Offenheit
Hallo,
über Körper- und Mundgeruch schweigt man in unserer Gesellschaft normalerweise. Allenfalls einander vertraute Partner sprechen das an, selbst bei Freunden wird es schon schwierig. Der Grund ist genau der, aus dem du hier postest: Der Grad der Peinlichkeit für den solchermaßen Angesprochenen ist ungemein hoch. Auch du fühlst dich sofort im Rechtfertigungszwang, was deine Hygiene betrifft, obwohl niemand hier dich kennt.
Aus diesem Grund würde ich die Aussagen deiner Freunde kritisch bewerten. Zum einen kann es natürlich sein, dass ihnen dein Geruch nicht unangenehm auffällt. Zum anderen halte ich durchaus für möglich, dass sie sich aus diesem heiklen Thema lieber raushalten. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass du entweder gekränkt reagieren oder aber nachfragen könntest, warum dir bisher niemand was gesagt hat.
Ich kenne das Problem aus meinen Schulklassen, wo Schüler oft zu mir kommen und mich darum bitten, dem Schüler/ der Schülerin X zu sagen, dass sie stinkt. Der Leidensdruck bei den anderen ist oft hoch - vor allem, wenn sie neben der Person sitzen - trotzdem habe ich in all den Jahren kaum erlebt, dass das Thema direkt angesprochen wird. Stattdessen behilft man sich mit eigenen Düften, rückt ab, soweit es geht und vermeidet die Zusammenarbeit, was in der Folge nicht selten zu einer Ausgrenzung der Person führt. Von mir darauf angesprochen reagieren die Betroffenen übrigens fast immer gekränkt und bockig, so als sei es eine Frechheit der anderen, das zu behaupten. Und jeder erzählt, dass er selbstverständlich gründliche Körperhygiene betreibe. Interessanterweise ist das Problem in der Mehrzahl der Fälle danach gelöst.
Was nun die Therapie betrifft: Ich finde die Aussage des Therapeuten in Ordnung. Gerade bei Angststörungen ist vermeidendes Verhalten an der Tagesordnung, und im Umfeld des Betroffenen neigt man im Allgemeinen zu dessen Schonung.
Ich würde davon ausgehen, dass der Therapeut tatsächlich ein Problem mit deinem Körpergeruch hat. Das ist aber nicht seine Schuld. Wenn er dich im wahrsten Sinne des Wortes „nicht riechen“ kann, wird das euren Kontakt erschweren. Und wenn es - was ich vermute - auch für andere wahrnehmbar ist, dass du riechst, wird dir hier u.U. eine Tür geöffnet, durch die nur durchgehen musst, um ein mögliches Problem auf eine sehr einfache Art und Weise zu lösen.
Was du nicht annehmen solltest ist, dass der Therapeut dir Übles will. Aus welchen Gründen sollte er das tun? Würde er dich nicht behandeln wollen, müsste er nur die Behandlung ablehnen. Indem er dich mit etwas konfrontiert, was dir peinlich und unangenehm ist, riskiert er natürlich, dass du dich zurückziehst. Wenn aber der Körpergeruch tatsächlich ein Thema ist, wird die Information auch dann in deinem Kopf bleiben, wenn du dir einen anderen Therapeuten suchst und du wirst mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig vermehrt auf Körper- und Wäschehygiene achten und damit einen möglichen Stolperstein aus deinem Leben räumen.
Letzten Endes macht er auch klar, dass ihm an einer ernsthaften Kontakt gelegen ist. Er behandelt dich nicht wie ein schonungsbedürftiges Wesen, das man nur mit Samthandschuhen anfassen darf, um es nicht zu verletzen. Indem er dir etwas zumutet, fordert er dich auch heraus - etwas, was während der Therapie einer Angststörung ständig passieren wird.
Deshalb: Sprich ihn darauf an. Sag’ ihm, was diese Aussage bei dir ausgelöst hat. Dann hör’ dir an, was er zu sagen hat. Und dann entscheide, ob du weiter mit ihm arbeiten willst oder nicht. Einfach kneifen wäre ein weiterer Sieg deiner Angst.
Schöne Grüße,
Jule