Hallo Eva,
vereinfachend kann man sagen, dass es zwischen Spätantike und später Neuzeit in der Tat ziemlich „schmutzig“ zugegangen ist. Die Badekunst der Römer war verloren gegangen und erst mit den Anfängen der modernen Medizin im 19. (!) Jahrhundert entwickelten sich so langsam hygienische Zustände, die nach unseren heutigen Maßstäben diese Bezeichnung verdienen (Stichwort Semmelweis - Kindbettfieber - Händewaschen)
Natürlich sind die tatsächlichen Ausprägungen der Zustände immer von Ort und Lebensumständen der Personen abhängig. Gerade in den Städten waren die hygienischen Verhältnisse besonders katastrophal. Ich kann dir ein kurzes Bild des neuzeitlichen Paris liefern. Zu den Lebensbedingungen in den Wohnungen ist schon einiges gesagt worden, ich kann noch einige Dinge rundherum ergänzen.
Eine Müllabfuhr wurde in Paris erst Mitte des 19. Jhdts eingesetzt, bis dahin wurde der Unrat auf die Straße gekippt. Der wiederum verstopfte mit Kot, der ebenfalls aus dem Nachttopf auf die Straße geleert wurde (eine großflächige, brauchbare Kanalisation entstand erst unter Haussmann in den 1860ern) und jenem der vielen Pferde, Ochsen, Hunde usw., die Rinnsale. Die wiederum befanden in der Straßenmitte, nicht am Straßenrand wie heute. Nach einem Regenguss konnten diese Rinnsale zu richtigen schmutzigen Bächen anschwellen, die nicht so ohne weiteres zu überqueren waren. Louis-Sébastien Mercier schildert, dass, wollte ein Fußgänger die Straßenseite wechseln, ein für eine Münze hilfsbereiter Mitbürger mit einem länglichen Holzbrett herbeieilte, über das der Passant dann nervös auf die andere Straßenhälfte balancierten konnte. Das Straßenpflaster war generell sehr staubig und sorgte allein schon dafür, dass die Kleidung nicht sauber blieb. Bei Regen verschlammten die Straßen dafür sehr schnell.
Zur Verbesserung der hygienischen Zustände wurde um 1800 alles Schlachtwesen aus der Stadt heraus in die Vororte von Paris verlegt. Auch hier vermittelt uns Mercier ein anschauliches Bild von den katastrophalen, noch tief mittelalterlichen Verhältnissen: Er nennt die rue du Pied-de-Boeuf mit seinen Schlachtereien den „stinkendsten Ort der ganzen Stadt“. Das Vieh wurde dort öffentlich geschlachtet,
das Blut floss und klumpte in den Straßen, außerdem bestand stets latente Gefahr von flüchtenden Tieren, die dann panikartig durch die engen Gassen stoben. An diesem Ort war außerdem noch der Sammelplatz für alle Flussleichen aus der Seine und dem Pariser Umland.
Ihr Trinkwasser bezogen die Pariser übrigens aus der Seine, in dieselbe flossen aber auch die Abwässer, vor allem der Gerbereien, wobei die Abwässer stromaufwärts der am meisten frequentierten Entnahmepunkte lagen. Erst - wieder unter Haussmann - in den 1860ern wurde aus der Champagne sauberes Trinkwasser aus großer Distanz in die Stadt geleitet.
Die kleinen Friedhöfe um die Kirchen herum, längst überfüllt und zu Brutstätten unzähliger Krankheitserreger geworden, wurden aufgelassen und stattdessen im Jahr 1804 die Totenstadt Père-Lachaise angelegt. Mercier unterlässt es auch hier nicht, den pestilenzartigen Gestank der Friedhöfe mitten im Stadtgebiet zu beklagen, da die Leichen nur wenig tief bestattet wurden und durch Erosion oder Überschwemmungen ihre Körper immer wieder freigelegt wurden. Aus Platzmangel wurden oft auch absichtlich Leichen wieder ausgegraben und die noch nicht verwesten Leichenteile in Karnern gelagert. Besonders der Cimetière des Innocents im Stadtzentrum, gleich neben den zentralen Markthallen gelegen, ist da im Negativen besonders hervorzuheben. Der Gestank wird auch in Patrick Süskinds Parfum wie ich finde sehr gut geschildert, vielleicht wird es auch im Film gut dargestellt (habe ich nicht gesehen)
Angesichts dieser Zustände verwundert es nicht, dass Mercier sogar Lutetia, den ersten Namen von Paris, wenig charmant mit „Dreckstadt“ übersetzte, wobei er sich auf das lateinische Wort lutum für Kot oder Lehm bezog. (Diese Herleitung mag nur ob seines Bildes von Paris emotional verständlich sein, sachlich fundiert ist sie nicht. In der modernen Onomastik wird vermutet, dass Lutetia die Zusammenziehung der früheren Form Lucotecia ist, wobei die Silbe luco der keltische Begriff für Sumpf oder Marais ist.)
Freundliche Grüße
Jerry