Moin,
Wie kommt ihr eigentlich so selbstgewiss darauf, dass die
Erkenntnis schon lange vorlag, aber gerade jetzt erst publik
gemacht wurde?
Der Zeitpunkt und die Art und Weise sind mehr als dubios. Die Vorwürfe Gorch Fock, Feldpost und toter Soldat in Afghanistan wurden von den Ereignissen in Ägypten überlagert, Guttenberg war kein Thema mehr. Ägypten ist jetzt erstmal befriedet, und genau da kommt passend der nächste „Guttenberg-Skandal“. Das ist schon auffällig.
Und was die Art und Weise angeht: ausgerechnet ein aufstrebender Jungprofessor in Diensten des politischen Gegners deckt die Ungereimtheiten auf. Samstagsabends will er bei einem Glas Rotwein auf dem Sofa auf die Plagiate gestoßen sein… Schon klar, samstagabends gibt’s nichts Spannenderes als bei einem guten Glas Wein freiwillig dröge berufsbedingte Texte zu lesen. Und dann kommt dem Mann auch noch, einer Eingebung folgend, etwas komisch vor. Er fischt dann auch noch aus einem fast 500 Seiten langen Text ausgerechnet einen Satz oder eine Passage heraus, die einen Google-Treffer erzielt.
Und dann passiert es auch nicht bei irgendeinem harmlosen Minister, einer harmlosen Ministerin - sondern ausgerechnet der beliebten Lichtgestalt der Union.
Bei Familienministerin Schröder hätte man gedacht, dass die schwangerschaftsbedingt eh bald kürzer tritt. Sie ist auch nicht „gefährlich“. Guttenberg hat aber sehr gute Beliebtheitswerte…
Das sind sehr viele Zufälle, die dem politischen Gegner perfekt in die Hände spielen.
Warum denn gerade jetzt?
- weil Landtagswahlen anstehen
- weil Guttenberg durch Gorch Fock, die Feldpost, den toten Soldaten in Afghanistan und seine Darstellung zu Weihnachten (mit Gattin und Kerner in Afghanistan) eh unter Druck steht. Wenn man jetzt einen weiteren Klotz dazu legt könnte es den Minister vom Sockel kippen weil alle Themen kummulieren. Jedes für sich wäre wohl nicht so spektakulär und damit effizient wie die Häufung.
- Zum Zeitpunkt der Kundus-Affäre wäre Schummelgutti nicht
weniger als heute Topthema gewesen. Damals war er m.E. sogar
politisch angeschlagener als bis vor kurzem.
Guttenberg war damals nicht Verteidigungsminister. Insofern konnte man ihm das nicht anlasten. Dafür musste Minister Jung gehen.
- Hätte „die Opposition“ gewartet bis kurz vor die nächtste
BT-Wahl mit einem Guttenberg als Kanzlerkandidaten. Man hätte
damit vielleicht den ganzen Wahlkampf beeinflussen können. Das
wäre in der Tat ein Pfund gewesen.
Bis dahin wäre aber seine Popularität weiter gewachsen und der Mann hätte sich im Amt profilieren können. Anstatt sich weiter mit ihm „herumzuärgern“ will man ihn natürlich so schnell wie möglich weg haben bevor er zu groß wird.
Das ist natürlich dem persönlichen Maßstab geschuldet, aber
für mein Empfinden gehen die Dinge, die bei Guttenberg jetzt
schon im Raum stehen (ich bin sicher, da kommt noch mehr),
weit über eine Flugmeilenaffäre hinaus.
Was steht denn im Raum? Er hat eine umstrittene Dissertation am Hals. Die Uni ermittelt und wird ihre Konsequenzen ziehen. Damit wär’s eigentlich erledigt.
Ansonsten kritisiert man seine Amtsführung, Vorgänge in der Bundeswehr, sein mediales Auftreten. Das sind aber alles „Ansichtssachen“, bei denen es nur um verschiedene Sichtweisen, Sympathie und Antipathie geht.
Dass man einen Guttenberg-Skandal inszeniert ist doch nur Ergebnis gewollter Prozesse und nicht, weil es tatsächlich Skandalöses gibt, über das man lange Diskurse führen könnte.
Ich kann auch nicht begreifen, wie man diese Plagiatsvorwürfe
in diesem großen Umfang als Petitesse abtun kann, die nur der
akademischen Übergenauigkeit geschuldet sei.
Natürlich darf eine Doktorarbeit so nicht aussehen und dann auch noch die Bestnote bekommen. Das alleine wäre aber sehr problemlos von der Uni zu beurteilen, Konsequenzen folgen - und die Sache ist erledigt. Der Skandal und seine Explosion spielen auf einer ganz anderen Ebene. Da geht es nicht um die schnell beantwortete Frage von Plagiaten, sondern um den Umgang und die politische Kultur im Land sowie die Rolle der Medien und Mittel der Auseinandersetzung.
Gruß,
MecFleih