Sonnenwende - lang und offtopic
Hallo Anja,
ich bin von Beruf Vermesser und in meinem Beruf ist es eine Binsenweisheit, dass es so etwas wie ‚exakt‘ nicht gibt. Ich bin daher immer etwas amüsiert wenn ich z.B. lese, mit dem Observatorium Stonehenge hätte man ‚genau‘ oder ‚exakt‘ den Zeitpunkt der Sonnenwenden bestimmen können - aber dabei wohlweislich verschweigt (oder sich einfach nicht dafür interessiert), WIE exakt das Ergebnis bei einem solchen Messinstrument denn überhaupt sein konnte. Bei den fabelhaften Kelten und Germanen ist das nicht viel anders.
Mit einiger Genauigkeit ist der Zeitpunkt der Sonnenwende bestimmbar:
a) über die Länge des Tages. Dies erfordert natürlich eine hinreichend genaue Zeitmessung - von der Schwierigkeit, den genauen Zeitpunkt des Sonnenaufganges oder -unterganges zu bestimmen (es gibt da das sog. Zwielicht in verschiedenen Abstufungen - astronomisch, nautisch, civil) einmal ganz zu schweigen. Also, da wo ich wohne - in Worms am Rhein - ist dieses Jahr der 25.12 gerade einmal 60 Sekunden länger als der 21.12. Das konnte man damals vielleicht am Museion in Alexandria mit der von Ktesibios verbesserten Klepshydra messen, aber nicht im technisch unterentwickelten Mitteleuropa.
b) über die maximale Sonnendeklination. Die hätte man damals - wenn man es denn von den Griechen gelernt hätte (diesbezügliche archäologische Nachweise fehlen) - mit einem Gnomon messen können. Die Veränderung der Deklination ist allerdings in den Tagen um die Sonnenwende so geringfügig, dass die sonst eher wenig schludrigen Römer nicht von einer ‚Sonnenwende‘ sprachen, sondern von einem ‚Sonnenstillstand‘ (solstitium) - der einen Zeitraum von einigen Tagen umfasste. Die Deklination beträgt dieses Jahr am 21.12. in etwa - 23,44 grad, am 25.12. dagegen - 23,41 grad. Um da mit einem Gnomon zu messen, an welchem Tag der Schattenwurf des Gnomon eine exakte Gerade statt einer kaum merklich gekrümmten Hyperbel beschreibt, hätte dieses so lang (und btw. ziemlich exakt senkrecht ausgerichtet) sein müssen, dass lediglich bei völliger Windstille und einer entsprechend großen und ausreichend planen Projektionsfläche eine halbwegs exakte Bestimmung des Schattenwurfs möglich gewesen wäre. Nicht nur Windstille wäre vonnöten gewesen, sondern überdies auch einige Tage wolkenloser Himmel. Beides ist in unseren Breiten in der fraglichen Jahreszeit bekanntlich nicht allzu häufig.
c) über den Punkt des südlichsten Sonnenaufganges. Dies scheint noch die erfolgversprechendste (weil einfachste) Methode, sie wurde auch schon von den Erbauern von Stonehenge, Newgrange und anderen neolithischen Observatorien angewandt. Nehmen wir wieder die oben genannten Kalenderdaten (21. und 25.12.) und den Ort Worms. Wir haben dann einen Stundenwinkel von - 60,9781 grad gegenüber einem von - 61,4754 grad. Nun könnte man mit einem entsprechend groß dimensionierten Observatorium (langer Peilstrecke) einen Winkel von einem halben grad theoretisch messen - wenn man nicht gerade einen ganzen Megalithen zum Peilen benutzt und sehr gute Augen hat. Allerdings müssten auch Temperatur und Luftdruck zu den Messzeiten identisch sein, was sie praktisch so gut wie nie sind - Präzisonsbeobachtungen sind in Horizontnähe auf Grund der schwankenden Refraktion ohnehin praktisch unmöglich. Da ist das Problem, die Sonnenmitte mit einer Genauigkeit von deutlich besser als einem halben Grad anzupeilen, schon fast zu vernachlässigen.
Ziehen wir jetzt noch in Betracht (ohne näher auf die astronomischen Ursachen einzugehen), dass das Datum der Wintersonnenwende schwankt - nämlich zwischen 20. und 23. Dezember. Da ist es verständlich, dass bei unzureichend genauen Messmethoden der Eintritt der neuen Jahreszeit erst mit einer gewissen Verspätung feststellbar war. So wurde ja früher auch die Sommersonnenwende in der Johannisnacht mit einer vergleichbaren Verspätung gefeiert.
Ziehen wir weiterhin in Betracht, dass über den germanischen oder keltischen Kalender nur recht wenig überliefert ist - wobei selbst bei dem Überlieferten unklar ist, was davon als gemeingermanisches oder -keltisches Kulturgut gelten kann. So kann man z.B. aus den wenigen Hinweisen, die man etwa bei Beda Venerabilis zum angelsächsischen Kalender findet, nicht schließen, dass der gleiche Kalender auch in anderen germanischen Siedlungsgebieten in Gebrauch war. Vom möglichen Einfluss römischer Kultur auf den angelsächsischen Kalender ganz zu schweigen - Beda schreibt schließlich im 7. Jahrhundert …
Alles in allem tue ich mich etwas schwer damit, Deiner Aussage
Die Sonnenwende hat man auch schon zu germanischen oder auch
keltischen Zeiten exakt bestimmen können.
so ohne Weiteres Glauben zu schenken. Aber vielleicht kannst Du ja eine seriöse wissenschaftliche Quelle für Deine Behauptung nennen.
Freundliche Grüße,
Ralf