Hallo Robert,
Warum wird man Veganer? Tierliebe oder Selbstliebe?
ich bin kein Veganer, aber Vegetarier - und Du hattest ja nach beidem gefragt. Ich vermute mal unter ‚Selbstliebe‘ verstehst Du gesundheitliche Aspekte. Diese spielen bei der Motivation vegetarischer Ernährung idR keine oder nur eine nachgeordnete Rolle. Ausschlaggebend sind idR ethische Argumente, z.T. in Form religiöser Verhaltensnormen.
Ich befürchte aber eher, dass es mal wieder einer dieser Trends ist.
Ein bemerkenswert langanhaltender Trend - Vegetarismus gibt es in Europa seit der Antike (z.B. Orphiker, Pythagoräer), ebenso lange im indischen Kulturraum. Vegetarismus (vorwiegend mit asketischer Motivation) war in der christlichen Antike weit verbreitet (der Kirchenvater Hieronymus war z.B. Vegetarier) und gehörte zu den Praktiken mittelalterlicher häretischer Bewegungen (Bogomilen, Katharer); ein bekannter Vegetarier des Renaissancezeitalters war Leonardo da Vinci. Wenn Du speziell den ‚modernen‘ Vegetarismus meinst - den gibt es auch schon seit dem 19. Jahrhundert. Percy Bysshe Shelley, George Bernard Shaw, Leo Tolstoi sind da bekannte Namen …
„Trend“ ist lediglich die in Deutschland derzeit steigende Anzahl von Menschen, die sich vegetarisch ernähren. Eine ähnliche Zunahme in Deutschland gab es im Zusammenhang mit der ‚Lebensreform-Bewegung‘ Anfang des 20. Jahrhunderts - unter dem GröVaZ (größter Vegetarier aller Zeiten) nahm das wieder ab. Solche statistische Schwankungen sind etwas völlig normales.
Ich frage deshalb, weil es ja absulut der menschlichen Natur
widerspricht keine Tiere zu essen.
Was verstehst Du unter „menschlicher Natur“? Der Mensch ist physiologisch omnivor - d.h. er kann sowohl pflanzliche als auch tierische Nahrung verwerten. Dies hat ihm einen evolutionären Vorteil verschafft, auf den er freilich seit der Jungsteinzeit (neolithische Revolution) nicht mehr angewiesen ist. Im ‚Naturzustand‘, also abstrahiert von aller Kultur, ist der Mensch ein Pflanzenfresser, der auch rohes Aas als Zusatznahrung nicht verschmäht. Wenn Du demnächst auf der Straße mal wieder eine totgefahrene Katze siehst, dann überlege mal, ob es nicht im Widerspruch zu Deiner menschlichen Natur steht, sie liegen zu lassen statt mal kräftig hineinzubeissen …
Außerdem ist Fleisch lecker
Das ist eine Frage persönlichen Geschmacks und als Argument in einer solchen Erörterung das denkbar untauglichste. Was meinst Du, was Menschen so alles „lecker“ finden können …
und in bestimmten Mengen gesund
„Gesund“ ist als Argument fast ebenso wischiwaschi wie persönlicher Geschmack. Fleisch hat einen hohen Nährwert - dem entspricht freilich auch ein überproportional hoher Aufwand bei der ‚Produktion‘ (1 kg Fleisch ist etwa äqivalent 10 kg Getreide - nicht, was den Nährwert angeht, wohlgemerkt). Ansonsten bietet Fleisch dem menschlichen Körper nichts, was ihm nicht auch auf andere Weise zugeführt werden könnte. Ansonsten ist Dein „in bestimmten Mengen“ doch reichlich blauäugig - richtiger wäre stattdessen „in deutlich geringeren Mengen als heute bei uns allgemein üblich“. Der heute allgemein übliche hohe Fleischanteil in der Ernährung (und zusätzlich die damit zwangsläufig verbundene minderwertige Fleischqualität) ist vielmehr zu einem erheblichen Teil mitverantwortlich für die sog. Zivilisationskrankheiten. Gesund ist was anderes …
und der menschliche Appetit auf Fleisch ist (zumindest bei mir
[leider])um einiges größer als auf Obst und Gemüse.
Geschenkt. Wir wollen hier doch nicht Deinen persönlichen Appetit diskutieren.
Wenn ich mir Nutztiere angucke, besonders Schafe und Rinder, habe ich
das Gefühl, dass es denen besser gar nicht gehen kann, die sind immer
bei ihrer Herde, haben immer Nahrung und brauchen sich vor
Fressfeinden nicht zu fürchten. Artgerechte und ordentliche Haltung
natürlich vorrausgesetzt.
Ein wenig erinnert mich das an die Argumente, die in den amerikanischen Südstaaten gegen die Abschaffung der Sklaverei vorgebracht wurden (und in abgeschwächter Form noch vor 20 Jahren bei den Befürwortern der Apartheid zu hören waren). ‚Humanisierung‘ statt Abschaffung. „Artgerechte und ordentliche Haltung“ vorausgesetzt waren auch die Plantagensklaven unter sich, „bei ihrer Herde“, hatten ausreichend Nahrung und überhaupt ein sorgenfreies Leben, wie ihre bekannte Vorliebe für Musik und Tanz zeigt …
Was glaubst Du denn, wieviel Prozent des Fleisches auf dem Markt aus „artgerechter und ordentlicher Haltung“ stammt? Das ganze Gerede von „artgerechter Haltung“ ist darüber hinaus ohnehin nur ein Mythos, um empfindliche Gemüter zu beruhigen - auch wenn es unstrittig große Unterschiede im Ausmaß des Leidens gibt, das den Tieren bei der Haltung zugefügt wird. Wie auch immer die Tiere gehalten werden - sie landen meist früher als später im Schlachthof. Kein Tier, das zum Zwecke baldigen Schlachtens gehalten wird, wird „artgerecht“ gehalten. Dies kann sich nur jemand einbilden, der ganz alttestamentarisch daran glaubt, Gott habe die Tiere einzig zum Nutzen des Menschen geschaffen - eben das sei ihre „Art“.
Man kann sich als Mensch, auf Grund der dem Menschen gegebenen überlegenen Fähigkeiten, das Recht nehmen, Tiere zu züchten, zu halten und zu töten um sie dann zu verzehren - genauso, wie man mit dem Recht des Stärkeren auch Menschen anderer Rasse oder Hautfarbe versklaven kann. Dies freilich mit Blick auf seine Mitwesen damit zu begründen,
dass es denen besser gar nicht gehen kann
halte ich - mit Verlaub - für intellektuellen Selbstbetrug wenn nicht gar (so einem dies bewusst ist) Heuchelei.
Wild hat es sogar noch besser, auch keine Fressfeinde genügend
Freiheit und Nahrung und es hat nie Todesangst wie vielleicht ein
Schwein im Schlachthof, ein Schuss und das war es.
Mir scheint, Dir sind die Abläufe bei einer Jagd ebenso wenig vertraut wie die in einem Schlachthof. Zum Schlachthof: ich empfehle, sich wenigstens einmal diese Bilder anzusehen: http://www.soylent-network.com/doku/index.htm (auf ‚2. Fotos, dokumentiertes Bildmaterial‘ / ‚1. Schlachtungen - Tiertransporte - getötete und tote Tiere (Schweine, Rinder, Hühner,…)‘ gehen), auch wenn sie nur sehr entfernt einen Eindruck davon vermitteln können, was in Schlachthöfen tagtäglich so abläuft. Den dazu gehörenden Lärm und Gestank kann man sich schlicht nicht vorstellen - das muss man einmal erlebt haben. Aber vielleicht weisst du dann, dass das „vielleicht“ in dem oben zitierten Satz von Dir absolut überflüssig ist.
Zur Jagd: einmal davon abgesehen, dass der Anteil von Wild am gesamten Fleischverzehr statistisch kaum ins Gewicht fällt, ist der ‚saubere Blattschuss‘ („ein Schuss und das war es“) eher die Ausnahme, auf die sich der edle Jäger dann auch entsprechend etwas einbildet.
Ich finde die Tierliebe- und Gesundheitsargumente ziemlich schwach,
Nun, ich finde Deine Argumente auch ziemlich schwach. Davon abgesehen - es geht nicht nur um Tierliebe und Gesundheit. Die Massenproduktion von Fleisch ist auch ein erhebliches ökologisches Problem. Nicht nur in Südamerika, auch bei uns - es gibt Regionen, in denen fast nur noch Mais-Monokulturen wachsen, weil die mit Gülle überbelasteten Äcker nichts anderes mehr hervorbringen als Futtermais. Um mit den pflanzenschutztechnischen Problemen bei solchen Monokulturen fertig zu werden, braucht man dann auch entsprechend gentechnisch angepassten Mais. Und es gibt angesichts der wachsenden Weltbevölkerung ein zunehmendes ernährungspolitisches Problem mit der industriellen Fleischproduktion - auf Grund des unverhältnismäßig hohen Ressourcenverbrauchs. Freilich weit weg von hier, in der sog. ‚dritten Welt‘. Aber auch die rückt (nicht ohne Grund) uns zunehmend enger auf die Pelle …
Freundliche Grüße,
Ralf