Hallo Thomas,
behauptet denn heute noch jemand ernsthaft, daß Menschen vollkommen :objektive Erkenntnisse über die Welt gewinnen können?
doch, doch, das gibt es schon, meistens natürlich, wenn die Betreffenden die Sache missverstehen, aber auch im universitären Milieu begegnet mir das durchaus. Freilich geschieht das relativ selten in so einer offensichtlichen Form wie bei Frank, aber es ist keineswegs selten, dass (absolute) Sicherheit der Erkenntnis als das entscheidende und auch erreichbare Ziel angesehen wird.
Oder geht es nicht darum, einigen Erkenntnisaussagen
einen höheren Stellenwert einzuräumen als anderen - gemessen
an formulierbaren und formulierten Kriterien?
Das wäre ja in Ordnung.
Die Unterscheidung in Semifiktionen und Vollfiktionen setzt
Kriterien voraus, nach denen man diese Unterscheidung
vornehmen kann. Insofern gibt es eine Beurteilbarkeit der Fiktionen.
Das stimmt, die Kriterien sind natürlich zunächst formallogische. Und diese formallogischen Kriterien sind es natürlich auch, die ich zunächst erst einmal anlege. Damit will ich sagen, dass für die Abweichung von formallogischen Regeln immer besondere Gründe sprechen müssen. Wenn ich also etwa eine dialektische Logik einführen möchte, dann kann ich das tun, muss das aber tun, indem ich die formallogischen Regeln zunächst voraussetze und einen Grund finde, sie zu überschreiten. Wenn ich aber mit der Dialektik beginne, dann habe ich einen methodischen Fehler gemacht.
Ich sehe hier wieder eine Beurteilung aufgrund von Kriterien, wobei :mir jedoch nicht klar ist, welche Kriterien Du anlegst.
Handlungsziele benötigen andere Kriterien als Erkenntnisziele. Letzteren liegt der Wunsch eines möglichst konsistenten Weltbilds zugrunde. Diese Konsistenz ist nur zu erreichen, wenn ich so lange wie möglich bei formallogischen Kriterien bleibe. So ist z. B. die Heisenbergsche Unschärferelation nicht wie eine Interpretation sehen möchten, ein Beweis gegen die Logik oder gegen die Linearität der Natur, sondern sie ist zunächst erst einmal ein Beleg für die Problemsituation des Erkennens. Das heißt, dass die Unschärfe eigentlich wenig über die Natur aussagt, viel aber über die menschlichen Erkenntnismöglichkeiten. Dass man trotzdem immer wieder gut mit diesen Ergebnissen (wie auch mit denen der Relativitätstheorie) rechnen kann, ist nicht etwa ein Beweis für die Theorie(n), sondern im Gegenteil ein ungelöstes Problem. Denn immerhin wiedersprechen sich Relativitätstheorie und Quantentheorie immer noch, obwohl beide gültig zu sein scheinen. Das aber ist ebensowenig ein Beweis gegen die formale Logik, sondern zeigt nur, dass man nach Möglichkeiten der Vereinbarung suchen muss.
Wertungen
Wenn du erlaubst, lasse ich diesen Punkt erst einmal unbeantwortet. Wir werden sicher nochmal darauf kommen.
Hat sich Descartes nicht mit seinem Zweifeln in eine Situation :gebracht, aus der er nur mit dem Kunstgriff herauskam, daß es einen
Gott gibt, der ihn schon nicht täuschen werde?
Genau das ist die Inkonsistenz, von der ich sprach.
Insofern erscheint mir diese Art von Zweifel nicht konstruktiv zu :sein.
Wenn man es so macht wie Descartes, dann hast du Recht. Es sind aber ja in unserem Zusammenhang auch weniger Existenzfragen wie bei Descartes als vielmehr Wesensfragen (also die Frage nach Eigenschaften von schon als existent angesetzten Realia). Dem stimmst du ja durchaus zu.
Was ist ein „bloßer Gedanke“? Ich kann mir keinen Gedanken
ohne Außenweltbezug vorstellen.
Am einfachsten sind da vielleicht Halluzinationen als Beispiel zu nennen. Aber auch „Stimmungen“, „Gefühle“ etc. kommen in Betracht.
Allerdings führt die Einhaltung der Regel, keine „belasteten“ :Begriffe zu verwenden, zu der Unmöglichkeit, überhaupt miteinander zu
diskutieren, ohne daß eine Sprachverwirrung :entsteht und der eine
nicht mehr versteht, was der andere sagt. Insofern mache ich hier ein
„Zuviel“ an Skepsis aus. Zudem bemerkte ich, daß sich Deine :Vorbehalte v.a. bei solchen :grundsätzlichen Diskussionen stärker :auswirken, als in anderen Diskussionen, in denen Du durchaus bereit
bist, mit stärkere Aussagen zu machen.
Sehr richtig, genau das ist es, was ich sagen wollte. Aber genau das ist Pragmatismus. Aber dabei nimmt man natürlich unter Umständen eben in Kauf, dass man keine Wahrheit erreicht. Wenn ich die Unschärfe nach der Kopenhagener Deutung interpretiere, kann ich gut damit arbeiten. Damit habe ich aber eben nicht bewiesen, dass die Teilchen springen, sondern nur, dass ich als Mensch die Wege der Teilchen nicht befriedigend nachvollziehen kann. Ich kann mit der Hypothese gut arbeiten, obwohl ich weiß, dass sie falsch ist (unter den Voraussetzungen der klassischen Wissenschaftsmethodik, die in diesem Fall die Stellung der Logik einnehmen). Wenn sie aber falsch ist, dann kann ich nicht behaupten, dass es stimmt, was ich sage, sondern ich muss weitere Gründe für die Richtigkeit anführen. Der Diamat in der Engelsschen Gestalt z. B. liefert viele Belege, aber leider nur auf analogisierende Weise, nicht auf begründende Weise. Es fehlen also die Gründe.
Du sagst, daß unsere genetisch bedingten Fähigkeiten nicht zu
objektiver Erkenntnis führen müssen? Falls Du das meintest, so stimme
ich zu.
Gut, so war es gemeint. Denn ein Zwang ergibt sich nur bei (formallogischer) Begründung, wo aus den Prämissen bzw. unter der Bedingung des Fürwahrhaltens der Prämissen die Konklusion notwendig zutrifft (wenn die entsprechenden Regeln eingehalten werden).
Welche Art von Monismus und welche Art von Dualismus favorisierst Du?
Kannst Du
Kriterien angeben, wann Du welche Perspektive für sinnvoll hältst?
Ich denke z. B., dass Naturwissenschaft nur monistisch möglich ist, dass also z. B. die Annahme einer „Seele“ (um ein Beispiel aus deinem Bereich zu nennen) innerhalb der NW unzulässig ist. Sinnvoll ist dieser Dualismus aber, wenn es z. B. darum geht, mit Metaphern wie „Seele“ analog zu erklären, um etwas Bestimmtes zu illustrieren. Oder auch etwa, wenn man – wie bei praktischen Belangen – die für theoretische Fälle ganz normale Richtung zwischen Subjekt und Objekt vertauscht. Oder wenn man zwischen Sein und Sinn eines Gegenstandes differenzieren will. Solche Anwendungen gehen meiner Ansicht nach über das hinaus, was Naturwissenschaft leisten kann und soll. Das ist z. B. auch ein Grund, warum Psychoanalyse funktioniert, obwohl sie keine Naturwissenschaft im strengen Sinn ist (um wieder ein Beispiel aus der Psychologie heranzuziehen).
Er geht ja auch gar nicht darum, was ich positiv denke,
Genau daran bin ich aber interessiert, …
Ist es jetzt klarer?
Ich … frage mich …, wovon es abhängt, welche Kriterien Du in
welcher Situation für sinnvoll hältst. Kriterien für sinnvoll zu
halten, setzt wiederum Kriterien voraus, die auf einer :grundlegenderen Ebene angesiedelt sind, um andere Kriterien
situationsbedingt auswählen zu können.
Grundlegend ist aus meiner Sicht die Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt. Denn das ist – und hier sehe ich auch die Bedeutung des Zweifelns bei Descartes –, das einzige, was man wirklich sinnvoll nicht bezweifeln kann. Wenn man das bezweifeln würde, widerspräche man sich selbst, wohingegen in der Annahme einer Außenwelt noch kein prinzipieller Widerspruch auftaucht.
An dieser Beziehung kann ich nun ziemlich viel untersuchen. Auf die Richtungsunterscheidung habe ich schon hingewiesen, aber es gibt noch viele andere Ansatzpunkte. Entscheidend aber ist dieses Ergebnis gegen den Materialismus als auf das Subjekt bezogen gerichtet, denn natürlich kann ich annehmen, dass das Objekt ein Abbild der realen Welt ist, aber das erklärt nicht, die Normativität des Subjekts für das Objekt. Die kann man nur erklären, wenn man vorab diese „Dualität“ zwischen Subjekt und Objekt für gegeben annimmt – und das ist Idealismus. Dieser Idealismus steht nicht gegen den Materialismus als Methode im Rahmen der Naturwissenschaften, sondern gegen das, was man „Realismus“ nennt, also die Behauptung, dass es dieses Subjekt als reale Gegebenheit, „Seele“ bzw. Eigenschaft einer Materie „gibt“. Die Richtigkeit des Materialismus in naturwissenschaftlichen Zusammenhängen bedeutet auf der anderen Seite, dass Materie eben nicht aus Gedanken besteht, also nicht irgendwie „geistig“ ist oder in bloßer Vorstellung quasi als Halluzination irreal ist. Die Richtung vom Objekt zum Subjekt ist die genetische, denn das Subjekt erkennt sich als aus etwas anderem als es selbst entstanden. Die umgekehrte Richtung aber ist nicht genetisch, sondern geltungsbezogen, was zum Beispiel der Grund dafür ist, dass die Logik so ein wichtiges Kriterium ist, denn Logik (ebenso wie Mathematik) findet sich eben nicht in der Natur (empirisch findet man in der Natur keine Zahlen oder Quadrate vor, wie der Realismus behaupten würde), sondern ist ein regulatives Prinzipiengemisch.
Dafür aber ist eben Voraussetzung, dass man wenigstens einmal an
sich selbst gezweifelt hat bzw. an der jeweiligen Formulierung, um
die es geht. Diese Radikalität freilich ist nicht durchzusetzen,
aber ich würde sie gerne angeregt sehen.
Wieso nicht? Ich beobachte das jeden Tag. Daher kommt mir die
Forderung auch nicht radikal vor.
Du hast es selbst angesprochen, dass die radikale Forderung danach unproduktiv wäre. Nur so habe ich es gemeint.
Herzliche Grüße
Thomas