Philosophische Rückenschmerzen

Hallo Leutz
Habe gerade mal wieder etwas Karl Popper gelesen. „Auf der Suche nach eine besseren Welt.“
Da bin ich eher auf der Suche nach besseren Büchern. Die real existierende Welt scheint mir gegen Poppers Weltvorstellung noch vergelichsweise gut zu sein.
Ich hab das Gefühl, ich kann mich ohne geistige Rückenschmerzen zu bekommen, gar nicht so weit runterbücken, um Poppers Niveau zu erreichen. Das schmerzt aber nicht so sehr, weil ich einfach wieder mit dem Bücken aufhöre.
Was mich länger schmerzt, ist der Eindruck, dass so viele (insbesondere jüngere) Leute den Popper so verehren.
Wenn einer von Euch gerade zufällig dabei ist: Was gefällt Euch an dem Mann so sehr?
will
Branden
wissen

Hi,

am WE wiedermal allein oder die Frau an den herd verpflanzt und lange Weile? :o)

Wenn einer von Euch gerade zufällig dabei ist: Was gefällt
Euch an dem Mann so sehr?

Sein Mangel an tiefgründigerer Logik. Beispiel:
„Der Ausdruck ›Individualismus‹ kann in zweifacher Weise verwendet
werden: (a) im Gegensatz zum Kollektivismus, (b) im Gegensatz zum
Altruismus. Es gibt kein anderes Wort zur Bezeichnung der ersten
Bedeutung, es gibt jedoch verschiedene Synonyma für die zweite, wie zum
Beispiel ›Egoismus‹ oder ›Selbstsucht‹. Ich werde daher im folgenden das
Wort ›Individualismus‹ ausschließlich im Sinne (a) gebrauchen; Worte wie
›Egoismus‹ oder ›Selbstsucht‹ werden verwendet, wenn Bedeutung (b)
gemeint ist. Eine kleine Tabelle mag von Nutzen sein:
(a) Individualismus ist der Gegensatz von (a’ ) Kollektivismus
(b) Egoismus ist der Gegensatz von (b’ ) Altruismus“

Es gibt bekanntlich antagonistische und nichtantagonistishe Gegensätze. Bei Popper nur Eintopf.
Für einen Dialektiker ist es aber entscheidend, dazwischen zu unterscheiden, um mit der Logik klarzukommen. Bei nichtantagonistischen ist eine mindestens weitere Kette logischer Verknüpfungen dazwischen.
Dann biegt er die Begriffe wieder gerade und erkennt, dass es auch noch Egoismus als Gegensatz zu Altruismus geben kann.

Ich weiß nicht, für mich gibts es einen Unterschied zwischen Individualismus und Egoismus. Wer beide Begriffe in einen Topf wirft, arbeitet unsauber.

meint
Frank
dazu

Hallo Branden

Was mich länger schmerzt, ist der Eindruck, dass so viele
(insbesondere jüngere) Leute den Popper so verehren.
Wenn einer von Euch gerade zufällig dabei ist: Was gefällt
Euch an dem Mann so sehr?

Ich verehre Popper nicht, weil ich niemanden verehre. Verehrte ich
aber einen Philosophen, dann waere Popper neben Platon und Spinoza
mit dabei. Wie jeder hier weiss, beruht meine Meinung nicht auf
tiefgruendigem Verstaendnis, sondern auf meinem Privatverstaendnis.

An Popper finde ich gut, dass er sich sehr klar ausdrueckt.
Ich habe zwei Buecher von ihm gelesen: Logik der Forschung, davon
aber nicht alles und Die offene Gesellschaft, da bin ich noch immer
nicht ganz durch.
Was er schreibt, ist relativ trivial, und wie wir hier im Forum schon
feststellten, manchmal auch falsch. Trotzdem kann ich ihm im Grossen
und Ganzen zustimmen und finde die Forderung nach Falsifizierbarkeit
wissenschaftlicher Theorien und sein Verstaendnis von Wissen ueber
die Welt richtig.
Sein Konzept des piecemeal engineering als Moeglichkeit die soziale
Welt zu verbessern und die Ablehnung von umfassenden Utopien als
Grundlage eines Staates finde ich realistisch, wenn auch theoretisch
nicht gut begruendet. Ich bin da etwas gespalten: Ich habe selbst
eine umfassende Utopie entworfen
(http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3831144710/qid…)
und finde sie auch immer noch recht gut, wenn auch nicht mehr so wie
vor 3 Jahren als ich das Buch schrieb, glaube andererseits aber auch
Poppers Warnungen, dass man so keine Gesellschaft konstruieren
koenne, weil ein Mensch einfach zu begrenzt sei, um etwas so
Komplexes wie eine Gesellschaft so zu entwerfen, das es in der
Realitaet funktionieren wuerde.
Seiner Kritik an Platon kann ich zustimmen, die an Hegel und Marx
nehme ich hin, weil ich von diesen beiden nichts gelesen habe.
Kurz: Ich mag Popper, weil er klar schreibt und weil seine Aussagen
plausibel sind.

Gruss, Tychi

Hi Tychi
Wenn ich Popper lese, spüre ich seine kleinbürgerliche Angst vor den großen Ideen, vor den möglicherweise umwälzenden Ideen. Es weht einen förmlich seine Furcht vor dem Marxismus und vor der Psychoanalyse an. Durch seine schier endlosen Verteidigungsversuche des konservativen westlichen Abendlandes schrumpft er vor dem anfangs vielleicht geneigten Leser bis zur Zwergengröße herunter. Letztlich bleibt kaum noch was, das ich ernstnehmen kann.

Trotzdem kann ich ihm im
Grossen
und Ganzen zustimmen und finde die Forderung nach
Falsifizierbarkeit
wissenschaftlicher Theorien und sein Verstaendnis von Wissen
ueber
die Welt richtig.

Mich hat sein Salto mortale mit der Falsifizierbarkeit letztlich nicht überzeugt. Und sein Verständnis ber die Welt finde ich -gelinde gesagt- oberflächlich.
Da scheint mir doch der Weg, den die Denker der „Frankfurter Schule“ einschlugen, der bessere. Ich beibe aber auch nicht bei Adorno stehen, wenngleich ich seinen Scharfsinn bewundere. Wenn Adorno z.B. meint, der Intellektuelle „darf“ sich nie identifizieren, dann sage ich hingegen: Das darf er schon, er sollte halt versuchen, seine Identifikationen zu relektieren, bewußt wahrzunehmen und sie gegebenenfalls auflösen können, wenn er erkennt, dass sie ihn ablenken (die Buddhisten würden wohl hier von „Maya“ sprechen).
Soweit ist Popper nichtmal im Traum gekommen.

(http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3831144710/qid…)

Da schau ich gern mal demnächst rein!

Poppers Warnungen, dass man so keine Gesellschaft konstruieren
koenne, weil ein Mensch einfach zu begrenzt sei, um etwas so
Komplexes wie eine Gesellschaft so zu entwerfen, das es in der
Realitaet funktionieren wuerde.

Richtig, aber das wollten die Frankfurter auch nicht. Es ging ihnen zunächst darum, kritisch das zu reflektieren, was ist und was läuft.

Kurz: Ich mag Popper, weil er klar schreibt und weil seine
Aussagen
plausibel sind.

Ja, klar schreiben tut er, aber das ist meinen Augen noch nicht genug. :wink:
Es grüßt Dich
Branden

Hi Frank

am WE wiedermal allein oder die Frau an den herd verpflanzt
und lange Weile? :o)

Weder noch *g*

Ich weiß nicht, für mich gibts es einen Unterschied zwischen
Individualismus und Egoismus. Wer beide Begriffe in einen Topf
wirft, arbeitet unsauber.

Dem kann ich mich aber sehr anschließen! :wink:
Gruß,
Branden

Hi Tychi,

und finde sie auch immer noch recht gut, wenn auch nicht mehr
so wie
vor 3 Jahren als ich das Buch schrieb, glaube andererseits
aber auch
Poppers Warnungen, dass man so keine Gesellschaft konstruieren
koenne, weil ein Mensch einfach zu begrenzt sei, um etwas so
Komplexes wie eine Gesellschaft so zu entwerfen, das es in der
Realitaet funktionieren wuerde.

Das ist auch richtig und steht aber schon im Manifest. Selbst bei Luxemburg findet sich, dass bäuerliche und alte kommunistische gegen den sich globalisierenden Kapitalismus verlieren werden: http://www.mlwerke.de/lu/lu05/lu05_770.htm
Nur sind die Ursachen da auch ökonomisch begründet. Und die Ökonomie ist und bleibt nunmal die treibende Kraft für die Entwicklung der Gesellschaft, die von ihr nicht bewusst beeinflußt werden kann im Kapitalismus.

Seiner Kritik an Platon kann ich zustimmen, die an Hegel und
Marx
nehme ich hin, weil ich von diesen beiden nichts gelesen habe.

Letztere sind recht oberflächlich, die hab ich gelesen. Wer mit der Dialektik nicht zurecht kommt, sollte zu beiden seine Äußerungen unterlassen. Das kann offenbar wirklich nicht jeder.

Gruß
Frank

Hallo Branden,

Wenn einer von Euch gerade zufällig dabei ist: Was gefällt
Euch an dem Mann so sehr?

Alles habe ich ja auch nicht gelesen von Popper. Seine wissenschaftheoretischen Ausführungen (Falsifikation) scheinen mir aber der Welt den einzig gangbaren Weg zur Wahrheitsfindung aufgezeigt zu haben.

Nebenbei hat er sich natürlich auch noch andere Meriten erworben. So wies er beispielsweise nach, dass es sich sich bei der Psychoanlyse um eine Scheinwissenschaft lediglich handelt. Mehr mit Astrologie, Esoterik oder ähnlichem verwandt also, als mit ernsthafter Wissenschaft etwa.

Hallo Jacobias So wies er beispielsweise nach, dass es sich sich

bei der Psychoanlyse um eine Scheinwissenschaft lediglich
handelt. Mehr mit Astrologie, Esoterik oder ähnlichem verwandt
also, als mit ernsthafter Wissenschaft etwa.

Diesen „Nachweis“ könnte man mit den „Nachweisen“ der Inquisition vergleichen, was das „Wissenschafts-Niveau“ betrifft. Du ennst das ja vielleicht: Eine Hexe wird ins Wasser geworfen. Wenn sie ertrinkt, war es keine. Wenn sie oben blieb, war es eine und wurde wieder rausgezogen und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Da trockneten nicht nur die Kleider der Hexe, sondern auch der Geist der Inquisitoren vollständg aus. :wink:
Gruß,
Branden

Popper beurteile ich unter 3 Gesichtspunkten:

  1. Wissenschaftstheorie : Sein Falsifikationsprinzip leistet meines Erachtens nicht das, was Popper ihm zuschrieb. Falsifizierbarkeit ist zwar ein Kriterium, aber es ist nur eines unter mehreren, um Wissenschaft von Nicht-Wissenschaft zu trennen.

Zudem ist seine Wissenschaftstheorie viel zu streng. Man sollte keine Theorien aufstellen und anschließend nur nach Widerlegungen suchen. V.a. sollte man eine Theorie nicht gleich aufgrund einer Widerlegung verwerfen und dann eine neue konstruieren. Das ist nicht nur zu streng, sondern auch unökonomisch.

  1. Kritik an der Psychoanalyse : Diese Kritik ist Bestandteil von Poppers wissenschaftstheoretischer Auffassung, weil er mit ihr sein Falsifizierbarkeitskriterium begründete.

Für Popper ist die Psychoanalyse keine Wissenschaft, weil ihre Aussagen nicht falsifizierbar sind. Ich zweifle, ob die Begründung Poppers zutreffend ist (aber nicht daran, daß sie eine Pseudowissenschaft ist).

Grund: Viele psychoanalytischen Aussagen sind empirisch untersucht worden. Dabei stellte sich heraus, daß die empirischen Daten diese Aussagen nur wenig stützen.

Ich denke auch, daß Popper im Zusammenhang mit seiner Kritik an der Psychoanalyse zwei Dinge miteinander vermischt, die man trennen sollte:

a) Falsifizierbarkeit psychoanalytischer Aussagen
b) das Handeln der Psychoanalytiker, aufgrund dessen die psychoanalytischen Aussagen in der Praxis nicht falsifiziert werden.

Anders formuliert: Prinzipiell sind die psychoanalytischen Aussagen zwar falsifizierbar, aber die Analytiker ignorieren die widersprechenden empirischen Befunde bzw. interpretieren sie in ihrem Sinne um.

  1. Dualismus : Poppers Dualismus, den er in seiner 3-Welten-Theorie formuliert hat (z.B. in „Das Ich und sein Gehirn“ zus. mit J.C. Eccles), überzeugt mich nicht. Das zu begründen, würde hier zu weit führen.

Grüße,

O. Walter

Hallo Oliver,

nachdem das Niveau dieses Threads insbesondere durch dein Posting spürbar angehoben worden ist, weil es beim Urteilen über Popper eben nicht nur um Gefallen oder Missfallen geht, möchte ich auch etwas dazu beitragen, obgleich ich mich - weil ich mich nicht zu den im Ausgangsposting hauptsächlich angesprochenen „Jüngeren“ zähle und weil ich den Umgang mit Popper auch nicht für eine psychologische Frage halte - eigentlich nicht angesprochen gefühlt habe.

  1. Wissenschaftstheorie : Sein Falsifikationsprinzip
    leistet meines Erachtens nicht das, was Popper ihm zuschrieb.
    Falsifizierbarkeit ist zwar ein Kriterium, aber es ist nur
    eines unter mehreren, um Wissenschaft von Nicht-Wissenschaft
    zu trennen.

Auch für Popper ist das Falsifikationsprinzip nicht das einzige Kriterium für Wissenschaft. Zwar ist es bei Popper wie du richtig sagst das hauptsächliche Abgrenzungskriterium zwischen Erfahrungswissenschaft und Metaphysik und richtet sich in der Logik der Forschung vor allem gegen das empiristische Sinnkriterium des Wiener Kreises. Es kommen aber - insbesondere in den späteren wissenschaftstheoretischen (!) Schriften Poppers - noch einige hinzu, etwa das Immunisierungsverbot von Albert und einige weitere Regeln. Popper hätte also diesem deinem Einwand selbst zugestimmt. :smile:

Meiner Ansicht nach - wenn ich das auch sagen darf - liegt der Fehler bei der Verwendung des Wissenschaftsbegriffes schon darin, dass er von Erfahrungs wissenschaft spricht und somit schon vom Wort her die Metaphysik benachteiligt. Später hat er das dann ein wenig korrigiert, indem er der Methodologie (meines Erachtens folgerichtig) den Wissenschaftsstatus aberkannt und sie der Metaphysik zugerechnet hat, weil sie ja nicht (nur) empirisch arbeitet.

Zudem ist seine Wissenschaftstheorie viel zu streng. Man
sollte keine Theorien aufstellen und anschließend nur nach
Widerlegungen suchen. V.a. sollte man eine Theorie nicht
gleich aufgrund einer Widerlegung verwerfen und dann eine neue
konstruieren. Das ist nicht nur zu streng, sondern auch
unökonomisch.

Auch das behauptet Popper eigentlich nicht. Seine Evolutionstheoie des Wissens (in: Objektive Erkenntnis, engl. 1961 aufgestellt) stellt ein an der Evolutionstheorie orientiertes Schema des Wissenschaftsfortschritts auf, wo es von Problemen, über Theorien als Versuchslösungen, Fehlerbeseitigungen zu neuen Problemen geht, über die dann wieder Theorien aufgestellt werden. Es ist nicht so einfach, wie es zunächst aussieht.

Für Popper ist die Psychoanalyse keine Wissenschaft, weil ihre
Aussagen nicht falsifizierbar sind. Ich zweifle, ob die
Begründung Poppers zutreffend ist (aber nicht daran, daß sie
eine Pseudowissenschaft ist).

Das ist eine wichtige Differenzierung. Ich halte zwar die Psychoanalyse nicht für eine Pseudowissenschaft, sondern für eine andere Art Wissenschaft als die empirischen Wissenschaften, aber da wirst du meiner Erfahrung nach nicht mit dir reden lassen, fürchte ich. Wir hatten uns einmal darauf geeinigt, meine ich, dass die Psychoanalyse hermeneutisch arbeitet. Es ist also entscheidend, ob man der Hermeneutik Wissenschaftscharakter beimisst oder nicht. Wenn man rein empirisch orientiert ist, wie du hier nahelegst:

Grund: Viele psychoanalytischen Aussagen sind empirisch
untersucht worden. Dabei stellte sich heraus, daß die
empirischen Daten diese Aussagen nur wenig stützen.

dann ist es natürlich folgerichtig, der Psychoanalyse die Wissenschaftlichkeit abzuerkennen. Ob das aber zwingend ist, halte ich nach wie vor für fraglich.

Ich denke auch, daß Popper im Zusammenhang mit seiner Kritik
an der Psychoanalyse zwei Dinge miteinander vermischt, die man
trennen sollte:
a) Falsifizierbarkeit psychoanalytischer Aussagen
b) das Handeln der Psychoanalytiker, aufgrund dessen die
psychoanalytischen Aussagen in der Praxis nicht falsifiziert
werden.

Sehr richtig, das kann ich unterschreiben.

Anders formuliert: Prinzipiell sind die psychoanalytischen
Aussagen zwar falsifizierbar, aber die Analytiker ignorieren
die widersprechenden empirischen Befunde bzw. interpretieren
sie in ihrem Sinne um.

Die Frage ist, ob die empirischen Befunde überhaupt verwendbar sind bzw. ob sie nicht am Wesentlichen der Psychoanalyse vorbeigehen.

  1. Dualismus : Poppers Dualismus, den er in seiner
    3-Welten-Theorie formuliert hat (z.B. in „Das Ich und sein
    Gehirn“ zus. mit J.C. Eccles), überzeugt mich nicht. Das zu
    begründen, würde hier zu weit führen.

Das kann ich - was dich vielleicht überrascht - voll unterzeichnen. Mich überzeugt ebenso die politische Philosophie Poppers nicht bzw. nur in einzelnen Punkten. Was er zu Platon und Hegel sagt, kann ich auch nur in ganz wenigen Punkten unterstützen. Aber es ist die Frage, ob man ihm anlasten kann, wenn er sich in diesen Punkten vielleicht irrt. Ich finde, es ist genug, wenn man ein bahnbrechendes Ergebnis vorweisen kann. Man muss nicht überall erfolgreich sein, um bedeutend oder auch nur gemocht zu werden. :smile:

Herzliche Grüße

Thomas

  1. Wissenschaftstheorie : Sein Falsifikationsprinzip
    leistet meines Erachtens nicht das, was Popper ihm zuschrieb.
    Falsifizierbarkeit ist zwar ein Kriterium, aber es ist nur
    eines unter mehreren, um Wissenschaft von Nicht-Wissenschaft
    zu trennen.

Hallo Oliver,

ich verstehe hier Dein Argument nicht ganz.

Meinst Du es im Sinne von

a)es gäbe auch Wissenschaft obwohl diese nicht falsifizierbar sei,

oder meinst Du es im Sinne von

b)obwohl etwas unter dem Kriterium der Falsifizierbarkeit
Wissenschaft ist, gibt es weitere Kriterien, die diese als Wissenschaft ausschließen können.

Zudem ist seine Wissenschaftstheorie viel zu streng. Man
sollte keine Theorien aufstellen und anschließend nur nach
Widerlegungen suchen.

Warum nicht ? Es geht doch darum rauszukriegen, ob die Theorie der Wirklichkeit standhält.

V.a. sollte man eine Theorie nicht
gleich aufgrund einer Widerlegung verwerfen und dann eine neue
konstruieren. Das ist nicht nur zu streng, sondern auch
unökonomisch.

Es genügt doch eine Änderung der Theorie. Und falls die nicht reicht bzw. nicht hinzubekommen ist. Was soll man denn machen mit einer Theorie die der Wirklichkeit widerspricht ?

Im übrigen ist es ja nicht so einfach einen neue Theorie zu konstruieren … es braucht halt manchmal auch guter Ideen.

Es haben doch beispielsweise zur Zeit viele Astrophysiker das unbehagliche Gefühl : Sie bräuchten eigentlich eine ‚neue Physik‘ um Dinge wie ‚dunkle Materie‘ und ‚dunkle Energie‘ erklären zu können.

Durch Datensammeln allein jedoch, fällt keine Theorie vom Himmel …

Gruss Jacobias

Hallo Thomas
weil ich den Umgang mit

Popper auch nicht für eine psychologische Frage halte -

Ich übrigens auch nicht. Andererseits zweifle ich daran, dass man gewaltsam das Psychologische heraushalten kann aus verstehend-erklärend-betrachtenden Analysen eines Autors, egal, ob er Philosoph, Naturwissenschaftler oder Politiker ist. Und HIER haben wir auch einen Übergang zum psychoanalytischen Denken (womit ich nicht nur das klassische setting zwischen Analytiker und Patient meine, sondern diese Art des Denkens, des Herangehens). Für mich hat erst die Kombination beider Denkweisen, der Freudschen und der Marxschen, eine neue, fruchtbarere Dimension des Erkennens möglich gemacht. Nicht zuletzt hat die FRankfurter Schule sich von beiden Denker, Freud und Marx,inspirieren lassen.

  1. Wissenschaftstheorie : Sein Falsifikationsprinzip
    leistet meines Erachtens nicht das, was Popper ihm zuschrieb.
    Falsifizierbarkeit ist zwar ein Kriterium, aber es ist nur
    eines unter mehreren, um Wissenschaft von Nicht-Wissenschaft
    zu trennen.

Da fängs schon an: Poppers Vorstellung von Wissenschaft ist recht eindimensional.

Meiner Ansicht nach - wenn ich das auch sagen darf - liegt der
Fehler bei der Verwendung des Wissenschaftsbegriffes schon
darin, dass er von Erfahrungs wissenschaft spricht und
somit schon vom Wort her die Metaphysik benachteiligt.

Eben.

Zudem ist seine Wissenschaftstheorie viel zu streng. Man
sollte keine Theorien aufstellen und anschließend nur nach
Widerlegungen suchen. V.a. sollte man eine Theorie nicht
gleich aufgrund einer Widerlegung verwerfen und dann eine neue
konstruieren. Das ist nicht nur zu streng, sondern auch
unökonomisch.

Das sehe ich ebenso.
Ich halte zwar die

Psychoanalyse nicht für eine Pseudowissenschaft, sondern für
eine andere Art Wissenschaft als die empirischen
Wissenschaften, aber da wirst du meiner Erfahrung nach nicht
mit dir reden lassen, fürchte ich.

Das fürchten wir gemeinsam, Thomas. :wink:

Wir hatten uns einmal
darauf geeinigt, meine ich, dass die Psychoanalyse
hermeneutisch arbeitet. Es ist also entscheidend, ob man der
Hermeneutik Wissenschaftscharakter beimisst oder nicht.

Ganz meine Meinung!

Anders formuliert: Prinzipiell sind die psychoanalytischen
Aussagen zwar falsifizierbar, aber die Analytiker ignorieren
die widersprechenden empirischen Befunde bzw. interpretieren
sie in ihrem Sinne um.

Das scheint mir wiederum ein Vorurteil (um nicht zu sagen:eine fixe Idee *g*) Deinerseits zu sein, Thomas. Das Thema Interpretation hatten wir schon mal berührt.

  1. Dualismus : Poppers Dualismus, den er in seiner
    3-Welten-Theorie formuliert hat (z.B. in „Das Ich und sein
    Gehirn“ zus. mit J.C. Eccles), überzeugt mich nicht.

Hat mich ebenfalls nicht überzeugt. Ich fand das Buch "GROss AUFGEMACHT2 BZW: „ANMACHEND“ - es blieb aber stinklangweilig.

Ich finde, es ist genug, wenn man ein bahnbrechendes
Ergebnis vorweisen kann.

Von welchem bahnbrechenden Ergebnis sprichst Du bitteschön???
Gruß,
Branden

Moderne Demokratietheorie
Hallo,

ich habe nicht viel von Popper gelesen und wirklich beurteilen kann ich nur seine Thesen über moderen Demokratien. Alles andere von ihm fand ich interessant, zum teil einleuchteten, habe aber nicht den Überblick um es beurteilen zu können. Sein Schreibstiel ist auf jeden Fall schön und überzeugent.

Die Thesen zur modernen Demokratie (Popper favorisiert ein Westminster-Modell der Konkurrenzdemokratie) halte ich für falsch. Er scheint mir beinahe so, als ob Popper nicht die spezielle kulturelle Gebundenheit des Systems erkennen konnte/wollte und daher den Sonderfall zum Vorbild erhebt. Nach neueren Erkenntnissen würde eine Umsetzung auch erhebliche Stabilitätsprobleme verursachen. Diese immanente Instabilität wird in England kulturell kompensiert. In anderen Ländern wäre das nicht der Fall.
Trotzdem scheinen seine Thesen durchaus Befürworter zu finden. Erst letztens hat mir z.B. Prof. von Arnim (bekannt vor allem wegen verfassungsrechtlichen Fragen) davon vorgeschwärmt.
Das einzig Gute an Poppers Thesen ist, dass er ohne romantische Überhöhung das Thema Demokratie behandelt. Das ist allerdings wenig innovativ.

Viele Grüße,

Hannes

Hallo Oliver

Zudem ist seine Wissenschaftstheorie viel zu streng. Man
sollte keine Theorien aufstellen und anschließend nur nach
Widerlegungen suchen. V.a. sollte man eine Theorie nicht
gleich aufgrund einer Widerlegung verwerfen und dann eine neue
konstruieren. Das ist nicht nur zu streng, sondern auch
unökonomisch.

Hier bin ich mit Dir einer Meinung!
Im zweiten Teil -wie Du Dir denken kannst - nicht.
Gruß,
Branden

@Thomas Miller: Korrektur
Habe mich durch die schwer zu unterscheidenden Dialog-Positionen in meiner Antwort an Dich (hier drüber) mindestens einmal vertan:
Das mit dem Anders-Interpretieren seitens der Psychoanalytiker kam ja nicht von Dir, sondern von Oliver. Diese Antwort von mir an Dich kannst Du also an der Stelle getrost streichen. :wink:
Gruß,
Branden

Hallo Hannes:

Die Thesen zur modernen Demokratie (Popper favorisiert ein
Westminster-Modell der Konkurrenzdemokratie) halte ich für
falsch. Er scheint mir beinahe so, als ob Popper nicht die
spezielle kulturelle Gebundenheit des Systems erkennen
konnte/wollte und daher den Sonderfall zum Vorbild erhebt.
Das einzig Gute an Poppers Thesen ist, dass er ohne
romantische Überhöhung das Thema Demokratie behandelt. Das ist
allerdings wenig innovativ.

Ich kann mich diesen Deinen Ausführungen nur anschließen!
Gruß,
Branden

Hallo Branden,

Für mich hat erst die
Kombination beider Denkweisen, der Freudschen und der
Marxschen, eine neue, fruchtbarere Dimension des Erkennens
möglich gemacht.

Dieses Zitat ist der Grund warum ich mich hier einschalten möchte. Ich kann es nicht nur voll und ganz unterschreiben, sondern sehe darin eine Erneuerung der Wissenschaft, an der man nicht vorbeigehen kann. Um das zu sagen, muss ich ich weder Marxist noch Psychoanalytiker sein, sondern kann mich hier genauso auf den späten Heidegger oder auf den Poststrukturalismus berufen. Nur finde ich, dass Du in Deinem Posting zu viele Zugeständnisse an die Gegenposition machst und damit schon zu viel Terrain unnötig verschenkst.

Nicht zuletzt hat die FRankfurter Schule sich
von beiden Denker, Freud und Marx,inspirieren lassen.

Zitat Adornos: „Uns lockt es, die Erfahrung gegen den Empirismus zu verteidigen, einen minder eingeschränkten und verdinglichten Begriff von Erfahrung der Wissenschaft zuzubringen. Ziel der Kontroverse [Positivismusstreit, FBH] ist nicht ein Ja oder Nein zur Empirie, sondern die Interpretation von Empirie selber“ (aus: „Gesellschaftstheorie und empirische Forschung“). Unterhalb dieser Grundlage, sollte man nicht zur Verteidigungsschlacht ansetzen, zumal dieser Thread wohl ursprünglich als Angriff auf Popper konzipiert war, ganz schnell aber die Psychoanalyse in die Defensive geraten ist.

Meiner Ansicht nach - wenn ich das auch sagen darf - liegt der
Fehler bei der Verwendung des Wissenschaftsbegriffes schon
darin, dass er von Erfahrungs wissenschaft spricht und
somit schon vom Wort her die Metaphysik benachteiligt.

Eben.

Weshalb stimmst Du hier bereits zu? Wenn Popper (und andere natürlich) die „Erfahrung“ als Maßstab nimmt, Wissenschaft von Metaphysik zu unterscheiden, dann würde weder Marx noch Freud dem widersprochen haben. Empirie ist für beide unumgänglich. Im Sinne des Adorno-Zitates gilt es doch vielmehr, Poppers unzulänglichen Empirie-Begriff zu bekämpfen, nicht die Unterscheidung Wissenschaft/Metaphysik. Mit deiner Zustimmung akzeptierst Du, die Psychoanalyse von nun an als Wissenschaft gelten zu lassen, was richtig ist, aber als Nicht-Erfahrungs-Wissenschaft, was ich für unnötig halte.

Wir hatten uns einmal
darauf geeinigt, meine ich, dass die Psychoanalyse
hermeneutisch arbeitet. Es ist also entscheidend, ob man der
Hermeneutik Wissenschaftscharakter beimisst oder nicht.

Ganz meine Meinung!

Auch hier ein Zugeständnis, das mir viel zu überstürzt ist; Erstens geht es zu weit, die Psychoanalyse als Ganzes der Hermeneutik zuzuordnen. Mag sein, dass es hermeneutischen Strömungen in der Psychoanalyse gibt, ihre Begründung durch Freud und ihre -aus meiner Sicht eminent wichtige- Neu-Begründung durch Lacan „arbeiten“ alles andere als hermeneutisch. Mit deiner Zustimmung begibst Du Dich in die Gefahr, die „Wissenschaftlichkeit“ der Psychoanalyse von der der Hermeneutik abhängen zu lassen; und mir scheint, „Hermeneutik“ soll genau dieser Typus von Wissenschaft-ohne-Erfahrung sein, der oben gemeint ist.

Ich finde, es ist genug, wenn man ein bahnbrechendes
Ergebnis vorweisen kann.

Von welchem bahnbrechenden Ergebnis sprichst Du bitteschön???

Genau; welches denn?

Viele Grüße
franz

1 Like

Hallo Branden,

Andererseits zweifle ich daran, dass
man gewaltsam das Psychologische heraushalten kann

man muss zumindest den Versuch machen, und in einem gewissen Rahmen ist das sehr wohl möglich. Der zu frühe Verzicht auf Epoché ist ein unnötiges Eingeständnis.

Da fängs schon an: Poppers Vorstellung von Wissenschaft ist
recht eindimensional.

Das habe ich ja auch nicht anders gesagt.

Von welchem bahnbrechenden Ergebnis sprichst Du bitteschön???

Von der Positionierung gegen den Wiener Kreis.

Herzliche Grüße

Thomas

Hallo Thomas,

ich habe mein obiges Posting an Branden weggeschickt, bevor ich Deines lesen konnte:

Von welchem bahnbrechenden Ergebnis sprichst Du bitteschön???

Von der Positionierung gegen den Wiener Kreis.

Also doch von der Kritik des Verifikationismus bzw. dessen Umbaus zum Falsifikationismus?
Solltest Du etwas anderes damit meinen, dann halte das nachstehende für nicht gesagt:
Ich kann überhaupt nichts Bahnbrechendes darin sehen. Wass soll das sein. Meines Erachtens ist der Falsifikationismus nur ein umgedrehter Verifikationismus.

Viele Grüße
franz

Hallo Thomas

Mich überzeugt ebenso die politische
Philosophie Poppers nicht bzw. nur in einzelnen Punkten. Was
er zu Platon und Hegel sagt, kann ich auch nur in ganz wenigen
Punkten unterstützen.

Ich bitte dich, mach dir die Muehe, mir kurz zu erklaeren, warum auch
seine Kritik an Platon mangelhaft sei.

Danke, Tychi