'Religion' definieren?

Hallo, die Religionswissenschaftler!
Wenn ich das recht verstehe, versucht die Soziologie, die Religion jeweils aus der untersuchten Sozietät heraus zu verstehen; also als je eigene spezifische.
Weil aber - wiederum: wenn ich das recht verstehe - in jeder Sozietät in irgendeiner Form Religion vorhanden ist, möchte ich wissen, welche Kriterien erfüllt sein müssen, dass man von Religion sprechen kann.
Anders gefragt: Wie ist „Religion“ zu definieren?
Man könnte vielleicht noch etwas gewagter fragen: Gibt es so etwas wie die Idee, also den Begriff, von Religion, der der Ausprägung der jeweiligen Religion schon vorausgeht?
Oder frägt man von der Evolution her? Etwa so: Welche Vorteile brachte das, was wir als Religion bezeichnen (und wegen welcher Merkmale bezeichnen wir das so?) für die Entwicklung?
Mit Dank und Gruß!
Hannes

zum Begriff ‚Religion‘
Hi hannes,

schöne Fragestellung mal wieder. Vorab hier ein Artikel von mir zu derselben Frage, die SO vor genau drei Jahren hier gestellt wurde

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Mehr dann später noch dazu.

Gruß

Metapher

Hallo Hannes,

Oder frägt man von der Evolution her? Etwa so: Welche Vorteile
brachte das, was wir als Religion bezeichnen (und wegen
welcher Merkmale bezeichnen wir das so?) für die Entwicklung?

Kleiner Denksanstoß meinerseits: Religion ordnet die Gedanken der Menschen. Und klare Strukturen - so meine Meinung - bringen generell einen Vorteil, solange man nicht zu streng daran festhält. Ein Beispiel wäre etwa die Arbeitszeit in einen Büro. Welche Firma wird wohl erfolgreicher sein? Diejenige, bei der alle Angestellten eine Kernzeit haben, an der man sie auch am Arbeitsplatz findet? Diejenige, bei der alle Angestellten um Punkt 8:00 h am Platz zu sein haben und um Punkt 17:00 h das Büro verlassen? Oder diejenige, bei der jeder kommt und geht, wie es ihm passt - Hauptsache, man kommt so ungefähr auf 40 Stunden pro Woche?

Ich denke, dass Unternehmen 1 am erfolgreichtsten sein wird, wenn sonst alle Faktoren gleich sind. Und eine solche Funktion erfüllt auch die Religion, und erfüllte sie schon lange bevor es Büros gab. Sie strukturiert das Leben der Menschen.

Wenn Religion keinen Vorteil gebracht hätte, dann hätten wir heute keine Religionen mehr.

Schöne Grüße

Petra

Hallo,

Oder frägt man von der Evolution her? Etwa so: Welche Vorteile
brachte das, was wir als Religion bezeichnen

Es bringt ein hohes Maß an Zusmmengehörigkeitsgefühl (Gruppenzwang),
was evolutionär wohl durchaus einen hohen Wert hatte.
Was hatten Menschen verschiedener Siedlunge/Stämme/Städte/Staaten
und Völker gemeinsam, um den Zusammenhalt zu pflegen und sich gegen
Feinde zu verteidigen ? Eben-die Religion.
Ich denke, Religion steht auch in sehr engem Zusammenhang
mit der Bildung von Staatgebilden
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…
Gruß Uwi

Hallo!

ein Artikel
von mir zu derselben Frage, die SO vor genau drei Jahren hier
gestellt wurde
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Danke für den Tipp!
Aber ich vermisse den Nachweis eines evolutionären Vorteils, den jede Religion haben muss, da keine Gesellschaft ohne Religion nachweisbar ist.
(Natürlich können wir mangels sprachlicher Zeugnisse die religiösen Überzeugungen prähistorischer Völker nicht wirklich verstehen. Sie bedeuten uns das, was WIR in ihnen sehen: Ob die eiszeitlichen Höhlenbilder schamanischer Jagdzauber sind oder Ausdruck der Begeisterung junger Jäger für große Tiere und erigierte Penisse, wie neulich zu lesen war - wer möchte das entscheiden wollen?)

Mehr dann später noch dazu.

Ich freu mich drauf.
Schöne Grüße!
Hannes

zum Begriff ‚Religion‘ - continued
Hi hannes,

ein Artikel von mir zu derselben Frage, die SO vor genau drei Jahren hier gestellt wurde
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Danke für den Tipp!
Aber ich vermisse den Nachweis eines evolutionären Vorteils,
den jede Religion haben muss, da keine Gesellschaft ohne Religion nachweisbar ist.

Nun, diese Frage war ja auch nur ein winziger Anhang an deine Fragenliste :smile:

Grundsätzlich ist das eine, die unbedingt in die Kategorie Religionssoziologie einzuschubladen ist. Und die setzt wiederum einen Begriff „Religion“ voraus. In den Religionswissenschaften dagegen ist das (unter anderem natürlich nur) ein Kernproblem. Ich selbst gehe noch einen Schritt weiter: Die Begriffsbestimmung ist Aufgabe der Religionsphilosophie …

Zu der Frage nach „evolutionärem Vorteil“ ebenfalls nur meine persönliche Ansicht: Mir kräuseln sich die Fußnägel, wenn soziologischen Kontexten dieser völlig mißverstandene, sogar pervertierte biologische Begriff oktroyiert wird - wie es ja beim „Sozialdarwinismus“ eh bekannt ist. Es überlebt nämlich keineswegs in Biotopen oder Soziotopen nur der „fitteste“ Turnschuh, sondern es überleben IMMER die aufs Biotop irgendwie „passenden“ Turnschuhe („survival of the FIT“, nicht „of the fittest“).

Religionen als solche (so wie ich sie in die drei Kategorien definierte) gehören aber nicht zu den Eigenschaften einer Ethnie, die sie größer, schneller, schöner, reicher, potenter oder fetter machen.

Was zu der soziopolitschen Stärke einer Ethnie sehr wohl einen Beitrag leistet, sind ethische Normen in Form von (ein Teil davon) Gesetzen, sowie der Vorrat an nicht-formalisierten Sitten.

Es ist aber ein weitverbreiteter Irrtum, daß Religionen die Quelle oder gar der Urheber von Sitten, ethischen Normen und Gesetzen sind. Die archaischen Formen von R. geben lediglich (und das zeigt sich besonders in der Kategorie „Mythen und Ritualformen“ - siehe den o.g. Artikel) die rituelle Form, vorhandene Gesetze und Gebräuche zu legitimieren, ihnen Gültigkeit zu verschaffen. Darin liegt in der Geschichte vieler Religionen natürlich dann auch das politisch relevante Manipulationspotential.

Sitten haben ihre Legitimation in der Identifiztierung mit einem (mythischen) sogenannten „Archetypus“ alias „Präzedenzfall“. Dazu gehören Initiations-, Gründungs-, Ehe- und Inthronisations-Riten. Die je aktuelle Handlung bekommt ihre Legitimität durch die (magische bzw. mythische) Identifizierung mit dem Archetyp.

Wobei der Archetyp nicht historisch, sondern mythisch ist. Alle Realität liegt im Gedanken und nicht im Faktischen - in der gegebenen Bedeutung, nicht in der gefundenen. Das ist primär religiöses Denken. Es ist eine synthetische, nicht eine analytische Weltsicht.

Zu diesen Archetypen gehören Mytheme wie z.B. Zerstückelungen von primordialen Wesen (Tiamat, Purusha, Authumbla, Kronos …), zu denen oft auch die aktuell lebenden Totemtiere zählen(!), ferner Mytheme wie „Gott-Essen“ und „Gott-Töten“ (→ Penteus/Agaue, Adonis, Attis, Odin, Osiris …), woran man schon angedeutet sehen mag, daß diese Mytheme keineswegs von den Christen erfunden wurden :smile:

Hierzu sehr interessant:
Jan Kott: Gott-Essen. Interpretation griechischer Tragödien
ISBN 3492021085 Buch anschauen

Ferner die Hierogamie, die Götterhochzeit als kosmogonisches Modell, sowie die Varianten von Gärtnern, Töpfern, Jägern, Architekten oder Denkern … die als „Schöpfer“ für das Entstehen des Kosmos verantwortlich zeichnen.

Alles Dingen, die nur „erklären“ und dem aktuellen, gegenwärtigen Geschehen Existenz-Gewißheit und -Recht verleihen sollen. Staatstragende Gesetze brauchten ebenfalls Legitimation. Und die archaische Form dafür war eben, daß sie als von dem jeweils die Ethnie identifizierenden Gott gegeben erklärt wurden.

Wenn ichs recht überblicke, gehörten die Griechen zu den Ältesten bzw Ersten, bei denen für die Legitimation der Polis-Gesetze nicht mehr Götter als Zeugen angerufen oder sogar als Urheber erklärt wurden. Es gibt zudem die starke Vermutung, daß auch bei anderen Völkern in den Gesetzes-Gründungszeiten kein Mensch ernsthaft glaubte, daß die Gesetze vom Himmel fielen: Das so zu artikulieren war vielmehr ein anerkannter ritueller Akt und keine Kausalerklärung. Ebensowenig wie die Hoheitsbezeichnung asiatischer und vorderasiatischer Könige als „Sohn Gottes“.

Das macht aber keinerlei soziopolitschen oder gar „evolutionären“ Vorteil: Der in Diorit gehauene Codex Hammurapi konnte sich nicht selbst daran hindern, daß er letztlich im persischen Susa landete - er ist schlicht geklaut worden von einer militärischen Macht, die einen „evolutionären Vorteil“ hatte:wink: Aber der lag nicht in ihrer Religion: Zarathustra gab es damals noch nicht.

Und welchen „evolutionären Vorteil“ etwa hatte die israelitische Religion gegenüber Ägyptern, Assyrern, Babylonieren, Persern, Griechen bis zu den Römern? Und dabei ist diese Religion diejenige, die von allen bekannten die weitaus stärkste Konsolidierungspotenz einer Bevölkerung hatte.

Die andere Frage, wieweit Religionen den Nebeneffekt haben, machtpolitisch ausgenutzt zu werden, fällt hier natürlich irgendwo auch mit herein. Aber das ist weder eine Frage der generellen Grundstruktur von „Religion“ (siehe den o.g. Artikel) noch eine Frage ihrer Ursprünge.

Natürlich können wir mangels sprachlicher Zeugnisse die
religiösen Überzeugungen prähistorischer Völker nicht wirklich verstehen.

Wir können inzwischen sehr sehr vieles verstehen. Nein, die individuellen verbalen Explikationen kennen wir nicht. Aber die Signaturen der Relikte sind sehr oft eindeutig erkennbar:

  1. dadurch, daß die später „aktenkundig“ gewordenen schriftlichen Zeugnisse alle erstaunlich formale äquivalente Elemente enthalten, die auf Grundstrukturen folgerichtig mythischen Denkens verweisen (die man dann sogar explizieren kann, wie ich in einer Publikation einmal zeigte: http://www.praxis-dialog.de/texte/zeitbegriffe.pdf)

  2. dadurch, daß die Relikte eindeutige und ebenfalls universelle Topologie und Gestalt aufweisen: Die maltesischen Megalithtempel in Gestalt eines weiblichen Unterleibes, die mesopotamische Zikkurat, die eine eindeutige Signatur (auch belegt) des künstlichen Berges hat (bab-il-ani, Babylon, „Tor/Band zwischen Himmel und Erde“), die Ausrichtung nach Himmelrichtungen von Gräbern, die Abgrenzung heiliger gegen profane Gebiete, jahreszyklische Feste, Prozessionen und Altarumgänge … usw. usw. alles internationale, und daher erschließbar uralte religiöse Grundstrukturen.

So hat es z.B. nicht lange gedauert, daß man das 10000 Jahre alte Göbekli Tepe eindeutig als religiöse Kultstätte identifizierte. Aus einer Zeit, in der machtpolitisch bedeutsame Architekturen weit und breit noch nicht existierten.

Soweit ein paar Statements zum „evolutiven Vorteil“ :smile:

Grüße

Metapher

7 „Gefällt mir“

Hallo, Hannes

Grundsätzlich geht es bei den ‚Religionen‘ um den GLAUBEN an
als existent vorausgesetzte ‚überirdische‘, heilige, göttliche
Mächte, und dessen Lehre (Festlegungen, Dogmen) sowie seine
Ausübung.

Zur Ausübung gehört die Verehrung einer Gottheit oder mehrerer
Götter:

„religionis“ = gewissenhafte Verehrung der Götter, Sorgfalt,
fromme Scheu, Gottesfurcht

‚Religion‘ bezieht sich also auf unser Verhältnis zu einem
Gott oder zu mehreren Göttern.

Für die GEMEINSAME Verehrung von Gottheiten wurden
‚Religionsgemeinschaften‘ geschaffen, die im christlichen
Bereich ‚Kirche‘ genannt werden.

Eine religiöse ‚Rückverbindung‘ an eine göttliche Kraft ist
jedoch auch möglich, ohne, dass man einer
Religionsgemeinschaft angehört.

(Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, dtv-Verlag)

Gruss
Adam

Hallo Adam,
also, die Definition, das Religion die Verehrung einer höheren Macht bedeutet ist sehr stark vereinfacht. Das Beste Beispiel um dem zu widersprechen, ist der Buddhismus.

Eine gute, allgemein gültige Definition von Religion, kann ich auch nicht nennen, weil es bisher keine gibt. (Es heit auch immer wieder, eins der größten Probleme der RWi sei, das sie ihren Vorschungsgegenstand nicht definieren könne)
LG Backs

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Anders gefragt: Wie ist „Religion“ zu definieren?

Hallo Hannes,
eine ‚Definitionshoheit‘ und somit eine allgemein verbindliche Definition des Begriffes Religion gibt es nicht. Welche Definition nun die angemessene / sinnvolle ist, hängt letzlich davon ab, welchen speziellen Aspekt des Phänomens ‚Religion‘ man untersuchen möchte. Bei Deinem Anliegen - wenn ich es recht verstehe - wäre eine religionssoziologische Definition ein guter Ausgangspunkt, etwa die von Emile Durkheim:

Eine Religion ist ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d.h. abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören. […] wenn man zeigt, dass die Idee der Religion von der Idee der Kirche nicht zu trennen ist, dann kann man ahnen, dass die Religion eine im wesentlichen kollektive Angelegenheit ist.

Dass auch ein völlig anderer Zugang zum Begriff Religion möglich ist, zeigt hingegen etwa dieses Zitat Keiji Nishitanis:

Erstens: Religion ist stets etwas, das jeden Einzelnen persönlich angeht. Darin ist sie anders als die Kultur. Kultur betrifft zwar jeden einzelnen, aber nicht jeder einzelne muß sie auch zu seinem persönlichen Anliegen machen. Was Religion ist, läßt sich demnach nicht von außen verstehen. Das heißt: Allein das religiöse Bedürfnis ist der Schlüssel zum Verständnis dessen, was Religion ist. Einen anderen Weg gibt es nicht. Hinsichtlich der Frage nach dem Wesen der Religion ist dies der wichtigste Punkt. Zweitens: Wenn vom Wesen der Religion die Rede ist, so befindet sich die Frage: „Welchen Zweck hat Religion für uns?“ bereits als Frage im Irrtum. Aus ihr spricht eine Haltung, welche Religion ohne religiöses Bedürfnis zu verstehen sucht. Diese Frage wird daher von einer anderen Frage durchbrochen, die aus dem Fragenden selbst kommen muß. Einen anderen richtigen Weg zum Verständnis dessen, was Religion ist oder welchem Zweck sie dient, gibt es nicht. Die Frage, welche die erste Frage durchbricht, ist die Gegenfrage: „Wozu existieren wir?“ Hinsichtlich alles anderen können wir fragen, welchen Sinn seine Existenz für uns habe. An die Religion lässt sich diese Frage jedoch nicht richten. In Hinblick auf alle anderen Dinge können wir uns selbst (oder die Menschheit) zum telos ihrer Beziehung zu uns machen und demgemäß ihren Wert für unser Leben und unsere Existenz bestimmen. Wir können uns (oder die Menschheit) zum Mittelpunkt machen und uns ausrechnen, welche Bedeutung ihnen als Inhalte in unserem Leben (oder im Leben der Menschheit) zukommt. Wenn diese Daseins- und Denkweise, in der wir uns zum telos aller anderen Dinge machen, erschüttert wird und die dieser Haltung entgegengesetzte Frage auftaucht: „Wozu existieren wir selbst denn?“, dann tut sich erst der eigentliche Ort auf, von dem aus Religion in Sicht kommt.

Keine dieser Definitionen (es sind natürlich noch mehr nicht nur denkbar, sondern auch existent) ist nun ‚richtiger‘ oder ‚zutreffender‘ als die andere. Die Frage ist lediglich, welche zweckmäßiger für Dein spezielles Anliegen ist. Wenn Du Dir Dein Untersuchungsgebiet abgrenzst (was natürlich voraussetzt, dass man sich zunächst einen Überblick über diese Grenzen hinaus verschafft hat), dann ergibt sich mehr oder weniger zwangsläufig eine Definition von Religion im Sinne Deiner Untersuchung.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Hannes,

Oder frägt man von der Evolution her? Etwa so: Welche Vorteile
brachte das, was wir als Religion bezeichnen (und wegen
welcher Merkmale bezeichnen wir das so?) für die Entwicklung?

Das kann man durchaus machen. Scott Atran verfolgt diesen Ansatz, indem er sagt, dass der Glauben im Bewusstsein der Menschen verankert sei und Ihnen einen evolutionären Vorteil verschaffe. Nur so ließe sich erklären, warum Menschen an einer Religion festhielten, da der Glaube ja auch wertvolle Ressourcen fordere. Dennoch ist Atran der Meinung, dass Glaubensgemeinschaften traditionell bessere Überlebenschancen hatten.
Buch: In gods we trust: the evolutionary landscape of religion, 2002.
LG Backs

Hallo Hannes,

sofern das Präfix ´Re´ auf eine HANDLUNG hindeutet und die Silbe ´ligion´ eine unbestimmte jedoch verlässlich feste GRÖßE bezeichnet, dürfte Religion BEKENNERISCHES HANDWERKSZEUG sein, das u.a. dazu dienen soll, das allgemein vorherrschende Grundbedürfnis zu stillen, ´Glaubensfragen´ in persönlicher und gesellschaftlicher Sicht beantworten zu können.

Ich empfehle, sich damit nur soweit zu beladen wie unbedingt nötig.

Gruß
guvo

Sozialdarwinismus
Hi, Backs,

Scott Atran verfolgt diesen Ansatz, indem er sagt, dass der Glauben im Bewusstsein der Menschen verankert sei und Ihnen einen evolutionären Vorteil verschaffe.

Dann bin ich mit meiner Bemerkung über den biologistischen Falsch- und Mißbrauch des Evolutionsbegriffs unten ja an der rechten Adresse, wenn du dich auf Atran beziehst:

http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Nur so ließe sich erklären, warum Menschen an einer Religion festhielten, da der Glaube ja auch wertvolle Ressourcen fordere.

So und soähnlich wird es immer weiter nachgeredet. Ich möchte mal EINE Abhandlung sehen, in der konkret - und mit wirklichem Wissen über Religionen der gesamten historischen Zeitspanne - ein einziges Detail benannt und bewiesen wird, daß irgendeinen „Vorteil“ von etwas, das mit „Religion“ zu tun hat, im Vergleich zu irgendetwas anderem bringt, bnzw. je gebracht hat.

Glaubensgemeinschaften traditionell bessere Überlebenschancen hatten.

Ja. Möchte ich mal ich mal bewiesen sehen. Die gesamte Religionssoziologie hat noch keinen Beweis eines einzigen Beispiels dieses blühenden phantastischen Hohlformel gebracht.

Gruß

Metapher

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Gottheiten erwiesen Buddha die Ehre …

Hallo

also, die Definition, das Religion die Verehrung einer höheren
Macht bedeutet ist sehr stark vereinfacht. Das Beste Beispiel
um dem zu widersprechen, ist der Buddhismus.

„…
Buddhismus ist sicher nicht atheistisch in dem Sinne, daß er übermenschliche
Wesen mit extrem langer Lebensdauer und einem Leben in großer Glückseligkeit
leugnet. Ganz im Gegenteil, die Existenz solcher Götter ist für den Buddhismus
eine Selbstverständlichkeit. Für die buddhistische Überlieferung ist wichtig,
daß übermenschliche Wesen - Gottheiten - dem Buddha Ehre erwiesen und so Buddhas
Hervorragendheit und Einzigartigkeit zeigten.
…“

http://www.payer.de/einzel/buddhath.htm

Wenn du dieser Auffassung nicht zustimmen kannst, solltest du den Buddhismus
nicht als ‚Religion‘ bezeichnen, sondern als ‚Philosophie‘.

Gruss
Adam

Moin,

Buddhismus ist sicher nicht atheistisch in dem Sinne, daß er
übermenschliche
Wesen mit extrem langer Lebensdauer und einem Leben in großer
Glückseligkeit
leugnet.

Warum sollte der Buddhismus auch Glaubensinhalte anderer Religionen, die weder er noch diese selbst belegen oder wiederlegen können leugnen?

Ganz im Gegenteil, die Existenz solcher Götter ist
für den Buddhismus
eine Selbstverständlichkeit.

Ich würde eher sagen, dass der Buddhismus in einem Umfeld entstanden ist, in dem die Existenz solcher Götter eine Selbstverständlichkeit war, aber dies:

Für die buddhistische
Überlieferung ist wichtig,
daß übermenschliche Wesen - Gottheiten - dem Buddha Ehre
erwiesen und so Buddhas
Hervorragendheit und Einzigartigkeit zeigten.

Mag Teil der Mythologie, die um den Buddhismus herum entstanden ist, sein, ist aber für die buddhistische Lehre völlig irrelevant.

Wenn du dieser Auffassung nicht zustimmen kannst, solltest du
den Buddhismus
nicht als ‚Religion‘ bezeichnen, sondern als ‚Philosophie‘.

Der Buddhismus hat sowohl eine religiöse, als auch eine philosophische Komponente. Weder macht es Sinn, eine der beiden Komponenten zu leugnen, noch sie durcheinanderzuwerfen, garniert womöglich noch mit volkstümlicher Mythologie, die mit der buddhistischen Lehre gar nichts zutun hat, sondern allenfalls mit den kulturellen Gegebenheiten der Menschen zu der Zeit, wo diese Mythologien entstanden sind.

Gruß
Marion

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sofern das Präfix ´Re´ auf eine HANDLUNG hindeutet und
die Silbe ´ligion´ eine unbestimmte jedoch verlässlich feste
GRÖßE bezeichnet, dürfte Religion BEKENNERISCHES
HANDWERKSZEUG
sein, das u.a. dazu dienen soll, das
allgemein vorherrschende Grundbedürfnis zu stillen,
´Glaubensfragen´ in persönlicher und gesellschaftlicher Sicht
beantworten zu können.

Ach ja, danke!
Aber die Sache mir re-ligio von religare, als Rück-bindung von zurück-binden ist alt und hilft nicht viel weiter.
Präzisierung meiner Frage:
Ist Religion NUR in der jeweiligen Gesellschaft entstanden?
Oder: Gibt es eine in der Natur (wohl nicht: in den Genen) liegende Disposition, Religion zu entwickeln und damit einen VOR der konkreten Entwicklung von Religion bereits vorhandenen „Begriff“ von Religion?
Oder:
Haben sich Biologie und Kulturwissenschaft soweit geeinigt, dass diese Alternativen sich nicht (mehr) ausschließen?

Ich empfehle, sich damit nur soweit zu beladen wie unbedingt
nötig.

Du siehst, es geht mir nicht um meine Religiosität, sondern um ein Problem der Religionswissenschaft.
Schöne Grüße!
Hannes

Hallo Metapher,

Dann bin ich mit meiner Bemerkung über den biologistischen
Falsch- und Mißbrauch des Evolutionsbegriffs unten ja an der
rechten Adresse, wenn du dich auf Atran beziehst:

Nun, das ich mich auf Atran beziehe würde ich nicht sagen. Ich habe lediglich angemerkt, das er sich dem Thema Religion „evolutionistisch“ nähert und kurz seinen Standpunkt wiedergegeben.

So und so ähnlich wird es immer weiter nachgeredet. Ich möchte
mal EINE Abhandlung sehen, in der konkret - und mit wirklichem
Wissen über Religionen der gesamten historischen Zeitspanne -
ein einziges Detail benannt und bewiesen wird, daß irgendeinen
„Vorteil“ von etwas, das mit „Religion“ zu tun hat, im
Vergleich zu irgendetwas anderem bringt, bzw. je gebracht
hat.

Ich bin ebenso wie du recht kritisch, was die Versuche Religion mit „Evolution“ angeht zu erklären. Aber da der Fragesteller genau dies fragte, habe ich ihm einen Autor genannt, der das tut. So kann er (wenn er möchte) das Buch lesen, oder entsprechende Texte von Atran suchen und sich ein eigenes Bild machen.

LG Backs

Ich bin ebenso wie du recht kritisch, was die Versuche
Religion mit „Evolution“ angeht zu erklären.

Das freut mich, zu hören …

So kann er (wenn er möchte) das Buch lesen, oder entsprechende Texte
von Atran suchen und sich ein eigenes Bild machen.

völlig d’accord

Gruß

Metapher

Aber die Sache mir re-ligio von religare, als Rück-bindung von
zurück-binden ist alt und hilft nicht viel weiter.

Das ist aber das Ende an dem ich versuche, Stufen zu schlagen.

Präzisierung meiner Frage:
Haben sich Biologie und Kulturwissenschaft soweit geeinigt,
dass diese Alternativen

(Natur/Gesellschaft?)

sich nicht (mehr) ausschließen?

Bei Religion verbinden die meisten Menschen Ihre Vorstellung mit Gott oder Göttern oder menschgewordenen Absolutisten oder gar Totalitaristen. Interessant ist ferner, dass die Nachkommengenerationen zum Teil sich geradezu diametral zu der in den jeweiligen Familien vorherrschenden Religiosität entwickeln. Interessant ist auch, dass Menschen in für Sie ´überraschend ausweglosen´ Krisen nur nach Mutter, Vater oder einer sonstigen geliebten Person rufen, nur nicht nach Gott.
Jedenfalls: EMPFÄNGLICHKEIT und ZWEISAMKEIT sind unabdingbare Voraussetzung für Religiosiät. Wohlmöglich von ´bewusster´ Einigung zwischen Natur und Kultur zu reden, erscheint mir ´unwahrscheinlich´. Religiosität ist ohne dem einen oder ohne dem anderen ´unmöglich´ weil schlicht ´undenkbar´. Würde auch bar jeder ´Sinnhaftigkeit´ sein. Ob Religion, was behauptet wird, zumindest einem ´höheren´ Zweck dient, erscheint mir für völlig ´abwegig´. Das würde doch geschrieben stehen, wird behauptet. Mag sein, aber das klingt zu simpel, zu vermenschelnd. Diesen Behauptungen und Textquellen noch weiter nachzugehen, hieße zudem, nur noch fanatisch zu werden. Hab ich Gott sei Dank (!) nicht nötig.

Du siehst, es geht mir nicht um meine Religiosität, sondern um
ein Problem der Religionswissenschaft.

  1. Satzteil verstanden, 2 Satzteil kleines Fragezeichen.

Danke auch und schönen Gruß
guvo

religiöse Grundstrukturen
Hi Ralf,

eine ‚Definitionshoheit‘ und somit eine allgemein verbindliche
Definition des Begriffes Religion gibt es nicht.

Selbstverständlich nicht. Aber (wie ich in dem unten zitierten Artikel schon schrieb), gibt es eine Minimaldefinition, die sich längst als sine qua non bewährt hat.

wäre eine religionssoziologische Definition ein guter Ausgangspunkt

Wenn diese (R-Soziologie) sich, wie es korrekt wäre, als Unterabteilung der Religionswissenschaften versteht, muß sie vielmehr eine Definition voraussetzen, um überhaupt einen Objektbereich zu haben. Und diese ist halt mindestens die o.g.

etwa die von Emile Durkheim:

Eine Religion ist ein solidarisches System von
Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d.h.
abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen

Andernorts hat Dürkheim gottseidank weniger Unsinniges geschrieben: Das Differenzieren (und infolge die praktische, also rituelle 1. räumliche, 2. zeitliche, 3. dingliche, 4. sprachliche, 5. personale Separation) des Heiligen (Fanen) gegen das Pro-Fane (= die soziale und psychophysische Realtiät) ist vielmehr gerade die Voraussetzung dafür, daß man den Gegenstandsbereich als „religiöses Phänomen“ bezeichnen kann. Das ist die

topologische Differenz. Das nächste ist dann die
psychologische Differenz: fascinosum - tremendum (alias die Euphorie und der Schrecken) und die dritte Stufe ist die
rituelle Differenz: Die Hierophanie und die Kakophanie.

Darauf basieren alle weiteren Phänomene, die man daher im weitesten Sinne als religiöse bezeichnen kann (und das auch tut).

Die R-Soziologie kann so nur betrachten, WIE diese Grundstrukturen, die selbst nicht ihr Gegenstand sind, sich in die sozialen Formen hineinspielen. Sie betrachtet also lediglich ein Epiphänomen - das sie zwar für ihre Zwecke eingrenzen, aber nicht definieren kann.

Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören.
wenn man zeigt, dass die Idee der Religion von der Idee der
Kirche nicht zu trennen ist, dann kann man …

… nur sagen, daß „man“ einem horriblen Irrtum unterliegt. Insbesondere, wenn man den einzigen Kontext berücksichtigt, in dem eine „kyriake“ tatsächlich zum Begriff geworden ist. In archaischen Religionen und den (leider immer noch oft so bezeichneten) „primitiven“ Religionen spielen „Kirchen“ keine Rolle. Und in anderen auch nur in irgendeinem metaphorischen Sinne.

Dass auch ein völlig anderer Zugang zum Begriff Religion
möglich ist, zeigt hingegen etwa dieses Zitat Keiji Nishitanis:

Erstens: Religion ist stets etwas, das jeden Einzelnen
persönlich angeht. […]

Nun ja, dem Schellingianer (naja …) und Bergsonianer Nishitani mag man es verzeihen, daß er diesen Aspekt im Phänomen Religion so in den Vordergrund stellt, der sich allein auf sehr hoch entwickelte Religionen bezieht. Er wiederholt darin einen Topos, den vor ca. 50 Jahren Paul Tillich in die religionsphilosophische Debatte eingebracht hat. Er ist trefflich - aber nur unter völligem Ignorieren einer Unzahl von Religionen, in denen auch das kein Aspekt ist. Er hätte von seiner Heimat aus nur mal 2-3 Tausend Kilometer nach Nordwesten zu schauen brauchen.

Wenn Du Dir Dein Untersuchungsgebiet abgrenzst (was natürlich voraussetzt,
dass man sich zunächst einen Überblick über diese Grenzen
hinaus verschafft hat), dann ergibt sich mehr oder weniger
zwangsläufig eine Definition von Religion im Sinne Deiner
Untersuchung
.

Dem stimme ich im Prinzip zu. Man muß nur vermeiden, Zirkeldefinitionen auf den Leim zu gehen.

Gruß

Metapher

2 „Gefällt mir“

Hi again,

Gibt es eine in der Natur (wohl nicht: in den Genen)
liegende Disposition, Religion zu entwickeln und damit einen
VOR der konkreten Entwicklung von Religion bereits vorhandenen „Begriff“ von Religion?

Ganz eindeutig: nein. Aber das hab ich dir in dem unten stehenden Artikel („continued“) auch begründet.

Gruß

Metapher