Hallo Oliver,
Sein Falsifikationsprinzip
leistet meines Erachtens nicht das, was Popper ihm zuschrieb.
Falsifizierbarkeit ist zwar ein Kriterium, aber es ist nur
eines unter mehreren, um Wissenschaft von Nicht-Wissenschaft
zu trennen.Zudem ist seine Wissenschaftstheorie viel zu streng. Man
sollte keine Theorien aufstellen und anschließend nur nach
Widerlegungen suchen. V.a. sollte man eine Theorie nicht
gleich aufgrund einer Widerlegung verwerfen und dann eine neue
konstruieren. Das ist nicht nur zu streng, sondern auch
unökonomisch.
Inwieweit zu streng. Die große Neuerung des Falsifikationismus ist es doch, deduktiv, statt induktiv vorzugehen, was heißt, dass ein Schluss vom Allgemeinen (a) auf das Besondere (b) zu erfolgen hat. Also: ein (hypothetischer) Satz a muss sich so an einer einzelnen Beobachtung b bewähren: a -> b; wenn a wahr ist, dann ist b wahr; das Falsifikationsprinzip nun: sollte b falsch sein (als eine Beobachtung gegen die Theorie sprechen) so ist der Schluss falsch und damit die Theorie falsifiziert.
Wie kannst Du nun behaupten, man „sollte“ die Theorie nicht gleich auf Grund einer Widerlegung verwerfen. Entweder man erkennt das Deduktionsprinzip des Falsifikationismus an und m u s s die Theorie verwerfen, oder man erkennt es nicht an, dann darf man die Theorie auch mit 10000 widerlegenden Beobachtungen im Namen des Falsifikationismus nicht verwerfen. Will man ein Theorie also nicht gleich bei der ersten widerlegenden Beobachtung verwerfen, bei einer Häufung aber schon, dann kann man am Deduktionsprinzip nicht festhalten, was aber heißt: kann am Falsifikationismus nicht festhalten, weil das Deduktionsprinzip dessen Herzstück ist. Dann kann aber auch gar nicht mehr gelten:
Falsifizierbarkeit ist zwar ein Kriterium…,
es sei denn, eine übergeordnete Theorie würde die Relation dieses Wahrheitskriteriums zu anderen Kriterien (welche sagst Du ja nicht) reflektieren und wäre damit aber erst mal selbst in der Beweispflicht.
- Kritik an der Psychoanalyse : Diese Kritik ist
Bestandteil von Poppers wissenschaftstheoretischer Auffassung,
weil er mit ihr sein Falsifizierbarkeitskriterium begründete.
Meines Erachtens exemplifiziert (nicht: begründet) er seine Auffassung am Beispiel der Psychoanalyse (und an dem des Marxismus). In unserem Zusammenhang also muss sich Popper, nicht die Psychoanalyse, verteidigen. Leider hat sich die Diskussion teilweise anders entwickelt (dafür kannst Du nichts, hast aber natürlich damit einen Anstoß gegeben; es ist also kein Vorwurf an Dich, sondern der Versuch, allgemein die Psychoanalyse in diesem Zusammenhang aus der Verteidigungsbank zu entlassen; Popper gehört im Moment darauf!)
Für Popper ist die Psychoanalyse keine Wissenschaft, weil ihre
Aussagen nicht falsifizierbar sind. Ich zweifle, ob die
Begründung Poppers zutreffend ist (aber nicht daran, daß sie
eine Pseudowissenschaft ist).Grund: Viele psychoanalytischen Aussagen sind empirisch
untersucht worden. Dabei stellte sich heraus, daß die
empirischen Daten diese Aussagen nur wenig stützen.
Ist deshalb nicht das Thema dieses Threads. Es würde mich natürlich interessieren, mit welchen Kriterien Du diese Behauptung aufstellen kannst, aber das hat mit meinen persönlichen Interesse zu tun.
Anders formuliert: Prinzipiell sind die psychoanalytischen
Aussagen zwar falsifizierbar, aber die Analytiker ignorieren
die widersprechenden empirischen Befunde bzw. interpretieren
sie in ihrem Sinne um.
Das klingt viel zu sehr nach „die bösen Analytiker“. Ich stimme Dir vollkommen zu, dass viele empirische Befunde vielen psychoanalytischen Aussagen widersprechen. Aber: es ist doch absolut statthaft (und Praxis auch anderer Wissenschaften) diese „empirischen Befunde“ bzw. die ihnen unterliegenden Voraussetzung zu hinterfragen. Richtig ist natürlich (und ich glaube, Du meinst vor allem dies!), wenn diese Befunde „zirkulär“ hinterfragt werden, nach dem Motto: darin zeigt sich doch nur der Penisneid!, etc. Dies ist durchaus richtigerweise als Immunisierungsstrategie anzuprangern. Aber das ist eben nicht alles.
Viele Grüße
franz