seit einer vergangenen Diskussion über das Mit- und Nebeneinander der Religionen geistert mir eine Frage im Kopf herum. Ich hoffe, es gelingt mir, sie so auszudrücken, dass sich keiner beleidigt fühlt:
Es gibt diverse Konventionen an die man sich hält, wenn man bei anderen Religionen zu Gast ist. In der Synagoge bedeckt sich der Mann den Kopf. In der Moschee zieht man die Schuhe aus, im christlichen Gottesdienst erhebt man sich zu bestimmten Stellen.
Ich möchte das am jüdischen Beispiel vielleicht etwas verdeutlichen. Wenn man den jüdischen Friedhof etwa zu einer Besichtigung besucht, dann ist man dazu aufgefordert, den Kopf mit einer Kippa oder einen Hut zu bedecken. Ich habe damit kein Problem, ich tue gerne das, worum mich die gastgebende Religion bittet. Auch, wenn das religiöse Gebot, das dieses fordert, mir nichts bedeutet.
Aber wenn meine Handlungsweise keinen religiösen Hintergrund hat, was mir klar ist, ebenso wie den gastgebenden Juden, heißt das nicht, dass ich dann irgendwie Jude spiele? Tue ich nicht nur äußerlich so, als ob ich dazugehören würde? Wieviel bedeutet es der gastgebenden Religion, dass die Gäste den eigenen Gepflogenheiten folgen?
Wäre es nicht ehrlicher, natürlicher, auf eine solche Anpassung zu verzichten?
Gerne. Aber mache ich mich nicht dann nicht eine ähnliche
Figur, wie schuhplattelnde Japaner auf dem Oktoberfest?
Alles mit Maß (DAS Maß, nicht DIE Maß …)!
Schuhplatteln dünkt mich für Japaner fakultativ, aber das Bier in den
Schlund und sonst nirgendwohin schütten – soweit darf die Anpassung
aus Höflichkeit schon gehen.
Dementsprechend: Eine Kippa aufsetzen würde mich ein Lächeln kosten,
in jüdischer Manier zu beten würde mich ziemlich überfordern.
Gibt es nicht ein Gefühl, das einem von Situation zu Situation spüren
lässt, was angebracht und maßvoll ist?
Hallo.
Ich denke es geht darum Irritationen, Störungen zu vermeiden, nicht darum ein Bekenntnis vorzutäuschen.
Die Besucher einer Synagoge haben bestimmte Erwartungen zum angemessenen Verhalten und Bekleidung der Besucher; weicht jemand davon ab, erweckt das im besten Fall Aufmerksamkeit, vielleicht Verwunderung und wenn es schief geht könnte eine Provokation vermutet werden und Ärger erzeugen.
Die die dich in die Synangoge begleiten wissen ja Bescheid, aber vielleicht gibt es ja auch unbeteiligte, die sich dann in ihrer ungestörten Religionsausübung gestört sehen.
Das wird durch die äußerliche Anpassung vermieden.
Außerdem gibt es in manchen Religionen noch so etwas wie ein Empfinden von Heiligkeit, dass bestimmte äußere Formen des Respektes verlangt. diese nicht zu zeigen ist dann eine provozierende Respektlosigkeit.
Mal an einem weltlichen Beispiel: Die englische Königin ignoriert man nicht oder ruft ihr ein lockeres „Moin“ zu, wenn man ihr begegnet, selbst wenn sie einem als Deutschem nichts bedeutet. Als Repräsentanten des britischen Staates „schuldet“ man ihr gewisse respektvolle Umgangsformen.
Ich denke, es hat nichts mit „spielen“ zu tun, sich z.B. auf einem jüdischen Friedhof eine Kippa aufzusetzen, sondern es geht ganz einfach darum, dass man den nötigen Respekt zollt. Für mich basiert das eigentlich nur darauf.
Mit Respekt zeige ich dem anderen: „Schau, ich akzeptiere Deine Art / Religion und ordne mich den für Dich wichtigen Werten ebenfalls unter“. Das gilt natürlich nur in gewissen Kontexten: wie eben auf dem jüdischen Friedhof, einer Moschee, gewissen Ländern etc. Ansonsten müssten wir ja andauernd mit Taschen voller Kippas, Schleier etc. herumlaufen um diese dann im Notfall sofort aufsetzen zu können. Dann wäre es ein „spielen“.
Hier kommen wir auch zum Punkt, inwieweit das Zeigen von Respekt auch übertrieben werden kann: ich kann mir auf dem jüdischen Friedhof die Kippa aufsetzen und dann übertrieben versuchen „jüdisch“ zu sein bzw. zu spielen oder in einer Mosche übertrieben gläubig zu wirken. Das allerdings ist eher eine Affront und wirkt sehr unfreundlich. Ich habe z.B. schon nur Mühe damit, wenn Touristen das Gefühl haben, mir dauernd ein „Grützi, Grützi“ in einem ganz besonderen Unterton nachwerfen zu müssen, obwohl sie sonst kein Wort Schweizderdeutsch sprechen. Das ist jetzt ein sehr harmloses Beispiel, aber da fängt es an mit dem „spielen“. Ich fühle mich dann, als ob sich jemand lustig über mich macht. Schliesslich sagen wir nicht „Grützi“ sondern „Grüetzi“ (üe = Diphtong). Das ist dann nicht mehr respektvoll sondern eher respektlos (oder es wird zumindest so aufgefasst, was dann schlussendlich aufs Gleiche herauskommt).
Respektlos andererseits empfinde ich auch Leute, die sich z.B. ein ein muslimisches Land begeben und sich nicht den dortigen Gepflogenheiten wie z.B. der Kleiderordnung anpassen. Ich sah sehr oft europäische Frauen, die in Shorts und Trägershirt ihre Reise durch Jordanien absolvierten… Wer sich da verteidigt „er wolle den Leuten nichts vorspielen“ versteckt sich meiner Meinung nach nur hinter einer sehr fadenscheinigen Ausrede. Genauso ist es mit dem jüdischen Friedhof. Ist man nicht bereit sich den da herrschenden Regeln anzupassen, geht man eben einfach nicht dahin. Meist geht es ja nur um eine bestimmte Zeit, in der man sein Äusseres und evtl. sein Auftreten etwas ändern muss - und ich denke, dass das wohl keinem einen Zacken in der Krone abbricht. Im Gegenteil, das animiert m.E. eher noch dazu, sich mit der eigenen und dieser fremden Identität etwas näher auseinander zu setzen.
Natürlich sollte „When in Rome, do as the Romans do“ gelten, doch irgendwie gefällt mir „leben und leben lassen“ doch besser - denn neben dem Respekt darf es eben auch nie an Akzeptanz fehlen… von beiden Seiten aus.
Gerne. Aber mache ich mich nicht dann nicht eine ähnliche
Figur, wie schuhplattelnde Japaner auf dem Oktoberfest?
Lieber Gernot,
kann ich nichts sagen, weil ich weder Oktoberfeste noch Schuhplattler schätze und Japaner eigentlich nur aus Düsseldorf kenne.
Aber das Wesentliche - ich hatte mich Zeitmangels wegen auf den einen kurzen Satz beschränken müssen - haben Semiramis und Werner geschrieben.
Dem pflichte ich uneingeschränkt bei, vor allem dem, was Werner über das Gespür für Heiligekit geschrieben hat.
Meist geht es ja nur um eine
bestimmte Zeit, in der man sein Äusseres und evtl. sein
Auftreten etwas ändern muss - und ich denke, dass das wohl
keinem einen Zacken in der Krone abbricht.
Und wenn doch - und das möchte ich in meinem Fall nicht für jede Handlung ausschließen - dann MUSS man ja nicht diese besonderen Orte besuchen. So würde ich es jedenfalls halten, wenn ich mich einer tatsächlich „unakzeptablen“ Forderung gegenüber sehen würde.
Und wenn doch - und das möchte ich in meinem Fall nicht für
jede Handlung ausschließen - dann MUSS man ja nicht diese
besonderen Orte besuchen. So würde ich es jedenfalls halten,
wenn ich mich einer tatsächlich „unakzeptablen“ Forderung
gegenüber sehen würde.
vgl. in meinem Post:
Ist man nicht bereit sich den da herrschenden Regeln anzupassen,
geht man eben einfach nicht dahin.
Ich bin da völlig Deiner Meinung. Heutzutage gibt es genug Möglichkeiten sich besondere Orte z.B. anzuschauen - über praktisch alles gibt es Dokus im Fernsehen, Artikel in Zeitungen, Fotos…
Hallo, Hardey,
ich werde mich, sollte ich eine katholische Kirche zur Zeit des Gottesdienstes besuchen, zwar nicht den liturgischen Leibesübungen unterziehen, werde mich aber im Hintergrund stehend möglichst unsichtbar machen. Auch ich werde dort nicht mit Stachelbeerbeinen in Shorts wild fotografierend durch die Gegend rennen.
Ich werde selbstverständlich dort, wo es üblich ist, den Kopf bedecken (Synagoge) oder entblößen (Kirche) oder die Schuhe ausziehen (Moschee).
Schließlich erwarte ich auch von Gästen, dass sich sich in meinem Haus nach meinen Regeln aufführen.
Es ist also nicht eine Frage des „Anbiederns“ sondern eine Sache des Taktes und der Umgangsformen.
Guten Tag, Eckard,
Du bringst die etwas unersprießliche Diskussion auf den Punkt:
Schließlich erwarte ich auch von Gästen, dass sie sich in
meinem Haus nach meinen Regeln aufführen.
Es ist also nicht eine Frage des „Anbiederns“ sondern eine
Sache des Taktes und der Umgangsformen.
Wenn ich an irgendetwas teilnehmen will und man erwartet von mir dort bestimmte Förmlichkeiten - dann entscheide doch ich selbst, ob ich ihnen nachkommen will oder nicht, ganz egal ob es sich um religiöse oder sonstige Regeln handelt.
Auch im Sommer gehe ich nicht in Badehose zu einer privaten Einladung zum Abendessen.
:Wenn ich an irgendetwas teilnehmen will und man erwartet von
mir dort bestimmte Förmlichkeiten - dann entscheide doch ich
selbst, ob ich ihnen nachkommen will oder nicht, ganz egal ob
es sich um religiöse oder sonstige Regeln handelt.
Stimmt. Und wenn Du den Erwartungen nicht nachkommst, dann mußt Du damit rechnen, schief angesehen zu werden und als absoluter unhöflicher Banause zu gelten - und wirst nie wieder eingeladen.
Das ist dann halt so - natürlich kann man die üblichen Konventionen mißachten. Nur muß man dann auch mit den entsprechenden Folgen leben können.
Im Übrigen drück ein entsprechendes Auftreten ja auch respekt aus gegenüber dem Einladenden - oder ebend das Fehlen desselben.
Und ich respektiere nun einmal den Glauben anderer Menschen, auch wenn ich ihn nicht teile. Abe3r die Achtung vor den Gläubigen als eigenständige Persönlichkeiten gebietet mir, sie bei Ausübung ihres Glaubens nicht zu beleidigen.
Europäer spielen?
Was bedeutet es dem Gastgeber, wenn der Gast darauf verzichtet, auf den Boden zu spucken und bei Tisch zu rülpsen; wenn er weder den Hund grillt, noch die Dame des Hauses sexuell betastet und saubere Kleider statt einer Lehmbemalung trägt - obwohl solches in seinem Kulturkreis üblich wäre?
Der „Wilde“ hat sich informiert und erkennt die Gebräuche des Gastgebers an. Wahrscheinlich kommt er in friedlicher Absicht.
den Kopf mit einer Kippa oder einen Hut zu bedecken.
heißt das nicht, dass ich dann irgendwie Jude spiele?
Vorausschickend merke ich einmal an, daß in sämtlichen Besichtigungsanlässen dieser Art (zb. Westmauer in Jerusalem) Papierkipot an alle ausgegeben werden, die keine Kopfbedeckung dabei haben. Dabei ist es völlig egal, ob derjenige Jude ist oder nicht.
Im allgemeinen wird es nicht als unpassend empfunden, wenn ein nichtjüdischer Gast bei so einem Anlaß eine Kipa aufsetzt, die man ihm anbietet. Nicht zuletzt deswegen, da Kipot zur Verfügung stehen und andere Hüte eher nicht.
Von „Spielen“ ist da keine Rede.
Wenn dir das trotzdem unangenehm ist, dann setze doch einfach eine Baseballkappe auf. Erfüllt denselben Zweck, ohne ein jüdisches Symbol zu sein. Eine Papierserviette mit Knoten darin geht auch. Sieht wahrscheinlich dann aber „jüdischer“ aus als eine nigelnagelneue Kipa mit der Aufschrift HOLY LAND ISRAEL ARMY.
Natürlich gibt es Leute, die mit jüdischen Symbolen herumlaufen, ohne Juden zu sein, sei es Kipa oder Davidstern. Aber darum ging es doch nicht, sondern um bestimmte Anlässe.
Natürlich gibt es Leute, die mit jüdischen Symbolen
herumlaufen, ohne Juden zu sein, sei es Kipa oder Davidstern.
Aber darum ging es doch nicht, sondern um bestimmte Anlässe.
Gruß
d.
Ist es denn verwerflich, mit einem Davidstern herumzulaufen, ohne Jude zu sein?
Ist es denn verwerflich, mit einem Davidstern herumzulaufen,
ohne Jude zu sein?
Verwerflich? Aber nein. Aber ich frage mich aber schon, wieso das jemand tut. Welchen Zweck das hat. Will man damit etwas zeigen? Einen Schein erwecken? Provozieren? Viele Israelis, die ich kenne, würden auf Urlaub in Europa nicht offen damit rumlaufen (als Juden wohlgemerkt).
Aber ich frage mich aber schon, wieso
das jemand tut. Welchen Zweck das hat.
Hallo, Datafox,
vermutlich meist einfach weil das Teil hübsch ist.
Ich habe z.B. mal in Jaffa einem Händler eine Brosche aus Perlmutt abgekauft. Dass die Einlegearbeit ein Mogn David zeigte, war mir zwar bewußt, aber für mich nicht weiter relevant.
Als Mitbringsel schenkte ich es meiner Frau, die es oft und gern trug. ein kleines hübsches Accessoire, für sie einfach nur hübsch ohne jeden religiösen Hintergrund.
Gruß
Eckard
Ich halte es wie Eckhard- es ist einfach hübsch. Vor Jahren in Prag habe ich mir einen Ring mit Davidstern gekauft, weil er hübsch war und ich das Symbol an sich einfach mag. Aber wollte ich damit was ausdrücken? Evtl, dass ich nichts gegen Juden habe, aber das sollte eigentlich der Normalfall sein… oO
lg
Kate
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