Das blaue Telefon als mentales Konstrukt
Hi VB.
Natürlich stellt sich ein Rechteck jedem Betrachter anders
dar, wie sich ALLES jedem Betrachter zumindest in Nuancen
anders darstellt, das hat aber mit Schopenhauers Thesen nichts
zu tun.
Ich finde golightlys Frage sehr zielführend.
Sagen wir mal so: alle Wege führen nach Rom.
Es ist nämlich weniger interessant, ob jeder Einzelne das
Rechteck ein b i ß c h e n anders sieht, sondern es ist ja
eben faszinierend und relevant, dass wir alle (außer einem
Schizophrenen, der gerade eine Halluzination oder Illusion oder
Wahnwahrnehmng hat) das Rechteck in etwa g e n a u s o
sehen.
Du machst dabei unbewusst ungefähr 367 implizite Voraussetzungen, die auf der unbewussten Verstandestätigkeit gründen, die in uns (fast) immer aktiv ist. Die wichtigste Implikation ist „Raum“. Nur in einem Raum (zumindest einer Fläche) kann sich ein „Rechteck“ entfalten. Nun gilt „Raum“ aber für Schopenhauer, angelehnt an Kant, als eine „Anschauungsform“ des Verstandes, NICHT als Eigenschaft der Wirklichkeit:
http://www.textlog.de/schopenhauer-3.html
"Raum und Zeit
"Die Anschauungsformen, Raum und Zeit, sind apriorisch-subjektiv, »selbsteigene Formen des Intellekts«. Der Raum ist eine »vor aller Erfahrung dem Intellekt einwohnende Form«, er ist »a priori unmittelbar anschaubar«…
(H.Tr. - d.h. der Verstand strukturiert die Sinnesdaten dergestalt, dass er ihnen drei „räumliche“ Dimensionen verleiht)
…Ebenso die Zeit, die ein transzendental Ideales ist, nur im erkennenden Subjekt entspringt, der »bloßen Vorstellung und ihrem Apparat« angehört…
(H.Tr. - d.h. Zeit, das Nacheinander, ist gleichfalls eine Projektion des Verstandes)
… Die Zeit ist psychologisch »unser eigener, ungestört fortschreitender, mentaler Prozeß, die Form unserer Apperzeption«. Ebenso phänomenal, ideal ist die Bewegung als solche."
Zitat ENDE.
Wir können uns darob nämlich überhaupt verständigen,
dass wir alle sagen können: „Dieses Telefon dort ist blau und
hat neun Tasten.“
Du glaubst hoffentlich nicht, dass Schopenhauer sich über solches nicht im klaren war. Dein Argument, dass, wenn Viele die prinzipiell gleichen Wahrnehmungen haben, diese Wahrnehmungen objektiv und absolut gelten, sticht aber nicht. Denn der menschliche Wahrnehmungs- und Verstandesapparat funktioniert nun mal relativ gleichförmig.
Das mit dem Blau ist zudem nicht stichhaltig. Was einer blau sieht, kann der andere rot sehen, das ist weder beweisbar noch widerlegbar.
Zudem ist „neun“ keine Eigenschaft eines Dings. „Neun“ ist eine mentale Operation, man sagt Eins, zeigt auf etwas, sagt Zwei, zeigt auf etwas Ähnliches, und so weiter. Zahlen sind kognitive Operationen, NICHT Eigenschaften irgendeiner Wirklichkeit.
Ich erinnere dabei an Piaget.
Gruß Horst