Hallo Viktor,
ich versuche mal den Zusammenhang zwischen Erfüllung der Gebote (Mizwot) und der „perfekten Welt“ aufzudröseln:
G-tt hat die Welt gut erschaffen, d.h. er hatte eine Vision, wie eine Welt ist, die gut ist. Die Gebote sind ein Beitrag dazu. Sie zeigen uns, was gut ist - und ermöglichen zum Guten einen Beitrag zu leisten. Wer ein Gebot ausführt (egal, ob Krankenbesuch, Beten, Schabbat halten, Wohltätigkeit …) macht etwas von der Heiligkeit G-ttes in dieser Welt sichtbar und trägt so zum tik(k)un olam, zur Heilung und Ganzwerdung der Welt, bei.
Die Gebote sind in der Torah gegeben, und jede Generation ist dazu verpflichtet, diese neu - für die eigene Lebenssituation - auszulegen. Deshalb hat das Lernen und Studieren im Judentum einen so hohen und zentralen Stellenwert. Denn jede Generation hat neue Aufgaben zu bewältigen und Fragen zu beantworten.
Hinzu kommt auch noch der Gedanke, daß das, was ich tue und wie ich es tue , auch mich prägt und auf mich und meine inneren Haltungen bzw. deren Weiterentwicklung, eine Auswirkung hat.
Es geht also - nach jüdischem Verständnis - nicht um blinden Aktionismus oder sturen Formalismus,
sondern daß das Ausüben der Gebote letztlich eine Gestaltungskraft hat, die über das Tun des einzelnen Gebotes hinausgeht.
Erich Fromm, der bekannte Sozialpsychologe, hat dafür den Begriff „tätige Weltheiligung“ geprägt. Mehr dazu in seinem sehr interessanten Artikel:
http://www.hagalil.com/judentum/philosophie/fromm/fr…
(aus: Erich Fromm: das Gesetz, zur Soziologie des Diasporajudentums)
Insgesamt hat diese jüdische Grundhaltung zu Geboten und diese Sicht auf die Heilung und Ganzwerdung der Welt auch die Auswirkung gehabt, daß Juden - im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil - immer überproportional in sozialen und politischen Bewegungen repräsentiert waren (erste Frauenbewegung, Bürgerrechtsbewegung in den USA etc.).
Eine der wichtigen liberalen jüdischen Zeitschriften in den USA heißt Tikkun
http://www.tikkun.org
und da geht es um ein breites gesamtgesellschaftliches Themenspektrum aus jüdischer Sicht, seien es Umweltfragen, Armut, der Präsidentschaftswahlkampf …
Viele Grüße
Iris