Hallo,
Überlichtgeschwindigkeit ist ja nichts Besonderes. Die
Tscherenkow-Strahlung, wie sie z.B. als bläuchliches Leuchten
in Abklingbecken von Atomkraftwerken beobachtet werden kann,
bewegt sich auch schneller als das Licht. Das hängt aber damit
zusammen, dass die Lichtgeschwindigkeit im Wasser nur ca.
225.000km/s beträgt.
Ähnlich ist es vermutlich hier.
Nö, hier ist es ganz sicher nicht so.
Man erkennt einen Laufzeitunterschied von 670ns! Die 60ns
schnelleren Neutrinos sind also nicht nur nicht schneller als
das Licht (im Vakuum), sondern sogar ein bisschen langsamer,
wie es sich für Teilchen mit einer Ruhemasse gehört.
Nö. Außerdem gibt es ja gar keinen parallelen Lichtstrahl, mit dessen Ankunftszeit die Zeit der Neutrinos irgendwie verglichen werden könnte (wie auch, die Neutrions fliegen schließlich direkt durch die Erde hindurch).
Leider enthält der Reuters-Artikel zu wenig Information. Mich
würde der detailierte Versuchsaufbau und die detailierten
Auswerteverfahren interessieren…
Aus dem Arxiv Preprint des zugehörigen Papers („Measurement of the neutrino velocity with the OPERA detector in the CNGS beam“):
„An early arrival time of CNGS muon neutrinos with respect to the
one computed assuming the speed of light in vacuum of (60.7 ± 6.9
(stat.) ± 7.4 (sys.)) ns was measured“
http://arxiv.org/abs/1109.4897
Da steht eben, dass die Neutrinos angeblich 60ns schneller als die Vakuum lichtgeschwindigkeit angekommen wären. Und das wäre in der Tat eine Sensation und was völlig anderes als Tscherenkow-Strahlung oder ähnliche Effekte von Geschwindigkeiten innerhalb von Medien.
Würde das stimmen, dann müsste man in der Tat große Teile unseres physikalischen Verständnisses neu bewerten, da sich nach unserem derzeitigem Wissensstand ja nichts schneller als c bewegen kann.
ABER:
Ich glaube dennoch nicht, dass sich diese 60ns bewahrheiten werden. Es gibt soviele Dinge, wo hier etwas schief gegangen sein könnte und das wäre ja nicht das erste Experiment, wo angeblich eine Revolution entdeckt wurde, die sich im Nachhinein als Irrtum herausgestellt hat.
Eine der Unsicherheiten liegt z.B. schlicht in der Messung der Entfernung von der Zeitschranke an der Neutrino-Quelle im CERN durch die Erde hindurch zum Neutrino-Detektor im Gran-Sasso Massiv. Die Genauigkeit von etwa 10 Nanosekunden, mit denen die das gemessen haben wollen, bedeutet, dass die das auf 3 Meter genau bestimmen müssen. Das ist nicht nur eine geodätische Herausforderung, da die Erde ja keine perfekte Kugel mit gleichmäßiger Masseverteilung ist. Und auch innerhalb des Detektors und der Neutrinoquelle müssen ja alle Orte exakt lokalisiert werden können, z.B. der exakte Ort der Wechselwirkung eines Neutrinos mit dem Detektor muss hinreichend genau bestimmt werden können, denn der Detektor selbst ist ja auch rund 2000 m³ groß.
Und daneben gibt es eine ganze Reihe anderer Unsicherheiten, z.B. in der Zeitsynchronisation zwischen CERN und Gran Sasso (die muss ja ebenfalls auf weniger als 10 Nanosekunden genau erfolgen).
Naja, auf jeden Fall ist so ein Experiment alles andere als einfach und die Fehlerquellen sind zahlreich. Also würde ich erst mal dazu raten, dass man abwartet, was die Überprüfung anderer Forscher ergibt und ob sich die Ergebnisse reproduzieren lassen. Vorher macht es schlicht keinen Sinn, da jetzt große Revolutionen der Physik zu beschwören, weil sich das in der Vergangenheit bis jetzt praktisch immer als ein Holzweg erwiesen hat.
vg,
d.