Hallo,
danke für den Text. Aus meiner Sicht ist das ein schönes Beispiel für eine völlig abwegige Argumentation.
Sartre rationalisiert hier ein Gefühl, das man sich in der Realität eben nicht er-denkt, indem man Furcht hat, sondern im Gegenteil: Zuerst wird man schwindelig, und danach bekommt man Furcht. Das kann - denke ich - jeder bestätigen, der wie ich alles andere als schwindelfrei ist. Alle Ängste erscheinen erst nachdem man den Schwindel schon gespürt hat.
Dass Sartre die Vorsicht, die aus dem Schwindel resultiert, als Entgehen aus der Furcht bezeichnet, ist auch unsinnig. Denn natürlich habe ich immer noch das Gefühl, abstürzen zu können, wenn ich diese Vorsicht walten lasse. Ich entgehe also nur der Gefahr, wenn ich mich vorsichtig verhalte, nicht aber der Furcht.
Ihr Sein ist ein Angenommen-werden und ihre Seinsmöglichkeit
ist nur ein Angenommen-werden-müssen. Deshalb ist ihre
Möglichkeit notwendig durch die Möglichkeit kontradiktorischer
Verhaltensweisen (auf die Steine im Weg nicht achten, rennen,
an etwas anderes denken) und die Möglichkeit konträrer
Verhaltensweisen bedingt (mich in den Abgrund stürzen).
Dass ich nichts machen kann, was ich nicht machen kann (kontradiktorisch), ist (fast) selbstverständlich, und die genannte konträre Möglichkeit ist zwar logisch konträr, aber kommt als reales Verhalten auch nicht in Betracht, denn ich könnte mich natürlich jederzeit in den Tod stürzen, dazu brauche ich die Furcht nicht.
… diese abgewiesenen Möglichkeiten haben ihrerseits kein anderes
Sein als ihr Angenommen-werden, ich selbst erhalte sie im Sein,
Das ist absurd, denn ich muss nicht jede Möglichkeit in Betracht ziehen. So muss ich, wenn ich über die Straße gehe, zwar in Betracht ziehen von Autos überfahren zu werden, aber ich muss mich nicht vergewissern, ob nicht gerade im Moment dort wo ich mich aufhalte ein Flugzeug abstürzt. Wer das täte, wäre zu Recht als pathologisch einzustufen.
Aber ich ängstige mich gerade deshalb, weil meine
Verhaltensweisen nur mögliche sind, und das bedeutet genau,
dass ich während ich eine Gesamtheit von Motiven zur Abwehr
dieser Situation konstituiere, im gleichen Augenblick diese
Motive als nicht wirksam genug erfasse.
Genau, die Motive müssen real sein, was sie bei einem freiwilligen Absturz aus Angst nicht sind. Mit anderen Worten: Es gibt Verhaltensweisen, die in gewissen Situationskontexten zwar grundsätzlich logisch möglich sind, die aber in diesen Kontexten unbedeutend sind.
Im selben Augenblick,
wo ich mich selbst als Schaudern vor dem Abgrund erfasse, habe
ich Bewusstsein von diesen Schaudern als für mein mögliches
Verhalten nicht bestimmend. Einerseits ruft dieses Schaudern
ein Vorsichtsverhalten hervor,
Das Schaudern ist ein Reflex und kein Verhalten - und damit ist es kein Entwurf im existenzialistischen Sinn.
ich bin nicht der, der ich sein werde.
Zunächst bin ich es nicht, weil Zeit mich davon trennt.
Das stimmt.
Ferner weil das, was ich bin, nicht der Grund dessen ist, was ich
sein werde.
Das hängt davon ab, was man als Grund anerkennt. Eine Intention wird von einigen modernen Philosophen als Grund akzeptiert. Aber selbst wenn man das annehmen würde, wäre noch nicht gesagt, dass dieser „Grund“ auch eine „Ursache“ sein muss. Auch das ist umstritten.
Schließlich, weil überhaupt kein aktuell
Existierendes genau das bestimmen kann, was ich sein werde. Da
ich jedoch schon das bin, was ich sein werde (sonst wäre ich
nicht interessiert, dieser oder jener zu sein), bin ich
derjenige, der ich sein werde, nach dem Modus es nicht zu
sein.
Ich könnte kahlköpfig sein, bin es aber nicht, nach Sartre aber vielmehr wäre ich kahlköpfig, gerade weil ich Haare hätte, nur eben im Modus des Nichtseins der Kahlköpfigkeit. (Wer’s braucht …) 
Über mein Schaudern werde ich auf die Zukunft hin getragen,
und es nichtet sich, insofern es die Zukunft als möglich
konstituiert. Das Bewusstsein, seine eigene Zukunft nach dem
Modus des Nicht-sein zu sein, ist genau das, was wir Angst
nennen.
Natürlich
- ich kann nur Angst vor der Kahlköpfigkeit haben, weil ich Haare auf dem Kopf habe. Hätte ich keine Haare auf dem Kopf wäre ich ja schon kahl, brauchte also keine Angst davor zu haben … (an was man alles denken muss …)
Wenn nichts mich zwingt, mein Leben zu retten,
hindert mich nichts, mich in den Abgrund zu stürzen. Das
entscheidende Verhalten wird aus einem ich hervorgehen, dass
ich noch nicht bin.
Vielleicht sollte ich mir mein Kopfhaar abrasieren, damit ich keine Angst mehr vor Kahlköpfigkeit habe … (Mannomann, Jean-Paul, quo vadis …)
Von diesem Augenblick an spiele ich mit meinen Möglichkeiten.
Das klang vorher noch so, als wenn dieser Augenblick schon früher eintreten müsse, nämlich schon zu dem Zeitpunkt, wenn die Angst den Schwindel „erzeugt“ …
Glücklicherweise bieten sich die Motive ihrerseits,
lediglich weil sie Motive eines Möglichen sind, als unwirksam,
als nicht-bestimmend dar: sie können ebenso wenig den
Selbstmord hervorbringen, wie mein Schaudern vor dem Sturz
mich bestimmen kann, ihn zu vermeiden.
Puh … da habe ich ja nochmal Glück gehabt, dass ich nicht sofort die Schere gezückt habe
… Allerdings denke ich schon, dass mein Schaudern vor der Glatze mir hilft, die Rasur zu vermeiden, oder?
Diese Gegen-Angst
beendet im allgemeinen die Angst, indem sie sie in
Unentschlossenheit verwandelt.
Bin ich jetzt also, wo ich mich entschlossen habe, mich nicht zu verstümmeln, unentschlossen, ob ich mich verstümmeln soll ???
Die Unentschlossenheit ruft
ihrerseits die Entschlossenheit hervor: man entfernt sich
plötzlich vom Rand des Abgrundes und setzt seinen Weg fort."
Achso … nur weil ich unentschlossen bin, entschlossen zu sein, bin ich entschlossen (und also eigentlich nicht unentschlossen) … Langsam wird die Sache komisch …
Ich verstehe jetzt nicht ganz, was Sartre damit meint.
Ich auch nicht.
Ich hätte somit die Wahl mich in den Abgrund zu stürzen, aber
warum soll das meine Angst erklären?
Eben, das geht nur logisch, aber nicht real. Ich denke, deine Abneigung gegen den Text ist berechtigt.
Der Boden könnte immer noch unter mir nachgeben
Eben, es könnte auch ein Flugzeug abstürzen. Oder (frei nach Asterix) mir „der Himmel auf den Kopf fallen“.
Warum habe ich also in dieser Situation Angst bzw. dann nicht
mehr?
Vielleicht hast du - nach Sartre - ja Angst davor, seinen Text zu verstehen?
Es wäre dann nur die Frage, ob du dich entschließen kannst, die Angst zu überwinden (und Sartre in die Ecke zu werfen), oder unentschlossen bleiben musst.
Summa: Ich finde den Text so absurd wie du.
Herzliche Grüße
Thomas Miller