Vielleicht ist nur der Videorecorder kaputt.
Guten Morgen, Michael!
Um sich mit so einer Aussage an die Öffentlichkeit zu trauen, müssen die Verantwortlichen an schier grenzenlose Dummheit des Publikums gewöhnt sein. Ein Lob an die Beobachtungsgabe der amerikanischen Administration: So flach die Behauptungen auch immer waren, wurden sie auf der ganzen Welt weitgehend kritiklos geglaubt.
Die mit Bin Laden durchgeführte Personifizierung des Terrors war eine der ersten Dusseligkeiten, die gleich in mehrfacher Hinsicht dilettantisch war. Bin Laden mag eine der Leitfiguren eines weltumspannenden Terrornetzwerkes sein, aber er ist nicht DER Führer schlechthin, sondern einer von vielen. Dann wurde etwas von zu zerstörenden Ausbildungsstätten der Terroristen erzählt. Tatsächlich aber sind die Stätten keine zerstörbaren Bauwerke. Ein beliebiges Fleckchen Erde, ein beliebiger Treffpunkt, eine beliebige Baracke irgendwo auf der Welt ist so gut wie jeder andere Ort als Ausbildungscamp geeignet. Die Bombardierung irgendwelcher Hütten, Berghänge und Zelte in Afghanistan ist dabei eine so wirkungsvolle Terrorbekämpfung, als würde man die Bomben in die Sahara schmeißen. Bei der „Saharalösung“ kommen nur nicht so viele Zivilisten ums Leben. Apropos Zivilisten und Bomben: Gegen wen wird da überhaupt gekämpft? Woran erkennt man einen Anhänger der Taliban? Vielleicht an der Bartlänge? Angehörige beliebig zusammengewürfelter Haufen wechseln beliebig die Fronten, formieren sich auf welcher Seite auch immer neu oder werfen ihren Schießprügel weg und das war’s dann. Es gibt dort keinen konkret herzeigbaren Gegner zu bekämpfen und man kann deshalb auch nie sicher sein, etwas erreicht oder jemanden besiegt zu haben. So muß jetzt um jeden Preis Bin Laden her, um überhaupt irgendetwas vorzeigen zu können. Andernfalls gäbe es sogar vor der etwas blöden Weltöffentlichkeit peinlichen Erklärungsnotstand.
Die breite Öffentlichkeit einschließlich des Großteils der Journalisten haben sich immer wieder als beliebig für dumm verkaufbar herausgestellt. Um Proteste wegen zu Schaden kommender Zivilisten klein zu halten, wurde von „Schlägen mit chirurgischer Präzision“ gesprochen. Solche Aussagen widersprechen der Erfahrung aus allen Kriegen, aber sie wurden aufrecht erhalten, als Streubomben zum Einsatz kamen und selbst dann noch, als die in großem Umkreis alles Leben auslöschenden „Daisy Cutters“ geworfen wurden.
Bush, aber auch Kanzler Schröder und etliche andere beeilten sich zu betonen, es handele sich in Afghanistan nicht um einen Kampf der Kulturen oder der Religionen. Recht hatten sie. Der Kampf der Kulturen findet nicht in Afghanistan statt. Er wird in Israel ausgetragen und das mit aller Dämlichkeit und Uneinsichtigkeit, zu der Menschen fähig sind. Genau dort liegt eine der Hauptquellen, die den Extremismus speist. Jedes Bemühen eines amerikanischen Vermittlers oder auch deutschen Außenministers, zum Waffenstillstand und zu „Friedensgesprächen“ zu kommen, zieht den Zustand in die Länge, weil nur ein weiterer großer Bogen um die tragfähige Lösung gemacht wird. Ein eigenes Staatsgebiet für Palästina, auf dem keine fremden Panzer herumkurven, ist eine Lösung. Ein gemeinsames Staatsgebiet, wo alle Bürger gleiche Rechte haben, wäre eine andere Lösung. Wer erzählt, daß das nicht geht, dem empfehle ich die Lektüre noch gar nicht so alter Zeitungen, die von der Erbfeindschaft zwischen deutschen und französischen Menschen blödeten. In Afghanistan findet nur eine grausame Show statt. Weshalb das alles, weiß ich nicht. Vielleicht, um sich angesichts des 11. Septembers nicht Untätigkeit vorwerfen lassen zu müssen.
Die stattgefundene verachtende Unterdrückung von Frauen mußte inzwischen auch schon zur Rechtfertigung des Krieges herhalten. Abgesehen von der traurigen Tatsache, daß man mit solcher Begründung große Teile der Erde bombardieren müßte, hat das Taliban-Regime die Unterdrückung der Frauen zwar auf die Spitze getrieben, ansonsten aber ist solche Menschenrechtsverletzung im gesamten Subkontinent von Afghanistan über Pakistan bis Indien tief verwurzelt und zieht sich in diversen Schattierungen bis in die intimsten häuslichen Bereiche.
Damit alle schön still sind, gibt es seit dem ersten Tag des Krieges den Maulkorb für Kritiker: Antiamerikanisch sei die Kritik. Obwohl dieser Unfug eigentlich nur noch durch bedingungslose Solidarität zu toppen ist, wird er bei jeder Gelegenheit wiederholt.
Gruß
Wolfgang