auch daran liegen, dass ich meine Ansicht nicht klar genug ausdrücke, das will ich gar nicht bestreiten, obwohl ich schon meine, sie klar dargelegt zu haben, aber entscheidend für die Missverständnisse ist aus meiner Sicht, dass du meine Aussagen durch deine Interpretation so filterst, dass sie falsch sein muss. Im einzelnen:
Gefühle usw.
Ja, die gibt es und ich denke, daß sie mit Eigenschaften der
Materie zusammenhängen, vielleicht nur andere Repräsentationen
dieser Eigenschaften sind.
Das Entscheidende ist, dass Gefühle usw. nicht quantitativ, sondern qualitativ sind. Wenn wir uns darauf einigen könnten, wäre ja schon einiges geglättet.
Dennoch wird Carnaps Standpunkt als logischer
Behaviorismus bezeichnet und als Form des semantischen
Behaviorismus angesehen, der mentale Begriffe durch physische
/ physikalische Begriffe zurückführen will. Das ist eine Form
des Materialismus, der mentale Eigenschaften auf physikalische
Eigenschaften zurückführt.
Das kann ich nicht unterschreiben. Logik und Semantik sind mitnichten formen des Materialismus. Selbst der Behaviorismus ist es aus meiner Sicht nicht. Materialismus bedeutet doch nur, dass geistige Substanzen geleugnet werden und dass alle Substanzen körperlich sind - und das kann ich mit gutem Gewissen unterschreiben. Materialistische Argumentation postuliert dreierlei: nämlich Rationalität als Ausschluss von außerweltlichen Erklärungen, Rationalität als Ausschluss von Subjektivität und Rationalität als schrittweiser Aufbau von einfachen zu komplexen Strukturen. Diese drei Postulate an sich teilt der Idealismus (nicht der Spiritualismus und auch nicht der Realismus), es sind also nicht die für den Materialimus kennzeichnenden Eigenschaften, sondern legen materialistische Argumentation lediglich als rationalistische Variante fest.
Materialistisch wird das Ganze erst, wenn man (insbesondere) mechanistische Interpretationen hinzunimmt.
Carnap ist logischer Empirist (!). Der logische Empirismus ist eine Variante der analytischen Philosophie, die eine Einheitswissenschaft im Sinne der Physik anstrebt, um metaphysische Scheinbegriffe auszuschließen. Ein bis heute ungelöstes Problem dieser Richtung ist, dass sich die Logik nicht empirisch ableiten lässt.
Du reduziert meiner Meinung nach die
Gültigkeit des Materialismus auf das Mentale, indem Du ihn als
für das Objekt gültig ansiehst, das Objekt aber als etwas
Mentales bezeichnest.
Materialismus wird in der Geschichte der Philosophie in mindestens zwei Varianten auf (es gibt mehr, u. a. den Diamat, aber das sind Sonderprobleme): als Atomismus und als Rationalismus. Der Atomismus ist widersprüchlich (Vaihinger), braucht also nicht näher betrachtet zu werden. Der materialistische Rationalismus ist empirisch und realistisch. Als empirischer ist er richtig, aber nicht ausreichend, als realistischer ist er falsch, weil er als solcher die Existenz von Messbarem als einzige (!) Realität ansieht.
Über die Dinge selbst können wir
Deiner Meinung nach nichts wissen.
Das habe ich nicht gesagt,
Das ist die Folge Deines Standpunktes.
Wir können gewisse Aspekte durchaus erschließen, nur eben nicht mit hinreichender Sicherheit.
Nein, der Streit geht darum, ob sich unsere Wahrnehmungen und
wissenschaftlichen Erkenntnisse der subjektunabhängigen
Außenwelt annähern können.
Das ist bis zu einem gewissen Grad möglich, aber ein Rest bleibt (auf diese Weise) eben ungeklärt.
Nun braucht man sich nur optische Täuschungen anzusehen, um
ein ganz einfaches Beispiel von falscher Erkenntnis zu haben.
Die ebenso einfach von vielen Menschen überwunden wird, denn
sonst würden wir kaum von optischen Täuschungen
sprechen, wenn wir die Täuschung nicht erkennen würden.
Dass es Täuschungen sind, erschließen wir durch Logik, also eben nicht empirisch.
Der Materialismus hat große Schwierigkeiten, den Irrtum zu
erklären.
Dazu braucht man nur ein wahrnehmungspsychologisches Buch in
die Hand zu nehmen, indem auch neurowissenschaftliche
Erkenntnisse über den Wahrnehmungsapparat referiert werden.
Das Problem besteht darin, die Zusammenhänge zwischen
neurobiologischen Vorgängen und Wahrnehmungseindrücken zu
erklären. Das ist eben ein Aspekt des Leib-Seele-Problems.
Ich bin ganz deiner Meinung, aber das Leib-Seele-Problem ist nach Carnap ein Scheinproblem.
Zusammenfassend könnte man Deine Position
wahrscheinlich als Kombination aus kritischem Idealismus und
Rationalismus kennzeichnen.
Die Kennzeichnung gefällt mir nicht, weil sie zuviel
Vorurteile mitschleppt.
Ich denke, daß sie zutrifft.
Ich denke das nicht
, weil gar nicht klar ist, was „kritischer“ Idealismus sein soll und weil Rationalismus als Gegenüberstellung zum Empirismus nicht meine Position kennzeichnet. Ich halte den Empirismus für richtig, aber nicht für ausreichend.
Du sprichst häufig von methodischer Einschränkung, hast aber
bisher niemals Deinen erweiterten methodischen Kanon
konkretisiert. Ich bin gespannt.
Es tut mir leid, dass du das bisher nicht gesehen hast, aber
ich habe es in der Tat gemacht (Vaihinger!).
Ja, Du sprachst von formaler Logik und hast eingestanden, daß
es Dir seit Jahren schwer fällt, Kriterien aufzustellen, wann
man über sie hinausgehen kann.
Schade, dass du das so verstanden hast. Die Aufstellung von Kriterien ist eben schwierig, wenn man sie nicht einfach postulieren möchte. Die Problematik ist eine andere, die mit dem Münchhausentrilemma zusammenhängt. Danach sind Begründungen in einem gewissen Maß willkürlich. Diese Willkür zu überwinden ist ein Anliegen, das mich eben schon länger beschäftigt und das eben bei mir zu dieser Vaihinger-ähnlichen Position geführt hat. Übrigens hat sich auch die Carnapsche Position später pragmatisch orientiert (aber das nur am Rande). Die Frage ist, wie genau dieser Pragmatismus aussehen muss, um tragbar zu sein.
Mir hältst Du in Diskussionen gern solche Sätze wie „Du bist
ja Positivist“ [alternativ: Materialist, Empirist, Szientist,
Behaviorist] vor, so als ob sich damit eine Diskussion
erübrigt. Du bist also auch nicht davor gefeit, genau das zu
tun, was Du anderen vorwirfst.
Danke schön, dass du meine Selbstkritik wiederholst, aber so ganz stimmt es doch nicht, denn ich habe mit diesen Kennzeichnungen ja nur versucht, die Diskussionen zu verkürzen, indem ich deine Position auf das mir Wesentlich erscheinende reduziert habe. Es steht dir natürlich frei zu zeigen, dass du dich nicht als Materialist, Empirist, Szientist oder Behaviorist verstehst, aber ich hatte immer den Eindruck, dass du dich in diesen Bezeichnungen prinzipiell wiederfinden kannst.
Du postulierst Kraft als Entität? Das ist interessant.
In Ordnung: Das war nicht korrekt ausgedrückt.
Du verwechselst die Dinge und die zwischen ihnen bestehenden
Beziehungen mit ihren Beschreibungen. Auf die Beschreibungen
der Dinge und ihrer Beziehungen wird die Statistik angewendet,
nicht auf die Dinge selbst.
Das würde ich gerne auch so sehen, aber die Vertreter der kopenhagener Deutung der Quantentheorie (Bohr etc.) sehen das leider anders.
Mir fällt zwar nicht ein, wo ich behauptet habe, daß Statistik
eindeutig ist, aber egal: Sie ist es. Wie man einen Mittelwert
berechnet, ist klar definiert. Was oft nicht eindeutig ist,
ist die Interpretation statistischer Ergebnisse, nämlich z.B.
was der Mittelwert im konkreten Kontext bedeutet, auch wenn
das ein ziemlich simples Beispiel ist, das eher
unproblematisch ist. Das Eindeutigkeitsproblem tritt z.B. viel
eher bei den uneindeutigen Ergebnissen von Faktorenanalysen
auf.
Die Statistik ist als Messmethode betrachtet natürlich eindeutig, aber eben nicht als Interpretation. Das sagst du hier selbst, und mehr wollte ich nicht behaupten.
Doch, Du hast behauptet, daß Wahrscheinlichkeits- oder
Häufigkeitsangaben kaum Nutzen für Hilfesuchende haben.
Sehr richtig, ich schrieb „kaum“, nicht wie du oben gesagt hast „keine“.
Das ist schon empirisch falsch, wie man auch aus Deiner Antwort
auf meine Frage …
erkennt. Du springst nämlich zur Seite und folgst damit genau
einer Wahrscheinlichkeitsangabe, obwohl Du vorher von
Wahrscheinlichkeitsaussagen behauptet hast, sie seien für
Hilfesuchende wenig nützlich. Das ist der Widerspruch Deiner
Position: In der Theorie behauptest Du das eine („wenig
nützlich“), in der Praxis handelst Du aber nicht danach.
Ich springe ja zur Seite, weil die Statistik überzeugend erscheint (!), nicht weil sie in jedem Fall die Tatsachen trifft. Die Sicherheit der Statistik ist eine Scheinsicherheit, der man leicht erliegt, aber eben - wenn man sie verabsolutiert - nicht zu Recht.
Zum Abschluß:
Schade eigentlich, ich fand es interessant und klärend.
Ich möchte mich herzlich für das interessante Gespräch bei Dir
bedanken, Thomas. Es war sehr nett von Dir, daß Du Dir die
Zeit genommen hast. Die Themen interessieren mich an sich und
ich empfand unsere Diskussion als spannend und fruchtbar. Ich
wünsche mir mehr von dieser Art von Diskussion in w-w-w.
Immer gerne wieder.
Herzliche Grüße
Thomas