Es-Quadrant vs. Ich-Quadrant
Hi Candide.
Natürlich n i c h t zwangsläufig, sondern nur unter günstigen Umständen, wobei Set und Setting die ausschlaggebenden Kriterien sind.
beim Marsh-Chapel-Experiment waren die Versuchspersonen Theologie-Studenten und der Versuchsleiter ebenfalls Theologe …das geht schon über Set+Setting hinaus, also über die Ausgangshypothese, dass geschaut werden wollte, ob Psilocybin unter religiösen Begleitumständen bestimmte Erfahrungen hervorbringen könne.
Ich bin momentan nicht über den präzisen Zweck des Experiments informiert (d.h. ging es darum herauszufinden, ob die Bewusstseinserweiterung bei den theologisch, also christlich geprägten Teilnehmern auch zu spezifisch christlichen, also personalen „Gottes“-Erfahrungen führt oder zu einer mystischen, also nicht gottpersonalen?).
Einen anderen Sinn (als die vorgenannnte Fragestellung) kann ich in der Zusammensetzung der Teilnehmer nicht erkennen. Meiner Auffassung nach ist eine mystische Erfahrung aber n i c h t s „Religiöses“, hier muss man die Kategorien ganz klar trennen. Nach meiner Info hatten die Teilnehmer in der maßgeblichen Gruppe überwiegend „religiöse Erlebnisse“, deren genaue Spezifizierung ich aber nicht kenne. Ich trenne, wie gesagt, religiös und mystisch ganz scharf. Denn das Mystische tranzendiert jede Zuordnung zu einer (organisierten) Religion (wobei das offizielle Christentum bekanntlich eine strikt anti-mystische Position hat).
Die Versuchsanordnung geht, wie du richtig sagst, über Set+Setting hinaus, schließt diese Faktoren aber ein (entspannte innere und äußere Bedingungen).
Willkürliches Beispielzitat: „The psychedelic experience is by nature private, sensual, spiritual, internal, introspective.“ in: Chemical Warfare - The Alcoholics vs. the Psychedelics, 1968 [Hervorhebung von mir) Also nicht: by set, by setting, by subjective predisposition …
Set+Setting sowie „subjective predisposition“ schließen „by nature“ nicht im geringsten aus, sondern ergänzen dies. Entscheidend ist der Punkt „by nature … spiritual“. Das besagt einfach, dass die durch die Chemikalie bewirkten neuronalen Prozesse grundsätzlich zu einer spirituellen Erfahrung führen k ö n n e n (aber nicht müssen). Analog der weibliche Orgasmus: auch der ist etwas „Natürliches“, tritt aber nicht mit absoluter Zuverlässigkeit ein, sondern nur, wenn bestimmte Bedingungen, auch prädispositionelle, gegeben sind und das Eintreten begünstigen.
„By nature“ besagt: die Erfahrung ist nicht „sozial konstruiert“. Sie resultiert aus der „wahren Natur“ des menschlichen Geistes, die universell und nonpersonal ist.
==> Das nenne ich durchaus „inhaltlich“, da hier suggeriert wird, das LSD würde nicht nur einen anderen Bewusstseinsmodus bewirken, sondern auch eine bestimmte Klasse von Erfahrungen. Und zwar nicht nur als Effekt von Set+Setting, also einer (psycho)sozialen Ebene, sondern auf einer biochemischen Ebene.
Mit „Klasse“ meinst du jetzt sicher die spirituelle Kategorie. Wie gesagt: das „Bewirken“ ist hier nur ein „Begünstigen“, also nicht ein Produzieren (wie der Begriff „Bewirken“ irreführend suggeriert). Die „Erleuchtung“ steckt nicht in der Chemikalie, sondern ergibt sich aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren, zu denen im gegebenem Zusammenhang auch die Chemikalie zählt.
Ob man das nun „Naturalismus“ nennt, das ist mir wiederum eigentlich gleichgültig. Ich würde aber dazu neigen, das durchaus so zu nennen, weil er im Grunde in einigen Texten fortwährend auf ‚biochemischer Ebene‘ argumentiert.
Er erforschte die physiologischen Korrelate der Bewusstseinsebenen. Das ist, denke ich, vom Naturalismus, die die Bewusstseinskategorie vernachlässigt, weit entfernt.
http://en.wikipedia.org/wiki/8-Circuit_Model_of_Cons…
„In this model, the eight levels of Consciousness are held to exist in every individual. What separates an individual from another is the degree of expression or latency of these circuits. Some thinkers have also criticized the hierarchical arrangement of these circuits as being indicative of the religious indoctrinatation, suggesting the superiority of one circuit over the other. Supporters argue that the circuits REPRESENT the simultaneous existing states of consciousness that work together as a dynamic whole.“
(Hervorhebung von mir)
Bewusstsein ist eine ganz andere Kategorie als das Neuronale. Ich erinnere an Wilbers Quadrantenlogik. Prozesse können aus der Es-Perspektive beschrieben werden (naturwissenschaftlich) u n d aus der Ich-Perspektive (mentale Erfahrung). Varela sieht das genauso, und Leary hat das sicher auch so gesehen, konzentrierte sich aber auf die Beschreibung des Es-Quadranten.
Habe ich gestern zufällig bei Laplanche gelesen: „L’espoir d’un traitement biologique, chimiothérapique des névroses ne quittera jamais Freud, comme devant, un jour ou l’autre, par des voies beaucoup plus courtes, supplanter le traitement psychothérapique.“ Laplanche, Nouveaux fondements pour la psychanayse, p. 22
Wobei das Chemische nur die Kanäle zum Unbewussten öffnet, nicht aber dessen „Inhalte“ chemisch „kuriert“. Da muss man ganz klar differenzieren.
Am frühen Freud des „Entwurfs einer Psychologie“ hätten Leute wie Grof ansetzen sollen, nicht am mystizierenden Jungianismus. Dann wäre die LSD-(Psychotherapie)forschung sehr viel eher in (natur)wissenschaftliche Bahnen gelangt, wo sie vielleicht überleben hätte können, wäre jedenfalls nicht ganz so leicht aus rein politischen Gründen abgewürgt worden.
Ja, Grof hat sich etwas zu sehr an Jungs Archetypenlehre angelehnt. Er sagt auch über Freud: „Freud said that we are born as a tabula rasa. This is a model that simply is too superficial and inadequate.“
Da könnte natürlich auch etwas dran sein. Vergessen wir nicht, dass die Frage der Entstehung der menschlichen Psyche keineswegs verbindlich geklärt ist. Jede Theorie, die behauptet, die Psyche entstehe ex nihilo aus physiologischen Prozessen heraus (also aus einem Zustand der tabula rasa), ist nicht weniger abenteuerlich als die Annahme, sie inkarniere beim Zeugungsakt nach einem vorausgehenden Aufenthalt im „Bardo“ (der tibetanische Ausdruck für das transzendente Zwischenreich aus dem Tibetanischen Totenbuch). Die spirituelle Position muss schon von ihrer inneren Logik her der Inkarnationsthese den Vorzug geben. Was auch Wilber tut, Grof sowieso. Wie man in diese These dann C.G. Jung einbaut, ist Geschmackssache.
Hier ein Statement von Grof aus einer öffentlichen Rede:
http://www.klaus-john.de/html/rede_stan_grof.html
Zitat:
„Neue Beobachtungen zeigen, dass das Bewusstsein keine Nebenerscheinung der Materie, ein Produkt der komplexen neurophysiologische Prozesse im Gehirn ist, sondern eine grundlegende primäre Eigenschaft der Existenz, wie es in den großen spirituellen Philosophien des Ostens beschrieben ist. Wie von dem Schweizer Psychiater C. G. Jung vorgeschlagen, ist die Psyche nicht in dem menschlichen Schädel und Gehirn eingeschlossen, sondern durchdringt alle Existenz (als Anima Mundi). Die individuelle menschliche Psyche ist ein integraler Bestandteil dieser kosmischen Matrix und kann sich unter bestimmten Umständen Erfahrungen erfahrungsgemäß sich mit deren verschiedenen Aspekten identifizieren.“
Zitat Ende.
„… dass das Bewusstsein keine Nebenerscheinung der Materie, ein Produkt der komplexen neurophysiologische Prozesse im Gehirn ist“ - was bekanntlich der naturalistische Standpunkt ist (den Grof hier verneint).
Wen, bitte schön, interessieren denn Theologen, die selbst keine mystischen Erfahrungen haben, sondern sich diese anlesen?
Naja, Bellarmin wird sich Galileis Teleskop-Beobachtungen auch nur angelesen haben 
Das Christentum ist schon von seiner Struktur her jeder persönlichen Erfahrung von „Göttlichkeit“ gegenüber feindlich eingestellt, da eine solche die Mittlerstellung des Priestertums überflüssig machen würden. Daraus resultieren Bedenken gegen bestimmte Methoden mit geometrischer Logik. Die Feindschaft gegenüber der Mystik hat im Christentum ja eine lange Geschichte – aus besagtem Grund.
Wenn ich jetzt endgültig vom Topic abgekommen bin …
Keineswegs, die Überschneidung ist sehr relevant.
, dann bewusst, weil ich die LSD-Forschung nicht so nahe in die Richtung „Mystik“ bringen möchte wie du offenbar, auch wenn ich sie selbst in den Thread einführte (wo sie m.E. natürlich schon auch ein gutes Stück weit reingehört).
Ich habe sie ansatzweise schon im Ausgangspost thematisiert, als ich den Namen Hoffmann (!) anführte im Rahmen des Belegs, dass die europäische Mystik und Philosophie (z.B. im Umfeld der Eleusinischen Mysterien) auch „chemisch“ inititiiert wurde (Platon).
Um die Frage abzuklären, wie weit Leary den Akzent auf die biochemische Ebene legte (ein von dir betonter Punkt), werde ich heute noch an Learys früheren Freund B. nach Venice/California eine Mail schicken und um kurze Auskunft bitten. Ob er zügig antwortet, weiß ich nicht, zuletzt hatten wir vor zwei Jahren Jahr Email-Kontakt. Übrigens kennt er auch Grof, die Welt ist klein in Kalifornien.
Gruß
Horst