Äh, was wolltest Du noch gleich ausdrücken?
Verwirrt,
Christian
Ich wollte ausdrücken, dass es den meinungsbildenden Institutionen - dazu gehört leider auch der Verfasser des Minority Report - eben nicht um die Bekämpfung des Fundamentalismus und des islamistischen Terrorismus geht. Vielmehr handelt es sich um Wichtigtuerei und das Mitteilungsbedürfnis übersteigerter Ängste, die derzeit in fast jedem westlichen Staat den gesellschaftlichen Frieden gefährden.
Der Minority Report ist dafür das beste Beispiel: Wer ist dieser Mr. Anonimous, der glaubt, allen sogenannten „Gutmenschen“ die Augen öffnen zu müssen?
Beruflich hat er mit der Thematik wohl nichts zu tun, sonst wären ihm weniger sachliche Schnitzer unterlaufen. Er ist offensichtlich ein Kind des 11. September, vor diesem Datum wäre er nie auf die Idee gekommen, in seiner Freizeit zu recherchieren, Zeitungsartikel zu sammeln und sich in ein investigatives Doppelleben zu begeben, das am ehesten mit einem IM des MfS vergleichbar ist. Eben das wollte ich ausdrücken, indem ich schrieb, die Existenz solcher Artikel mache mir Angst: Es macht mir Angst, dass - durchaus berechtigte - Sorgen vollkommen unqualifizierte Privatpersonen veranlassen, sich auf die Jagt nach gesellschaftlichen Randgruppen zu begeben.
Ich beschäftige mich seit einigen Jahren intensiv, leider auch nicht beruflich, mit innerer Sicherheit. Ebenfalls beängstigend ist, dass das vorherrschende gesellschaftliche Klima die Politik zum Aktionismus zwingt, eben dies strebt der Minority Report ja offen an. Dies führt dazu, dass nachrichtendienstliche und polizeiliche Maßnahmen nicht mehr dem sicherheitspolitischen Sachverstand, sondern der populistischen Wirkung unterworfen sind. Da umstellt beispielsweise das Innenministerium NRW mit 120 Mann eine Kölner Moschee (Während des Freitagsgebets!) um im Anschluss in einer stundenlangen schikanösen Prozedur die Personalien aller Anwesenden aufzunehemen (August 2004, Hinweislage: Ein zwölfjähriges Mädchen hatte gegenüber ihrer Ethik-Lehrerin gesagt, in der Moschee sei das Video eines radikalen Predigers gezeigt worden; allein die Tatsache, dass eine Information von einer Lehrerin zum Verfassungsschutz wandert mutet seltsam an). Die Aktion kostete ca. 500.000 Euro und brachte Datenmaterial, das der Verfassungsschutz auch einem Telefonregister entnehmen hätte können.
Seit Ende der 70-er Jahre ist die größte Bedrohung für die innere Sicherheit der Rechtsradikalismus. Daran hat sich auch nach dem 11.9. nichts geändert, im Gegenteil, das islamistische Gefahrenpotential konnte seitdem beträchtlich reduziert werden. Nach offiziellen Zahlen leben in der BRD derzeit etwa 10400 gewaltbereite Rechtsradikale, dem stehen 3600 gewaltbereite Moslems gegenüber.
Dennoch beträgt die operative Auslastung des LfV-Bayern durch die Islamisten-Bekämpfung knapp 60 Prozent, schlicht deshalb weil die Öffentlichkeit eine höhere Präsenz in diesem Sektor fordert. Die Befürchtungen der Behörden gegenüber einem möglichen islamistischen Anschlag sind auch weniger auf die unmittelbaren Opfer gerichtet, sondern auf die reaktionären Tendenzen danach. Im Gegensatz zu den USA birgt unsere Gesellschaftsstruktur ein deutlich höheres Potential an gewaltsamer und diskriminierender Ausländerfeindlichkeit. Dennoch hat sich auch in den USA die Position der Muslime seit 2001 deutlich verschlechtert.
Hinzu kommt, dass das auch die Behörden den frischen Wind gerne nutzen um in ihrem Interesse zu handeln: Beckstein nannte vor einigen Wochen die Zahl von mehr als 5000 verfassungsfeindlichen Moslems in Bayern. Die Zahl beträgt bundesweit etwa 34000. Diese Statistiken beruhen auf der Mitgliederzahl aller als verfassungsfeindlich eingestuften islamischen Organisationen in der BRD. Dabei gehen mehr als 27000 auf das Konto von Milli Görüs. Nun hat es aber mit eben dieser Organisation auf sich, dass ihr kein wesenlicher Islamismus nachzuweisen ist. Dies ist selbst in Verfassungsschutzberichten nachzulesen, in diesen zieht man sich aus der Affäre, indem man mehr oder minder radikale Äußerungen von Personen zitiert, die Milli Görüs „nahe stehen“ (sollen). Der wahre Grund für die Einstufung von Milli Görüs ist, dass sich das Verhältis zwischen der türkischen Regierung und IGMG scheinbar grundlos beträchtlich verbessert hat. Man nimmt daher an, dass IGMG seine Infrastruktur bereitstellt, um Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT zur Wirtschaftsspionage zu beherbergen. Es ist verständlich, dass der Verassungsschutz sich durch eine derartige Einstufung die Arbeit erleichtern will, dennoch fände ich es weitsichtiger mit offenen Karten zu spielen, anstatt der Bevölkerung Angst einzujagen.
Auf den Punkt gebracht: Die These, dass in diesen und den kommenden Jahren eine gefährliche Islamisierung über uns hereinbricht, ist schlicht falsch und beruht auf der verantwortungslosen Fokusierung der Berichterstattung. Tatsächlich bricht erst dann etwas über uns herein, wenn ein Einzelereignis in eine vergiftes gesellschaftliches Klima fällt. Dann wird aus dem „globalen Krieg gegen den Terror“ (politische Terminologie sowohl in den USA als auch in D, GB, F, I etc.) ein globaler Krieg mit dem Terror (globale Kriege hießen früher Weltkriege).