Mittelalterliches Stadtbild

Hallo,

ich interessiere dafür, wie mittelalterliche Städte ausgesehen haben könnten. In der einschlägigen Literatur (Alltag im Spätmittelalter, Mittelalterliche Städte, Die Stadt im Mittelalter usw. usf.) beschränken sich alle auf die Darstellung der kulturellen und sozialen Zusammenhänge und fast nie mit ganz pragmatischen (alltäglichen) Fragen.

So findet man beispielsweise fast überall die Erkenntnis, daß im Laufe des 14. Jahrhundert die Straßen befestigt wurden. In dem einen Buch werden Pflastersteine genannt, in anderen Holzbohlen und dann einfach nur „Platten“. Leider konnte ich keine bildliche Darstellung finden, auf der zu erkennen war, wie eine mittelalterliche Straße wirklich aussah. Welche Art von Straßenpflaster hat man verwendet? Wo kann ich mir soetwas anschauen?

Das gleiche Problem habe ich, wenn ich nach der Gestaltung der Fenster in den Stadthäusern suche. Auf mittelalterlichen Abbildungen kann man oft runde oder rautenförmige Butzenglasscheiben erkennen, in den Büchern steht allerdings, daß sich die Glasscheiben erst im 15. Jahrhundert haben durchsetzen können. In den Büchern findet man oft nur kurze Angaben darüber, daß die Fenster vor Einführung der Fensterscheiben aus Glas mit Pergament, Leinen oder sogar Schweinsblasen abgehängt waren. Wie kann man sich soetwas vorstellen?

Im Internet findet man Darstellungen mittelalterlicher Städte oft als Kulisse für Computerspiele. Wobei ich mir allerdings vorstellen kann, daß hier eine romantische Vorstellung der mittelalterlichen Stadt im Vordergrund stand. Ein Beispiel ist der mittelalterliche Marktplatz unter http://www.medievalworlds.com/Bilder/topimages2/mb.jpg
In der Gallerie sind noch weitere Bilder der Stadt zu finden: http://www.medievalworlds.com/gallery_ger.html
Weitere Darstellungen findet man auf den Zeichnungen von Jörg Müller (z.B. http://www.micromediaarts.de/mittelalter/presse.htm).
Wie realistisch sind solche Darstellungen wirklich? Kennt jemand Bücher oder andere Quellen, wo man sich über solche Fragen Gedanken gemacht hat?

Besten Dank schonmal und viele Grüße,
Chris

Hallo Chris!

So findet man beispielsweise fast überall die Erkenntnis, daß
im Laufe des 14. Jahrhundert die Straßen befestigt wurden.

Teilweise deutlich früher, teilweise später.

In dem einen Buch werden Pflastersteine genannt, in anderen
Holzbohlen und dann einfach nur „Platten“. Leider konnte ich
keine bildliche Darstellung finden, auf der zu erkennen war,
wie eine mittelalterliche Straße wirklich aussah. Welche Art
von Straßenpflaster hat man verwendet?

Alle der von Dir beschriebenen Arten sind gebräuchlich. Da Du von einem sehr langen Zeitraum sprichst und diesen zudem auch räumlich nicht weiter eingrenzt, dürfte eigentlich klar sein, daß je nach Epochenabschnitt, Vermögen und geographischer Lage der jeweiligen Stadt die unterschiedlichsten Materialien zum Einsatz gekommen sind.

Insofern schließen sich die eingangs aufgeführten Baumaterialien nicht gegenseitig aus, sondern kommen nebeneinander vor:
Großzügige Straßenplattierungen, wie Du sie noch heute inmanchen historischen Städten Nord- und Mittelitaliens (z.B. http://www.sangimignano.com/ ) sehen kannst, in den vermögenderen Städten.
Einfache Pflasterungen, z. B. aus groben Flußkieseln, wie sie in „durchschnittlichen“ Städten, beispielsweise auf und rund um den alten Markt in der Hansestadt Duisburg
http://www.archaeologie-duisburg.de/koenigspfalz.pdf
http://www.archaeologie-duisburg.de/Stadtarchaologie…
oder auch in Ulm
http://www.landesdenkmalamt-bw.de/archaeologie/grabu…
verwendet wurden.
Und ebenso sind natürlich Holzbohlen denkbar, zu denen mir aber im Moment nur vormittelalterliche Beispiele, wie Biskupin in Polen http://www.biskupin.pl/ einfallen.
Ein nicht unwesentliche Teil der mittelalterlichen Straßen war aber auch schlicht überhaupt nicht befestigt.

Wo kann ich mir soetwas anschauen?

Die besseren Straßen findest Du, wie oben erwähnt, heute noch in den ober- und mittelitalienischen Städten.
Zu den einfacheren Befunden empfehle ich den Besuch aktueller Stadtkerngrabungen, wie sie in den letzten Jahren insbesondere in den Städten der neuen Bundesländer durchgeführt wurden. Erkundige Dich einfach mal bei Deiner regionalen Bodendenkmalschutzbehörde, ob es in Deiner Nähe solche Ausgrabungen gibt. Deine Visitenkarte läßt leider keine Rückschlüsse auf Deine Region zu.

Das gleiche Problem habe ich, wenn ich nach der Gestaltung der
Fenster in den Stadthäusern suche. Auf mittelalterlichen
Abbildungen kann man oft runde oder rautenförmige
Butzenglasscheiben erkennen, in den Büchern steht allerdings,
daß sich die Glasscheiben erst im 15. Jahrhundert haben
durchsetzen können.

Und das auch nur bei äußerst vermögenden Hausbesitzern!
Fensterscheiben waren der reine Luxus.
http://www.hessenpark.de/deutsch/details/subseiten/p…
http://www.lehnswesen.de/page/html_alltag.html

In den Büchern findet man oft nur kurze
Angaben darüber, daß die Fenster vor Einführung der
Fensterscheiben aus Glas mit Pergament, Leinen oder sogar
Schweinsblasen abgehängt waren.

Geringschätze die Schweinsblasen nicht, daraus wurden sogar Kondome gefertigt :wink:
(Nachgewiesen sind diese allerdings erst für die frühe Neuzeit.)
Getrocknet ergeben sie ein äußerst lichtdurchlässiges und widerstandsfähiges Pergament (die Tierblasen, nicht die Kondome :wink:

Wie kann man sich soetwas vorstellen?

Besorge Dir beim Metzger entsprechendes Material und bespanne einen Holzrahmen damit :wink:

Im Internet findet man Darstellungen mittelalterlicher Städte
oft als Kulisse für Computerspiele.

Wie realistisch sind solche Darstellungen wirklich?

Die von Dir aufgezeigten erscheinen mir beim schnellen überfliegen gar nicht so unrealistisch. Insbesondere bei http://www.medievalworlds.com/Bilder/topimages2/mark… fällt mir ein Detail auf: In dem Hauptfahrbereich, der schräg durch den Markt verläuft haben sich durch die Karren sozusagen „Spurrillen“ in das Pflaster gedrückt. Das entspricht durchaus realen archäologischen Befunden.

Kennt jemand Bücher oder andere Quellen, wo man sich über solche
Fragen Gedanken gemacht hat?

http://www.mittelalterarchaeologie.de/
http://www.vml.de/d/nachbardisziplinen.php?nd=85
http://www.archaeologie-online.de/links/154/169/
http://www.dgamn.de/
http://www.arbeitskreisfuerhausforschung.de/
http://www.uni-tuebingen.de/uni/afm/links/index_link…

Gruß, Hartmann,
der vor gut zwei Jahrzehnten den mittelalterlichen Markt in Duisburg von etlichen Kubikmetern Erde befreit hat :wink:

Hallo Hartmann,

vielen Dank für die schnelle und vor allem ausführliche Beratung! Die Ausgrabungsstelle am Duisburger Rathaus hab ich mir erst letztes Wochenende angeschaut! Das war schon sehr interessant und aufschlußreich. Thema meiner Arbeit sind allerdings fränkische Städte im 14. und 15. Jahrhundert, weshalb ich nochmal genauer nachfragen wollte.

Die vielen Literaturangaben werde ich mir in Ruhe mal anschauen und die verschiedenen Bücher in der Deutschen Bücherei bestellen. Da findet sich bestimmt noch einiges. Obwohl die praktischen Tips auch nicht schlecht sind. Ein Fenster aus Schweinsblasen zu bauen ist zumindest ein Heidenspaß.

Wie hat man das denn gemacht, ich meine es muß ja auch praktisch sein. Hat man die Blase direkt auf die Balken vom Fachwerk genagelt oder sie an einem beweglichen Rahmen befestigt? In späteren Abbildungen sieht man oft einen hölzernen Rahmen außen vor dem Fenster, über den ein Tuch gespannt ist, womöglich als Sonnenschutz aber vielleicht auch als Wärmeschutz, wenn man das Gestell nach unten klappt… Ist das auch eine Alternative?

Viele Grüße,
Chris

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N’Abend Chris!

Thema meiner Arbeit sind
allerdings fränkische Städte im 14. und 15. Jahrhundert,
weshalb ich nochmal genauer nachfragen wollte.

Aus der Thematik würde ich doch glatt ein langes Wochenende machen :smile: und mich vor Ort umtun:

http://www.gnm.de/
http://www.museen.nuernberg.de/fembohaus/index_fembo…
http://www.freilandmuseum.de/
http://www.geschichte-fuer-alle.de/
http://www.kulturpfad-franken.de/

Weitere Links:
http://www.blfd.bayern.de/blfd/
http://www.archaeologie-in-bayern.de/
http://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/phil_Fak_II…

Möglicherweise noch weiterhelfende Literatur:

Daniel Burger, Hans-Heinrich Häffner, Reiner Kammerl:
Bauarchäologische Untersuchungen in einem Bürgerhaus von 1396 in Weißenburg
in: Beiträge zur Archäologie in Mittelfranken
Band 2, Büchenbach, Verlag Dr. Faustus, 1996

Marcus Hohmann, Eva und Georg Schultheiß
Die Grabung am Marktplatz Heideck, Lkr. Roth
in: Beiträge zur Archäologie in Mittelfranken
Band 5, Büchenbach, Verlag Dr. Faustus, 1999

Verena Kaufmann:
Archäologische Untersuchungen auf dem Marktplatz von Bad Windsheim, Lkr. Neustadt/Aisch-Bad Windsheim
in: Beiträge zur Archäologie in Mittelfranken
Band 6, Büchenbach, Verlag Dr. Faustus, 2001

Thomas Platz:
Beobachtungen zum Vorläuferbau des Hauses „An der Kapell 1“ in Heideck, Lkr. Roth
in: Beiträge zur Archäologie in Mittelfranken
Band 3, Büchenbach, Verlag Dr. Faustus, 1997

  • Gerhard Ermischer und Markus Marquart:
    Stadtarchäologie in Aschaffenburg
  • Jochen Scherbaum:
    Zur Mittelalterarchäologie in Schweinfurt
  • Volker Herrmann:
    Stadtkernarchäologische Untersuchungen im Bereich des ehemaligen Schulhofs an der
    Engelmeßgasse in Haßfurt a. Main
  • Joachim Zeune:
    Bauarchäologische Untersuchungen im Stadtkern von Haßfurt Marktplatz 16, Marktplatz 17 und Hauptstraße 50
    Alle in: Beiträge zur Archäologie in Unterfranken 2000
    (= Mainfränkische Studien Bd. 67)
    Büchenbach, Verlag Dr. Faustus

Thomas Platz:
Hilpoltstein vom Frühmittelalter bis zur frühen Neuzeit Archäologische, baugeschichtliche und historische Aspekte zur Entwicklung einer mittelfränkischen Burg und Stadt
in: Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands
Bd. 12, Büchenbach, Verlag Dr. Faustus, 2000

Gruß,
Hartmann.

1 Like

Hallo Chris,
hier musst du, glaube ich, wirklich deine Fantasie ein wenig spielen lassen. einiges ist jedoch ziemlich klar:
die Städte, die es im Mittelalter vor dem 11. Jhd. gab, sind Hinterlassenschaften der Römer, zumal an Rhein und Donau: Köln, Mainz, Trier, Regensburg u.a. Das Straßenpflaster dort stammte noch aus der Römerzeit und war wie unser heutiges Kopfsteinpflaster, meistens etwas gröber. Im Osten ist es z.T. sogar noch aus dem Mittelalter erhalten. Es hat also auch Vorteile, dass die DDR ihre Straßen nicht erneuert hat. Teilweise gibt es das alte Pflaster aber, rekonstruiert, auch in westdeutschen alten Städten.
Pergament ist gegerbte Tierhaut, eine feinere Schicht als die Lederhaut. Es ist milchig, nicht durchsichtig, aber bedingt Licht-durchlässig. Leinen ist billiger, Du kannst ja ein Betttuch in deinen Fensterrahmen spannen, dann siehst du die Vorteile: Es hält die Sonne und den Wind ab, und es ist, zumindest bei Sonnenschein, trotzdem nicht dunkel im Zimmer (Jetzt sag’ aber nicht: Ey, das geht ja gar nicht mit meinem schwarzen Betttuch!). Wahrscheinlich wurde das Leinen mit Talg (Rinderfett) bestrichen, was es noch Wind-undurchlässiger und transparenter machte. Wenn man es, wie heute das Glas, in die Fensterflügel spannte, konnte man die Fenster halt bei schönem Wetter richtig öffnen. Statt einer Schweinsblase kannst du es mit einem Kondom versuchen, das sieht dann so ähnlich aus.
Wenn du mir mailst, wo du wohnst, kann ich dir vielleicht einen Tipp in deiner Nähe geben. Vielleicht kennst du aber eine aus dem Mittelalter stammende Stadt mit erhaltenen oder rekonstruierten Teilen. Dort lohnt es sich, das Heimatmuseum aufzusuchen, wo meist mehr und anschaulicher dokumentiert ist als in Büchern zu sehen. Dort kann man, wenn man Glück hat, auch auf Heimatforscher treffen, die sich über dein Interesse freuen und dir Auskunft geben.
Gruß
oranier

Danke an alle für die vielen Infos, ich bin immer für jeden Tip dankbar. Das mit den Leinen und dem Pergament ist sehr anschauzich, ab wann hat sich denn etwa das Fensterglas (Butzenscheiben) durchgesetzt? Bei öffentlichen Gebäuden (Rathäusern usw.) wohl schon im 14. Jahrhundert und bei Bürgerhäusern bis Ende des 15. Jh?

Habe übrigens letztens in Nürnberg einen Stadtrundgang mit den Altstadtfreunden gemacht, das war sehr interessant und ich kann es nur weiterempfehlen!

Viele Grüße,
Chris

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