Hallo Wolfgang,
Wie nimmt ein Arbeitsloser, der keine Versicherungsleistung
mehr bekommt, sondern steuerfinanzierte Unterstützung bezieht,
seine Verantwortung wahr? Gut, ist vielleicht ein bißchen
bissig formuliert.
Nein, gar nicht. Wenn sich der Arbeitslose auf den AStaat verläßt, hat die Familie Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Startet er einen Untauglichen versuch in die Selbständigleit, kann er das nicht sichern.
Strukturen mit der Selbständigkeit als erklärtem Ziel haben
wir bisher nur im Handwerk. Der Meisterbrief setzt eine
Ausbildung voraus, die zur Betriebsführung befähigt.
Nun sind wir uns einig. Nun kommt einer der wichtigsten Punkte. Steht diese Möglichkeit jedem offen? Meinen Söhnen z.B. nicht, denn ich kann das unmöglich finanzieren. Danach kommt der zweite Schritt, der Meisterbetrieb. Wo soll der her kommen? Eine schlosserei z.B. stellt einen gigantischen Wert dar. Solche Betriebe werden vererbt! Vor 50 Jahren konnte man in der Garage anfangen, das ist richtig. Heute benötigt man einige hundert Tausende um einigermaßen Konkurrenzfähig zu sein.
Ich sehe aber, wieviele Leute mit Schmalspurangebot und
fehlenden kaufmännischen und organisatorischen Kenntnissen
scheitern, weil sie mal eben aus der Not heraus einen Betrieb
gründeten.
Fehlendes know how, fehlendes Kapital.
Wir sind drauf und dran, die einzige Struktur im
Lande, die von vornherein das Ziel der Selbständigkeit hat,
schwer zu beschädigen. Statt sie auszuhöhlen, eignet sich die
Handwerksstruktur als Vorbild für andere, insbesondere für
technisch-naturwissenschaftliche Berufsgruppen. An den
Hochschulen kommen die Themen Selbständigkeit und Führung
eines Klein- oder Mittelbetriebes im Rahmen der
Ingenieurausbildung nicht vor. Es scheint selbstverständlich
zu sein, daß die Absolventen ihr Leben als abhängig
Beschäftigte verbringen werden.
Für Hochschulabsolventen gibt es Auswege. Ein GF hat spätestens nach ein paar jahren das know how und die Mittel, einen Konkurrenzbetrieb zu eröffnen, oft genug passiert das auch. Ein Arbeiter hat diese Möglichkeit nicht. Er bekommt zum Einen nicht genug Einblick in dei Vorgänge (ob er sie verstehen würde bezweifle ich auch) zum anderen lebt er von Monat zu Monat und kann gar kein Kapital ansammeln.
Es erscheint mir widersinnig, die Unabhängigkeit als Notnagel
zu sehen, wenn die Abhängigkeit nicht klappt. Ich halte es für
nicht zielführend, sich erst ein Leben lang um nichts zu
kümmern, alles vorgesetzt zu bekommen, um dann plötzlich für
alles selbst zuständig zu sein. Das geht beinahe zwangsläufig
schief. Die Kultur der Selbständigkeit muß viel früher greifen
und darin sehe ich das Vorbild des Handwerks. Lehre, ein paar
Jahre Berufserfahrung und dann folgt der Weg Richtung
Betriebsführung. Mit Ende 20/Anfang 30 ist so ein Mensch so
weit, sich um eine eigene Betriebsgründung oder Übernahme
eines Betriebes zu kümmern. In fast allen anderen
Berufszweigen fehlt so ein Weg. Mit Ich-AGs und Ebay-Handel
werden jämmerliche Notlösungen und kenntnisloses Stümpertum
zum Normalfall.
Nach meiner Meinung sind solche Projekte auch zum Scheitern verurteilt, die ‚Firma‘ geht pleite, sobald die staatliche Förderung wegfällt.
Zurück zum arbeitslosen 50-Jährigen: Wer über Jahrzehnte an
der Werkbank oder am Schreibtisch einen schmalen
Aufgabenbereich zugeteilt bekam und plötzlich einen Betrieb
führen soll - und sei es nur ein 1-Mann-Betrieb - wird mit
allem Drum und Dran vorhersehbar überfordert sein. Er hat nur
Abhängigkeit kennengelernt, in letzter Konsequenz waren immer
andere zuständig. Deshalb folgt in aller Regel seelenruhiges
Zuwarten bis zur Rente, nötigenfalls 10 - 15 - 20 Jahre lang.
Übrigens lange genug, um jeden x-beliebigen Schul- und
Berufabschluß einschließlich kompletter Berufskarriere
hinzulegen. Das nur am Rande, ist immerhin nicht jedermanns
Sache.
Das allein ist es nicht. Im Laufe der Jahre läßt die Lernfähigkeit/Konzentrationsfähigkeit selbst bei Übung nach.
mein Schulabschluß stammt von 1968, mein erster Berufsabschluß von 1971, Mein Facherbeiterzeugnis als Schlosser von 1978, 1985 habe ich ein Ingenieurstudium abgebrochen, (die Stasi hat dabei ‚geholfen‘
) und mein Diplom stammt von 1998. Ist schon ein wenig Training, oder?
Ein weiteres Studium würde ich nicht mehr schaffen. Mit 51 bin ich nicht mehr ganz so leistungsfähig, wie mit 30. Ich geb’s ungern zu, ist aber Realität.
Abgesehen von Sachzwängen, die die Kassenlage des Gemeinwesens
vorgibt, erhalten wir mit weicher Bettung Langzeitarbeitsloser
ein prägendes Bild, das auch alle jüngeren Menschen
verinnerlichen. Regelmäßiges Geld, ab 5 ist Freizeit angesagt,
6 Wochen Urlaub, Auto, es geht uns gut. In manchem Großbetrieb
läßt sich wie beim Staat die Gehaltsklasse ein Jahrzehnt im
Voraus ablesen - Herz, was willst Du mehr?! Die Zeit ist
absehbar vorbei, daß sich die Verantwortung für die eigene
Existenz am Werkstor ablegen läßt. Mit einer Kultur der
Selbständigkeit meine ich u. a., daß schon ganz junge Menschen
begreifen, sich auf die eigenen Füße stellen zu müssen und
nicht unbedingt darauf vertrauen dürfen, jemanden zu finden,
der regelmäßig Gehalt überweist.
Sehr weit gehend kann ich Dir da nur Recht geben. Ich bitte aber zu bedenken, daß nicht jeder geistig dazu in der Lage ist, es anders zu machen. Auf’s Handwerk bezogen sehe ich es leider so, daß man den Betrieb vom Vater erbt, oder man hat keine Chance. Wer beim Handwerker lernt, arbeitet und den Meisterbrief macht, wird nie genug Kapital haben um einen eigenen Betrieb zu eröffnen. Dafür sind die Löhne viel zu niedrig.
Gruß, Rainer