Hallo,
um mit dem Wichtigeren anzufangen:
- Gibt’s ein gutes Büchlein zu dem Thema? Und mit „gut“,
meine ich nicht Guido Knopp und auch nicht David Irving
sondern ein richtig, staub-trockenes Quellen- und Faktenbuch.
nichr gerade ein „Büchlein“ und auch nicht „staubtrocken“, sondern monumental und auf denkbar breitester Quellenlage (der Rückgriff auch auf persönliche Zeugnisse wie z.B. Tagebücher wirkt einer 'Trockenheit entgegen) ist:
Saul Friedländer
Das Dritte Reich und die Juden
- im Original ‚Nazi Germany and the Jews‘, Harper Collins New York 1997. Deutsche Ausgabe bei Beck 1998. Dezember 2008 erschien bei DTV eine preiswerte Gesamtausgabe des zweibändigen Werks als Paperback, ISBN 9783423345194 Buch anschauen . Seit Erscheinen ist Friedländers Darstellung das Standardwerk für jeden, der sich mit dem Thema ernsthaft beschäftigt. Erst auf Basis einer solchen Gesamtdarstellung macht die tiefere Beschäftigung mit Detailfragen - z.B. auch rein quantitativen - überhaupt Sinn.
- wer diese Zahlen letztlich konkret festgesetzt hat.
Die Zahlen sind nirgendwo „festgesetzt“. Geschichte ist eine Wissenschaft und als solche grundsätzlich ergebnisoffen. Da wird ebensowenig etwas „festgesetzt“ wie in der theoretischen Physik.
- Auf welche Primärquellen beziehen sich diese Zahlen?
Die aktuellen Standardwerke zur quantitativen Auswertung des Genozids an den Juden wurden Dir durch Michael schon genannt:
Raul Hilberg
Die Vernichtung der europäischen Juden
Fischer, Frankfurt 1990
ISBN 359624417X Buch anschauen
- insbesondere Band 3, S. 1280-1300.
Hilfreich dazu vom selben Autor:
Die Quellen des Holocaust: Entschlüsseln und Interpretieren
Fischer, Frankfurt 2009
ISBN 3596181801 Buch anschauen
Dann:
Wolfgang Benz (Hrsgb)
Dimension des Völkermords.
Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus.
DTV 1996
ISBN 3423046902 Buch anschauen
Bei beiden findest Du umfangreiche statistische Angaben. Selbstverständlich sind sämtliche Primärquellen sauber nachgewiesen.
Vergleichsweise veraltet ist:
Martin Gilbert
Endlösung.
Die Vertreibung und Vernichtung der Juden.
Ein Atlas
Rowohlt 1982
- Warum wurden sie im Laufe der Zeit immer weiter nach oben
korrigiert (1948 sprach man von 300.000 Toten in Auschwitz und
heute von 4 Millionen)?
Zunächst einmal: grundsätzlich kann die Gesamtzahl der Opfer nur geschätzt werden. Wie schon gesagt wurde stand eine Gesamtzahl von 6 Millionen schon ziemlich früh im Raum, diese Schätzung hat sich als ziemlich zutreffend erwiesen. Korrekturen wurden eher nach unten vorgenommen, nicht nach oben.
So kommt Hilberg auf 5,1 Millionen und liegt damit am unteren Ende - seine Zahl ist allerdings auch sehr belastbar, darunter dürfte wirklich nichts mehr ‚gehen‘. Benz kommt zu einem Minimalwert von 5,29 Millionen und einem Maximalwert von etwas über 6 Millionen.
Gilbert kam auf 5,7 Millionen.
Eine exaktere Bestimmung, als dass die Zahl deutlich über 5 Millionen gelegen hat und eine Obergrenze von 6 Millionen nicht allzuweit überschritten worden sein kann, dürfte auch zukünftig nicht möglich sein - das zur Verfügung stehende Material ist wohl restlos erfasst und ausgewertet. Das Märchen von einem „immer weiter nach oben korrigieren“ ist dämliches Geschwätz aus einer Ecke, die sich auf Volksverdummung spezialisiert hat.
Was die Opferzahlen von Auschwitz angeht, so sind beide von dir genannten Zahlen völlig unrealistisch. Wo du die Zahl 300.000 herhast, weiss ich nicht - wenn sie einigermaßen realistisch sein sollte, dann handelt es sich entweder nur um registrierte Häftlinge (das Hauptproblem bei der Bestimmung der Opferzahlen in Auschwitz - und auch das Gros der Opfer - sind die unregistrierten Ermordeten) oder aber lediglich um die polnischen Opfer. Die Zahl von 4 Millionen wure von einer sowjetisch-polnischen Untersuchungskommission anhand der Leistungsfähigkeit der Krematorien geschätzt - und zwar schon 1945. Es war eine ‚politische‘ Zahl und seit dem Zusammenbruch des Ostblocks - also seit über 20 Jahren - vertritt meines Wissens auch niemand mehr diese Zahl. Jedenfalls kann nicht einmal speziell bei Auschwitz von einer allmählichen Korrektur der Opferzahlen nach oben die Rede sein - richtig ist vielmehr das Gegenteil.
Standardwerk zu den Opferzahlen von Auschwitz ist:
Franciszek Piper
Die Zahl der Opfer von Auschwitz
Verl. Staatliches Museum, Oswiecim 1993
ISBN 8385047174 Buch anschauen
Freundliche Grüße,
Ralf