Hallo Helmfried,
vergangene Woche habe ich das KL Auschwitz besucht, was ich
nebenbei bemerkt empfehlen kann.
Vermutlich hast Du eine Gruppe, die am „March of the Living“ teilgenommen hat, erlebt. Das wird jedes Jahr organisiert:
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2778
Das KL ist in der Nähe von
Krakau, sodaß man dies sehr gut miteinander verbinden kann.
Krakau ist eine tolle Stadt !!!
Und wenn Krakau eine nicht so tolle Stadt wäre, dann könnte man den KZ-Besuch ausfallen lassen, denn dann würde man durch die tolle Stadt nicht so stark für den KZ-Horror entschädigt wie wenn das KZ irgendwo in der Pampas liegt?
Hast Du zwar nicht gesagt, könnte man aber so in Deine Ausführungen reinlesen. Und ich finde Du liest ganz schön viel in das hinein, was Du an der anderen Gruppe wahrgenommen hast.
Ich könnte auch gleich noch weiter machen: Für Konzentrationslager ist KZ die gängige Abkürzung. Bedeutet nun die von Dir verwendete Abkürzung, daß Du die Lager verharmlosen willst?
Ganz schön spekulativ, aber ich denke, Du verstehst worauf ich hinaus will.
Natürlich sollte man sich vor einem Besuch des KL`s im Vorfeld
über das Thema Auschwitz/Holocaust informieren, dies aber nur
am Rande.
Und Du meinst das haben die „Israelis“ nicht gemacht, weil sie der von Dir erwarteten Form des Gedenkrituals nicht nachkommen? Wer in Israel lebt, kommt gar nicht um diese Auseinandersetzung herum.
Dabei braucht man beileibe nicht alles gut finden, was und wie es gemacht wird. Ich persönlich mag diese Form der organisierten und inszenierten Gedenkrituale wie den „March of the Living“ nicht. Aber ich muss daran auch nicht teilnehmen.
Abgesehen davon leben die Mehrzahl der israelischen Jugendlichen in Familien, deren Vorfahren in KZs umgebracht wurden.
Im Mai 2011 lebten in Israel noch 208 000 Holocaust-Überlebende. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß aus Altersgründen eine gewisse Zahl in den letzten 12 Monaten gestorben ist, so dürfte die Zahl immer noch 6stellig sein - und das bei einem jüdischen Bevölkerungsanteil von etwa 4 810 000
Vorausschickend möchte ich eines deutlich sagen,
selbstverständlich bin ich kein Holocaustleugner oder Nazi,
auch habe ich keinen Vorbehalte gegen irgendwen aufgrund
seiner Herkunft, Religion, Hautfarbe, sexuellen Vorlieben oder
sonstiges !
Wie oben erwähnt, habe ich mich, nicht nur aufgrund dieser KL
Besichtigung, mit dem Thema Holocaust, 3. Reich, oder auch mit
der Entstehung Israels beschäftigt.
Ich schreibe dies so ausdrücklich, um dummen Antworten „Du
bist ein Nazi“ oder
„wie kannst Du nur über die Israelis (Juden) urteilen“, aus
dem Wege zu gehen.
Dies können wir uns „schenken“, dann bin ich hier im falschen
Forum.
Nun zu meiner eigentlichen Frage:
In dem KL waren verschiedene Gruppen verschiedener
Nationalitäten.
Es wurde in Gruppen in der jeweiligen Landessprache Führungen
durchgeführt.
Die Stimmung die über dem Lager liegt möchte ich hier weniger
beschreiben. Lediglich das es sich um eine Gedenkstätte
handelt und eher jeder für sich selbst still seinen Gedanken
nachgeht.
Dann empfehle ich Dir einen Besuch des Holocaust-Denkmals in Berlin:
Stelenhopping und Picknick auf den Stelen gehören in der warmen Jahreszeit zum Standardprogramm. Von Stelen-Anpinkeln und weiteren Unsäglichkeiten reden wir jetzt lieber nicht.
Das ist auch gut so, denn dieser Ort Bedarf der Ruhe, der
Demut und der Trauer.
Die Perspektive der israelischen Jugendlichen ist da vermutlich eine andere als Deine. Da 3 Millionen der ermordeten Juden aus Polen waren, dürfte für eine beträchtliche Zahl der Teilnehmenden diese Fahrt die erste Begegnung mit dem Land, in dem ihre familiären Wurzeln sind, sein. Und von ihren Großeltern bzw. in der Schule haben sie sicherlich einiges über die Geschichte des Landes gehört.
Schuldbewusstsein ist hier meiner Meinung nach fehl am Platze,
für Israelis sowieso - und abgesehen davon meiner Meinung nach auch für junge nicht-jüdische Deutsche
aber auch das sollte jeder für sich selber wissen….
Nun waren dort auch israelische Besucher.
Wie oben beschrieben, sind alle Gruppen langsam und ruhig über
das Gelände gegangen.
Ich vermute mal, daß die Besuchergruppen, die außer den Israelis da waren, aus Deutschland oder anderen von den Nazis besetzten Ländern kamen, in denen es ja auch eine große Zahl an Kolaborateuren gab. Sonst hätte dieser Massenmord nicht so perfekt industrialisiert ablaufen können.
Bis auf die Israelis; diese waren erstens sehr laut und
zweitens hatten sich viele von Ihnen in Ihre Landesfahnen
gehüllt oder schwenkten diese durch die Luft.
Nun - Israelis sind von ihrer Mentalität her lauter als Mitteleuropäer. Und Israelis ist sehr wohl bewußt, daß viele ermordet wurden, weil kein Land sie aufnahm. Deshalb hat der Staat Israel für sie und Juden überhaupt eine herausgehobene Bedeutung - und deshalb gehen Israelis auch drei Jahre zum Militär.
Ich war sicher nicht der einzige, der sich hierdurch nicht nur
gestört, sondern auch provoziert gefühlt hat.
Das mag sein. Aber was genau provoziert Dich, wenn die Enkelgeneration der Überlebenden sehr deutlich wahrnehmbar für alle zeigt, daß sie am Leben sind und den Staat, der ihnen das ermöglicht, schätzen. Es ist ähnlich wie bei einem Fußballspiel: Die Gewinner ziehen Fahnen schwenkend durch das Stadion und durch die Stadt - und jeder versteht was gemeint ist: Wir leben, weil unsere Großeltern überlebt haben und nicht ermordet worden sind.
Und gleichzeitig weiß man auch, wie viele nicht überlebt haben. Hier ein Text, der vor ein paar Jahren an einem liberalen Rabbinerseminar in Israel entstanden ist und in vielen liberalen Synagogen in aller Welt zum Jom haSchoah (dem israelischen Holocaust-Gedenktag) gelesen wird. Ich habe ihn ins Deutsche übersetzt:
_"Um sie alle weine ich, und um die Millionen, die in Ghettos zusammengepfercht wurden und in Vernichtungslagern; um die, die in Wäldern umherirrten und die auf Dachböden oder in Erdbunkern versteckt waren; die Zuflucht fanden im Schoß einer anderen Religion oder ihren G-tt verloren haben; um die, die für medizinische Experimente den Händen wilder Bestien, die sich Ärzte oder Wissenschaftler nannten, ausgeliefert waren; um die, die vor Hunger und Durst umkamen; die erstickten in Güterzügen oder in Gaskammern, lebendig begraben oder eingeäschert; um die, die hinaus gebracht wurden um vor aller Augen aufgehängt zu werden, und für die, die starben zur Heiligung Seines Namens und dem Namen des Volkes Israel, die sich weigerten sich zu unterwerfen und bis zum Tode kämpften; um die, die ihre Wohnungen, ihre Würde und ihre Hoffnung verloren; und für die, die am Leben gelassen, den Schrecken von neuem erleben; Tag für Tag und Augenblick für Augenblick.
Um sie alle weine ich: Um Kinder, die niemals lernten „Mama“ zu sagen, um die Jungen und Mädchen, denen die Jugend gestohlen wurde, die verdorrten bevor sie erblühen konnten; um junge Männer und Frauen, die niemals unter die Chuppah treten konnten; um die Alten, denen ein erfülltes Alter verweigert wurde, um die Orchester und die Musik, und um all die Schönheit der Welt, deren Regenbogenfarben verloren gingen, und durch braun, grau und schwarz ausgetauscht wurden. Um sie alle weine ich.
Ich rang so hart vor dem undurchdringlichen Vorhang, vor dem erbarmenden und gnädigen Einen, von großer Güte und Wahrheit. Wie flehte und bettelte ich um zu verstehen. War all das dort oben bekannt? War das der Beschluß des Einen voller Erbarmen? Das war die Belohnung eines solchen Volkes? Aber kein Laut und keine Antwort war, nur eine Stille, die einen zur Verzweiflung bringt.
Der Höchste blieb verborgen, G-tt wohnt im Schatten des Schweigens. Unergründlich, verborgen, furchteinflößend sind die Ereignisse; niemand versteht sie und auch nicht der Widerhall der Stimmend vom Himmel.
Megillat haSchoah, hrsg. Vom Schechter Institut, Jerusalem 2003; aus Kap 5, Verse 9-22,_
Warum wird dies von den Israelis ( ich spreche absichtlich
nicht von den Juden ) gemacht?
Du kannst ruhig von Juden sprechen. Es sind auch Juden aus anderen Ländern dabei, und es sind nur selten Israelis dabei, die nicht jüdisch sind.
Sie werden die Wirkung dieser Aktionen auf die anderen
Anwesenden wissen.
Das wird ihnen vergleichsweise egal sein.
Wie würden sie sich fühlen, würde ich dort mit einer deutschen
Fahne durch das Lager laufe.
Wenn zwei das Gleiche tun, dann ist es nicht das Gleiche - was hoffentlich aus meinen restlichen Ausführungen deutlich wurde.
Um auch hier einfachen Antworten zuvor zu kommen.
Das Deutschland in dem ich aufgewachsen bin, ist nicht
Nazideutschland, unsere Fahne hat kein Hakenkreuz.
Oder wie fänden sie es, wenn dort eine Palästinafahne
geschwenkt wurde.
Ich kann den Bezug nicht sehen - auch wenn in bestimmten Kreisen immer wieder gern unterstellt wird, daß das, was die „Juden mit den Palästinensern machen genauso ist, wie das, was die Nazis mit den Juden gemacht haben“. Da würden wir ein ganz neues Fass aufmachen und müßten über Entlastungsstrategien reden.
In Auschwitz wurden ca. 450.000 ungarische Juden ermordet,
eine ungarische Fahne habe ich dort nicht gesehen.
Der Großteil der ungarischen Juden war liberal und ziemlich assimiliert - ähnlich wie die Juden in Deutschland. Genutzt hat es ihnen nichts. Der Deportation sind sie deswegen nicht entgangen. Und die Deportationen haben doch deswegen funktioniert, weil Juden eben ausgegrenzt wurden und nicht mehr dazu gehörten. Eine ungarische Fahne würde Zugehörigkeit symbolisieren, die es nicht (mehr) gab.
Ich denke, das ihnen die Provokation nicht nur bewusst,
sondern diese auch so gewollt war.
Ich denke nicht, daß es als Provokation gedacht ist, sondern daß es aufgrund ihres anderen Zugangs eben eine andere Form des Umgangs ist.
Übrigens hat vor einiger Zeit ein Überlebender mit seinen Angehörigen Auschwitz besucht. Er hat dort getanzt und seine Tochter hat das gefilmt und ins Internet gestellt. Das ist auch in der jüdischen Presse weltweit diskutiert worden.
Und nun frage ich halt warum ?
Die Frage ist vermutlich nicht direkt zu beantworten, aber
vielleicht schreibt der eine oder andere hierzu seine Meinung
und ich bekomme doch eine Erklärung dafür?
Und - hat`s geklappt?
Viele Grüße
Iris