Hallo,
als Gegenpredigt will ich einen Text meines Lieblingsautors hier
vorstellen, den ich koinzidenziell grad gelesen habe.
_Gott, der über den Sternen thronet, ist der höchste, der
erhabenste Gegenstand, nach welchem das menschliche Herz zu streben
befähigt ist, und so darf es nicht wundern, wenn die Liebe zu ihm in
mächtigeren und dauernderen Wirkungen auftritt als die Zuneigung zu
irgendeinem der uns umgebenden Wesen.
Diese Liebe ist von der einen Seite mit klug berechnendem Scharfsinn
zur Erreichung von Kastenzwecken benutzt und von der anderen Seite
unter Verneinung eines höheren Wesens mit geringschätzendem Spotte
verurteilt und verlacht worden; aber sie ist der gewaltigste Hebel
der Kultur gewesen und hat den Völkern Gesetze vorgeschrieben, aus
deren Erfüllung ihre geistige und politische Größe hervorging.
Freilich darf die Liebe nicht frei zum Himmel streben; es streckt der
Egoismus die knöchernen Arme nach ihr aus und sucht sie immer wieder
herunterzuziehen in den Staub und Schmutz der Erde.
Jedes Volk geht seine eigenen Wege zur Erkenntnis, und die Stufen der
geistigen Anschauungen sind sehr verschieden. Leicht dünkt sich da
der eine höher, aufgeklärter und besser als der andere und maßt sich
die Aufgabe an, ihn und wäre es unter Anwendung von Gewaltmaßregeln
zu sich empor zu ziehen. Aber niemand darf sagen: „Mein Glaube ist
der allein richtige“, denn die verschiedenen Anbetungsformen sind
nichts als verschiedene Töne eines und desselben Akkordes, der
Harmonie mit Gott.
Die Liebe zum himmlischen Vater vermag den Menschen zum Engel, aber
auch zur Furie zu machen.
…
Über Galiläa, der kleinen Provinz des Landes Kanaan, ging der Stern
der Verheißung auf, stieg höher und immer höher und leuchtet nun über
alle Welt. Ob auch die Wolke seinem Strahle sich entgegenstellt und
ihn der Erde zu entziehen sucht, er dringt doch immer siegreich durch
ihre Hülle. Ob Ignoranz das kleine Senfkorn der Christuslehre
belächelt, ob Pedanterie den befeuchtenden Strom des göttlichen
Wortes in Form und Dogma zwingen will, ob der Parteihass den
Andersgläubigen mit Bann und Fluch belegt, so gilt doch von Ewigkeit
zu Ewigkeit die Verheißung: »Himmel und Erde werden vergehen, aber
meine Worte werden nicht vergehen!" Matthäus 24. 35.
Jedes einzelne dieser Worte birgt eine Tiefe der Weisheit und der
Wahrheit, an deren Ergründung noch späte Jahrhunderte zu arbeiten
haben. Klar, einfach, groß und erhaben ist ihre Philosophie, die
Philosophie der Liebe; aber schon die Jünger haben sie
missverstanden, und die hellen Sätze, welche dem Munde Jesu
entflossen, wurden mit dunklem Kitte zu einem Bauwerke verbunden, in
welchem man wohl von Liebe lehrt, sich aber wenig an Liebe kehrt.
Der Prediger, welcher von der Kanzel herab soeben das Hohe Lied der
Liebe verkündete, eifert im nächsten Augenblicke gegen den Bekenner
anderer Religionsformen; der Redner, welcher soeben von der
Unverletzlichkeit der allgemeinen Menschenrechte spricht, verteidigt
oder ignoriert wenigstens im nächsten Satze die Bekehrung, welcher
Millionen so genannter armer Heiden zum Opfer gefallen sind. Der Sohn
kommt vom Gottesdienste nach Hause, um seinen alten Vater über sich
weinen zu sehen; der Geizige verlässt das Gotteshaus, um beim ersten
Schritte in seine Wohnung den Armen von sich zu weisen; die Frauen
besuchen die Kirche, um sich Stoff zu eitlen und lieblosen Urteilen
zu holen, und der Krieger er stellt sich dem Feinde auf dem
Schlachtfelde entgegen, und jeder von beiden bittet Gott, den andern
zu vernichten.
Ein kleines Wort ist es oft nur, eine kleine Verschiedenheit in der
Auslegung, welches die Anhänger der Lehre voll der Liebe und dem
göttlichen Frieden in zahlreiche Heerlager teilt, die einander mit
allen zu Gebote stehenden Mitteln befeinden und anfechten. Wie wenig
haben sie doch das Wort dessen verstanden, dessen Lieblingsjünger in
seinen letzten Tagen nichts weiter zu sagen vermochte als: „Kindlein,
liebet euch untereinander!“ [Unter dieses Motto, das auch als sein
Wahlspruch gilt, soll Johannes die letzte Predigt vor seinem Tod
gestellt haben.]
Es ist ein Bild rührender Liebe, wenn Christus über Jerusalem klagt:
„Ich habe dich unter mich nehmen wollen, wie eine Henne ihre Küchlein
versammelt unter ihre Flügel; aber ihr habt es nicht gewollt!“
[Matthäus 23, 37]
Dieser Ruf hat noch heute, nach fast zweitausend Jahren, volle
Bedeutung. Die göttliche Liebe hält ihre Fittiche über die ganze
Schöpfung gebreitet, und das freundliche Auge des Vaters wacht und
waltet über alle seine Kinder; aber diese Kinder stehen einander in
heimlicher und öffentlicher Feindseligkeit gegenüber, und die
Selbstsucht sucht ohne Unterlass nach immer neuen Triumphen.
Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit, so erfüllt uns die
Freudigkeit, mit welcher die ersten Anhänger Christi in Leid und Tod
gingen, mit Bewunderung. Ihre Opfer waren nicht umsonst gebracht,
denn aus jedem Seufzer, jedem Tropfen des vergossenen Blutes
erstanden neue Bekenner der Wahrheit. Die Liebe ist am größten, wenn
sie leidet. Bald aber erstarkte das Häuflein der Gläubigen; das
Christentum wurde Staatsreligion, und nun schlang man um die
beglückende Himmelstochter das Gewand menschlicher Leidenschaften,
drückte ihr die Waffe in die Hand und trug den kriegerischen Horden
der Eroberer das Kreuz voran mit dem festen Glauben an die
Wirklichkeit des kaiserlichen Gesichtes: „In diesem Glauben wirst du
siegen!“ [Eigentlich: „In diesem Zeichen wirst du siegen“ (In hoc
signo vinces).]
Das Beispiel Christi, welcher Petro befahl, das Schwert in die
Scheide zu stecken und dieses Gebot mit den Worten „denn wer mit dem
Schwerte sündigt, der kommt durch dasselbe um“ begründete, war
vergessen, und die Religion der Liebe ward auf den Spitzen der
Schwerter von Land zu Land, von Volk zu Volk getragen. Unter dem
Deckmantel der Religion verbargen sich alle möglichen Gelüste, und
der Name Christi, des Verkünders der Liebe, ward als Beschönigung der
beklagenswertesten Verheerungen, der Ausrottung ganzer Völkerschaften
gebraucht.
Mögen die Heldentaten der Kreuzzüge bis in die fernste Zukunft
leuchten, mag die Berührung der damaligen Völker noch so vorteilhafte
Folgen hervorgebracht haben, es war doch nur eine ungesunde Bewegung,
welcher man folgte, und das bei jenen phantastischen Zügen vergossene
Blut vermag durch nichts ausgelöscht zu werden. Mit innigem
Bedauern blickt das Auge des Menschenfreundes auf die Trümmer der
amerikanischen Adobesstädte und die traurigen Überreste der einst so
kraftvollen Indianerrasse. Von Millionen sind nur noch wenige
Tausende übrig, welche unrettbar der Bestimmung des Aussterbens
verfallen sind.
Mag der Verteidiger der christlichen Propaganda auch noch so
geistreich sprechen, eins vermag er nicht ungeschehen zu machen, die
Umgürtung der christlichen Liebe mit dem Schwerte des Krieges und der
Eroberung.
Diese Sünde ist blutig gerächt worden an dem eigenen Leibe des
Christentums. Der Fanatismus mit seiner Inquisition, seinen
Ketzergerichten, seinen Religionskriegen hat unzählige Opfer
verschlungen, sodass selbst die Gegenwart noch leidet an den
Verheerungen längst vergangener Zeiten. Unter dem Banner der
Propaganda wird die christliche Liebe zum Zerrbilde._
Jetzt beim zweiten Versuch mit dem beim ersten Mal vergessenen Namen meines Lieblingautors:
Katl May, Das Buch der Liebe, Wissenschaftliche Darstellung der Liebe, Herausgegeben von Dieter Sudhoff, Karl-May-Verlag, Bamberg Radebeul, 2006, Band 87, S. 70 und S. 72f.
Gruß Fritz