Motivations- und Antriebslosigkeit

Hi Rene, Shannara, Bettina

ich schreibe mal an dieser Stelle, weil ihr alle ähnliche
Erlebnbisse berichtet, die trotz individueller Varianten ein
sehr genau umrissenes „Syndrom“ beschreiben. Das Paradoxe, das
daran nicht nur sichtbar wird, sondern auch subjektiv so erlebt
wird, ist, daß es meist Menschen betrifft, denen es an
Kreativität, Aktivität, Flexibilität, Begeisterungsfähigkeit und
Interessiertheit, auch an Intelligenz by the sides, eben gerade
nicht mangelt - ganz im Gegenteil.
Deshalb sind auch Versuche, es mit Begriffen wie
„Antriebsschwäche“ zu beschreiben, völlig verfehlt.

Die wesentlichen Eigenschaften habt ihr alle drei bereits durch
anschauliche Beispiele angedeutet. In dem Bereich
Selbstmanagement und Motivationstheorie - auch unter ADD und
Hunter-Syndrom - sind manche Komponenten zu finden, die sich mit
dem, was ihr schreibt zur Deckung bringen lassen. Aber wie
gesagt, nur einzelne Komponenten - es sind zu viele Komponenten
dabei, die mit dem hier nichts zu tun haben. Der „knackpunkt“
bei dem, was mir von anderer Seite in dieser Richtung bekannt
ist, scheint mir zu sein, daß genau in dem Augenblick, wenn es
darum geht, etwas zu tun, woran einem sehr viel liegt (wo also
keine Frustrationsschwelle zu überwinden wäre),
blitzschnell triftige (!) Gründe gefunden werden, genau das
nicht zu tun.

Shannara gibt das Beispiel:

Ich habe z.b. vor geraumer Zeit angefangen,
ein Buch zu schreiben, und es liegt mir wirklich am Herzen, es
zu schreiben, aber ich kann mich nur unter groessten Muehen
dazu bringen, mich hinzusetzen und es zu tun. Jedesmal, wenn
ich mich an den Computer setze, nehme ich mir vor, mind. ein
Kapitel hinzukriegen - stattdessen finde ich mich hier wieder
oder in einem Chat etc.

Begriffe wie mangelnde Selbstdisziplin, Perfektionismus,
Antriebsschwäche, scheinen mir deshalb nicht (oder höchstens
sehr indirekt) hierherzugehören, weil viele berichten, daß
gutgemeinte Ermutigungen wie „das ist doch ganz einfach…“, „da
brauchst du doch bloß mal…“, „du mußt dich bloß mal am Riemen
reißen…“, „tritt dir doch mal selbst in den Hintern…“ oft als
Beleidigungen oder Verkennungen erlebt werden und mit
Agressivität beantwortet werden (sogar ggf. mit Kontaktabbruch).
Das deutet darauf hin, daß ganz andere Beweggründe (bewußt
paradoxer Ausdruck hierfür) zu diesem beschriebenen Nicht-Tun
führen.

Deshalb machen oft auch (obs bei euch auch so ist, weiß ich
bisher ja nicht?) solche ansonsten überaus nützlichen Listen von
Handlungstaktiken, von denen Gitte unten schöne Beispiele
schreibt, solche Menschen regelrecht ärgerlich… Sie erleben
allein die Aufforderung zur Selbstkontrolle bereits als
Selbstentmündigung, Handeln nach externen Rezepten und
Vorschriften als Demütigung und ein Spruch wie: „aber das ist
doch ganz einfach“ als Existenzbedrohung.

Sie haben, wenn und wo sie mit sich selbst zum Zuge kommen (was
extrem umgebungsabhängig bzw. feedbackabhängig ist), ein
Höchstmaß an Selbstkontrolle… sind aber zugleich ziemlich
deutlich suchtgefährdet - wobei sich „Sucht“ hier nicht
unbedingt auf das Übliche bezieht, sondern auf alles mögliche,
was man exzessiv und intensiv (!) betreiben kann.

Weiteres Beispiel:

…Frueher, als Werbetexterin, hatte
ich kein Problem, wenn ich in einer Agentur sass. Dann wurde
ich Freelancerin und arbeitete eine Zeitlang von zuhause…

Gerade bei einem plötzlich vorhandenen Höchstmaß an freier
Selbstverfügung und Handlungsentscheidung (nach der vorher eine
starke Sehnsucht bestand), tritt dieses Phänomen auf… und das
heißt auf keinen Fall, daß es Menschen sind mit der Eigenart,
unter Druck besser arbeiten zu können - im Gegenteil.
Und unter Druck wird der vorhandene Spielraum bis zum Äußersten
ausgereizt… „Zeit genug“ bedeutet soviel wie „sehr viel Zeit,
die für ganz anderes verwendet werden muß, als für das, was
anliegt“:

… Wenn mir jemand Freitags
nachmittags einen Job gab, der montags fertigsein musste, habe
ich ihn das ganze Wochenende vor mir hergeschoben und
Sonntagabend erledigt (unter totalem Stress, aber
seltsamerweise arbeite ich GUT unter Druck).

Ja - und nicht nur „gut“: Man schafft dann in einem Bruchteil
der Zeit, die andere für die Hälfte benötigen, das Doppelte -

Stimmt das soweit?

… aber manchmal kriege ich die
Krise…

… die nach dem folgenden Schema „perfekt“ gemeistert wird:
(Shannara:smile:

Ich sehe den Teppich und denke: Muss dringend
gestaubsaugt werden. Aber VORHER muesste ich die Fenster
putzen, sonst faellt all der Dreck vom Fenster wieder auf den
Boden. Aber BEVOR ich die Fenster putze, muessen dringend die
Gardinen gewaschen werden, was macht es sonst fuer einen Sinn,
saubere Fenster zu haben?

könnte man noch fortsetzen? „…also Gardinen waschen, sofort
natürlich, nein das geht nicht, das Waschmittel ist ausgegangen,
also schnell Waschmittel besorgen, nein das macht nur Sinn, wenn
ich es verbinde mit dem Einkauf, der eh noch dringend anliegt,
was wollte ich denn noch einkaufen? zettel holen zum
aufschreiben… wo liegt denn jetzt der Zettelblock? ah ja, da
steht ne telefonnr. drauf… dringender Anruf, der sofort
gemacht werden muß… also anrufen… hinsetzen, Stuhl
zurechtrücken… ach ja, der Teppich … kann mich auf das
Telefonat besser konzentrieren, wenn ich den vorher gesaugt
hab…“

ja? So ungefähr?

Meine Erfahrung: Leute mit diesem (noch namenlosen) Syndrom
haben eine große Konzentrationsfähigkeit, nicht
eine geringe. Sie sehen vielfach feinere Strukturen in den
Handlungsabläufen (ebenso auch in Texten… beim Schreiben und
beim Lesen) und leben daher in einer (subjektv) um ein
vielfaches komplexer wahrgenommenen Realität… übrigens dann
auch in der Selbstwahrnehmung!

Auf dieser Deutung beruht dann die (auf speziellen Wegen des
Dialogs findbare) Möglichkeit, sich wieder (sozial)
überlebensfähig, handlungsfähig und vor allem „umweltfreundlich“
(denn die Umgebung leidet ja mit) hinzukriegen…

Bitte gebt mir ein feedback, ob ihr euch mit dem einen oder
anderen, was ich hier schrieb, identifizieren könnt - ja?

Grüße
Metapher

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