Sabbatfrage

Hallo

ein anderes Thema zwischen Juden und Christen beschäftigt mich neben dem unten erörterten über die Messiasfrage ebenfalls.

Jesus heilte am Sabbat. Sind die Geschichten (bspw. Mk 3,1 par) über die Konflikte in der Sabbatfrage als historisch möglich bzw. korrekt zu werten und wenn ja, welche jüdischen Gruppierungen setzten sich hier mit Jesus auseinander (Pharisäer? Auch andere? Warum?) oder gingen mit ihm einig?

(Dass aber immer Juden auf Seiner Seite standen, bezweifelt hier niemand rechtens, das scheint mir klar und das will auch ich nicht bezweifeln, daher ist auch ein Verdacht des Antijudaismus sowie jeglicher allfällige selbständige oder unselbständige Antisemitismus hier absolut fehl am Platz.)

Ich bin auf der Suche nach einem Dialog über Gemeinsamkeiten zwischen Juden- und Christentum, nicht nach einer Ausgrenzung. Das nur als Klarstellung.

Gruss
Mike.

Hallo Mike,

wenn Du Dich so weitreichend und grundsätzlich mit dem Thema beschäftigen willst, empfehle ich Dir als Einstieg das Buch
„Ein Rabbi spricht mit Jesus“ von Rabbiner Jakob Neusner im Claudius Verlag.

Viele Grüße

Iris

Danke!

Gruss
Mike

Dass aber immer Juden auf Seiner Seite standen, bezweifelt
hier niemand rechtens

Alle Personen im Neuen Testament (bis auf die Römer) sind Juden. Jesus ist einer, seine treuesten Anhänger sind welche, seine erbittertsten Gegner sind welche. Der Gegensatz klingt irgendwie konstruiert. Was da beschrieben wird, ist ein innerjüdischer Religionsstreit, wie es sie bis heute gibt.

Gruß
dataf0x

Hallo dataf0x

dann wäre immerhin erklärbar, dass es zu einer Auseinandersetzung gekommen ist. Wenn diese aber auf Leben und Tod ging - sodass Mit-Juden versucht haben, Jesus zu steinigen oder einen Abhang hinunterzustossen -, was ist dann am Neuen Testament in seinem Erzählinhalt falsch? Gewiss, es mag parteilich sein oder zumindest wirken, darum geht es mir aber nicht, sondern ich möchte wissen, ob sich die Geschichte so abgespielt haben kann.

Wenn man rein historisch liest, mag das Ganze unwahrscheinlich klingen, auch auf die Hinrichtung bezogen, weil der Hohe Rat kein solches Prozessrecht sonst pflegte, wie es beschrieben ist. Es war oder wäre der einzige uns bekannte Fall, wo so vorgegangen wurde.

Aber reicht das aus zur Entkräftung? Und wenn es nicht ausreicht und das Neue Testament die Wahrheit erzählt, allerdings in griechischer Sprache und durch die frühchristliche „Brille“, müssten wir uns dann nicht von neuem beeindrucken lassen von jener Geschichte jenes Juden, welchem wir Christen so nachhängen und doch viel zu wenig nachleben?

Gruss
Mike

Hallo Mike,

dann wäre immerhin erklärbar, dass es zu einer
Auseinandersetzung gekommen ist. Wenn diese aber auf Leben und
Tod ging - sodass Mit-Juden versucht haben, Jesus zu steinigen
oder einen Abhang hinunterzustossen -, was ist dann am Neuen
Testament in seinem Erzählinhalt falsch?

Deine Ausgangsfrage bezog sich auf Mk 3,1 f.
Da lese ich nichts von einer geplanten Steinigung oder irgendwelchen Versuchen Jesus einen Abhang hinunterzustürzen.
Ich vermute mal, daß Du das mit Bildern aus irgendwelchen Jesus-Filmen verknüpfst.

Gewiss, es mag
parteilich sein oder zumindest wirken, darum geht es mir aber
nicht, sondern ich möchte wissen, ob sich die Geschichte so
abgespielt haben kann.

Es steht ja in der von Dir genannten Stelle, daß es so nicht war. Interessant wäre, warum das dann von anderen Bildern - nicht nur bei Dir - überlagert wird.

Wenn man rein historisch liest, mag das Ganze unwahrscheinlich
klingen, auch auf die Hinrichtung bezogen, weil der Hohe Rat
kein solches Prozessrecht sonst pflegte, wie es beschrieben
ist. Es war oder wäre der einzige uns bekannte Fall, wo so
vorgegangen wurde.

Das neue Testament ist keine Gerichtsberichterstattung sondern Glaubensaussage und Begründung derselben.
Belegt werden müßte, daß dieser von Dir vermutete Einzelfall eingetreten ist.

Aber reicht das aus zur Entkräftung?

Das mußt Du nach aller Abwägung für Dich entscheiden.

Und wenn es nicht
ausreicht und das Neue Testament die Wahrheit erzählt,
allerdings in griechischer Sprache und durch die
frühchristliche „Brille“, müssten wir uns dann nicht von neuem
beeindrucken lassen von jener Geschichte jenes Juden, welchem
wir Christen so nachhängen und doch viel zu wenig nachleben?

Auch das mußt / darfst Du für Dich entscheiden.
Für uns als Juden ist Jesus in religiöser Hinsicht irrelevant.

Viele Grüße

Iris

Guten Morgen Mike,
guten Morgen Iris,

Deine Ausgangsfrage bezog sich auf Mk 3,1 f.
Da lese ich nichts von einer geplanten Steinigung oder
irgendwelchen Versuchen Jesus einen Abhang hinunterzustürzen.
Ich vermute mal, daß Du das mit Bildern aus irgendwelchen
Jesus-Filmen verknüpfst.

Das muß nicht unbedingt so sein, denn in Joh 10, 31-39 wird erzählt, daß Jesus zwei Steinigungsversuchen entgangen ist.
Die Frage ist, ob das historisch ist - ich halte dafür, daß es das nicht ist. Das Joh ist das späteste aller Evangelien (Metapher denkt da anders, aber das macht nichts) und eindeutig dasjenige, das die Erinnerungen an den historischen Jesus seinen theologischen Absichten am deutlichsten unterordnet.

Im Judentum war es unbestritten, daß man im Falle von Lebensgefahr - sei es für Tier oder Mensch - am Sabbat selbstverständlich helfen und damit arbeiten durfte.
Wenn Du nach Mk 3,1 fragst: da halte ich für nicht unmöglich, daß Jesus provozieren wollte, denn Lebensgefahr bestand hier eindeutig nicht, und der mann hätte mit dieser Hand auch noch bis zum nächsten Tag aushalten können.

Eine andere Sache ist die mit dem Ährenraufen am Sabbat Mk 2, 23-28:
Nach orthodoxer Auslegung hätten die Jünger durch das Abreißen der Ähren geerntet und durch das Malmen zwischen den Händen - um die Körner aus den Ähren zu lösen - auch gedroschen. David Flusser (frag mich jetzt aber bitte nicht, wo) hält das Ganze für einen Konflikt zwischen zwei pharisäischen Schulen, der Galiläischen, in der das erlaubt war, und der judäischen, die das für verboten hielt.

Gruß - Rolf

BS"D

Hallo Dahinden.

Sind die Geschichten (bspw. Mk 3,1 par) über die Konflikte in
der Sabbatfrage als historisch möglich bzw. korrekt zu werten
und wenn ja, welche jüdischen Gruppierungen setzten sich hier
mit Jesus auseinander Pharisäer? Auch andere? Warum?) oder
gingen mit ihm einig?

Gut, sehen wir einmal Markus 3:1:
„1Und er ging abermals in die Synagoge. Und es war dort ein Mensch, der hatte eine verdorrte Hand. 2Und sie lauerten darauf, ob er auch am Sabbat ihn heilen würde, damit sie ihn verklagen könnten.“

Wer hier lautert, war wohl nicht fromm, denn jeder Fromme wird zum Beten und Lernen am Schabbes in die Synagoge gehen. Und verklagen am Schabbes schliesst sich schon völlig aus.

„3Und er sprach zu dem Menschen mit der verdorrten Hand: Tritt hervor! 4Und er sprach zu ihnen: Soll man am Sabbat Gutes tun oder Böses tun, Leben erhalten oder töten? Sie aber schwiegen still. 5Und er sah sie ringsum an mit Zorn“

Mh, auch dieses ist kein Derech Eretz, hier wegen nichts zornig zu werden.

„und war betrübt über ihr verstocktes Herz und sprach zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus! Und er streckte sie aus; und seine Hand wurde gesund.“

Schön, nie hat er hier kein Leben erhalten, was am Schabbes Pflicht ist, sondern geheilt, was er auch an jedem anderen Tag hätte tun können. Es ist hier also ein Zwischenfall, wo es auf die genauen Umstände ankommt.

Insgesamt wundert mich ander Geschichte etwas, dass allen Beteiligten klar zu sein scheint, um was und wenn es geht, ohne das darüber gesprochen wird. Also, wieso hat hier jemand darauf gewartet, dass genau diese Hand geheilt wird und warum wusste Jesus, dass diese Hand zu heilen ist und warum wundert sich anschliessend niemand darüber?

„6Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über ihn mit den Anhängern des Herodes, wie sie ihn umbrächten.“

Kein Frommer wäre hier heraus gegangen, um mit anderen schlechte Rede zu führen oder gar Mordpläne und dann noch mit Nichtfrommen.

Somit hört sich die Geschichte in allen Punkten für mich so an, dass sie nachträglich so umgeschrieben wurde. Bzw. der Autor keinerlei Ahnung von der jüdischen Lehre hat und den damals beteiligten Gruppen.

Ich bin auf der Suche nach einem Dialog über Gemeinsamkeiten
zwischen Juden- und Christentum, nicht nach einer Ausgrenzung.
Das nur als Klarstellung.

Gemeinsamkeiten wird man hier aus meiner Sicht kaum finden, weil ein ernsthaftes Gespräch fast nur dazu führen kann, dass wie an dem Beispiel offensichtlich wird, dass die Texte nicht g"ttlich sind, sondern von Menschen geschrieben. Sie enthalten einfach zu viele Fehler und Widersprüche zu jüdischen Lehre.

Davon abgesehen zeigt sich an der Stelle auch mein persönliches Problem mit Jesus, da ich sein Verhalten auch hier nicht vorbildlich finde und es würde mich einmal interssieren, wie Christen diese Stelle lesen und was sie dazu denken, dass Jesus hier zornig wird?!

A giten Schabbes,
Jidel

BS"D

Hallo Dahinden.

dann wäre immerhin erklärbar, dass es zu einer
Auseinandersetzung gekommen ist. Wenn diese aber auf Leben und
Tod ging - sodass Mit-Juden versucht haben, Jesus zu steinigen
oder einen Abhang hinunterzustossen -, was ist dann am Neuen
Testament in seinem Erzählinhalt falsch?

Das diese ganzen Handlungen, welche hier allgemein DEN Juden oder DEN Pharisäern angelastet werden, aus dem Judentum heraus undenkbar und unerklärbar sind.

Gewiss, es mag
parteilich sein oder zumindest wirken, darum geht es mir aber
nicht, sondern ich möchte wissen, ob sich die Geschichte so
abgespielt haben kann.

So sicherlich nicht. Aber auf der anderen Seite gibt es immer schlechte Menschen. Warum also sollte in der damaligen Zeit niemand etwas gegen Jesus gehabt haben bzw. ihn angegriffen haben?

Gruß,
ELi

BS"D

Das muß nicht unbedingt so sein, denn in Joh 10, 31-39 wird
erzählt, daß Jesus zwei Steinigungsversuchen entgangen ist.

Hierzu sollte man sich vielleicht einmal von den üblichen Bilder von Steinigungen lösen, denn im Judentum MUSS einer Steinigung ein Prozess und eine Schulanerkenntnis des Angeklagten vorangehen und die Steinigung begint durch den freiwilligen Sturz in die Tiefe.

Somit stellt sich mir die Frage, was hier überhaupt „Steinigungsversuche“ sein sollen? Nur die Anklage?

Wenn Du nach Mk 3,1 fragst: da halte ich für nicht unmöglich,
daß Jesus provozieren wollte, denn Lebensgefahr bestand hier
eindeutig nicht, und der mann hätte mit dieser Hand auch noch
bis zum nächsten Tag aushalten können.

Ja, er hat hier durch seine Rede auch noch andere beschämt und anderes. Somit halte ich hier sogar Jesus zugute, dass dieses so nicht stattgefunden hat, bzw. wesentliche Teile in der Erzählung fehlen.

Gruß,
Eli

Hallo Dahinden.

Hallo Eli

Das diese ganzen Handlungen, welche hier allgemein DEN Juden
oder DEN Pharisäern angelastet werden, aus dem Judentum heraus
undenkbar und unerklärbar sind.

Ich glaube Dir das. Genau das ist der Knackpunkt. Markus spricht überhaupt nicht von den Juden im allgemeinen, Johannes aber, der dieses demgegenüber tut, hat immerhin ausdrücklich einige Gesetzeslehrer und weitere Juden und Jüdinnen als Gegenbeispiele wohlwollend beschrieben.

Aber auf der anderen Seite gibt es immer
schlechte Menschen.

Genau das ist (auch) meine Überzeugung in Bezug auf diesen Fall. Die erzählte Geschichte hat einen anderen Sinn, als etwas gegen die Juden auszusagen.

Warum also sollte in der damaligen Zeit
niemand etwas gegen Jesus gehabt haben bzw. ihn angegriffen
haben?

Könnten also gemeinsame jüdisch-christliche Überlegungen vor sich gehen, welche auch eine Möglichkeit einschliessen, dass Jesus ein beispielhafter Jude gewesen wäre (für Juden und Heiden), oder eine Verständigung über die Ereignisse jener Zeit, ohne von Vorneherein den Aussagen der Evangelien die Aufrichtigkeit abzusprechen?

Ich wäre immerhin bereit, auf der anderen Seite zuzugeben, dass sie aus einer bestimmten engen Sicht heraus erzählen, die sinngemäss übersetzungsbedürftig ist.

Dass man sie uminterpretiert hat, halte ich aber für nicht durch sie selber motiviert, sondern durch Böswilligkeit anderer.

Gruß,
ELi

Gruss & Dank für Deine Antworten
Mike

Hallo Eli

Also, wieso hat hier jemand
darauf gewartet, dass genau diese Hand geheilt wird und warum
wusste Jesus, dass diese Hand zu heilen ist und warum wundert
sich anschliessend niemand darüber?

Die Gegner Jesu hofften, dass Er die Sabbatvorschrift vergesse oder missachte. Viele aber waren gespannt darauf, was geschähe, wenn Er sowohl an den Sabbat als auch an den Kranken denken würde. Daher war die Aufmerksamkeit vieler auf den Sachverhalt gerichtet; Blicke werden wohl hin- und hergegangen sein zwischen Jesus und dem Kranken. Man wunderte sich also wohl nicht so sehr über das Wissen von Jesus, sondern eher über Seine grosse Menschenkenntnis und darüber, dass Er eigenverantwortlich mit den Vorschriften umgehen konnte.

Gemeinsamkeiten wird man hier aus meiner Sicht kaum finden,
weil ein ernsthaftes Gespräch fast nur dazu führen kann, dass
wie an dem Beispiel offensichtlich wird, dass die Texte nicht
g"ttlich sind, sondern von Menschen geschrieben. Sie enthalten
einfach zu viele Fehler und Widersprüche zu jüdischen Lehre.

Das Christentum hält die Schrift für inspiriert, aber von Menschen aufgeschrieben. Dazu gehört meines Erachtens auch, dass diese Menschen aus einer bestimmten Zeit heraus geschrieben haben. Ich könnte damit leben, wenn sich herausstellte, es seien Fehler da, je nachdem was für welche. Die Fehler und Widersprüche in Bezug auf die jüdische Lehre möchte ich aber zuerst feststellen und bin bereit, die Argumente anzuhören.

es würde mich einmal
interssieren, wie Christen diese Stelle lesen und was sie dazu
denken, dass Jesus hier zornig wird?!

Jesus hält es für wichtig, mit dem Herzen die Vorschriften des Gesetzes klug abzuwägen.
Jesus kann gemäss der Erzählung Wunder tun. Er ist daher in einer besonderen Lage. Ihn mit einem gewöhnlichen Arzt gleichzusetzen, setzt voraus, dass es einen eigenen Grund dazu gibt.
Ich kann verstehen, dass eine Vorschrift besagte, der Mensch solle sich nicht am Sabbat von einem gewöhnlichen Arzt heilen lassen. Ich kann aber unmöglich gutheissen, dass man gesagt hätte, der Mensch hätte sich von einem völlig erfolgreichen und nun endlich einmal anwesenden Wunderheiler nicht heilen lassen dürfen. Es lag eine besondere Möglichkeit vor, sich heilen zu lassen, noch dazu durch jemanden, der nicht eindeutig arbeiten musste, um die Heilung vorzunehmen.

Warum will jemand das Gesetz so auf Jesus anwenden, als ob Er ein gewöhnlicher Arzt wäre? Ist das nicht eine Auslegung des Gesetzes per Analogie? Wenn Jesus als gewöhnlicher Arzt betrachtet würde, wäre die Sache vielleicht so zu beantworten, dass man sagt, Er ändere die gängige Auslegung der Sabbatvorschrift. Man müsste fragen, was der Grund wäre.

Die Antwort würde wohl lauten, die Sabbatvorschrift in diesem Punkt sei weniger wichtig als das Gebot der Barmherzigkeit. Auch diese Antwort ist aus christlicher Sicht für sich allein genommen schon befriedigend. Die Vorschrift, sich nicht heilen zu lassen, ist aus christlicher Sicht lediglich Auslegung und situationsabhängig, auch für einen gewöhnlichen Arzt. Aber die Versammlung sah gar keinen gewöhnlichen Arzt vor sich, sie sah einen Wunderheiler.

Dann sind doch diejenigen Pharisäer, anderen Juden und Nichtjuden oder Halbjuden (oder Anhänger des Herodes usw.), die einen gewöhnlichen Fall eines gewöhnlichen Arztes daraus machen wollen, uneinsichtig und neidisch. Sie besitzen zwar die Vorschrift, aber wenden sie falsch an und erkennen überdies ihren eigenen Verstoss gegen das Gesetz nicht, der darin besteht, dass sie handeln, weil sie neidisch sind.

A giten Schabbes,
Jidel

Viel Erfolg und Glück!
Mike

Hallo Iris

Menschen sind vor gewöhnlichen menschlichen Regungen nicht gefeit. Solche können zu einem Handeln führen, welches mit dem Gesetz in Konflikt steht.

Ist es nun nicht auch für jüdische Gedankengänge bemerkenswert, dass aufmerksam gemacht wird auf Herzlosigkeit, Neid und neidisches Handeln, vor welchem sogar Pharisäer nicht immer gefeit sind?

Gruss & nichts für Ungut
Mike

Hierzu sollte man sich vielleicht einmal von den üblichen
Bilder von Steinigungen lösen, denn im Judentum MUSS einer
Steinigung ein Prozess und eine Schulanerkenntnis des
Angeklagten vorangehen und die Steinigung begint durch den
freiwilligen Sturz in die Tiefe.

Somit stellt sich mir die Frage, was hier überhaupt
„Steinigungsversuche“ sein sollen? Nur die Anklage?

Shalom Elimelech,

danke für Deine Erläuterungen. Aber ich habe ja geschrieben, daß ich die Geschichte nicht für historisch halte.

Gruß - Rolf

Schalom Eli,

Gut, sehen wir einmal Markus 3:1:
„1Und er ging abermals in die Synagoge. Und es war dort ein
Mensch, der hatte eine verdorrte Hand. 2Und sie lauerten
darauf, ob er auch am Sabbat ihn heilen würde, damit sie ihn
verklagen könnten.“

Wer hier lautert, war wohl nicht fromm, denn jeder Fromme wird
zum Beten und Lernen am Schabbes in die Synagoge gehen.

genau das will uns die Geschichte sagen.
Diese Leute kamen nicht, um zu beten, sondern um Jesus zu bespitzeln.
Sie suchten nach einem Grund, ihn los zu werden.

„6Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über
ihn mit den Anhängern des Herodes, wie sie ihn umbrächten.“

Kein Frommer wäre hier heraus gegangen, um mit anderen
schlechte Rede zu führen oder gar Mordpläne und dann noch mit
Nichtfrommen.

Da siehst Du es wieder, es waren eben keine frommen Leute.
Aber sie taten sehr fromm.
Das findet man leider auch oft im Christentum.

Der Autor hat leider verallgemeinernd „Pharisäer“ geschrieben, dadurch ist im Christentum dieses Wort zum Synonym von „Heuchler“ geworden.

Aber es gab auch ehrliche Pharisäer (z.B. Nikodemus , Gamaliel ).

Gemeinsamkeiten wird man hier aus meiner Sicht kaum finden,
weil ein ernsthaftes Gespräch fast nur dazu führen kann, dass
wie an dem Beispiel offensichtlich wird, dass die Texte nicht
g"ttlich sind, sondern von Menschen geschrieben. Sie enthalten
einfach zu viele Fehler und Widersprüche zu jüdischen Lehre.

Natürlich sind die Texte von Menschen aufgeschrieben worden.
Und jeder Autor hat auch seine persönliche Sichtweise einfließen lassen.

Und ich zweifle nicht daran, dass manches im Widerspruch zur jüdischen Lehre steht. Die Menschen leben eben nicht immer so, wie es die Lehre vorsieht. Das gilt für uns Christen genau so.
Vieles, was so im „christlichen“ Land geschieht, steht im Widerspruch zur christlichen Lehre. ;-(

Davon abgesehen zeigt sich an der Stelle auch mein
persönliches Problem mit Jesus, da ich sein Verhalten auch
hier nicht vorbildlich finde und es würde mich einmal
interssieren, wie Christen diese Stelle lesen und was sie dazu
denken, dass Jesus hier zornig wird?!

Vielleicht ist „zornig“ ein harter Ausdruck. Aber benenne mir das, was Du fühlst, wenn Dein Sohn just das Gegenteil von dem tut, was er tun sollte.

Der Prophet Jona rechtfertigt sich auch mit den Worten: „Mit Recht zürne ich bis an den Tod.“ (Jona 4,9)

Gruss Harald

Hallo,
die Frage war ja, ob die "Sabbat-"Geschichte(n) historisch korrekt zu beurteilen sind und mit welchen jüdischen Gruppierungen hier die Auseinandersetzung stattfinden könnte.
Hier ist also mal wieder historisch sorgfältige Analyse gefragt, schlechthin nicht die Frage, ob irgendein Text göttlich ist bzw. ob ich die Göttlichkeit durch historisch korrekte Darstellung beweisen könnte, ein methodisch eh nicht mögliches Unterfangen.

Die erste Frage wäre also der Sabbatkonflikt Jesu, verbunden mit dem des Urchristentums (denn alles Jesusgeschichten haben ihren redaktionellen Ort im Urchristentum).
Sicherlich gehörte der Sabbat zur Zeit Jesu zu einem der Identitätsmerkmal eines sonst sehr inhomogenen Judentums. Gerade deswegen war die Durchführung des Sabbats unter den verschiedenen Gruppen umstritten:
Die Essener traten für ein strenges Sabbatverständnis ein, so verkürzten sie die sog. Sabbatmeile und wir finden Texte, dass jede Hilfe für in Not geratene Tiere am Sabbat verboten war.
Auch die Sadduzäer vertraten eine strenge Auffassung (und es sei erwähnt, dass es die Sadduzäer - nicht die Pharisäer waren - mit denen Jesus in Konflikt geriet).
Die Pharisäer z.B. versuchten die oben erwähnte Sabbatmeile auszuweiten.
Allgemein anerkannt waren selbstverständlich Ausnahmen wie die Rettung von Menschen und (außer s.o.) Tierleben sowie die Selbstverteidigung (inkl. Töten).
Auch finden wir in der rabbinischen Literatur, die auf diese Zeit inhaltlich zurücgeht, weitere Erleichterungen: kleinere medizinische Behandlungen im Sinne normaler Körperpflege war erlaubt. Ebenso durfte auch bei einer eventuell nicht tödlichen Krankheit geheilt werden.

Der innerjüdische Konflikt, an dem Jesus beteiligt ist, geht also nicht darum, ob der Sabbat zu halten ist (das ist eine spätere Frage des Urchristentums), sondern wie er zu halten ist.
Das Ährenraufen und Heilen am Sabbat sind in diesem Rahmen einerseits zwar Provokationen, andererseits aber auch schlicht als Anwendung einer möglichen Interpretation des Sabbats zu verstehen.
Die wichtige Frage ist dann (historisch), warum der historische Jesus ja auch selbst seine Handlung als Sabbatbruch, ohne dass damit der Sabbat aufgehoben ist), dargestellt hat?
Die Situation als Wanderprediger Jesu und seiner Jünger ist sicherlich zunächst mit einzubeziehen: Ein Wanderprediger kann nicht immer vorab für seine Nahrung am Sabbat sorgen, rituelle Gebote werden bei dieser Lebensgrundhaltung nicht derart hoch angesehen.
Dahinter ist dann natürlich auch ein ethisches Motiv zu sehen, vor allem aber ein eschatologisches (so heißt es in Lk, dass mit der Heiliung die Fessel des Satans gelöst wird) und vor allem ein messianisches - Jesus demonstriert seine Vollmacht u.a. mit Verweis auf David. Zudem ist hier auf das Vorbild der Propheten zu verweisen, z.B. Jesaja und Hosea.
Letztlich zeigt dieser KOnflikt, dass Jesus v. Nazareth innerhalb der jüdischen Diskussion nicht nur eine liberale Haltung bzgl. des Sabbats, sondern auch der Thora allgemein hatte.

Insgesamt wundert mich ander Geschichte etwas, dass allen
Beteiligten klar zu sein scheint, um was und wenn es geht,
ohne das darüber gesprochen wird. Also, wieso hat hier jemand
darauf gewartet, dass genau diese Hand geheilt wird und warum
wusste Jesus, dass diese Hand zu heilen ist und warum wundert
sich anschliessend niemand darüber?

Wenn man historisch fragen will, reicht also eine reine Analyse auf der Textebene nicht aus.

Gemeinsamkeiten wird man hier aus meiner Sicht kaum finden,
weil ein ernsthaftes Gespräch fast nur dazu führen kann, dass
wie an dem Beispiel offensichtlich wird, dass die Texte nicht
g"ttlich sind, sondern von Menschen geschrieben. Sie enthalten
einfach zu viele Fehler und Widersprüche zu jüdischen Lehre.

Nun ja, man kann sicherlich darüber streiten, ob die Geschichte sich so abgespielt hat, wie dargestellt. Für eine historische Frage wäre eher interessant zu fragen, ob hinter dieser Geschichte ein realer Konflikt steht oder nicht. Nach allem, was wir heute über das Judentum der damaligen Zeit wissen, handelt es sich um einen solchen realen Konflikt.
Der Tötungsbeschluss von Pharisäern und Herodianern in Mt 3,6 ist wohl eine von Mk geschaffene redaktionelle Klammer. Wenn wir die Rolle des Synhedriums überhaupt historisch nehmen (wobei es sich wohl eher um ein Verhör denn um einen Prozess gehandelt haben), so müssen wir einerseits davon ausgehen, dass die Gegner Jesu sadduzäisch orientiert waren (die Darstellung entspricht nämlich nicht dem in der Mischna überlieferten pharisäischen Prozessrecht, sondern lässt sich eher sadduzäisch erklären), dann wird allerdings die Tempelweissagung Jesu ein wesentlicher Anklagepunkt gewesen sein.

Davon abgesehen zeigt sich an der Stelle auch mein
persönliches Problem mit Jesus, da ich sein Verhalten auch
hier nicht vorbildlich finde und es würde mich einmal
interssieren, wie Christen diese Stelle lesen und was sie dazu
denken, dass Jesus hier zornig wird?!

Wenn er ein Mensch gewesen ist, und davon gehen wir wohl beide aus, warum soll er nicht zornig werden? Ich hätte so meine Einwände, wenn er dann wild um sich geschlagen hätte, aber nicht, wenn er nur zornig geworden ist. Gleich danach war er ja auch betrübt, offensichtlich in der Lage, mehrere Gefühle direkt hintereinander zu haben:wink:
Ob er nun wirklich zornig war, können wir historisch eh nicht beantworten. Hier allerdings vermute ich eher den Zorn der ersten Christen und ihre Reaktion auf die Kritik durch jüdische Gruppen…

Da Du so gefragt hast: Als Christin finde ich es eher erleichternd, dass der, den ich als Mensch gewordenen Gott bekenne, als solcher auch mal eine eher negativ zu wertende Gefühlsregung (solange es dabei blieb) gehabt hat. Das ist genauso befreiend wir die herrlichen Klagepsalmen.

Grüße,
Taju

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Als Christin finde ich es eher
erleichternd, dass der, den ich als Mensch gewordenen Gott
bekenne, als solcher auch mal eine eher negativ zu wertende
Gefühlsregung (solange es dabei blieb) gehabt hat. Das ist
genauso befreiend wir die herrlichen Klagepsalmen.

Grüße,
Taju

Hallo Taju
Das ist jetzt aber nicht ganz koscher…

hast Du wirklich den Eindruck, das sei eine negativ zu wertende Gefühlsregung, wenn man von Leuten umstellt ist, die neidisch sind und Vorschriften ins Feld führen, um ihren Neid auszuleben?

Selbstverständlich waren weder alle Gegner Jesu Juden, noch waren alle Seine Freunde Heiden. Aber deswegen an den Erzählungen zweifeln…?..

Letztendlich aber hast Du Recht, dass ich nicht nur ethisch, sondern auch historisch gefragt habe. Mich interessiert einerseits, ob es echte wissenschaftliche Gegenbeweise zur Sache gibt, oder ob sie sich so abgespielt haben könnte bzw. kann, wie wir es glauben. Dass die Gegnerschaft letztendlich (bei den Passionserzählungen) nicht pharisäisch, sondern eher sadduzäisch zu verstehen ist, finde ich einen sehr wichtigen Hinweis von Dir, und es ist auch durchaus mit Recht zu fragen, ob nicht das Ganze eine schreckliche Verquickung von Umständen ist und nicht einem System, sondern dem Menschen mit seinen Schwächen angelastet werden muss.
Andererseits interessiert mich die Haltung des Judentums auch zu den Erzählungen als ideelle Geschichten. Da es die Absicht des historischen Jesus gewesen sein dürfte, zuallererst Juden zu bekehren, müssten die Geschichten doch eigentlich so gemünzt sein, dass Juden sie verstehen. Mich befremdet daher die Distanz, welche sie haben, und ich frage schliesslich, ob diese Distanz nicht eher das Ergebnis unserer Zeitgeschichte (bzw. das Versagen weiter Teile des Christentums in jüngerer Zeit) als ein echtes Missverständnis der neutestamentlichen Geschichten oder ihres Zusammenhanges ist.

Liegt die Frage nicht so, dass man sagen müsste, es seien die Christen, welche die Evangelien allzu judenfeindlich ausgelegt hätten, und erst dann die Juden, von welchen zwar viele schon in früher Zeit den Glauben an Jesus ablehnten, welche aber ihre Argumente viel eher aus schlechter christlicher Küche schöpfen müssen als aus eigenem Lesen des Neuen Testamentes?

Gruss
Taju

Gruss
Mike

innerhalb der jüdischen Diskussion nicht nur eine liberale
Haltung bzgl. des Sabbats, sondern auch der Thora allgemein
hatte.

Jesus war offenbar der erste Reformjude :smile: Hut trägt er ja auch auf keinem bekannten Bild, aber dafür einen designten Bart - das muß also ein sehr starke reformistische Strömung gewesen sein. Der Streit sieht heute nicht anders aus: Autofahren oder nicht, Kochen oder nicht, usw. usf. Damals sind solche Streitigkeiten nur ein wenig gewaltsamer gelöst worden :wink:

Gruß
dataf0x

Hallo datafox,
da mich Deine Smileys etwas ratlos hinsichtlich der Interpretation zurücklassen, nur zur Klarstellung:

innerhalb der jüdischen Diskussion nicht nur eine liberale
Haltung bzgl. des Sabbats, sondern auch der Thora allgemein
hatte.

Jesus war offenbar der erste Reformjude :smile:

Denn eigentlich diente das, was ich geschrieben habe, auch dazu, zu erklären, dass die Haltung Jesu zu Sabbat und Thora (eventuell, ich meine schon, auch sein Vollmachtsanspruch) innerhalb der damaligen jüdischen Diskussionen eine mögliche, wenn auch sicherlich zumindest in Teilen extreme Auffassung war.
„Außergewöhnlich“ macht diese Person historisch seine relativ große, vor allem aber sehr überzeugte Anhängerschar - auch dies innerhalb des Judentums. Hinzu kommt dann die Darstellung seines Lebens unter das, was wir heute „Christologisch“ nennen.
Erst weitere historische Ereignisse, die Zerstörung des Tempels, die Vertreibung der Juden aus Jerusalem, die Neurorientierung des Judentums im zweiten Jahrhundert und die mit den ersten beiden Punkten zusammenhängende und sich zur Mehrheitsgruppe entwickelnden „Heidenchristentum“ machen aus, was wir heute als Trennung von Christentum und Judentum bezeichnen.
Und diese Heidenchristen sind es dann, die aus ihrem völlig anderen Lebenskontext heraus (und auch das Judentum war im zweiten Jahrhundert schon aufgrund der obigen Ereignisse ein völlig anderes) Jesus nicht mehr als einen Juden in innerjüdischen Streit verstehen könnten, sondern ihn als Beweis für die Notwendigkeit einer schon längst bestehenden und zunehmend feindseligen (da sind wir dann aber schon im 4. Jh) Abgrenzung nahmen.
Die Trennung von Juden und Christen war zudem ein beidseitiger Prozess (die berühmte Ausweisung der Juden aus Rom im 1. Jh., die wohl eigentlich auf die dortigen Christen zurückging, hat zusätzlich auch vom Judentum aus das Bedürfnis nach Abgrenzung geweckt), der für kurze Zeit das Christentum auf die „Verliererseite“ (Da man nicht mehr Anteil daran hatte, einer religio licita anzugehören) stellte.
Das Problem, wie bei fast allem, ist, dass der historische Ort dieses Trennungsprozesses vergessen wurde und ein fataler christlicher Traditionsbegriff mit zu all dem geführt hat, was sich auch heute noch als Antisemitismus zeigt.

Grüße,
Taju

Hallo,

hast Du wirklich den Eindruck, das sei eine negativ zu
wertende Gefühlsregung, wenn man von Leuten umstellt ist, die
neidisch sind und Vorschriften ins Feld führen, um ihren Neid
auszuleben?

Erst einmal gut biblisch:
Mt 5,22: Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha ! der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr ! der ist des höllischen Feuers schuldig.
Jetzt wäre dann weiter theologisch (!) zu fragen, wie wir mit den Forderungen der Bergpredigt umgehen, vor allem angesichts des Zornes Jesu in der genannten Stelle.
Aber ich dneke, das wäre eine andere Diskussion.

Selbstverständlich waren weder alle Gegner Jesu Juden, noch
waren alle Seine Freunde Heiden. Aber deswegen an den
Erzählungen zweifeln…?..

Da es hier (mir) um das Historische geht. gehört der Zweifel an einer Darstellung immer zur Methode.
Wichtig ist zu fragen, warum etwas wie geschrieben worden ist. Unsere Evangelien sind, wie der Name schon sagt, keine Tatsachenberichte und wollen das auch gar nicht sein. Sie sind alle unter dem Eindruck der Messionität und Gottessohnschaft Jesu geschrieben worden, sie w-o-l-l-e-n Verkündigung sein. Sie sind aber zu früh geschrieben, als sie völlig von der historischen Person hätten absehen können oder auch wollen. Sie sind nicht schon innerhalb einer sich später entwickelnden Dogmatik geschrieben worden.
Wir wissen heute, dass von Jesus v. Nazareth zunächst nur „Sprüche und Worte“ überliefert wurden, wobei der ursprüngliche Kontext zwar sicherlich miterzählt, aber nicht das eigentlich entscheidende war (man nehme unsere Perikope vom Heilen am Sabbat, auch ohne die Geschichte drumherum würde die Kernaussage ja verständlich bleiben). Nun haben sich die Evangelisten nicht vorgenommen, zu lügen, sondern sicherlich auch oft eine Idee des ursprünglichen Kontexts beibehalten, aber eben durchaus Übertragungen vorgenommen, wie es ihnen und ihrer Lebenswelt entsprach. Das ist ein völlig normaler Vorgang und es gibt kein literarisches Werk, selbst wenn es wissenschaftlich ist, das letztlich Vergangenes anachronistisch darstellt.

Letztendlich aber hast Du Recht, dass ich nicht nur ethisch,
sondern auch historisch gefragt habe. Mich interessiert
einerseits, ob es echte wissenschaftliche Gegenbeweise zur
Sache gibt, oder ob sie sich so abgespielt haben könnte bzw.
kann, wie wir es glauben. Dass die Gegnerschaft letztendlich
(bei den Passionserzählungen) nicht pharisäisch, sondern eher
sadduzäisch zu verstehen ist, finde ich einen sehr wichtigen
Hinweis von Dir, und es ist auch durchaus mit Recht zu fragen,
ob nicht das Ganze eine schreckliche Verquickung von Umständen
ist und nicht einem System, sondern dem Menschen mit seinen
Schwächen angelastet werden muss.

Deine frage verstehe ich nicht ganz. Aber angesichts dessen, was wir über das Judentum der damaligen Zeit wissen, wird es sicherlich Konflikte gegeben haben.
Zu existentiellen Konflikten (siehe meine Antwort an datafox) kam es mE allerdings erst nach der Zerstörung des Tempels.

Andererseits interessiert mich die Haltung des Judentums auch
zu den Erzählungen als ideelle Geschichten. Da es die Absicht
des historischen Jesus gewesen sein dürfte, zuallererst Juden
zu bekehren, müssten die Geschichten doch eigentlich so
gemünzt sein, dass Juden sie verstehen. Mich befremdet daher
die Distanz, welche sie haben, und ich frage schliesslich, ob
diese Distanz nicht eher das Ergebnis unserer Zeitgeschichte
(bzw. das Versagen weiter Teile des Christentums in jüngerer
Zeit) als ein echtes Missverständnis der neutestamentlichen
Geschichten oder ihres Zusammenhanges ist.

Die Trennung von Judentum und Christentum und ihre Gründe habe ich auch bei datafox erläutert. Jedoch ist die Neuorientierung des Judentums im zweiten Jahrhundert sicherlich keinesfalls mehrheitlich als Abgrenzungsprozess vom Christentum zu verstehen, sondern als eine eigenständige Orientierung, die wiederum jedoch die Unterschiede klarer hat hervortreten lassen (was aber kaum die Intention war).
Die Distanz ist allerdings nicht das Ergebnis unserer Zeitgeschichte, sondern der vergangenen ca. 1800 Jahre.
Zumindest im akademischen Bereich spielen Jesus von Nazareth und die früheste Jesusbewegung (= Urchristentum) mitterweile bei der Erforschung jüdische Religionsgeschichte eine sehr große Rolle, von der die wissenschaftlichen Theologien beider Fächer überaus profitieren.
Religiös wüßte ich selbst nicht, warum Jesus eine Rolle spielen sollte (das tun die anderen Messiasanwärter ja auch nicht) und ohne christliches Glaubensbekenntnis ist Jesus wahrscheinlich auch zu normal:wink: - und, wie Elimelech ja dargestellt hat, auch nicht besonders vorbildlich.

Liegt die Frage nicht so, dass man sagen müsste, es seien die
Christen, welche die Evangelien allzu judenfeindlich ausgelegt
hätten, und erst dann die Juden, von welchen zwar viele schon
in früher Zeit den Glauben an Jesus ablehnten, welche aber
ihre Argumente viel eher aus schlechter christlicher Küche
schöpfen müssen als aus eigenem Lesen des Neuen Testamentes?

Es ist natürlich so und man kann sich angesichts der Geschichte des sogenannten christlichen Abendlandes kaum wundern, dass es egal wem schwer fällt, das Neue Testament als glaubwürdige Grundlage einer sich selbst friedliebenden Religion zu lesen.
Da das Neue Testament ganz klar auf dem Bekenntnisboden (Jesus ist der Christus / Sohn Gottes) steht, bin ich unsicher, ob man es von einer anderen Anschauung heraus überhaupt „positiv“ als Glaubensbuch lesen könnte.

Daher halte ich grundsätzlich das, was man gemeinhin als „Interreligiösen“ Dialog bezeichnet, für methodisch schwierig. Das soll nicht heißen, dass man nicht voneinander berichten darf bzw. einander zuhören. Aber eine gemeinsame Basis, eine Offenheit, kann ich mE nur Herstellen, wenn ich auf das „Menschliche“ blicke. Solange ich also nicht der Grundüberzeugung bin, dass alle Andersgläubigen zu bekehren oder zu vernichten sind, bedeutet die Frage nach dem „Menschlichen“ wissenschaftlich die nach dem Historischen und damit der Frage, nicht nur warum, sondern auch wie Unterschiede und Konflikte entstanden sind. Jeder kann sich dann fragen, ob er seinen Glauben zum Sklaven eines allzu menschlichen Streit der Vergangenheit machen will. Vielleicht (aber ich fürchte, das ist eine Utopie) kann man dann seinen Glauben auch davor schützen, zur Motivationsmasse neuer Konflikte zu werden.

Grüße,
taju