Messalina und die Umsturzhypothese

Hi.

Meine Fragen:

Hatte Messalina, als sie Silius heiratete, ohne formal von Claudius geschieden zu sein, tatsächlich einen Staatsstreich geplant, so wie dies einige Quellen nahelegen? Hatte es sich überhaupt um eine richtige Hochzeitszeremonie gehandelt oder nur um ein üppiges Verlobungsfest?

Tacitus schildert in den Annalen XI, Abschnitt 31, die Vorgänge während der Feier. Bekanntlich hatte Messalina einen Narren am „schönsten Mann Roms“, dem designierten Konsul Caius Silius, gefressen und mit ihm besagtes Fest im Spätherbst des Jahres 48 gefeiert, das sie nur um ein paar Stunden überlebte, da sie auf Betreiben von Narcissus und auf Befehl von Kaiser Claudius in den Gärten des Lucullus hingerichtet wurde.

Klassiker wie Tacitus, Sueton und Cassius Dio legen als Motiv eine Verschwörung zugrunde mit dem Ziel, Claudius vom Thron zu stoßen und Silius als neuen Herrscher zu etablieren. Ranke-Graves spekuliert in seinem Claudius-Roman sogar darüber, dass Messalina eine Rückkehr zur Republik anvisiert habe.

Tacitus lässt den kaiserlichen ´Minister´ Narcissus in Abschnitt 30 zu Claudius so sprechen:

Denn des Silius eheliche Verbindung hat Volk, Senat und Krieger gesehen, und handelst du nicht schnell, so ist in der Stadt Besitz der Ehemann.

Bei Cassius Dio heißt es in 60, 31, 5:

And by frightening him (= Claudius) with the idea that Messalina was going to kill him and set up Silius as ruler in his stead, he (= Narcissus) persuaded him to arrest and torture a number of persons.

Der Grundgedanke dabei ist, dass Britannicus, Messalinas zu diesem Zeitpunkt 8jähriger Sohn (mit Claudius als Vater) von Silius adoptiert und als legitimer Nachfolger von Claudius hätte eingesetzt werden können, wobei Silius und Messalina ihn bis zur Volljährigkeit als Regenten vertreten hätten.

Die moderne Geschichtswissenschaft scheint von Messalinas Putschambitionen aber nicht völlig überzeugt zu sein. In „Die römischen Kaiser“ wird die Umsturzhypothese an der entsprechenden Stelle nicht mal erwähnt, auch Karl Christ ist sie in seiner „Geschichte der römischen Kaiserzeit“ keine einzige Silbe wert. Im Messalina-Artikel von Wikipedia lesen wir:

Außerdem hatte das Paar offenbar, obwohl sich seine abenteuerliche Hochzeit nicht geheim halten ließ, keine Vorkehrungen für die sich daraus ergebenden nötigen Konsequenzen getroffen. So hatte es anscheinend kein eigentliches Komplott zu Claudius’ Beseitigung geplant oder wenigstens Maßnahmen zum Schutz vor der erwartbaren Rache des Kaisers getroffen, sondern ohne viele Gedanken an die Zukunft geheiratet.

In Jacques Robichons Nero-Biografie liest man, dass „einige Historiker behaupten, dass die schändliche Hochzeit (…) in allen Teilen von den kaiserlichen Freigelassenen organisiert und angestiftet worden seien.“

Damit sind Claudius´ engste Berater Narcissus und Pallas gemeint. Ihre Motive könnten die Angst gewesen sein, von Messalina, die bereits eine beachtliche Todesliste zu verantworten hatte, ausgeschaltet zu werden, falls Claudius in irgendeiner Weise an Macht verlöre, so dass sie der mutmaßlichen Gefahr zuvorkommen wollten und eine Grube aushoben, in die Messalina stürzen sollte.

Den hypothetischen Umsturz könnte man sich in der Praxis so vorstellen, dass die mächtige Prätorianergarde, die schon Claudius zum Kaiser ausgerufen hatte, sich auf Silius´ Seite hätte stellen können, was für Claudius das Aus bedeutet hätte. Ihr Chef war damals Lucius Geta, eigentlich ein Intimus von Claudius, der bei den Freigelassenen aber als unberechenbar und als potentieller Unterstützer von Silius und Messalina eingestuft wurde.

Wie also ist das alles einzuschätzen? Haben die antiken Geschichtsschreiber Tacitus und Dio übertrieben, als sie Messalina einen Umsturzplan unterstellten?

Chan

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Hi Ch´an.

Du weißt, daß ich kein Historiker bin, vielleicht ein bißchen schon eher ein (mittelmäßiger) Militärhistoriker, zumindest für einige Zeiträume.

Ich versuche es, von meiner nicht wirklich spezifischen Warte aus:

Was mir immer besonders auffiel zu dem von Dir angesprochenen Römischen Zeitalter, war der Begriff der „Intrige“. Eine intrigante Zeit durch Intriganten geprägt, dadurch in gewissen machtaffinen Kreisen durch und durch paranoid.

Halt, halt!

Ich fragte mich dann irgendwann, ob diese Wahrnehmung nicht allzu sehr von Tacitus und seiner nachfolgenden Rezeption und Verarbeitung beeinflusst wurde. Er war ein unglaublich voreingenommener thesen- und absichtengeleiteter Verfasser. Beinah ein Pamphletist, an bestimmten Stellen zweifelsohne ein Hetzer.

Doch kam ich zu dem Schluß, daß er Einzelereignisse verfälscht haben mag, parteische Interpretationen manipulativ durchgesetzt, nicht aber den „Geist“, die inneren Kommunikationsstrukturen und Denkmuster eines Zeitabschnittes fälschend überbetont.

Es dürfte tatsächlich Paranoia gewesen sein, die die Hauptspeisen kochte. Und zwar mehr oder weniger täglich.

In einer solchen Intrigen-Atmosphäre dürfte es kaum möglich gewesen sein, Verdächtigung, Unterstellung, Hirngespinst und Gelegenheit auseinanderzuhalten. Für den Verdächtigenden, wie für den Verdächtigten, notabene; wobei wir uns das so vorstellen dürfen, wie ein Karussell der Verdächtigungen, Pläne, Erwägungen, Entwürfe, Schachzüge, Mißtrauensanwandlungen, Befürchtungen und Begehrlichkeiten, in dem der Verdächtigte und der Verdächtigender ständig und atemlos die Plätze tauschen.

In solch einer vorstrukturierten Wechselwirkung dürfte sehr sehr schwer im Nachhinein zu eruieren sein, was Unterstellung und was Konkreteres war. Es dürfte aber schon damals kaum möglich gewesen sein. Dann ist doch die vorauseilende Intrige, die „Falle“, in einer solchen Welt exaltierter Paranoia eine paradoxerweise „rationale“ Option.

Mein persönlicher Eindruck zu dem von Dir angesprochenen Drama war, daß die Akteure allesamt in ihren voraus-vorsehenden Schachzügen und Spekulationen über „gegenerische“ Schachzüge gefangen waren, daraus gar nicht und auf keinen Fall hätten ausbrechen können. Messalina hat wahrscheinlich Möglichkeiten und Gelegenheit gespürt, jedoch keinerlei aktuellen Plan konkretisieren wollen: Dazu war die „Heirat“ als Schachzug zu plump, zu offen. Aber sie war seitdem in einer faktisch potentiell stärker gewordenen Position, es auch gewußt haben, weitere Eventualitäten (die Versuchung, ihren kleinen Sohn sich als Cäsar auszumalen) nicht ausgeschlossen haben wollen. Das dürfte gereicht haben.

Messalina hat einen Punkt schon lange überschätzt: Ihre relative Unantastbarkeit. Ein hoher Preis, den man zahlt, wenn man bei Intrigen und Machtspielen sich über Jahrzehnte „erfolgreich“ hält und durchsetzt.

Zwei Punkte noch:

Loyalität war damals notwendigerweise eine ziemlich verderbliche, wenn nicht gar manchmal von vornherein verdorbene Ware.

Und „Heirat“ hab’ ich schon oben in Anführungszeichen gesetzt, weil ich den überdeutlichen Grad an Feierlichkeit bezweifle, den Messalinas Feinde ihr (der Verbindung) öffentlich zugeschrieben haben.

abifiz
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Hi abifiz.

Danke für deine Antwort.

Ich fragte mich dann irgendwann, ob diese Wahrnehmung nicht allzu sehr von Tacitus und seiner nachfolgenden Rezeption und Verarbeitung beeinflusst wurde. Er war ein unglaublich voreingenommener thesen- und absichtengeleiteter Verfasser. Beinah ein Pamphletist, an bestimmten Stellen zweifelsohne ein Hetzer.

Ja, das Problem ist in der Tat, dass Tacitus und auch Sueton im Ruf stehen, ihre Darstellungen teilweise unkritisch aus nicht zuverlässigen Quellen (z.B. Gerüchten) entnommen und stellenweise auch manipuliert zu haben. Das belegt aber nicht, dass ihre Deutung der Messalina-Silius-Affäre bzw. ihre Wiedergabe einer solchen Deutung falsch ist. Zum einen waren die Rahmenbedingungen für einen Umsturz durchaus günstig: Prätorianerboss Geta war Messalina gegenüber verpflichtet und loyal (durch sie war er erst in sein Amt gekommen) und hätte einen Regierungswechsel effektiv unterstützen können. Desweiteren hatte Silius als designierter Konsul eine ausgezeichnete Position. Auch die überlieferte Darstellung des Verhaltens der Freigelassenen wirkt plausibel: Messalina war eine Gefahr für sie, erst 1 Jahr zuvor hatte sie für die Hinrichtung von Polybios gesorgt, einem ministeriellen Kollegen von Narcissus und Pallas. Letztere veranlassten, dass Geta für den Hochzeits-Tag von Narcissus vertreten wurde, was ein für Messalina positives Eingreifen Getas verhinderte.

Mein persönlicher Eindruck zu dem von Dir angesprochenen Drama war, daß die Akteure allesamt in ihren voraus-vorsehenden Schachzügen und Spekulationen über „gegenerische“ Schachzüge gefangen waren, daraus gar nicht und auf keinen Fall hätten ausbrechen können. Messalina hat wahrscheinlich Möglichkeiten und Gelegenheit gespürt, jedoch keinerlei aktuellen Plan konkretisieren wollen: Dazu war die „Heirat“ als Schachzug zu plump, zu offen.

Wobei als Initiator dieser Heirat aber Silius gilt, also ein - wie man meinen sollte - mit Weitblick begabter Kopf. Was er und Messalina wahrscheinlich richtig einschätzten, war Claudius´ Naivität, was sie aber falsch einschätzten, die Cleverness der Freigelassenen. Diese erreichten ihr Ziel, die Tötung Messalinas, nur mit Tricks, welche von Messalina/Siliius nicht vorhergesehen wurden.

Messalina hat einen Punkt schon lange überschätzt: Ihre relative Unantastbarkeit.

Sie hätte sogar diese Affäre überlebt, wenn die zufälligen Umstände für sie nur etwas günstiger gewesen wären.

Chan